Spruch:
1. Die Bezeichnung der beklagten Partei wird in „R***** eGen“ richtiggestellt.
2. Der Revision der beklagten Partei wird Folge gegeben.
Die Entscheidungen der Vorinstanzen werden aufgehoben und die Rechtssache zur neuerlichen Entscheidung nach Verfahrensergänzung an das Erstgericht zurückverwiesen.
Die Kosten des Rechtsmittelverfahrens sind weitere Verfahrenskosten.
Begründung
Bei der beklagten Partei, deren Parteibezeichnung entsprechend dem Firmenbuchstand richtigzustellen war (FN *****), handelt es sich um ein konzessioniertes Kreditinstitut, zu dessen Geschäftsbetrieb bereits im Jahr 2000 unter anderem die Verwahrung und Verwaltung von Wertpapieren für andere (Depotgeschäfte gemäß § 1 Abs 1 Z 5 BWG), der Handel auf eigene oder fremde Rechnung mit Wertpapieren (Effektengeschäft gemäß § 1 Abs 1 Z 7 lit e BWG) sowie die Beratung über die Veranlagung von Kundenvermögen, die Verwaltung von Kundenportefeuilles mit Verfügungsvollmacht im Auftrag des Kunden und die Vermittlung von Geschäftsgelegenheiten zum Erwerb oder zur Veräußerung von einem oder mehrerer in § 1 Abs 1 Z 7 lit b bis f BWG genannten Instrumente (Finanzdienstleistungs-geschäft gemäß § 1 Abs 1 Z 19 BWG) gehörten.
Im Jahr 2000 war der Kläger als angestellter Kundenberater bei der beklagten Partei tätig. Er hat dabei die für diese Tätigkeit notwendigen und von der beklagten Partei angebotenen Kurse besucht und Ausbildungen absolviert. Im Rahmen dieser Ausbildungen wurde ihm auch grundsätzliches Wissen über Wertpapiergeschäfte vermittelt. Inwiefern der Kläger mit dem Kauf/Verkauf von Aktien wie jene der P*****‑Aktien in der Praxis Erfahrung hatte, kann nicht festgestellt werden. Im Rahmen seiner beruflichen Tätigkeit hatte er ein einziges Mal ‑ wegen eines damals sehr hohen Kundenansturms ‑ Aktien an Kunden verkauft.
Der Kläger hatte bereits zuvor eine Schuldzusammenfassung gemacht, dh er nahm für seine damaligen Schulden einen Gesamtkredit auf, womit er außerdem noch Wertpapiere ankaufen wollte. Dabei handelte es sich um einen endfälligen Darlehensvertrag, wobei Kapital durch den Abschluss von Lebensversicherungen, durch Ansparung und durch Wertpapiere zur Tilgung des Darlehens aufgebracht werden sollte.
Im Rahmen einer Mitarbeiterbesprechung erfuhr der Kläger von der Möglichkeit, P*****‑Aktien zu zeichnen. Er wandte sich an einen Geschäftsleiter der beklagten Partei und fragte ihn, ob P*****‑Aktien auch für ihn interessant wären, was sein Gesprächspartner bejahte. Der Kläger hat selbst diverse Wertpapiere ausgesucht, von denen er der Meinung war, dass sie für seinen Zweck (Ansparung von Kapital zur Tilgung des endfälligen Darlehens) geeignet seien. Er suchte dabei unter anderem auch die P*****‑Aktien aus, weil er wusste, dass die beklagte Partei selbst auch derartige Aktien erworben hatte, und er aus diesem Grund dem Produkt entsprechendes Vertrauen entgegenbrachte. Der Kläger wandte sich in weiterer Folge wiederum an den Geschäftsleiter und fragte nach, ob die von ihm ausgesuchten Wertpapiere für seinen Zweck geeignet seien. Da die Wertpapiere zum Zweck der Besicherung des Darlehens auch zugunsten der beklagten Partei verpfändet werden sollten, war die Zustimmung der beklagten Partei zur Auswahl notwendig. Der Kläger schaffte für sich privat nur zur Besicherung/Tilgung des vorgenannten Fremdwährungs-kredits Wertpapiere an; sonst hat er privat keine Wertpapiere erworben.
