OGH 6Ob261/20f

OGH6Ob261/20f15.3.2021

Der Oberste Gerichtshof hat durch den Senatspräsidenten Dr. Schramm als Vorsitzenden, die Hofräte Hon.-Prof. Dr. Gitschthaler, Univ.‑Prof. Dr. Kodek, Dr. Nowotny und die Hofrätin Dr. Faber als weitere Richter in der Firmenbuchsache der im Firmenbuch des Landesgerichts Wiener Neustadt zu FN ***** eingetragenen S***** GmbH mit dem Sitz in *****, wegen Offenlegung der Jahresabschlüsse zum 30. September 2017 und zum 30. September 2018, über den außerordentlichen Revisionsrekurs der Gesellschaft und des Geschäftsführers T*****, beide *****, vertreten durch Fellner Wratzfeld & Partner Rechtsanwälte GmbH in Wien, gegen den Beschluss des Oberlandesgerichts Wien als Rekursgericht vom 27. November 2020, GZ 30 R 238/20w, 30 R 239/20t, 30 R 240/20i, 30 R 241/20m‑12, womit die Beschlüsse des Landesgerichts Wiener Neustadt vom 21. Oktober 2020, GZ 8 Fr 848/20k‑6, 8 Fr 848/20k‑7, 8 Fr 852/20t‑6 und 8 Fr 852/20t‑7, bestätigt wurden, in nichtöffentlicher Sitzung den

Beschluss

gefasst:

European Case Law Identifier: ECLI:AT:OGH0002:2021:0060OB00261.20F.0315.000

 

Spruch:

Der außerordentliche Revisionsrekurs wird mangels der Voraussetzungen des § 62 Abs 1 AußStrG zurückgewiesen (§ 15 FBG iVm § 71 Abs 3 AußStrG).

Begründung:

Rechtliche Beurteilung

[1] § 283 UGB sieht vor, dass bei nicht rechtzeitiger Einreichung des Jahresabschlusses (unter anderem) einer Gesellschaft mit beschränkter Haftung Zwangsstrafen zu verhängen sind. Dass im vorliegenden Fall der Jahresabschluss zum 30. 9. 2017 zum maßgeblichen Zeitpunkt 30. 6. 2018 und der Jahresabschluss zum 30. 9. 2018 zum maßgeblichen Zeitpunkt 30. 6. 2019 nicht eingereicht worden waren, ist nicht strittig. Unterbleibt die Offenlegung, sind nach § 283 Abs 1 UGB (neben der Gesellschaft) auch die Geschäftsführer zur Befolgung der Offenlegungsvorschriften durch Zwangsstrafen anzuhalten.

[2] Der erkennende Senat hat bereits in der Entscheidung 6 Ob 30/21m im Zusammenhang mit einer ebenfalls dem S*****-Konzern angehörenden Gesellschaft zu den auch hier im außerordentlichen Revisionsrekurs vorgebrachten Argumenten Stellung genommen, wobei der (hier) Geschäftsführer auch die dort belangte Gesellschaft vertrat und in beiden Verfahren sämtliche Revisionsrekurswerber von derselben Rechtsanwaltsgesellschaft vertreten wurden bzw werden. Zu den weitgehend wortidenten Revisionsrekursausführungen führte der Senat wie folgt aus:

[...]

3. Es entspricht ständiger Rechtsprechung des Fachsenats, dass zur Wahrung der Frist des § 277 UGB (hier: iVm § 2 1. COVID‑19-JuBG) die Einreichung eines vorläufigen Jahresabschlusses ausreicht (RS0127129), wobei die Frage, ob im konkreten Fall die Erstellung eines vorläufigen Jahresabschlusses möglich war (gewesen wäre), keine erhebliche Rechtsfrage iSd § 62 Abs 1 AußStrG darstellt (6 Ob 72/12z RWZ 2012/104 [Wenger]). Dies gilt auch für die Frage, ob der Geschäftsführer seinen diesbezüglichen Verpflichtungen nachgekommen ist (RS0123571 [T5]).

