OGH 9Ob58/20z

OGH9Ob58/20z17.12.2020

Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht durch den Senatspräsidenten Dr. Hopf als Vorsitzenden und die Hofrätinnen und Hofräte Dr. Fichtenau, Hon.‑Prof. Dr. Dehn, Dr. Hargassner und Mag. Korn als weitere Richter in der Rechtssache der klagenden Partei H*****, vertreten durch Mag. Jörg Zarbl, Rechtsanwalt in Wien, gegen die beklagte Partei A***** GmbH, *****, vertreten durch Marschall & Heinz Rechtsanwalts-Kommanditpartnerschaft in Wien, wegen 5.250 EUR sA über die Revision der beklagten Partei gegen das Urteil des Handelsgerichts Wien als Berufungsgericht vom 4. Juni 2020, GZ 50 R 49/20t‑17, womit das Urteil des Bezirksgerichts für Handelssachen Wien vom 10. März 2020, GZ 7 C 702/19i‑13, bestätigt wurde, in nichtöffentlicher Sitzung den

Beschluss

gefasst:

European Case Law Identifier: ECLI:AT:OGH0002:2020:0090OB00058.20Z.1217.000

 

Spruch:

Die Revision der beklagten Partei wird zurückgewiesen.

Die klagende Partei hat die Kosten ihrer Revisionsbeantwortung selbst zu tragen.

 

Begründung:

[1] Die Beklagte ist eine Treuhandgesellschaft mit Sitz in Deutschland und Gründungskommanditistin einer deutschen GmbH & Co KG, deren Geschäftsgegenstand die Beteiligung an nicht börsenotierten Kapitalgesellschaften ist, die unter anderem Grundstücke entwickeln und verwalten. Nach § 5 Z 1 des Gesellschaftsvertrags der Kommanditgesellschaft hält und verwaltet die Beklagte, soweit sie Kommanditeinlagen für Treugeber übernimmt, diese nach Maßgabe eines separat abzuschließenden Treuhand- und Verwaltungsvertrags.

[2] Der Kläger ist ein privater Anleger mit Wohnsitz in Österreich. Er zeichnete am 23. 4. 2011 in Österreich die „Beitrittserklärung Österreich“ an der KG über die Beklagte als Treuhänderin mit einem Nominale von 5.000 EUR zuzüglich 5 % Agio und zahlte den Betrag auf dem angegebenen Konto der Beklagten ein. In der Folge übermittelte ihr die Beklagte eine Zahlungseingangsbestätigung samt Beteiligungszertifikat.

[3] Mit Schreiben vom 4. 11. 2019 erklärte der Kläger gegenüber der Beklagten wegen Nichtübermittlung einer Anlegerbestätigung gemäß § 14 Z 3 KMG aF den Rücktritt vom Vertrag.

[4] DerKläger begehrt die Rückzahlung von 5.250 EUR sA Zug um Zug gegen das Angebot der Übertragung seiner Treugeberstellung bzw Rechte und Pflichten aus dem Treuhandvertrag. Gemäß § 5 Abs 2 KMG aF könnten Anleger als Verbraucher im Sinne des KSchG unbefristet vom Vertrag zurücktreten, wenn ihnen – wie hier – der Erwerb der Veranlagung in Immobilien nicht gemäß § 14 Z 3 KMG aF bestätigt worden sei. Nach Art 6 Rom I‑VO komme auf das in Rede stehende Treuhandverhältnis das Recht des Verbraucherstaates zur Anwendung, zumal die Beklagte ihre gewerbliche Tätigkeit auf Österreich ausgerichtet habe.

