OGH 14Os147/14w

OGH14Os147/14w3.3.2015

Der Oberste Gerichtshof hat am 3. März 2015 durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofs Dr. Philipp als Vorsitzenden, die Hofrätin des Obersten Gerichtshofs Mag. Hetlinger, die Hofräte des Obersten Gerichtshofs Dr. Nordmeyer und Dr. Oshidari sowie die Hofrätin des Obersten Gerichtshofs Dr. Mann in Gegenwart der Richteramtsanwärterin Mag. Humer als Schriftführerin in der Strafsache gegen Pablo F***** wegen des Verbrechens des Suchtgifthandels nach § 12 zweiter Fall StGB, § 28a Abs 1 zweiter Fall, Abs 2 Z 3 SMG und weiterer strafbarer Handlungen, AZ 28 Hv 59/13i des Landesgerichts Innsbruck, über die von der Generalprokuratur gegen das Urteil des Oberlandesgerichts Innsbruck als Berufungsgericht vom 8. Oktober 2013, AZ 11 Bs 269/13s (ON 66) erhobene Nichtigkeitsbeschwerde zur Wahrung des Gesetzes nach öffentlicher Verhandlung in Anwesenheit des Vertreters der Generalprokuratur, Generalanwalt Mag. Bauer und des Verteidigers Dr. Winkovits zu Recht erkannt:

 

Spruch:

Das im Strafverfahren AZ 28 Hv 59/13i des Landesgerichts Innsbruck ergangene Urteil des Oberlandesgerichts Innsbruck als Berufungsgericht vom 8. Oktober 2013, AZ 11 Bs 269/13s (ON 66), verletzt, soweit darin der Berufung des Angeklagten teilweise Folge gegeben und die Entscheidung über den Verfall eines Betrags von 10.000 Euro gemäß § 20 Abs 1 StGB ersatzlos aufgehoben wurde, § 20 Abs 3 StGB iVm § 295 Abs 2 StPO.

Gründe:

Mit Urteil des Landesgerichts Innsbruck vom 28. Jänner 2013, GZ 28 Hv 59/13i‑44, wurde Pablo F***** der Verbrechen des Suchtgifthandels nach § 12 zweiter Fall StGB, § 28a Abs 1 zweiter Fall, Abs 2 Z 3 SMG (A) und nach § 28a Abs 1 fünfter Fall und Abs 2 Z 1 SMG (B) sowie mehrerer Vergehen der Vorbereitung von Suchtgifthandel nach § 15 StGB, § 28 Abs 1 erster Fall SMG (C) schuldig erkannt und zu einer Freiheitsstrafe verurteilt. Unter einem wurde gemäß § 20 Abs 1 StGB „ein Betrag von 10.000 Euro“ für verfallen erklärt.

Soweit hier wesentlich stellte das Schöffengericht dazu fest, dass der Angeklagte im Jahr 2012 über eine Kontaktperson namens „M*****“ einen nicht näher bekannten Kurier mit der Lieferung von zumindest 400 Gramm Kokain (140 Gramm Reinsubstanz) von Holland „nach Tirol“ (Österreich) beauftragt und sodann bis zu seiner Festnahme am 20. September 2012 den überwiegenden Teil des erhaltenen Suchtgifts, zumindest 300 Gramm (105 Gramm Reinsubstanz), in gewerbsmäßiger Absicht gewinnbringend an namentlich nicht bekannte Abnehmer weiterverkauft hat (US 6).

Den Ausspruch über den Verfall eines Betrags von 10.000 Euro (US 3) begründete das Erstgericht damit, dass „zumindest ein Betrag in dieser Größensumme durch die strafbaren Handlungen von Pablo F***** erlangt wurde“ (US 12).

Die dagegen erhobene Nichtigkeitsbeschwerde des Angeklagten wies der Oberste Gerichtshof mit Beschluss vom 27. August 2013, GZ 14 Os 80/13s‑6, zurück und leitete die Akten zur Entscheidung über dessen Berufung und Beschwerde dem Oberlandesgericht Innsbruck zu (ON 59). Dieses hob mit Urteil vom 8. Oktober 2013, AZ 11 Bs 269/13s (ON 66), in teilweiser Stattgebung der Berufung die Entscheidung über den Verfall eines Betrags von 10.000 Euro ersatzlos auf und gab der Berufung wegen des Ausspruchs über die Strafe sowie der Beschwerde gegen den Widerruf einer bedingten Strafnachsicht nicht Folge.

