European Case Law Identifier: ECLI:AT:OGH0002:2021:0060OB00195.20Z.0218.000
Spruch:
Die Revision wird zurückgewiesen.
Die beklagte Partei ist schuldig, der klagenden Partei binnen 14 Tagen die mit 2.227,32 EUR (darin 371,22 EUR USt) bestimmten Kosten des Revisionsverfahrens binnen 14 Tagen zu ersetzen.
Begründung:
[1] Die Beklagte ist eine Treuhandgesellschaft mit Sitz in Deutschland und Gründungskommanditistin einer deutschen GmbH & Co KG (künftig: die Kommanditgesellschaft), deren Geschäftsgegenstand der Erwerb, das Halten und Verwalten von unmittelbaren und mittelbaren Beteiligungen an Immobilienprojektentwicklungsgesellschaften in Brasilien ist. Nach § 4 Z 3 des Gesellschaftsvertrags der Kommanditgesellschaft ist die Beklagte berechtigt, ihre Kommanditeinlage als Treuhänderin für Dritte (Anleger bzw Treugeber) um den Betrag von bis zu 34.997.000 EUR zu erhöhen. Dies erfolgt durch die gemeinsame Annahme von Beitrittserklärungen der Anleger durch die Beklagte und eine weitere Kommanditistin. Nach § 5 Z 1 des Gesellschaftsvertrags der Kommanditgesellschaft hält und verwaltet die Beklagte, soweit sie Kommanditeinlagen für Treugeber übernimmt, diese nach Maßgabe eines separat abzuschließenden Treuhand- und Verwaltungsvertrags. Anteile an der Kommanditgesellschaft wurden in Österreich mit Wissen und Einverständnis der Beklagten über gewerbliche Vermögensberater an Konsumenten vermittelt.
[2] Die Klägerin ist eine private Anlegerin mit Wohnsitz in Österreich. Sie zeichnete Anfang Juli 2012 – unstrittig in Österreich – die „Beitrittserklärung Österreich“ an der Kommanditgesellschaft über die Beklagte als Treuhänderin mit einem Nominale von 45.000 EUR zuzüglich 5 % Agio und zahlte den Betrag auf das angegebene Konto der Beklagten bei einer deutschen Sparkasse ein. In der Folge wurde der Klägerin ein Beteiligungszertifikat übermittelt, in dem lediglich festgehalten wurde, dass sie ab 16. 7. 2012 mit einer Einlage von 45.000 EUR an der Kommanditgesellschaft beteiligt sei. Eine schriftliche Bestätigung über die wesentlichen Merkmale der Veranlagung, insbesondere die Rechtsstellung der Klägerin sowie das Publikationsorgan und das Veröffentlichungsdatum des Prospekts, erhielt sie nicht.
[3] Mit Schreiben vom 2. 9. 2019 erklärte die Klägerin gegenüber der Beklagten wegen Nichtübermittlung einer Anlegerbestätigung gemäß § 14 Z 3 KMG aF den Rücktritt vom Vertrag.
[4] Die Klägerin begehrt die Zahlung von 47.250 EUR samt Zinsen Zug um Zug gegen die Übertragung der Treugeberstellung bzw der Rechte und Pflichten aus dem Treuhandvertrag.
[5] Die Beklagte beantragte die Klageabweisung.
[6] Das Erstgericht gab der Klage statt. Es kam zum Ergebnis, das Treuhandverhältnis sei durch den wirksamen Rücktritt der Klägerin nach § 5 Abs 2 KMG aF (vor BGBl I 62/2019) mit Wirkung ex tunc aufgelöst und rückabzuwickeln.