4. Nach § 283 Abs 2 Satz 2 und 3 UGB kann von der Verhängung einer Zwangsstrafe abgesehen werden, wenn das Organ offenkundig durch ein unvorhergesehenes oder unabwendbares Ereignis an der fristgerechten Offenlegung gehindert war. In diesem Fall kann – soweit bis dahin noch keine Offenlegung erfolgt ist – mit der Verhängung der Zwangsstrafverfügung bis zum Ablauf von vier Wochen nach Wegfall des Hindernisses, welches der Offenlegung entgegenstand, zugewartet werden. Dabei reicht allerdings für die Verhängung von Zwangsstrafen bloße – auch leichte – Fahrlässigkeit der Geschäftsführung aus (RS0123571).

4.1. Der außerordentliche Revisionsrekurs beruft sich darauf, dass die Erstellung auch nur eines vorläufigen Jahresabschlusses organisatorisch selbst bei intensivsten Bestrebungen nicht zu bewältigen gewesen sei, seien doch die Geschäftsführer der Gesellschaft aufgrund des Bilanzskandals und der damit einhergehenden Untersuchungen, des überlangen Werterhellungszeitraums und der Insolvenzanträge gegen die Konzerngesellschaft S***** AG gehindert gewesen.

Allerdings hat der erkennende Senat unter anderem bereits klargestellt, dass ein unvorhergesehenes oder unabwendbares Ereignis nicht schon dann anzunehmen ist, wenn „vertragliche Aspekte zur Abklärung anstanden, die nicht gänzlich rechtlich aufgeklärt werden konnten“ (6 Ob 162/11h RWZ 2012/104 [Wenger]) oder einzelne Bilanzpositionen mit Unsicherheit behaftet sind (6 Ob 225/11y RWZ 2012 [Wenger]). Selbst die Berufung auf interne Unstimmigkeiten vermag mehrere Geschäftsführer nicht von ihrer Verpflichtung zu entbinden (6 Ob 214/15m). Auch ansonsten verneint die Rechtsprechung (insbesondere) des Obersten Gerichtshofs „Unmöglichkeit“ beziehungsweise fehlendes Verschulden regelmäßig: So wurden etwa das Ausbleiben des Alleingesellschafters bei der den Jahresabschluss feststellenden Generalversammlung (6 Ob 32/12t RWZ 2012/104 [Wenger]), eine Betriebsprüfung (RS0127070), eine Erkrankung oder das Alter des Geschäftsführers (6 Ob 8/12p), das Fehlen von Steuerformularen (6 Ob 66/12t) oder die Beschlagnahme von Unterlagen in einem Strafverfahren (OLG Wien 28 R 27/01y NZ 2002/93) nicht als unvorhergesehene oder unabwendbare Ereignisse qualifiziert. Dies gilt auch für jene Fälle, in denen sich die Organe oder ein für die Gesellschaft bestellter Insolvenzverwalter auf die Unauffindbarkeit von Buchhaltungsunterlagen berufen. In solchen Fällen ist darzulegen, dass die für die Erstellung des Jahresabschlusses notwendigen Unterlagen auch nicht (mehr) erlangt werden können; es sind (jedenfalls) jene konkreten Schritte darzutun, die unternommen wurden, sich die Unterlagen zu beschaffen beziehungsweise die Erfüllung der gesetzlichen Offenlegungspflicht zu ermöglichen (RS0127098).