Aufgrund der Rücksprache mit dem Geschäftsleiter kaufte der Kläger schließlich am 20. November 2000 4.000 Stück Aktien der P***** KGaA, welche von der beklagten Partei auf dem Depotkonto des Klägers eingebucht wurden. Dafür wurde das Verrechnungskonto des Klägers mit einem Gesamtbetrag von 20.348,39 EUR (= Klagsbetrag) belastet.
Die P***** KGaA gab am 21. August 2000 einen „Emissionsprospekt“, einen Verkaufsprospekt gemäß deutschem Wertpapier-Verkaufsprospektgesetz 1998, welcher für Wertpapiere, die im (deutschen) Inland öffentlich angeboten wurden und nicht zum Handel an einer deutschen Börse zugelassen waren, verpflichtend vorgesehen war, heraus. Aus diesem Prospekt ergibt sich nicht, dass sich die P***** nur an einen eingeschränkten Interessentenkreis gewendet hätte oder hätte wenden wollen. Die P***** sah bei Begebung der Aktien das Anbot der Kapitalerhöhung als öffentliches Anbot vor. Im Jahr 2000 wurden die in Österreich für ein öffentliches Anbot erforderlichen Maßnahmen nicht gesetzt; es erfolgte weder die Übermittlung des Verkaufsprospekts an die FMA gemäß § 14 des deutschen Verkaufsprospektgesetzes, noch wurde der Verkaufsprospekt gemäß § 12 KMG der österreichischen Kontrollbank zur Prüfung übermittelt.
Die beklagte Partei erfuhr von der P***** durch A*****, der bei einer Investment‑Consulting Gesellschaft beschäftigt war, welche am 7. November 2000 nach Übersendung des deutschen Emissionsprospekts eine Präsentation des geplanten Börsengangs der P***** veranstaltet hatte, an welcher auch der zweite Geschäftsleiter der beklagten Partei teilnahm. Zu dieser Veranstaltung, an der auch die Vorstände der P***** teilnahmen, hatte die Investment‑Consulting Gesellschaft etwa 50 Kunden nach K***** eingeladen, von denen etwa die Hälfte gekommen sind. Dabei handelte es sich um Kunden, die nach Ansicht der Investment‑Consulting Gesellschaft einen erfolg-versprechenden Background hatten, zum Teil bestehende Kunden, zum Teil auch neue Kunden, von denen die Gesellschaft wusste, dass sie an „derartigen Dingen“ interessiert waren.
Die Vorstände der beklagten Partei waren von der P***** begeistert, da es sich dabei um ein Unternehmen handelte, das im Bereich der Umwelttechnologie arbeite. Die Vorstände der beklagten Partei stellten bei einer Sitzung des Aufsichtsrates das Projekt vor und der Aufsichtsrat stimmte dem Vorschlag der Geschäftsleitung, auch für die beklagte Partei P*****‑Aktien zu kaufen, zu. Dabei hat sich der Aufsichtsrat mit dem Unternehmen nicht befasst, sondern dem Vorschlag der Geschäftsleitung deshalb zugestimmt, weil er von dieser als „tolle Sache“ beschrieben worden war.
Nicht feststellbar ist, ob außer der beklagten Partei und der Investment-Consulting Gesellschaft noch andere Unternehmen P*****‑Aktien vertrieben haben.