[7] Das Berufungsgericht bestätigte diese Entscheidung und sprach aus, dass die ordentliche Revision mangels höchstgerichtlicher Rechtsprechung zu § 14 KMG aF und wegen der zahlreichen anhängigen Verfahren mit gleich gelagertem Sachverhalt zulässig sei. Rechtlich führte es aus, der Treuhandvertrag über die Verwaltung einer Beteiligung an einer Kommanditgesellschaft falle nicht unter die Ausnahme vom sachlichen Anwendungsbereich des Art 1 Abs 2 lit f Rom I‑VO. Die Beklagte habe ihre Tätigkeit im Sinn des Art 6 Abs 1 lit b Rom I‑VO auf Österreich ausgerichtet, weshalb österreichisches Recht anzuwenden sei. Die Ausnahme des Art 6 Abs 4 Rom I-VO komme nicht zur Anwendung, weil die dem Verbraucher – der Klägerin – geschuldeten Dienstleistungen nicht im Sinn dieser Bestimmung ausschließlich in einem anderen Staat als jenem des gewöhnlichen Aufenthalts der Klägerin erbracht werden mussten. Dies wäre nur dann der Fall, wenn sich schon aus der Natur der vereinbarten Dienstleistung ergebe, dass diese in ihrer Gesamtheit nur außerhalb des Staats, in dem der Verbraucher seinen gewöhnlichen Aufenthalt habe, erbracht werden könne und der Verbraucher keine Möglichkeit habe, die Dienstleistung in seinem Aufenthaltsstaat in Anspruch zu nehmen, sondern sich zu diesem Zweck ins Ausland begeben müsse. Diese Voraussetzungen seien nicht erfüllt, weil die Klägerin die Beitrittserklärung in Österreich unter Verwendung eines mit „Beitrittserklärung Österreich“ betitelten Formulars abgegeben habe, sich zur Inanspruchnahme der Dienstleistungen nicht ins Ausland habe begeben müssen und ihr die von der Beklagten versendeten laufenden Informationen in Österreich zugingen. Die Überweisung der Investitionssumme auf ein Treuhandkonto bei einer deutschen Bank ändere daran nichts. Die Klägerin habe keine Bestätigung gemäß § 14 Z 3 KMG aF erhalten, weil das Beteiligungszertifikat die wesentlichen Merkmale der Veranlagung nicht enthalte. Damit sei der Rücktritt gemäß § 5 Abs 2 KMG aF zu Recht erfolgt. Die Klägerin habe die Rücktrittserklärung auch zutreffend an die Beklagte als ihre Vertragspartnerin gerichtet.
Rechtliche Beurteilung
[8] Die Revision der Beklagten ist – ungeachtet des den Obersten Gerichtshof nicht bindenden Zulassungsausspruchs des Berufungsgerichts – nicht zulässig.
[9] 1. Der hier zu beurteilende Fall betrifft dieselbe Beklagte und den gleichartig ausgestalteten Beitrittsvorgang hinsichtlich der selben Kommanditgesellschaft wie in der Entscheidung des erkennenden Senats 6 Ob 220/20a vom 25. 11. 2020 (vgl auch 9 Ob 49/20a; 9 Ob 58/20z; 4 Ob 164/20a; 4 Ob 209/20v). Daher kann umfassend auf die zu 6 Ob 220/20a getätigten Ausführungen verwiesen werden. In diesem Sinn ist den Revisionsausführungen zusammenfassend zu erwidern:
[10] 2. Gegenstand des Rücktritts der Klägerin ist auch im vorliegenden Fall nicht ein allfälliges Rechtsverhältnis mit der Emittentin, sondern der Treuhandvertrag mit der Beklagten. Demgemäß fordert die Klägerin nicht von der Emittentin die Kapitaleinlage zurück, sondern macht gegenüber ihrer Vertragspartnerin, der Beklagten, die Kondiktion der an diese – als Treugut – geleisteten Einzahlung geltend. Der Anspruch unterliegt daher nicht dem Ausnahmetatbestand des Art 1 Abs 2 lit f Rom I‑VO und damit nicht dem Gesellschaftsstatut (vgl EuGH C‑272/18, VKI/TVP , ECLI:EU:C:2019:827).
