OGH 8ObA7/21v

OGH8ObA7/21v25.3.2021

Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht in Arbeits‑ und Sozialrechtssachen durch den Senatspräsidenten Hon.‑Prof. Dr. Kuras als Vorsitzenden,die Hofrätinnen Dr. Tarmann‑Prentner und Mag. Wessely‑Kristöfel als weitere Richter sowie die fachkundigen Laienrichter Mag. Dr. Rolf Gleißner (aus dem Kreis der Arbeitgeber) und Wolfgang Jelinek (aus dem Kreis der Arbeitnehmer) in der Arbeitsrechtssache derklagenden Partei Ing. N*****, vertreten durch Freimüller / Obereder / Pilz Rechtsanwält_innen GmbH in Wien, gegen die beklagte Partei W***** GmbH, *****, vertreten durch Körber‑Risak Rechtsanwalts GmbH in Wien, wegen Kündigungsanfechtung, über die außerordentliche Revision der klagenden Partei gegen das Urteil des Oberlandesgerichts Wien als Berufungsgericht in Arbeits‑ und Sozialrechtssachen vom 16. Dezember 2020, GZ 10 Ra 86/20w‑34, in nichtöffentlicher Sitzung den

Beschluss

gefasst:

European Case Law Identifier: ECLI:AT:OGH0002:2021:008OBA00007.21V.0325.000

 

Spruch:

Die außerordentliche Revision wird gemäß § 508a Abs 2 ZPO mangels der Voraussetzungen des § 502 Abs 1 ZPO zurückgewiesen.

Begründung:

Rechtliche Beurteilung

[1] 1.1 Nach der Rechtsprechung ist bei Erreichen des Regelpensionsalters und Anspruch auf Regelpension der Kündigungsschutz zwar nicht generell und jedenfalls auszuschließen, doch ist wegen der vom Gesetzgeber tolerierten Einkommenseinbußen, die mit jeder Pensionierung verbunden sind, und der Vorhersehbarkeit der Kündigung bei Erreichen des Regelpensionsalters bei Prüfung der Interessenbeeinträchtigung im Sinn des § 105 Abs 3 Z 2 ArbVG ein strenger Maßstab anzulegen (RIS‑Justiz RS0119456). Im Hinblick auf Pensionierungen nimmt der Gesetzgeber einen gewissen Einkommensverlust bewusst in Kauf. Deshalb ist eine Kündigung infolge des Umstands, dass der Arbeitnehmer Anspruch auf eine Alterspension hat, in der Regel nicht sozialwidrig, dies besonders dann nicht, wenn der Arbeitnehmer nach seiner Pensionierung noch zusätzlich durch betriebliche Pensionsleistungen abgesichert ist (RS0119456 [T2]). Wesentlich ist immer, ob der Arbeitnehmer seine Lebenshaltungskosten auch nach Wegfall des Aktivbezugs aus der künftigen Pension oder sonstigen berücksichtigungswürdigen Quellen decken kann (8 ObA 53/04h; vgl auch RS0119456 [T3]). Das wird bei Arbeitnehmern, die ein Einkommen erzielen, das deutlich über der Höchstbemessungsgrundlage liegt, im Regelfall ohne Vorliegen besonders zu berücksichtigender Umstände dann zu bejahen sein, wenn sie die mögliche „Höchstpension“ beziehen. Eine Summe, die der Sozialrechtsgesetzgeber als höchstzulässige Pensionshöhe ansieht, kann – für sich allein – insoweit nicht als „sozialwidrig“ angesehen werden (9 ObA 13/16a mwN). Dass der Arbeitnehmer durch längere Arbeit eine höhere Gesamtpension erzielen könnte, ändert daran nichts (9 ObA 13/16a). Bei einer nach dem Ende des Dienstverhältnisses bereits zustehende Korridorpension nach § 4 Abs 2 APG, die das Gesetz als Form der Alterspension definiert, hat der Oberste Gerichtshof auf hohe Abfertigungszahlungen (Überbrückungsfunktion) und lange Zeiträume der Dienstfreistellungen, in denen sich die Arbeitnehmer bei vollen Bezügen auf die zu erwartende Beendigung des Arbeitsverhältnisses einstellen konnten, Bedacht genommen und eine Sozialwidrigkeit verneint, wenn bei einer über das ASVG‑Höchstpension liegenden Gesamtversorgung die laufenden – allenfalls auch gehobenen – Lebenshaltungskosten gut abgedeckt sind (9 ObA 54/12z; 8 ObA 46/16x).

[2] 1.2 Die Anwendung dieser Rechtsprechung auf den konkreten Einzelfall begründet regelmäßig keine erhebliche Rechtsfrage im Sinn des § 502 Abs 1 ZPO, wenn die von der Judikatur des Obersten Gerichtshofs erarbeiteten Grundsätze beachtet werden (RS0051753 [T9]; RS0051785 [T7]). Das ist hier der Fall.