Die beklagte Partei gab Gleichschriften des Emissionsprospekts sowie weitere Werbe- und Informationsunterlagen an ihre Kundenberater/Mitarbeiter weiter, damit diese Kunden auf die Investitionsmöglichkeit in P*****‑Aktien aufmerksam machen. Die beklagte Partei gab dabei keine Beschränkung auf eine besondere Zielgruppe vor; die P*****‑Aktien sollten all jenen Personen angeboten werden, die über ein entsprechendes Vermögen verfügten und auch einen Totalverlust hinnehmen konnten und/oder eine entsprechende Risikobereitschaft hatten. Es war keine Voraussetzung, dass der Kunde Erfahrung mit derartigen Veranlagungen hatte. Wenn jemand bereit war, den eingesetzten Betrag zu verlieren, kam er aus Sicht der beklagten Partei für den Erwerb der Aktie in Frage. Die beklagte Partei selbst ging davon aus, dass es sich bei der Investition in P*****‑Aktien um ein lukratives Investment handelte, was sie den jeweiligen Kunden auch in dieser Form vermittelte und die P*****‑Aktie als „gutes Papier“ anpries. Tatsächlich wurden die P*****‑Aktien von der beklagten Partei sodann diversen Kunden angeboten, einerseits solchen, von denen die beklagte Partei bzw deren Geschäftsleiter und Kundenbetreuer wussten, dass sie regelmäßig in Aktien investierten und dabei auch ein höheres Risiko eingingen, aber auch anderen Kunden, welche keine Erfahrung mit Wertpapieren hatten und lediglich verfügbares Geld ‑ beispielsweise aus einer Erbschaft ‑ zur Verfügung hatten und dieses anlegen wollten. Darüber hinaus hat die beklagte Partei P*****‑Aktien aber auch an Personen vertrieben, welche die Aktien als Tilgungsträger für einen endfälligen Kredit benötigten, wie der Fall des Klägers zeigt. Den Kunden wurden von der beklagten Partei jeweils der deutsche Prospekt ausgehändigt; teilweise wurden den Kunden auch noch weitere Werbe‑/Informationsbroschüren übergeben, wobei im Einzelfall nicht feststellbar ist, was den Kunden jeweils überreicht wurde. Ob den Kunden mit Ausnahme dessen, dass es sich um „ein gutes Papier“ handle, noch weitere Informationen bzw welche Informationen gegeben wurden, ist nicht feststellbar.
Die beklagte Partei hat in ihren Geschäftsräumlichkeiten keine Prospekte/Werbematerialien hinsichtlich der P*****‑Aktien öffentlich aufgelegt und auch keine Werbung unter Zuhilfenahme von Massenmedien betrieben. Die Kunden wurden einzeln auf das Produkt aufmerksam gemacht; teilweise wurde das Produkt auch an Kunden vertrieben, die von anderen Kunden von dieser Investitionsmöglichkeit gehört haben. Nicht festgestellt werden kann, ob die beklagte Partei Interessenten für die P*****‑Aktien auch abgewiesen hat.
Zum Erwerb der P*****‑Aktien unterfertigte der Kläger am 20. November 2000 folgenden Zeichnungsschein:
DIE AKTIE | |
P***** | |
Mitarbeiterkondition | |
Gesellschaft | P***** KGaA |
Gesellschaftszweck | Erweiterung der Unternehmensgruppe in den Bereichen regenerative Energien und Rohstoffrückgewinnung |
Unternehmenstyp | Venture Capital Unternehmen |
Investititonskonzept | 1. Beteiligungen Incubation Start-ups Beteiligung bei jungen Unternehmen, Renditen über Exit oder über Verkauf von Lizenzen Strategische Beteiligung zur Erweiterung des Unternehmenskonzeptes Ankauf und Sanierung von turn-around Unternehmen 2. Aufkauf u. Anlauffinanzierung von Großprojekten; Gewinnmitnahme nach der Realisation bzw. Partizipation am Betrieb 3. Beteiligung an Unternehmen mit einem entsprechenden Gewinnanteil und/oder Mindestverzinsung |
Investitionsvolumen | 100 Mio. Euro |
Emissionskurs | 5 Euro je Stückaktie |
Beteiligungsform | Aktien |
Stückzahl | 25.000.000 Stück |
Detaillierte Infos | siehe Emissionsprospekt |
Unternehmensgründung | Juli 2000 |
PRE-IPO Start | Oktober 2000 |
IPO | November 2001 (voraussichtlich) |
Stückelung | mind. 2.000 Stück max. 8.000 Stück (1.000‑er Stückelung = ATS 140.000,‑ ‑ incl. Gebühr, gerundet) |
Gebühr | 2 % sofort bei Kauf |
Über Risiken und Gewinnchancen bezüglich dieses PRE-IPOs wurde ich detailliert informiert. Ich bin mir über die Risiken dieser Anlage im Klaren und habe den Emissionsprospekt der P***** erhalten. Ich kaufe 4.000 Stück P*****‑Aktien und akzeptiere die obige Kostenvereinbarung mit der [beklagten Partei].