Der Geschäftsführer muss in allen Fällen nachweislich alles unternommen haben, um die rechtzeitige Erfüllung seiner gesetzlichen Pflichten zu gewährleisten (6 Ob 211/09m; 6 Ob 199/11z). Eine gegenteilige Auslegung würde letztlich zu einem „Freibrief“ für alle offenlegungspflichtigen Gesellschaften etwa in Fällen führen, in denen „vertragliche Aspekte abzuklären“ (6 Ob 162/11h RWZ 2012/104 [Wenger]) oder Bilanzpositionen unsicher sind (6 Ob 225/11y RWZ 2012 [Wenger]). Ein Verständnis des Gesetzes, wonach ein gänzliches Unterbleiben der Offenlegung des Jahresabschlusses aus solchen oder ähnlichen Gründen akzeptiert werden müsste, womit aber die Gläubiger bzw andere interessierte Dritte keinerlei Informationen über die wirtschaftliche Lage der Gesellschaft erhalten würden, liefe dem Zweck der Bilanzpublizität diametral zuwider (6 Ob 225/11y RWZ 2012 [Wenger]). Der Zweck der Offenlegung von Jahresabschlüssen besteht darin, Dritte, die die buchhalterische und finanzielle Situation der Gesellschaft nicht ausreichend kennen oder kennen können, zu informieren (6 Ob 20/08x; 6 Ob 214/15m). Dieser Zweck könnte jedoch leicht vereitelt werden, ließe man der Gesellschaft und ihren Organen die Möglichkeit offen, sich unter Berufung auf innere Umstände den Offenlegungspflichten zu entziehen (6 Ob 214/15m), weshalb der Zweck der Offenlegungspflichten eine strenge Vorgehensweise durch die Firmenbuchgerichte rechtfertigt (6 Ob 214/15m). Dies gilt auch in Fällen, in denen die Erstellung eines (endgültigen) Jahresabschlusses dadurch erschwert wird, dass sich die konkrete Gesellschaft in einem Konzernverbund mit anderen Gesellschaften befindet und sich aus dieser Verzahnung Schwierigkeiten bei der Erstellung von Jahresabschlüssen ergeben, wobei es gerade in einer wie der vom außerordentlichen Revisionsrekurs beschriebenen schwierigen Situation des S*****-Konzerns unumgänglich ist, zumindest durch einen vorläufigen Jahresabschluss die Öffentlichkeit darüber zu informieren.

4.2. Der außerordentliche Revisionsrekurs verweist weiters auf die seit März 2020 grassierende COVID‑19-Pandemie, die ebenfalls die Erstellung eines (auch nur) vorläufigen Jahresabschlusses erschwert habe. Dem ist allerdings zum einen entgegen zu halten, dass zum Zeitpunkt des ersten Lockdown am 16. 3. 2020 der Jahresabschluss gemäß § 222 UGB bereits hätte aufgestellt sein müssen. Die Ausführungen des außerordentlichen Revisionsrekurses, „die Gesellschaft – wie auch der gesamte S*****-Konzern – [seien] derart vom Ausbruch der COVID‑19-Pandemie getroffen [worden, so]dass die Erstreckung der Anwendbarkeit des § 3a Abs 2 COVID‑19-GesG auf den hier gegenständlichen Jahresabschluss erwägenswert erschein[e]“ – womit der am 27. 10. 2020 [im vorliegenden Fall: die am 29. 9. 2020 eingereichten Jahresabschlüsse] offensichtlich als fristgerecht eingebracht anzusehen wäre –, verkennen zum anderen, dass der Gesetzgeber diesen Gegebenheiten mit sehr detaillierten Fristenregelungen (vgl Artmann aaO Rz 45 ff) zur Aufstellung des Jahresabschlusses und der Offenlegung ohnehin Rechnung getragen hat. Dass diese Fristerstreckungen im Einzelfall als ungenügend oder unbefriedigend angesehen werden (könnten), rechtfertigt nicht, diese Regelungen auch auf Fälle anzuwenden, für die sie nicht vorgesehen sind.

 

[3] Diese Überlegungen haben erst recht für jene Fälle zu gelten, in denen die Jahresabschlüsse bereits lange vor der COVID-19-Pandemie hätten aufgestellt und eingereicht hätten werden müssen.

[4] Wie im Verfahren 6 Ob 260/20h machen die Revisionsrekurswerber zusätzlich auch Nichtigkeit jenes Beschlusses geltend, mit dem die Zwangsstrafe über die Gesellschaft wegen Nichtvorlage des Jahresabschlusses 2017 zum 30. 6. 2018 über die Gesellschaft verhängt worden sei (GZ 8 Fr 848/20k‑7 des Erstgerichts). Für diesen Zeitraum sei jedoch bereits rechtskräftig eine Strafe verhängt worden, sodass einer neuerlichen Strafverhängung das Prozesshindernis der res iudicata entgegenstehe.

[5] Auch diese Ausführungen sind nicht berechtigt:

[6] Zwar trifft zu, dass das Erstgericht wegen Nichtvorlage des Jahresabschlusses 2017 zum 30. 6. 2018 bereits früher eine Zwangsstrafe gegen die Gesellschaft verhängt hatte.

[7] Im vorliegenden Fall betrifft das Zwangsstrafenverfahren jedoch die Unterlassung der Vorlage des Jahresabschlusses zum 31. 8. 2018. Dies wurde in der in der Folge durch Einsprüche bekämpften Zwangsstrafenverfügung so festgehalten.

