OGH 3Ob5/21p

OGH3Ob5/21p25.2.2021

Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht durch die Präsidentin Hon.-Prof. Dr. Lovrek als Vorsitzende sowie den Hofrat Hon.-Prof. PD Dr. Rassi, die Hofrätinnen Dr. Weixelbraun‑Mohr und Dr. Kodek und den Hofrat Dr. Stefula als weitere Richter in der Rechtssache der klagenden Partei Ing. M*****, vertreten durch Dr. Verena Brauner, Rechtsanwältin in Wien, gegen die beklagte Partei C*****, vertreten durch Ehrenhöfer & Häusler Rechtsanwälte GmbH in Wiener Neustadt, wegen Ehescheidung, über die außerordentliche Revision der klagenden Partei gegen das Urteil des Landesgerichts Wiener Neustadt als Berufungsgericht vom 18. November 2020, GZ 16 R 225/20g-29, in nichtöffentlicher Sitzung den

Beschluss

gefasst:

European Case Law Identifier: ECLI:AT:OGH0002:2021:0030OB00005.21P.0225.000

 

Spruch:

Die außerordentliche Revision wird gemäß § 508a Abs 2 ZPO mangels der Voraussetzungen des § 502 Abs 1 ZPO zurückgewiesen.

 

Begründung:

[1] Die Vorinstanzen haben die Ehe der Streitteile geschieden. Das Berufungsgericht ist vom überwiegenden Verschulden des klagenden Ehemannes und Widerbeklagten ausgegangen.

Rechtliche Beurteilung

[2] Dagegen zeigt der Kläger, der einen gleichteiligen Verschuldensausspruch anstrebt, keine erhebliche Rechtsfrage auf.

[3] 1.1 Nach ständiger Rechtsprechung ist eine unheilbare Ehezerrüttung dann anzunehmen, wenn die geistige, seelische und körperliche Gemeinschaft zwischen den Ehegatten und damit die Grundlagen der Ehe objektiv und wenigstens bei einem Ehegatten auch subjektiv zu bestehen aufgehört haben, wobei es genügt, dass die klagende Partei die eheliche Gesinnung verloren hat (RIS‑Justiz RS0056832).

[4] 1.2 Eheverfehlungen, die nach der unheilbaren Zerrüttung der Ehe gesetzt werden, haben bei der Verschuldensabwägung kein entscheidendes Gewicht (RS0057338). In diesen Fällen fehlt es zwischen der neuen Eheverfehlung und der Zerrüttung am ursächlichen Zusammenhang (RS0056921; RS0056939).

[5] 1.3 Die Frage, ob und wann eine Ehe objektiv zerrüttet ist, ist eine auf der Grundlage der tatsächlichen Feststellungen nach objektivem Maßstab zu beurteilende Rechtsfrage (RS0043423). Deren Beurteilung ist stark von den Umständen des Einzelfalls geprägt und begründet in aller Regel – von den Fällen grober Fehlbeurteilungen abgesehen – keine erhebliche Rechtsfrage (RS0056832 [T5]).

[6] 1.4 Das Berufungsgericht ist davon ausgegangen, dass der Auszug des Klägers und dessen nicht offengelegtes Naheverhältnis mit seiner damaligen Sekretärin und späteren Freundin noch einem Zeitraum zuzuordnen ist, als die Ehe noch nicht unheilbar zerrüttet war. Die vom Berufungsgericht aufgrund der konkreten Umstände des Einzelfalls seiner Entscheidung zugrundelegte Rechtsansicht, dass die unheilbare Zerrüttung erst wegen des unberechtigten Auszugs des Klägers (im Zusammenhang mit dessen Verletzung seiner Treuepflicht) eintrat, begründet jedenfalls keine grobe Fehlbeurteilung und bedarf daher keiner Korrektur durch gegenteilige Sachentscheidung.

[7] 2. Der Kläger argumentiert damit, dass das Verschulden der Beklagten nicht fast völlig in den Hintergrund tritt und daher dem Ausspruch über sein überwiegendes Verschulden widerspricht.