Zur Kassation des Verfallsausspruchs vertrat das Oberlandesgericht den Standpunkt (ON 66 US 15), dass das angefochtene Urteil „zunächst keine Konstatierungen zur Höhe jener gegenstandsbezogenen Vermögenswerte iSd § 20 Abs 1 StGB“ enthalte, „die der Angeklagte für die Begehung der ihm angelasteten Suchtgiftdelikte oder durch sie erlangt hat“, und dass der „im Rahmen der rechtlichen Beurteilung des Erstgerichts gezogene Schluss, dass zumindest ein Betrag in dieser Summe durch die strafbaren Handlungen vom Angeklagten erlangt wurde, […] diese fehlenden Konstatierungen jedenfalls nicht ersetzen“ könne. Das Berufungsgericht stellte ‑ unter Bezugnahme auf den Akteninhalt ‑ weiters fest (US 15 f), „dass ein Erlös aus den verfahrensgegenständlichen Straftaten ‑ auch nicht teilweise ‑ gefunden und auch sichergestellt wurde“, weshalb ein Verfall nach § 20 Abs 1 StGB, den das Erstgericht „unmissverständlich ausgesprochen hat, nicht durchführbar wäre, vielmehr wären […] die Voraussetzungen für einen Wertersatzverfall nach § 20 Abs 3 StGB erfüllt“. Da aber „eine Berufung zum Nachteil des Angeklagten nicht ergriffen wurde und das Verschlechterungsverbot auch den Verfall erfasst“, dürfe „das unterbliebene Verfallserkenntnis nach § 20 Abs 3 StGB nicht verhängt werden“.

Rechtliche Beurteilung

Wie die Generalprokuratur in ihrer dagegen erhobenen Nichtigkeitsbeschwerde zur Wahrung des Gesetzes zutreffend aufzeigt, steht dieses Urteil, soweit damit der Berufung des Angeklagten teilweise Folge gegeben und die Entscheidung über den Verfall eines Betrags von 10.000 Euro ersatzlos aufgehoben wurde, mit dem Gesetz nicht im Einklang:

Nach § 20 Abs 1 StGB (in der seit 1. Jänner 2011 geltenden Fassung des sKp, BGBl I 2010/108) hat das Gericht Vermögenswerte, die für die Begehung einer mit Strafe bedrohten Handlung oder durch sie erlangt wurden, für verfallen zu erklären. Der Verfall erstreckt sich nach dem Abs 2 dieser Bestimmung auch auf Nutzungen und Ersatzwerte der nach Abs 1 für verfallen zu erklärenden Vermögenswerte. Soweit die dem Verfall unterliegenden Vermögenswerte oder deren Nutzungen und Ersatzwerte nicht sichergestellt oder beschlagnahmt sind, hat das Gericht gemäß § 20 Abs 3 StGB einen Geldbetrag für verfallen zu erklären, der den nach Abs 1 und Abs 2 erlangten Vermögenswerten entspricht.

Während in § 20 Abs 1 StGB „als Grundtyp der gegenstandsbezogene Verfall umschrieben“ wird, der sich zufolge des Abs 2 leg cit „auch auf Nutzungen und Ersatzwerte […] erstreckt“, soll dessen Abs 3 „den sogenannten Wertersatzverfall ermöglichen und insbesondere der Lückenschließung für jene Fälle dienen, in denen der Verfall nach § 20 Abs 1 und Abs 2 StGB nicht durchführbar ist, wie beispielsweise in jenen für die Praxis zentrale Bedeutung aufweisenden Fällen, in denen der Vermögenswert nicht aufgefunden wurde“ (ErläutRV 918 BlgNR 24. GP 7 f; Fabrizy, StGB11 § 20 Rz 4).

Der zwingend, das heißt selbst ohne entsprechenden Antrag der Staatsanwaltschaft (arg: „hat“; vgl auch Fabrizy, StGB11 § 20 Rz 1) zu treffende Ausspruch über den Verfall erfordert (bloß) Feststellungen über einen für die Begehung einer mit Strafe bedrohten Handlung oder durch sie erlangten Vermögenswert. Ist es zu keiner Sicherstellung oder Beschlagnahme gekommen, so hat das Gericht (auch in diesem Fall besteht insoweit kein Ermessen; vgl Fuchs/Tipold in WK2 StGB § 20 Rz 38) nach § 20 Abs 3 StGB ‑ allenfalls im Wege einer Schätzung nach Abs 4 leg cit ‑ einen Geldbetrag festzusetzen und für verfallen zu erklären.