[5] Die Beklagtebestritt die Anwendbarkeit österreichischen Rechts sowie ihre Passivlegitimation; sie sei weder Emittentin noch Vermittlerin der Veranlagung, sondern lediglich Kommanditistin der Emittentin. Nach deutschem Recht seien die Ansprüche verjährt, außerdem kenne das deutsche Recht kein dem § 5 KMG aF vergleichbares Rücktrittsrecht. Aber selbst bei Anwendung österreichischen Rechts wäre der Rücktritt verfristet, weil das Beteiligungszertifikat samt Zahlungseingangsbestätigung den Erfordernissen des § 14 Z 3 KMG aF entspreche. Außerdem handle es sich um keine Veranlagung in Immobilien iSd § 14 KMG aF.

[6] Das Erstgericht gab der Klage statt. Es ging davon aus, dass die Beklagte ihre Tätigkeit durch die Vermittlung der Beteiligungen in Österreich und die Verwaltung dieser Beteiligungen für österreichische Anleger auf Österreich ausgerichtet habe, weshalb österreichisches Recht zur Anwendung gelange. Darüber hinaus umfasse die Ausnahme vom sachlichen Anwendungsbereich der Rom I‑VO nach Art 1 Abs 2 lit f Treuhandverträge über die Verwaltung einer Beteiligung an einer Kommanditgesellschaft nicht. Bei der Beteiligung an der KG handle es sich um eine Beteiligung an Immobilien. Der Kläger als Anleger habe keine Bestätigung über den Erwerb der Veranlagung in schriftlicher Form iSd § 14 Z 3 KMG aF erhalten. Damit sei der Rücktritt nach § 5 Abs 2 KMG aF zu Recht erfolgt. Das Treuhandverhältnis sei dadurch mit Wirkung ex tunc aufgelöst worden, weshalb die Beklagte die vom Kläger erhaltenen Leistungen samt Zinsen Zug um Zug gegen Rückübertragung seiner Treugeberstellung zurückzustellen habe.

[7] Das Berufungsgericht bestätigte diese Entscheidung.

[8] Die Revision sei zulässig, weil sich der Oberste Gerichtshof bisher noch nicht näher mit der Bestimmung des § 14 KMG aF befasst habe. Außerdem seien zahlreiche Verfahren mit gleichgelagertem Sachverhalt anhängig.

Rechtliche Beurteilung

[9] 1. Die Revision der Beklagten ist entgegen dem – den Obersten Gerichtshof nicht bindenden (§ 508a Abs 1 ZPO) – Ausspruch des Berufungsgerichts nicht zulässig:

[10] 2. Gegenstand des Rücktritts des Klägers ist nicht ein allfälliges Rechtsverhältnis mit der Emittentin, sondern der Treuhandvertrag mit der Beklagten. Demgemäß fordert der Kläger nicht von der Emittentin die Kapitaleinlage zurück, sondern macht gegenüber seiner Vertragspartnerin, der Beklagten, die Kondiktion der an diese – als Treugut – geleisteten Einzahlung geltend. Der Anspruch unterliegt daher nicht dem Ausnahmetatbestand des Art 1 Abs 2 lit f Rom I‑VO und damit nicht dem Gesellschaftsstatut (vgl EuGH C‑272/18 , VKI/TVP,ECLI:EU:C:2019:827).

[11] 3. Gemäß Art 6 Abs 1 Rom I-VO kommt auf einen Vertrag, den eine natürliche Person zu einem Zweck, der nicht ihrer beruflichen oder gewerblichen Tätigkeit zugerechnet werden kann („Verbraucher“), mit einer anderen Person geschlossen hat, auf die diese Bedingung nicht zutrifft („Unternehmer“), das Recht des Staates, in dem der Verbraucher seinen gewöhnlichen Aufenthalt hat, zur Anwendung, wenn der Unternehmer seine berufliche oder gewerbliche Tätigkeit in dem Staat ausübt oder seine Tätigkeit auf irgendeine Weise auf diesen Staat ausrichtet.

[12] Der Begriff des „Ausrichtens“ ist weit zu verstehen und bedeutet, dass der Wille des Unternehmers hinreichend erkennbar sein muss, mit Verbrauchern aus anderen Staaten, darunter dem Sitzstaat des Verbrauchers, Verträge abzuschließen (vgl EuGH C‑585/08 und C‑144/09 , Pammer/Reederei Karl Schlüter und Hotel Alpenhof/Heller; ECLI:EU:C:2010:740, Rn 75).