[11] 3. Gemäß Art 6 Abs 1 Rom I-VO kommt auf einen Vertrag, den eine natürliche Person zu einem Zweck, der nicht ihrer beruflichen oder gewerblichen Tätigkeit zugerechnet werden kann („Verbraucher“), mit einer anderen Person geschlossen hat, auf die diese Bedingung nicht zutrifft („Unternehmer“), das Recht des Staats, in dem der Verbraucher seinen gewöhnlichen Aufenthalt hat, zur Anwendung, wenn der Unternehmer seine berufliche oder gewerbliche Tätigkeit in dem Staat ausübt oder seine Tätigkeit auf irgendeine Weise auf diesen Staat ausrichtet.
[12] Der Begriff des „Ausrichtens“ ist weit zu verstehen und bedeutet, dass der Wille des Unternehmers hinreichend erkennbar sein muss, mit Verbrauchern aus anderen Staaten, darunter dem Sitzstaat des Verbrauchers, Verträge abzuschließen (vgl EuGH C-585/08 und C-144/09 , Pammer/Reederei Karl Schlüter und Hotel Alpenhof/Heller ; ECLI:EU:C:2010:740, Rn 75).
[13] Die Rechtsauffassung der Vorinstanzen, dass aufgrund des Umstands, dass das konkrete Veranlagungsprodukt unter Verwendung eines eigenen Beitrittsformulars durch gewerbliche Vermögensberater mit Wissen und Einverständnis der Beklagten in Österreich vermittelt wurde, ein Ausrichten der Tätigkeit der Beklagten auf Österreich vorliegt, hält sich im Rahmen des gesetzlich eingeräumten Ermessensspielraums.
[14] Dem Revisionsvorbringen, dass der Ausnahmetatbestand des Art 6 Abs 4 lit a Rom I-VO (Erbringung der Dienstleistungen ausschließlich in einem anderen Staat als jenem, in dem der Verbraucher seinen gewöhnlichen Aufenthalt hat) erfüllt sei, ist die Rechtsprechung des Obersten Gerichtshofs (6 Ob 110/07f; 1 Ob 48/12h zur entsprechenden Bestimmung des Art 5 Abs 4 lit b EVÜ) entgegen zu halten, wonach in vergleichbaren Fällen das Vorliegen des Ausnahmetatbestands verneint wurde (so auch 6 Ob 220/20a). Auf Basis der Feststellungen, nach denen die Klägerin die Beitrittserklärung in Österreich unterfertigte und der Schlussfolgerung der Vorinstanzen, dass ihr die laufenden Informationen über ihre Beteiligung in Österreich zugingen, haben die Vorinstanzen vertretbar die Erbringung der Dienstleistungen der Beklagten ausschließlich im Ausland verneint und die Anwendbarkeit österreichischen Rechts bejaht.
[15] 4. Entgegen den Revisionsausführungen ist die Ausübung des Rücktrittsrechts nach § 5 Abs 2 KMG aF der Beklagten gegenüber nicht schon deshalb ausgeschlossen, weil sie die Beteiligung an der Kommanditgesellschaft nicht an die Klägerin veräußert, sondern mit dieser bloß eine Treuhandabrede in Ansehung der von ihr selbst gehaltenen Kommanditbeteiligung getroffen hat. Für das Rücktrittsrecht des § 5 Abs 2 KMG aF gilt vielmehr – wie auch hinsichtlich des Rücktrittsrechts nach § 5 Abs 1 KMG aF –, dass Rücktrittsgegner des Verbrauchers sein jeweiliger Vertragspartner ist (6 Ob 220/20a mwN).
[16] Soweit die Beklagte in Abrede stellt, dass sie gegenüber der Klägerin im eigenen Namen tätig wurde, und postuliert, sie sei als Stellvertreterin der Fondsgesellschaft eingeschritten, entfernt sie sich vom festgestellten Sachverhalt, sodass die Revision in diesem Punkt nicht gesetzmäßig ausgeführt ist.
[17] Auch das weitere in der Revision angeführte Argument, ein Rücktritt der Klägerin wäre nur gegenüber der Fondsgesellschaft möglich gewesen, nicht aber gegenüber der Beklagten als bloßer Kommanditistin, lässt unberücksichtigt, dass Gegenstand des hier ausgeübten Rücktrittsrechts nicht die Kommanditbeteiligung, sondern die Treuhandvereinbarung ist (6 Ob 220/20a mwN).
