European Case Law Identifier: ECLI:AT:OGH0002:2021:E131201
Rechtsgebiet: Strafrecht
Spruch:
In der Verbandsverantwortlichkeitssache AZ 11 Hv 12/19s des Landesgerichts für Strafsachen Wien verletzen
1) das Urteil dieses Gerichts als Schöffengericht vom 17. Oktober 2019 (ON 281) im Ausspruch über
a) die Verbandsgeldbuße § 4 Abs 3 VbVG sowie
b) den Verfall §§ 1, 61 StGB iVm § 12 Abs 1 VbVG und
2) das Urteil des Oberlandesgerichts Wien als Berufungsgericht vom 3. Juni 2020, AZ 17 Bs 53/20y,(ON 306) §§ 1, 61 StGB iVm § 12 Abs 1 VbVG.
Es werden das Urteil des Landesgerichts für Strafsachen Wien als Schöffengericht vom 17. Oktober 2019, (ON 281) das im Übrigen unberührt bleibt, im Ausspruch über den Verfall und das Urteil des Oberlandesgerichts Wien als Berufungsgericht vom 3. Juni 2020, AZ 17 Bs 53/20y, (ON 306) zur Gänze aufgehoben und die Sache zu neuer Verhandlung und Entscheidung über die vermögensrechtliche Anordnung an das Landesgericht für Strafsachen Wien verwiesen.
Gründe:
[1] Mit Urteil des Landesgerichts für Strafsachen Wien als Schöffengericht vom 17. Oktober 2019 (ON 281) wurde der Ö* gemäß § 3 Abs 1 Z 2 und Abs 2 VbVG (US 11 f) für das Verbrechen des schweren Betrugs nach §§ 12 zweiter Fall, 146, 147 Abs 1 Z 1 und Abs 3 StGB verantwortlich erkannt, das sein Entscheidungsträger Ing. Walter B* rechtswidrig und schuldhaft begangen und durch das dieser den Verband treffende Pflichten verletzt hat.
[2] Das Schöffengericht ging zusammengefasst davon aus, dass der hiefür bereits rechtskräftig verurteilte Ing. Walter B* als Vorstandsmitglied des gemeinnützigen (US 6 und 13) Vereins „Ö* S*“ (OSV) vom 1. Jänner 2006 bis zum November 2013 in W* mit dem Vorsatz, den OSV im Betrag von 333.503 Euro unrechtmäßig zu bereichern und die Ö* B* (BSO) in diesem Betrag am Vermögen zu schädigen, den Generalsekretär des OSV Thomas G* durch die an diesen (sowie an die Mitarbeiterinnen Maria K* und Sandra Kr*) gerichteten Aufforderungen, keine Fördermittel zurückzuzahlen und dafür Sorge zu tragen, entsprechenden fiktiven Aufwand jeweils für ein Förderjahr durch Scheinrechnungen zu kreieren, dazu bestimmte, Angestellte der BSO durch Täuschung über Tatsachen unter Benutzung falscher Urkunden, nämlich durch Vorlage von eigens angefertigten Rechnungen, denen kein Leistungsaustausch zugrunde lag, sowie von entsprechenden Scheinaufwendungen enthaltenden Endabrechnungsblättern und Kontoauszügen verbunden mit der wahrheitswidrigen Behauptung, den Rechnungen würden förderungswürdige Leistungen zugrunde liegen und der OSV hätte Aufwendungen in der Höhe der jeweiligen Rechnungsbeträge gehabt und diese auch bezahlt, zur Unterlassung der Rückforderung der tatsächlich nicht verbrauchten Fördermittel oder deren Anrechnung auf das Folgejahr zu verleiten, was die BSO in dem 300.000 Euro übersteigenden Betrag von 333.503 Euro an ihrem Vermögen schädigte,
[3] wobei Thomas G*
1) nach dem 1. Jänner 2006 jeweils vor Einreichung der Abrechnungsunterlagen für das jeweilige Förderjahr die vorsatzlos handelnde Edith L* auf im Urteil näher dargestellte Weise zur Abrechnung von Scheinaufwand in nachgenannter Höhe bestimmte, nämlich
a) am 29. April 2006 von 27.272 Euro, wodurch ein Schaden von 23.938 Euro entstand,
b) am 9. Februar 2007 von 68.700 Euro, wodurch ein Schaden von 61.553 Euro entstand,
c) am 31. Jänner 2008 von 59.600 Euro, wodurch ein Schaden von 37.273 Euro entstand,
d) am 31. Jänner 2009 von 62.550 Euro, wodurch ein Schaden von 58.569 Euro entstand,
e) am 31. Jänner 2010 von 25.000 Euro, wodurch ein Schaden von 22.615 Euro entstand, sowie
2) zu jeweils kurz vor den Schädigungen liegenden Zeitpunkten persönlich Endabrechnungsblätter über einen Scheinaufwand zur Einreichung bei der BSO unterfertigte, die dieser mit den weiteren Unterlagen vorgelegt wurden, nämlich
a) am 21. März 2012 über 71.208 Euro, wodurch ein Schaden von 64.087 Euro entstand, und
b) am 31. Jänner 2013 über68.676 Euro, wodurch ein Schaden von 65.468 Euro entstand.