[8] 2.1 Die Verschuldenszumessung bei der Scheidung erfolgt nach den Umständen des Einzelfalls und kann in der Regel keine erhebliche Rechtsfrage begründen (RS0119414, RS0118125). Nach ständiger Rechtsprechung muss bei beiderseitigem Verschulden ein sehr erheblicher Unterschied im Grad des Verschuldens gegeben sein, um ein überwiegendes Verschulden eines Teils annehmen zu können. Es ist dabei nicht nur zu berücksichtigen, wer mit der schuldhaften Zerrüttung der Ehe begonnen hat, sondern auch, wer entscheidend dazu beigetragen hat, dass die Ehe unheilbar zerrüttet wurde (RS0057057). Ein überwiegendes Verschulden ist nur dort anzunehmen und auszusprechen, wo der graduelle Unterschied der beiderseitigen Verschuldensanteile augenscheinlich hervortritt (RS0057821). Bei der Beurteilung des überwiegenden Verschuldens eines Ehegatten sind alle Umstände zu berücksichtigen und in ihrer Gesamtheit gegenüberzustellen (RS0057303). Weil das überwiegende Verschulden, insbesondere bei den Scheidungsfolgen, dem alleinigen Verschulden gleichgestellt wird, ist ein strenger Maßstab anzulegen (RS0057821 [T8]).

[9] 2.2 Allein der Umstand, dass das Berufungsgericht das von ihm angenommene überwiegende Verschulden des Klägers in seiner rechtlichen Beurteilung darauf stützte, dass das Verschulden der beklagten Ehefrau nicht fast völlig in den Hintergrund trat, kann die Zulässigkeit des Rechtsmittels nicht stützen, weil sich dessen ungeachtet die Berufungsentscheidung im Ergebnis im Hinblick auf die Feststellungen jedenfalls im Rahmen der Judikatur hält.

[10] 2.3 Die Vorinstanzen sind nicht korrekturbedürftig davon ausgegangen, dass die Ehe vor dem Auszug des Klägers wegen des Verhaltens beider Ehegatten bereits zerrüttet war (wenngleich nicht unheilbar), ohne dass ein überwiegendes Verschulden einer der Parteien vorlag. Der Kläger vernachlässigte das Familienleben, engagierte sich wenig für die Verwirklichung eines gemeinsamen Wohnhauses, zeigte gegenüber der Beklagten ein starkes Kontrollverhalten, verschwendete Geld für persönlichen Luxus und legte auch auf Nachfrage der Beklagten seine finanziellen Verhältnisse nicht offen. Dem stand das lieblose Verhalten der Beklagten gegenüber, die die Anstrengungen des Klägers zur „Rettung der Ehe“ nicht wertschätzte und ihre Unzufriedenheit über ihn immer wieder zum Ausdruck brachte. Aus den Feststellungen ist nicht abzuleiten, dass die Verfehlungen des Klägers dabei ausschließlich durch das Verhalten der Beklagten bedingt und damit nur eine Reaktion auf ihre Verfehlungen waren oder die Beklagte vor dem Auszug des Klägers einen größeren Anteil am Scheitern der Ehe hatte.

[11] 2.4 Aufgrund des vom Berufungsgericht vertretbar angenommenen Umstands, dass (erst) der unberechtigte Auszug des Klägers – im Zusammenhang mit seiner Verletzung der Treuepflicht – letztendlich für die unheilbare Zerrüttung der Ehe kausal war, wirft die Bejahung des überwiegenden Verschuldens des Klägers auch unter Berücksichtigung der Verfehlungen der Beklagten, die ihrerseits zur Vertiefung der Ehezerrüttung beigetragen hatten, keine erhebliche Rechtsfrage auf. Die Rechtsprechung ist in vergleichbaren Fällen, bei denen zunächst beide Ehepartner zur Vertiefung der Ehezerrüttung beitrugen, ohne dass damit aber eine einseitige Aufhebung der ehelichen Lebensgemeinschaft gerechtfertigt wäre, vom überwiegenden Verschulden jenes Ehegatten ausgegangen, der in weiterer Folge aus der Ehewohnung auszog (vgl zB 2 Ob 593/87).

[12] 2.5 Auch sonst liegt in der Verschuldenszumessung keine korrekturbedürftige Fehlbeurteilung.

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