[8] Auch hier gelten die bereits zu 6 Ob 260/20h ausgeführten Erwägungen:

[9] Durch die Zwangsstrafenverfügung wurde das Zwangsstrafenverfahren „kanalisiert“. Damit wurde die Periode, die das Erstgericht zum Gegenstand eines Zwangsstrafenverfahrens machen wollte, festgelegt. Der Umstand, dass das Erstgericht in der Folge bei der Verhängung von Zwangsstrafen im ordentlichen Verfahren nach Erhebung von Einsprüchen gegen die Zwangsstrafenverfügungen von der Nichtvorlage des Jahresabschlusses zum „30. 6. 2018“ spricht, stellt ersichtlich einen bloßen Schreibfehler dar. Aus dem Gesamtzusammenhang der Begründung des Erstgerichts ergibt sich in einer jeden Zweifel ausschließenden Deutlichkeit, dass das Erstgericht die Zwangsstrafe für die Nichtvorlage des Jahresabschlusses zum 31. 8. 2018 verhängen wollte. Dies ergibt sich nicht nur durch die Bezugnahme auf die Zwangsstrafenverfügung, die ausschließlich dieses Datum enthalten hatte, sondern auch aus der weiteren Begründung des Erstgerichts, die sich mit dem Einspruchsvorbringen auseinandersetzt, wonach dem Gericht durch den Fristerstreckungsantrag vom 12. 7. 2018 die Hinderungsgründe bekannt gewesen seien. Damit nimmt das Erstgericht auf einen nach dem 30. 6. 2018 liegenden Zeitpunkt Bezug.

[10] Nicht zuletzt ergibt sich auch aus dem Vorbringen der Revisionsrekurswerber in ihren Rechtsmitteln gegen die Beschlüsse des Erstgerichts, dass diese die bekämpften Beschlüsse in diesem Sinn, also als Verhängung einer Zwangsstrafe für die Nichtvorlage des Jahresabschlusses 2017 zum Stichtag 31. 8. 2018 bezogen. Anderenfalls wäre unerklärlich, warum die Revisionsrekurswerber zu AZ 8 Fr 848/20k in ihrem Rechtsmittel gegen die Entscheidungen des Erstgerichts mit keinem Wort auf die Nichtigkeit der Strafverhängung gegen die Gesellschaft wegen Verletzung des Grundsatzes der res iudicata hinwiesen. Zwar können im Außerstreitverfahren mangels einer § 519 Abs 1 ZPO entsprechenden Vorschrift in einem Revisionsrekurs auch vom Rekursgericht verneinte schwere Verfahrensverstöße geltend gemacht werden ( Schramm in Gitschthaler/Höllwerth , AußStrG 2 § 66 Rz 5 mwN). Das Unterlassen diesbezüglicher Rechtsmittelausführungen durch die – durchgehend anwaltlich vertretene – Gesellschaft ist jedoch ein Argument dafür, wie die Revisionsrekurswerber die erstinstanzlichen Beschlüsse verstanden haben.

[11] Auch das Rekursgericht wies in seiner Entscheidung zutreffend daraufhin, dass das Verfahren AZ 8 Fr 848/20k den Stichtag 31. 8. 2018 betrifft.

[12] Damit liegt aber keine Doppelbestrafung der Gesellschaft vor.

[13] Würde man den Beschluss des Erstgerichts anders, nämlich als (unzulässige) neuerliche Verhängung einer Zwangsstrafe gegen die Gesellschaft wegen Nichtvorlage des Jahresabschlusses zum 30. 6. 2018 verstehen, wäre im Übrigen daraus für den Rechtsstandpunkt der Revisionsrekurswerber nichts gewonnen, müsste doch dann das Erstgericht unverzüglich eine weitere Zwangsstrafe wegen Nichtvorlage des Jahresabschlusses zum 30. 8. 2018 verhängen. In Wahrheit ist jedoch – wie dargelegt – bei zutreffender Auslegung des Beschlusses des Erstgerichts dieser dahingehend zu verstehen, dass das Erstgericht ohnedies zutreffend wegen Nichtvorlage des Jahresabschlusses 2017 zum 31. 8. 2018 eine Zwangsstrafe verhängte.

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