[13] Die Rechtsauffassung der Vorinstanzen, dass aufgrund des Umstands, dass das konkrete Veranlagungsprodukt unter Verwendung eines eigenen Beitrittsformulars durch gewerbliche Vermögensberater mit Wissen und Einverständnis der Beklagten in Österreich vermittelt wurde, ein Ausrichten der Tätigkeit der Beklagten auf Österreich vorliegt, hält sich im Rahmen des gesetzlich eingeräumten Ermessensspielraums.

[14] Dem Revisionsvorbringen, dass der Ausnahmetatbestand des Art 6 Abs 4 lit a Rom I-VO (Erbringung der Dienstleistungen ausschließlich in einem anderen Staat als jenem, in dem der Verbraucher seinen gewöhnlichen Aufenthalt hat) erfüllt sei, ist die Rechtsprechung des Obersten Gerichtshofs (6 Ob 110/07f; 1 Ob 48/12h zur entsprechenden Bestimmung des § 5 Abs 4 lit b EVÜ) entgegen zu halten, wonach bereits in vergleichbaren Fällen das Vorliegen des Ausnahmetatbestands verneint wurde. Auf Basis der Feststellungen, nach denen der Kläger die Beitrittserklärung in Österreich unterfertigte und laufend Informationen über seine Beteiligung in Österreich erhielt, haben die Vorinstanzen vertretbar die Erbringung der Dienstleistungen der Beklagten ausschließlich im Ausland verneint und die Anwendbarkeit österreichischen Rechts bejaht.

[15] 4. Nach § 14 KMG aF (vor der Novelle BGBl I 2019/62) liegen Veranlagungsgemeinschaften in Immobilien vor, wenn Veranlagungen von Emittenten ausgegeben werden, die mit dem investierten Kapital direkt oder indirekt nach Zweck oder tatsächlicher Übung überwiegend Erträge aus der Überlassung oder Übertragung von Immobilien an Dritte erwirtschaften.

[16] Diese Sonderbestimmung ist nur dann anwendbar, wenn der Emittent mehr als 50 % seiner Erträge aus der Überlassung (Vermietung, Verpachtung) und der Übertragung (Veräußerung) von Immobilien erzielt (Zivny, KMG² § 14 Rz 4).

[17] Nach den Feststellungen sollte sich der Kläger als Treugeber über die Beklagte an einer GmbH & Co KG beteiligen, welche wiederum bis zu 90 % der Anteile an einer Kapitalgesellschaft in den VAE erwerben sollte. Diese sollte dann mit einem weiteren Gesellschafter eine Gesellschaft gründen, deren Gegenstand die Entwicklung und Verwaltung von Grundstücken und Einrichtungen der Gesundheitsfürsorge, insbesondere Bau und Betrieb einer Herz-, Gefäß- und Nierenklinik ist.

[18] Gegen die Beurteilung der Vorinstanzen, dass ausgehend von diesem Sachverhalt eine Veranlagungsgemeinschaft in Immobilien vorliegt, bestehen keine Bedenken.

[19] 5. Gemäß § 14 Z 3 KMG aF ist dem Anleger einer Veranlagung in Immobilien der Erwerb der Veranlagung in schriftlicher Form zu bestätigen. Die Bestätigung hat die wesentlichen Merkmale der Veranlagung, insbesondere deren Gegenwert und die Rechtsstellung des Anlegers sowie das Publikationsorgan und das Datum der Veröffentlichung des Prospekts sowie allfällige sonstige Angaben nach dem KMG zu enthalten.