[4] Über den belangten Verband wurde hiefür – ausgehend von einem Bußgeldrahmen bis zu 100 Tagessätzen (US 12) – „nach § 147 Abs 3 StGB iVm § 4 Abs 3 VbVG“ eine Verbandsgeldbuße von 50 Tagessätzen zu je 10 Euro verhängt, die nach § 6 Abs 1 VbVG unter Bestimmung einer Probezeit von drei Jahren bedingt nachgesehen wurde.
[5] Weiters wurde er gemäß § 369 Abs 1 StPO (zu ergänzen: iVm § 14 Abs 1 VbVG) zur Zahlung von 130.000 Euro an den „Privatbeteiligten Bund (Bundesministerium für öffentlichen Dienst und Sport)“ binnen 14 Tagen bei sonstiger Exekution verpflichtet. Mit seinem Mehrbegehren wurde der Privatbeteiligte gemäß § 366 Abs 2 StPO (zu ergänzen: iVm § 14 Abs 1 VbVG) auf den Zivilrechtsweg verwiesen.
[6] Gemäß „§ 20 Abs 1 und Abs 4 StGB iVm § 12 VbVG“ erklärte das Schöffengericht einen Betrag von 130.000 Euro für verfallen.
[7] Nach den Feststellungen zu den vermögensrechtlichen Folgen wurde die BSO durch die zwischen 2006 und 2013 begangenen Betrugstaten des Entscheidungsträgers des OSV mit insgesamt 333.503 Euro am Vermögen geschädigt und der OSV dadurch unrechtmäßig bereichert (US 8 f iVm US 2 f). Im Dezember 2013 habe der OSV für die betrügerisch erlangten Förderungen in den Jahren 2011 und 2012 insgesamt 73.616 Euro an Rückzahlungen an den Bund geleistet (US 9).
[8] Zum Verfallserkenntnisführte das Schöffengericht aus, es sei „ausgehend von einem Schaden von € 333.503,--, einer Rückzahlung von € 73.616,-- und im Zweifel zugunsten für den Verband auch unter Berücksichtigung gewisser 'Mittelabflüsse in die Funktionärsschicht' (vergl. ON 279 Beil ./B) […] zu der Überzeugung“ gelangt, „dass durch die Tat jedenfalls zumindest € 130.000,-- als Vermögenszuwachs beim Verband verblieben sind“ (US 13 f).
[9] Ausschließlich gegen den Verfallsausspruch richtete sich die Berufung des belangten Verbands, die das Vorliegen des Ausschlussgrundesdes § 20a Abs 2 Z 3 StGB behauptete (ON 290).
[10] Dieser gab das Oberlandesgericht Wien als Berufungsgericht – unter Zugrundelegung der vom Erstgericht in Bezug auf die vermögensrechtliche Maßnahme getroffenen Feststellungen (vgl US 6 f) – mit Urteil vom 3. Juni 2020, AZ 17 Bs 53/20y, (ON 306) nicht Folge.