Die Beklagte hat dabei nicht einen von der P***** zur Verfügung gestellten Zeichnungsschein verwendet, sondern einen eigenen Zeichnungsschein erstellt.
Die Streitteile haben außerdem die Geltung der Allgemeinen Geschäftsbedingungen der beklagten Partei für dieses Vertragsverhältnis vereinbart. Diese Allgemeinen Geschäftsbedingungen lauteten damals unter anderem wie folgt:
„... I. Handel in Wertpapieren und anderen Werten
Punkt 38 (1) Die Kreditunternehmung führt in der Regel die Aufträge zum Kauf und Verkauf von Wertpapieren, die zum amtlichen Handel zugelassen sind oder im Freiverkehr gehandelt werden, als Kommissionär durch Selbsteintritt aus. In diesen Fällen bedarf es keiner ausdrücklichen Anzeige gemäß § 405 HGB.
(2) Bei Geschäften in Wertpapieren, auf die die Voraussetzungen des Abs 1 nicht zutreffen, ferner in anderen Werten führt sie Aufträge zum Kauf und Verkauf als Eigenhändler aus und rechnet außerbörslich in Kommission oder netto ab. Das Gleiche gilt für zum amtlichen Handel zugelassene oder im Freiverkehr gehandelte Wertpapiere, deren Notiz durch Bekanntmachung der Börseorgane ausgesetzt ist.
(3) Bei Kommissionsgeschäften berechnet die Kreditunternehmung eine Provision; andere Geschäfte kann sie auch netto abrechnen.
(4) Abweichungen in der Ausführungsart müssen ausdrücklich vereinbart werden.
(5) In allen Fällen ist die Fassung der Ausführungsanzeige ohne Bedeutung.
(6) Die Kreditunternehmung kann ihr zugekommene Aufträge zum Kauf und Verkauf von Wertpapieren auch teilweise ausführen, wenn die Marktlage eine vollständige Durchführung nicht zulässt.
(7) Die Kreditunternehmung ist ermächtigt, dem Kunden statt Eigentum an bestimmten Stücken Miteigentum an Wertpapieren zu verschaffen, die zum Sammelbestand der Kreditunternehmung oder zum Sammelbestand eines anderen Verwahrers gehören. ...“
Zwischen den Streitteilen wurde keine zu Punkt 38 der Allgemeinen Geschäftsbedingungen abweichende Vereinbarung getroffen. Die beklagte Partei hat den Kläger auch nicht darauf hingewiesen, dass sie bei dem Geschäft lediglich als Vermittlerin tätig sei. Der Kläger hatte beim Kauf lediglich mit der beklagten Partei zu tun und erhielt auch in weiterer Folge Aktionärsbriefe und sonstige Mitteilungen ausschließlich von der beklagten Partei.
Bis zum Dezember 2012 gab es für die P*****‑Aktien keinen Prospekt für Österreich. Den Interessenten und Erwerbern der Aktien wurden von der beklagten Partei jeweils der deutsche Prospekt ausgehändigt und darüber hinaus erklärt, dass es sich um ein „gutes Papier“ handle. Zumindest teilweise wurden den Interessenten und Erwerbern auch noch andere (Werbe‑)Unterlagen übergeben, wie beispielsweise eine „Unternehmensdarstellung“, welche die Geschichte der P***** und die Unternehmensphilosophie darstellt und Informationen zur verwendeten Technik gibt, welche von der P***** selbst verfasst wurde.