[3] 2.1 Das Berufungsgericht ist von einer monatlichen Gesamtpension von 2.791,01 EUR netto (Korridorpension zuzüglich Betriebspension von 258 EUR) ausgegangen, auf die der Kläger unmittelbar nach Ende des Dienstverhältnisses (seit 1. 7. 2018) Anspruch hatte. Unter Berücksichtigung der vorläufigen Witwerpension von durchschnittlich 912,42 EUR monatlich ergibt sich ein durchschnittliches monatliches Gesamteinkommen des Klägers von 3.703,83 EUR netto. Dem hat das Berufungsgericht die festgestellten Lebenshaltungskosten von rund 2.000 EUR und die aufgrund der Umstandsklausel mit etwa 600 EUR gegenüber der geschiedenen (ersten) Ehegattin angenommene Unterhaltspflicht gegenübergestellt. Schließlich hat es auch noch darauf verwiesen, dass sich die Betriebspension bis zum Schluss der mündlichen Verhandlung erster Instanz auf 300 EUR netto monatlich erhöht hat und sich bereits bei einem nur einen Monat späteren Antritt der Korridorpension (am 1. 8. 2018) eine um ca 100 EUR netto höhere Monatsleistung ergibt.

[4] Das bedeutet, dass der Kläger ein weit über der ASVG‑Höchstpension (von 3.402,14 EUR brutto für 2018) liegendes Einkommen beziehen könnte, das durch seine Lebenshaltungskosten keineswegs zur Gänze aufgezehrt wird, und zwar auch dann nicht, wenn die vorläufige Witwerpension in den Einkommensvergleich nicht einbezogen wird.

[5] Die Veranschlagung der vorläufigen Witwerpension ist allerdings ohnehin nicht zu beanstanden, weil der Kläger – wie das Berufungsgericht ausgeführt hat – kein konkretes Vorbringen insbesondere zur Bemessungsgrundlage seiner verstorbenen (zweiten) Ehegattin erstattet hat, sodass seine Behauptung, die Pension sei im Fall des Unterliegens der Beklagten im Vorprozess rückwirkend „gegen nahezu Null zu bemessen“, unbewiesen blieb.

[6] 2.2 Auch das Berufungsgericht hat eingeräumt, dass sich im Vergleich zum (fiktiv errechneten) zuletzt bezogenen Gesamteinkommen des Klägers von monatlich rund 7.968 EUR netto (Gehalt zuzüglich Ausgleichszulage und jährliche Bonuszahlung) eine relativ starke Reduzierung zeigt. Für sich genommen begründet das aber hier entgegen der Meinung des bereits pensionsberechtigtenKlägers noch keine wesentliche Interessenbeeinträchtigung, zumal ein (wie hier weit) überdurchschnittliches Einkommen prozentuell höhere Einkommensverluste rechtfertigt (8 ObA 53/04h). Dementsprechend wurde zu 9 ObA 8/05z ausgesprochen, dass allein aus der Brutto-Einkommensverminderung von 40 % nicht schon auf eine wesentliche Beeinträchtigung geschlossen werden könne. Der vom Kläger ins Treffen geführten Entscheidung 9 ObA 61/07x lag zwar eine als ins Gewicht fallend qualifizierte Brutto-Einkommensminderung von 47 % zugrunde, jedoch bei einem weit niedrigeren Einkommensniveau als in 9 ObA 8/05z.

[7] 2.3 Besonders berücksichtigungswürdige Gründe zeigt der Kläger nicht auf: Immerhin hat er bereits anlässlich der ersten (letztlich für rechtsunwirksam erklärten) Kündigung im Jahr 2012 eine Abfertigung von 132.248,16 EUR erhalten und war seit damals (unter Beibehaltung des Entgeltanspruchs) faktisch nicht mehr berufstätig (und musste damit rechnen, zum frühestens für einen Pensionsantritt in Betracht kommenden Zeitpunkt erneut gekündigt zu werden). Des Weiteren lebt er in seinem lastenfreien Reihenhaus und verfügt über Ersparnisse in Höhe von 60.000 EUR. Der Sachverhalt kann daher gut etwa mit 8 ObA 46/16x verglichen werden.

[8] 3. Die Beurteilung des Berufungsgerichts, die Sozialwidrigkeit der Kündigung sei im Einzelfall zu verneinen, ist unter den gegebenen Umständen jedenfalls vertretbar. Mangels Beeinträchtigung wesentlicher Interessen kommt es auf die Möglichkeit der Weiterbeschäftigung nicht mehr an (RS0116698).

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