[20] Den Feststellungen lässt sich entnehmen, dass der Kläger keine schriftliche Bestätigung über die wesentlichen Merkmale der Veranlagung, insbesondere über seine Rechtsstellung sowie das Publikationsorgan und das Datum der Veröffentlichung des Prospekts erhalten hat. Auch die von der Beklagten zitierten Urkunden, Zahlungseingangsbestätigung samt Beteiligungszertifikat, enthalten nicht die vom Gesetz geforderten Angaben, sondern nur den Namen und den Gegenwert der Veranlagung, jedoch keine Information über die Rechtsstellung des Klägers sowie das Publikationsorgan und das Datum der Prospektveröffentlichung.

[21] Die Vorinstanzen gingen daher vertretbar vom Fehlen einer Bestätigung gemäß § 14 Z 3 KMG aF aus.

[22] 6. Gemäß § 5 Abs 2 KMG aF können Verbraucher vom Vertrag zurücktreten, wenn ihnen der Erwerb einer Veranlagung in Immobilien nicht gemäß § 14 Z 3 KMG aF bestätigt wurde. Nach der Rechtsprechung kann dieses Rücktrittsrecht nur gegenüber dem jeweiligen Vertragspartner geltend gemacht werden (RS0125648 [T1, T2]).

[23] Im konkreten Fall macht der Kläger einen Rücktritt vom Treuhandvertrag geltend; die Beklagte als Treuhänderin ist seine Vertragspartnerin. Das Rücktrittsrecht besteht daher gegenüber der Beklagten (vgl 9 Ob 60/19t).

[24] Soweit die Revisionswerberin argumentiert, sie habe beim Vertrieb der Wertpapiere nicht im eigenen Namen, sondern als Vertreter für die Emittentin gehandelt, weicht sie vom festgestellten Sachverhalt ab; die Revision ist insofern nicht gesetzmäßig ausgeführt (vgl RS0043312).

[25] 7. Das Rücktrittsrecht des § 5 KMG aF wurde weitgehend dem § 3 KSchG nachgebildet (Zib/Russ/Lorenz, Kapitalmarktgesetz [aF] § 5 Rz 2). Somit wirkt auch der Rücktritt nach § 5 KMG aF ex tunc (3 Ob 144/14v; Zivny, KMG² § 5 Rz 21, vgl auch Zib/Russ/Lorenz, KMG § 5 Rz 26).

[26] 8. Dass die Vorinstanzen die Lehre über die fehlerhafte Gesellschaft, wonach ein Verbraucher im Fall eines Rücktritts oder Widerrufs eines Beitritts zu einer Personengesellschaft nur einen Anspruch auf das Auseinandersetzungsguthaben habe, das sich nach dem Wert seines Anteils im Zeitpunkt des Ausscheidens aus der Gesellschaft berechnet, nicht angewendet haben, ist nicht zu beanstanden, zumal der Kläger – wie oben ausgeführt – nur vom Treuhandverhältnis mit der Beklagten zurücktrat. Dadurch kommt es weder zu einer Verringerung der Gesellschafteranzahl noch zu einer Verringerung des Gesellschaftsvermögens, da die Beklagte weiterhin ihre Stellung als Gesellschafterin der Fondsgesellschaft behält (vgl auch 6 Ob 220/20a).

[27] 9. Zusammengefasst haben die Vorinstanzen auf Basis der zitierten Rechtsprechung vertretbar den Anspruch des Klägers auf Rückzahlung des rechtsgrundlos geleisteten Einzahlungsbetrags bejaht (vgl auch jüngst 6 Ob 220/20a).

[28] 10. Die Beklagte zeigt in ihrer Revision keine Rechtsfragen von erheblicher Bedeutung iSv § 502 Abs 1 ZPO auf. Die Revision ist daher als unzulässig zurückzuweisen.

[29] 11. Die Revisionsbeantwortung des Klägers diente nicht der zweckentsprechenden Rechtsverfolgung, weil nicht auf die Unzulässigkeit der Revision der Beklagten hingewiesen wurde. Ein Kostenersatz findet daher nicht statt.

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