Ob den Interessenten/Erwerbern noch weitere Informationen von der beklagten Partei erteilt wurden, ist nicht feststellbar.
Im Dezember 2012 erstellte die Beklagte ein „Prospektdokument/nachträglicher Prospekt“ für die P*****, derzeit in Liquidation. Dieser Prospekt enthält den Hinweis, dass es sich um einen nachträglichen Prospekt handelt und daher nicht als Anlageempfehlung, als Angebot oder als Zeichnungseinladung zum Erwerb von Wertpapieren zu verstehen sei. Er enthält weiters Angaben über die Gesetzeslage nach dem KMG, über das Grundkapital und Aktien, über den Emittenten, über die Stellung der Aktionäre, sonstige Angaben und ist vom persönlich haftenden Gesellschafter und Liquidator Dipl.‑Wirt.‑Inf. A***** der P***** in Liquidation sowie von einem Geschäftsleiter und einem Prokuristen der beklagten Partei gefertigt. Der Prospekt enthält weiters einen Kontrollvermerk der H***** WirtschaftsprüfungsgesmbH als Prospektkontrollor vom 3. Dezember 2012. Dem Prospekt sind die Satzungen der P*****, der deutsche Emissionsprospekt der P***** aus dem Jahr 2000, ein Jahresabschluss zum 31. Dezember 2006 und ein Beschluss des Amtsgerichtes A***** vom 9. März 2009 (Abweisung des Insolvenzverfahrens mangels Masse) angefügt. Die beklagte Partei hat diese als Nachtragsprospekt bezeichnete Urkunde auch an die Meldestelle bei der Österreichischen Kontrollbank AG übermittelt, welche dort am 3. Dezember 2012 hinterlegt wurde. Im Amtsblatt zur Wiener Zeitung vom 4. Dezember 2012 schaltete die beklagte Partei eine Bekanntmachung ein, wonach ein nachträglicher Prospekt über die im Jahr 2000/2001 erfolgte Platzierung von Aktien der P***** am 3. Dezember 2012 erstellt und auf der Internetseite der beklagten Partei unter Angabe des Internetlinks veröffentlicht sei und außerdem an der Adresse des Liquidators der P***** hinterlegt worden sei.
Der Kläger wurde von der Erstellung des Prospekts durch die beklagte Partei nicht informiert.
Erst als der Kläger gegenüber der beklagten Partei mit Schreiben vom 17. Jänner 2013 seinen Rücktritt vom gegenständlichen Aktienkauf erklärte, teilte die beklagte Partei dem Kläger mit Schreiben vom 25. Jänner 2013 mit, dass sie die Ansprüche ablehne und außerdem mittlerweile eine Veröffentlichung des Prospekts erfolgt sei, weshalb ein allfällig bestandenes Rücktrittsrecht erloschen sei. Die Österreichische Kontrollbank AG teilte darauf dem Kläger auf Anfragen mit Schreiben vom 23. Jänner 2013 mit, dass am 3. Dezember 2012 von der beklagten Partei ein Prospektdokument hinterlegt worden ist, welches unterfertigt sei und einen Kontrollvermerk enthalte. Die Österreichische Kontrollbank AG wies allerdings darauf hin, dass es sich nicht um einen gebilligten bzw nicht um einen aus einem EU‑Mitgliedstaat an die FMA notifizierten Prospekt handelt.
Der im Dezember 2012 erstellte Nachtragsprospekt wurde weder von der FMA noch von einer Behörde in Deutschland (wo die P***** ihren Sitz hat) gebilligt.