Rechtliche Beurteilung
[11] Wie die Generalprokuratur in ihrer zur Wahrung des Gesetzes erhobenen Nichtigkeitsbeschwerde zutreffend aufzeigt, verletzen die dargestellten Urteile des Landesgerichts für Strafsachen Wien als Schöffengericht sowie des Oberlandesgerichts Wien als Berufungsgericht das Gesetz:
[12] (I) Zum Urteil des Landesgerichts für Strafsachen Wien als Schöffengericht:
[13] 1) Ist ein Verband im Sinn des § 3 VbVG für eine Straftat verantwortlich, so ist über ihn eine Verbandsgeldbuße zu verhängen (§ 4 Abs 1 VbVG), die in Tagessätzen zu bemessen ist (§ 4 Abs 2 VbVG). Die zulässige Höchstzahl der Tagessätze hängt davon ab, mit welcher Strafe die Tat bedroht ist, für die der Verband verantwortlich erklärt wurde. Das dem Entscheidungsträger Ing. Walter B* nach den Feststellungen zur Last liegende Verbrechen des schweren Betrugs nach §§ 12 zweiter Fall, 146, 147 Abs 1 Z 1 und Abs 3 StGB ist mit Freiheitsstrafe von einem bis zu zehn Jahren bedroht. Die höchstzulässige Anzahl der Tagessätze beträgt demnach 130 (§ 4 Abs 3 dritter Fall VbVG).
[14] Indem das Schöffengericht von einer zulässigen Höchstzahl der Tagessätze von lediglich 100 ausging (US 12), verletzte es § 4 Abs 3 VbVG.
[15] 2) Die gemäß § 12 Abs 1 VbVG auch auf Verbände anwendbaren vermögensrechtlichen Anordnungen des StGB (vgl Lehmkuhl/Zeder in WK² VbVG § 12 Rz 6) unterliegen dem Günstigkeitsvergleich (§§ 1, 61 StGB). Dieser ist bei Realkonkurrenz – auch bei Subsumtionseinheiten nach § 29 StGB – für jede Tat gesondert vorzunehmen (RIS‑Justiz RS0119545 [T7 und T10]). Dies unabhängig von einem – wegen zwischen Tat- und Urteilszeitpunkt geänderter Strafgesetze (hier § 147 Abs 3 StGB [BGBl I 2015/112]) – auch in Bezug auf die Subsumtion der betreffenden Tat anzustellenden Günstigkeitsvergleich (RIS‑Justiz RS0119545 [T12]).
[16] Der Verfall in der vom Erstgericht angewandten Fassung wurde erst am 1. Jänner 2011 mit Inkrafttreten des strafrechtlichen Kompetenzpakets BGBl I 2010/108 geschaffen. Die bis zum 31. Dezember 2010 gültige Rechtslage sah als vergleichbare vermögensrechtliche Anordnung die Abschöpfung der Bereicherung vor (§ 20 StGB idF BGBl I 2002/134), die nach dem sogenannten Nettoprinzip zu berechnen war (§ 20 Abs 1 StGB idF BGBl I 2002/134) und – anders als der Verfall nach geltendem Recht (RIS‑Justiz RS0129916) – zudem ausgeschlossen war, soweit der Bereicherte zur Befriedigung zivilrechtlicher Ansprüche aus der Tat verurteilt wurde (§ 20a Abs 1 StGB idF BGBl I 2004/136). Gemäß § 20a Abs 2 Z 3 StGB idF BGBl I 2004/136 hatte die Abschöpfung zu unterbleiben, wenn sie das Fortkommen des Bereicherten unverhältnismäßig erschwert oder ihn unbillig hart getroffen hätte, insbesondere weil die Bereicherung im Zeitpunkt der Anordnung nicht mehr vorhanden war.
[17] Wie oben dargestellt hat das Landesgericht für Strafsachen Wien – der Sache nach gestützt auf § 20 Abs 3 iVm Abs 4 StGB (US 13 f; vgl RIS‑Justiz RS0130833) – undifferenziert (Wertersatz‑)Verfall in Bezug auf (Wertersatz für) Vermögenswerte angeordnet, die der belangte Verband durch Taten seines Entscheidungsträgers erlangt hatte, die sowohl vor dem 1. Jänner 2011 als auch danach begangen worden waren.