Ausgehend davon hat das Oberlandesgericht zutreffend festgestellt, dass dem Erstgericht ein Rechtsfehler unterlaufen ist, indem es den Verfall trotz Fehlens einer (aus dem Akt ersichtlichen) Sicherstellung oder Beschlagnahme der dem Verfall unterliegenden Vermögenswerte oder deren Nutzungen und Ersatzwerte nominell auf § 20 Abs 1 (statt Abs 3) StGB stützte (obwohl es, ganz im Sinn des Abs 3 dieser Bestimmung, einen für verfallen erklärten Betrag bestimmte), und ebenso rechtsrichtig seine Kompetenz bejaht, diesem Irrtum im Rahmen der Entscheidung über die auch gegen die vermögensrechtliche Anordnung erhobene Berufung des Angeklagten Rechnung zu tragen und eine dadurch allenfalls bewirkte, in dessen Nichtigkeitsbeschwerde nicht aufgegriffene Benachteiligung des Berufungswerbers zu beheben (Ratz, WK-StPO § 290 Rz 29).

Das in § 295 Abs 2 StPO angeordnete Verschlechterungsverbot, von dem auch der Verfall umfasst ist, erstreckt sich allerdings bloß auf den Sanktionenbereich und verbietet solcherart nur die Verhängung einer materiell strengeren Sanktion oder ‑ bezogen auf den Ausspruch über den Verfall ‑ die Bemessung eines gegenüber dem (nicht zum Nachteil des Angeklagten bekämpften) Ersturteil höheren Verfallsbetrags, nicht aber die formelle Anwendung einer anderen ‑ mitunter sogar (abstrakt) ungünstigeren - Bestimmung (Ratz, WK‑StPO § 290 Rz 31 ff, 50; RIS-Justiz RS0100733).

Im Übrigen ist zwar ein gegenstandsbezogener Verfall nach § 20 Abs 1 StGB von einem „Wertersatzverfall“ nach § 20 Abs 3 (allenfalls iVm Abs 4) StGB zu unterscheiden (vgl Fuchs/Tipold in WK2 StGB § 20 Rz 1 ff bzw 36 ff), doch handelt es sich ‑ zumal Abs 3 explizit auf „die dem Verfall nach Abs 1 oder 2 unterliegenden Vermögenswerte“ abstellt ‑ in beiden Fällen um eine in ihren Auswirkungen grundsätzlich gleichartige vermögensrechtliche Maßnahme (zur hier nicht relevanten Ausnahme beim entgeltlichen Erwerb durch Dritte siehe § 20a Abs 1 StGB).

Ausgehend von den im erstinstanzlichen Urteil getroffenen, oben zitierten Feststellungen, wonach der Angeklagte zumindest 105 Gramm reines Kokain in gewerbsmäßiger Absicht gewinnbringend an namentlich nicht bekannte Abnehmer weiterverkauft und durch diese strafbaren Handlungen Vermögenswerte in der Höhe von „zumindest“ 10.000 Euro erlangt hat (ON 44 US 12 iVm US 3), lagen im Anlassfall die gesetzlichen Voraussetzungen für einen ‑ obligatorischen ‑ Ausspruch über einen Verfall (nach § 20 Abs 3 StGB) betreffend einen Geldbetrag in eben dieser Höhe vor.

Den eben dargelegten Grundsätzen folgend wäre das Oberlandesgericht demnach verpflichtet gewesen, im Rahmen seiner Berufungsentscheidung auf Basis der Urteilsannahmen zu den für die Lösung der Schuld- und der Subsumtionsfrage entscheidenden Tatsachen unter Berücksichtigung des Berufungsvorbringens und allenfalls nach Durchführung zusätzlicher Erhebungen eine ausreichende Sachverhaltsgrundlage für die Entscheidung über die vermögensrechtliche Anordnung zu schaffen und einen eigenständigen Ausspruch (zum Ganzen Ratz, WK‑StPO „§ 295 Rz 2 ff mwN) über den Verfall (bei weiterhin vorliegenden diesbezüglichen Voraussetzungen) unter der fallbezogen gebotenen rechtsrichtigen Subsumtion nach § 20 Abs 3 StGB zu treffen.

Indem das Berufungsgericht demgegenüber das Verfallserkenntnis unter verfehlter Berufung auf das Verbot der Verschlechterung ersatzlos kassierte, hat es das Gesetz in § 20 Abs 3 StGB iVm § 295 Abs 2 StPO verletzt.

Da ein aus der aufgezeigten Gesetzesverletzung resultierender Nachteil für den Verurteilten nicht auszumachen ist, hat es mit ihrer Feststellung sein Bewenden (§ 292 vorletzter Satz StPO).

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