Im Jahr 2003 entnahm der Kläger einer Internetmeldung, dass die P***** auf der Schwarzen Liste wegen Nichtvorlage von Bilanzen stehe. Er war damals der Meinung, dass sich in Verbindung mit der Ertragssituation die wirtschaftliche Stärke der beklagten Partei durch verschiedene Wertpapierveranlagungen, insbesondere in P*****‑Aktien, existenzgefährdend geschwächt habe. Im Jänner 2008 erhielt der Kläger von der beklagten Partei einen Aktionärsbrief der P*****, in dem diese berichtete, dass ihre Geschäftsführung im August 2007 die Eröffnung des Insolvenzverfahrens beantragt habe.
Das Erstgericht erkannte die (auf die berechtigte Ausübung des Rücktrittsrechts nach § 5 KMG gestützte) Klageforderung als mit 20.348,39 EUR zu Recht und die eingewendete Gegenforderung als nicht zu Recht bestehend und verpflichtete die beklagte Partei zur Zahlung von 20.348,39 EUR samt 4 % Zinsen seit 1. März 2010 Zug um Zug gegen Übertragung der 4.000 Stück P*****‑Aktien in den Eigenbestand. Ein Zinsenmehrbegehren für den Zeitraum von 8. Dezember 2000 bis 28. Februar 2010 wurde rechtskräftig abgewiesen.
Über den eingangs wiedergegebenen Sachverhalt hinaus legte das Erstgericht seiner Entscheidung noch folgende, die eingewendete Gegenforderung betreffende Feststellungen zugrunde:
Im Februar 2004 wurde das Dienstverhältnis zwischen der beklagten Partei und dem Kläger einvernehmlich aufgelöst. In der Vereinbarung vom 20. Februar 2004 hielten die Streitteile unter anderem fest:
„Wir bestätigen, dass damit alle gegenseitigen Ansprüche aus dem Dienstverhältnis verglichen und abgegolten sind.“
Der Kläger absolvierte im Rahmen seiner Tätigkeit bei der beklagten Partei im Jahr 2002 einen zweitägigen Kurs über „Immobilienvermittlung“ und im Jahr 2001 einen eintägigen Kurs über „Liegenschafts-bewertung“. Der Kläger hatte im Rahmen der Tätigkeit bei der beklagten Partei unter anderem im Jahr 2003 einen Antrag auf Darlehensgewährung durch das Ehepaar V zu bearbeiten. Die Familie V war dem Kläger bekannt. Herr V, der damals in einem gutem Dienstverhältnis mit einem recht hohen Einkommen stand, war an den Kläger herangetreten. Vor der Darlehensgewährung war der Kläger auf dem Grundstück bzw im Haus der Familie V, wo er offensichtliche bauliche Mängel nicht feststellen konnte; er verfügte auch nicht über eine bautechnische Ausbildung. Aufgrund seiner bisherigen Erfahrung und Ausbildung kam der Kläger zum Schluss, dass für die Immobilie ein Verkaufserlös von 300.000 EUR erzielbar sei. Nicht feststellbar ist, ob andere Mitarbeiter der beklagten Partei bei ebenfalls laienhafter Einschätzung zu einem wesentlich anderen Schätzungsergebnis gekommen wären. Bei der beklagten Partei ist es der Regelfall, dass Bewertungen von Liegenschaften von Mitarbeitern vorgenommen werden. Gutachten von Sachverständigen zur Beurteilung der Werthaltigkeit von Liegenschaften für Darlehensgewährungen werden bei der beklagten Partei an sich nicht eingeholt, außer bei sehr werthaltigen Objekten oder sehr hohen Darlehenssummen. Der Kläger hatte in der Zeit der Tätigkeit bei der beklagten Partei nie einen Fall, in welchem im Zuge einer Darlehensgewährung ein Gutachten von einem beeideten Sachverständigen einzuholen gewesen wäre. Über die Darlehensgewährung entschied der Kläger nicht alleine, sondern gemeinsam mit einem Geschäftsleiter auf der Grundlage der vom Kläger erhobenen Informationen.