[18] 5. Die Rechtsansicht der Revisionswerberin, nach § 5 Abs 2 KMG aF berechtige nur das vollständige Fehlen der Anlegerbestätigung gemäß § 14 Z 3 KMG zum Rücktritt des Verbrauchers, nicht aber die bloße Fehlerhaftigkeit der Anlegerbestätigung, trifft nicht zu. Zu der dafür von der Revisionswerberin ins Treffen geführten Literaturmeinung von Kalss/Oppitz/Zoller (Kapitalmarktrecht² [2015] § 7 Rz 43) betreffend das Rücktrittsrecht nach § 5 Abs 1 KMG aF hat der erkennende Senat bereits zu 6 Ob 220/20a klargestellt, dass nach zutreffender Ansicht auch eine in wesentlichen Punkten fehlerhafte Prospektveröffentlichung – und nicht nur die Nichtveröffentlichung eines Prospekts – ein Rücktrittsrecht des Anlegers erzeugt, wobei für die (bloß) wesentlich fehlerhafte Bestätigung nach § 14 Z 3 KMG aF nichts anderes gilt.
[19] 6. Das Rücktrittsrecht des § 5 KMG aF wurde weitgehend dem § 3 KSchG nachgebildet ( Zib/Russ/Lorenz , Kapitalmarktgesetz [2008] § 5 Rz 2). Somit wirkt auch der Rücktritt nach § 5 KMG aF ex tunc (3 Ob 144/14v; Zivny , KMG² § 5 Rz 21).
[20] Dass die Vorinstanzen die Lehre über die fehlerhafte Gesellschaft, wonach ein Verbraucher im Fall eines Rücktritts oder Widerrufs eines Beitritts zu einer Personengesellschaft nur einen Anspruch auf das Auseinandersetzungsguthaben hat, das sich nach dem Wert seines Anteils im Zeitpunkt des Ausscheidens aus der Gesellschaft berechnet, nicht angewendet haben, ist nicht zu beanstanden, zumal die Klägerin – wie oben ausgeführt – nur vom Treuhandverhältnis mit der Beklagten zurücktrat. Dadurch kommt es weder zu einer Verringerung der Gesellschafteranzahl noch zu einer Verringerung des Gesellschaftsvermögens, da die Beklagte weiterhin ihre Stellung als Gesellschafterin der Fondsgesellschaft behält (vgl 6 Ob 220/20a).
[21] 7. Schließlich ist auch der von der Revisionswerberin gegen ihre Rückzahlungspflicht ins Treffen geführte Umstand, nicht sie selbst, sondern die Fondsgesellschaft sei Empfängerin der von der Klägerin geleisteten Kommanditeinlage gewesen, weil die Überweisung auf ein Treuhandkonto erfolgt sei, über das nicht die Revisionswerberin, sondern die Fondsgesellschaft verfügungsberechtigt gewesen sei, nicht geeignet, eine aufzugreifende Fehlbeurteilung der Vorinstanzen aufzuzeigen. Da die Klägerin mit der Beitrittserklärung eine Zahlungsverpflichtung in Höhe des überwiesenen Betrags unmittelbar gegenüber der Beklagten übernommen hat und die Zahlung in Erfüllung dieser Vertragspflicht tätigte, steht ihr aufgrund des erfolgten Rücktritts von der Treuhandvereinbarung der Anspruch auf Rückzahlung des rechtsgrundlos geleisteten Einzahlungsbetrags auch gegenüber der Beklagten zu (6 Ob 220/20a).
[22] 8. Die Beklagte zeigt in ihrer Revision keine Rechtsfragen von erheblicher Bedeutung iSv § 502 Abs 1 ZPO auf. Die Revision ist daher als unzulässig zurückzuweisen.
[23] Die Kostenentscheidung gründet sich auf die §§ 41, 50 ZPO.
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