[18] Ausreichende Feststellungen für die Vornahme eines Günstigkeitsvergleichs in Bezug auf die vermögensrechtliche Anordnung enthält das Urteil nicht.
[19] Denn diesem kann nicht entnommen werden,
- auf welche Taten sich der Verfallsbetrag von 130.000 Euro bezieht,
- auf welche Taten sich der Zuspruch von 130.000 Euro an den Privatbeteiligten bezieht, der – mit Blick auf die festgestellte Höhe des nach dem Jahr 2011 verursachten Schadens von insgesamt 129.555 Euro und der erfolgten (Teil‑)Schadensgutmachung von 73.616 Euro – zumindest einen Teil des vor dem 1. Jänner 2011 verursachten Schadens umfasst,
- ob die Abschöpfung der vor dem 1. Jänner 2011 betrügerisch erlangten Vermögensvorteile den OSV als gemeinnützigen Verein unbillig hart treffen würde (§ 20a Abs 2 Z 3 StGB aF) und
- zu welchen Zeitpunkten und in welchem Umfang die vom Erstgericht berücksichtigten „Mittelabflüsse in die Funktionärsschicht“ die (unrechtmäßige) Bereicherung des Verbands allenfalls nachträglich (zum Teil) beseitigt haben (vgl § 20a Abs 2 Z 3 StGB aF).
[20] Der Ausspruch des Verfalls verletzt daher §§ 1, 61 StGB iVm § 12 Abs 1 VbVG.
[21] (II) Zum Urteil des Oberlandesgerichts Wien als Berufungsgericht:
[22] Die Berufung gegen die im Urteil des Schöffengerichts erfolgte Entscheidung über vermögensrechtliche Anordnungen (vgl § 443 Abs 3 StPO [hier iVm § 14 Abs 1 VbVG]) zielt auf einen eigenständigen Ausspruch des Berufungsgerichts ab, der an die Stelle des bekämpften treten soll (vgl Ratz, WK‑StPO § 295 Rz 2). Das Berufungsgericht hat auf der Basis der Feststellungen zu den für die Lösung der Schuld- und der Subsumtionsfrage entscheidenden Tatsachen (vgl § 295 Abs 1 erster Satz StPO) unter Berücksichtigung des Berufungsvorbringens und allenfalls nach Durchführung zusätzlicher Erhebungen eine ausreichende Sachverhaltsgrundlage für die Entscheidung über die vermögensrechtliche Anordnung zu schaffen und einen eigenständigen Ausspruch über diese unter rechtsrichtiger Anwendung der entsprechenden Bestimmungen zu treffen (vgl Ratz, WK‑StPO § 295 Rz 2, 4 und 15; RIS‑Justiz RS0127710 und RS0120232 [T2]; 14 Os 147/14w).
[23] Indem das Oberlandesgericht Wien als Berufungsgericht keine die Vornahme des Günstigkeitsvergleichs in Bezug auf die vermögensrechtliche Anordnung ermöglichenden Feststellungen getroffen und den Verfall allein auf der Basis der erstrichterlichen Sachverhaltsannahmen als berechtigt erachtete, verletzte es die §§ 1, 61 StGB iVm § 12 Abs 1 VbVG.
[24] Der zu I/1 aufgezeigte Fehler wirkt sich nicht zum Nachteil des belangten Verbands aus, sodass es insoweit mit der Feststellung der Gesetzesverletzung sein Bewenden hat (§ 292 vorletzter Satz StPO iVm § 14 Abs 1 VbVG).
[25] Bezüglich der zu I/2 und II aufgezeigten Fehler ist hingegen nicht auszuschließen, dass diese zum Nachteil des belangten Verbands wirken. Daher sah sich der Oberste Gerichtshof veranlasst, deren Feststellung wie aus dem Spruch ersichtlich mit konkreter Wirkung zu verknüpfen (§ 292 letzter Satz StPO iVm § 14 Abs 1 VbVG).
[26] Für die neue Verhandlung und Entscheidung ist im Sinn des letzten Satzes des § 445 Abs 2 StPO der Vorsitzende des Schöffengerichts als Einzelrichter zuständig (RIS‑Justiz RS0100271 [T13 und T14]).
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