Da die Familie V den Kredit nicht mehr bedienen konnte, wurde das Darlehen fällig gestellt. Im Zuge des Versteigerungsverfahrens wurde ein Liegenschafts-bewertungsgutachten eingeholt, in dem der Verkehrswert mit 130.247 EUR geschätzt wurde. Die Liegenschaft wurde im Jahr 2006 versteigert, worauf die beklagte Partei letztlich eine Summe von 246.448,58 EUR an Hauptsache, Zinsen und Kosten als uneinbringlich auszubuchen hatte. Nach Bekanntwerden der Schätzungsdifferenz und des eingetretenen Schadens (im Jahr 2006) ist die beklagte Partei nicht mit einer Schadenersatzforderung an den Kläger herangetreten, da dies bei der beklagten Partei nicht üblich ist. Erst im Zuge des nunmehrigen Verfahrens, das mit Klage am 1. März 2013 eingeleitet wurde, hat die beklagte Partei den Kläger erstmals mit der Schadenersatzforderung in Gestalt der am 6. Mai 2013 in einem Schriftsatz eingewendeten und mit zumindest 145.000 EUR bezifferten Gegenforderung konfrontiert. Zum Zeitpunkt des Ausscheidens des Klägers aus dem Dienstverhältnis und der Unterfertigung der Vereinbarung hinsichtlich der einvernehmlichen Auflösung des Dienstverhältnisses war bei der beklagten Partei von diesem Schadensfall noch nichts bekannt.
In seiner rechtlichen Beurteilung billigte das Erstgericht dem Kläger Verbrauchereigenschaft zu. Die Frage, ob ein die Prospektpflicht auslösendes öffentliches Angebot von P*****‑Aktien vorgelegen sei, wurde mit der Begründung bejaht, dass der Kreis von Kunden, denen die P*****‑Aktien von der beklagten Partei angeboten worden seien, nicht beschränkt gewesen sei. Durch die Vorlage allein des deutschen Prospekts sei die Prospektpflicht ursprünglich verletzt worden. Der zwischenzeitlich von der beklagten Partei selbst erstellte Nachtragsprospekt, der auch vom Emittenten unterfertigt worden sei, sei lediglich der Österreichischen Kontrollbank AG übermittelt worden, aber weder durch eine Behörde des Herkunftsmitgliedstaats der P***** (Deutschland) noch durch die FMA gebilligt worden.
Dem Kläger sei daher das von ihm im Jänner 2013 zu Recht gegenüber der beklagten Partei, die im Verhältnis zum Kläger nicht als Vermittlerin tätig geworden sei, ausgeübte Rücktrittsrecht zuzubilligen, während die eingewendete Gegenforderung infolge Verjährung nicht berechtigt sei.
Das Berufungsgericht gab der Berufung der beklagten Partei nicht Folge. Es verneinte eine Mangelhaftigkeit des Verfahrens aus rechtlichen Gründen und sah die Tatsachenrüge als rechtlich nicht relevant an. In der rechtlichen Beurteilung führte es aus, dass die beklagte Partei nicht als Vermittlerin, sondern beim Vertrieb der Aktien im eigenen Namen tätig geworden sei. Die Rechtsansicht des Erstgerichts, dass ein öffentliches Angebot der P*****‑Aktien vorgelegen sei und dass der Kläger die Aktien im Rahmen eines öffentlichen Angebots erworben habe, sei im Hinblick auf die prinzipielle Unbeschränktheit des intendierten Adressatenkreises zutreffend. Aus dem Sachverhalt lasse sich nicht ableiten, dass dem Kläger vor Erwerb der P*****‑Aktien eine der Prospektinformation gleichartige Anlegerinformation zuteil geworden wäre.
Dem Standpunkt der beklagten Partei, das von ihr im Dezember 2012 erstellte und als „Prospektdokument/nachträglicher Prospekt“ bezeichnete Urkundenkonvolut stelle einen Nachtragsprospekt im Sinne des § 5 Abs 4 KMG dar, der die einwöchige Rücktrittsfrist ausgelöst habe, stehe Folgendes entgegen: Ein zu einem Zeitpunkt, in dem sich die Emittentin in Insolvenz bzw in Liquidation befinde bzw der Antrag auf Eröffnung eines Insolvenzverfahrens mangels Masse abgewiesen worden sei, erstellter „Prospekt“ vermittle keine für den Ankauf bzw den Beibehalt des Aktienerwerbs notwendigen Informationen mehr, weil die Aktien infolge der Insolvenz des Emittenten ohnehin wertlos geworden seien. Die beklagte Partei selbst erkenne ihrem „Nachtragsprospekt“ ohnehin diesen Informationswert ab; enthalte der „Prospekt“ doch den Hinweis, dass es sich um einen nachträglichen Prospekt handle und daher nicht als Anlegeempfehlung, als Angebot oder als Zeichnungseinladung zum Erwerb von Wertpapieren zu verstehen sei. Die im „Prospekt“ enthaltene Information sei für einen Anleger völlig wertlos. Wenn ein Nachtrag zum Prospekt gemäß § 6 Abs 1 KMG nur bis zum Ende des öffentlichen Angebots möglich sei, müsse dies umso mehr auch für den Nachtragsprospekt gemäß § 5 Abs 4 KMG gelten. Selbst wenn man daher dem als „Prospektdokument/nachträglicher Prospekt“ bezeichneten Urkundenkonvolut Prospektqualität zubilligen wollte, so sei diese Information lange nach Ende des öffentlichen Angebots erfolgt und habe daher auch aus diesem Grunde die Rücktrittsfrist des § 5 Abs 4 KMG nicht auslösen können.
Letztlich sei dem Erstgericht auch darin beizupflichten, dass die eingewendete Gegenforderung verjährt sei und mit ihr keine Aufrechnung gegen die Hauptforderung erfolgen könne. Ein allfälliger Schadenersatzanspruch der beklagten Partei sei spätestens mit Ablauf des Jahres 2009 verjährt gewesen. Wenn der Kläger sein Rücktrittsrecht gegenüber der beklagten Partei erst im Jänner 2013 ausgeübt habe, sei der aus dieser Rücktrittserklärung resultierende Zahlungsanspruch des Klägers erst mit dem Zugang der Rücktrittserklärung beim Unternehmer fällig geworden, weshalb sich die gegenseitigen Forderungen erstmals zu einem Zeitpunkt aufrechenbar gegenübergestanden seien, als der von der beklagten Partei geltend gemachte Schadenersatzanspruch bereits verjährt gewesen sei.
Die Revision sei zulässig, weil es zur Frage, ob der „Nachtragsprospekt“ eine neue Rücktrittsfrist auslöse, an höchstgerichtlicher Rechtsprechung fehle.
Gegen diese Entscheidung richtet sich die Revision der beklagten Partei aus dem Revisionsgrund der unrichtigen rechtlichen Beurteilung mit dem Antrag auf Abänderung im klageabweisenden Sinn; hilfsweise wird ein Aufhebungs- und Zurückverweisungsantrag gestellt.
Der Kläger beantragt in seiner Revisionsbeantwortung, die Revision zurückzuweisen, in eventu ihr nicht Folge zu geben.
Rechtliche Beurteilung
Die Revision ist aus dem vom Berufungsgericht genannten Grund zulässig; sie ist auch im Sinne einer Aufhebung der Entscheidungen der Vorinstanzen berechtigt.
In ihrer Revision rückt die beklagte Partei in den Vordergrund, dass nach der Rechtsprechung (2 Ob 172/11z) ein Nachtragsprospekt sehr wohl einen Informationswert habe, weil auf seiner ‑ das Informationsdefizit beseitigenden ‑ Basis eine fundierte Entscheidung über den Beibehalt des Aktienerwerbs bzw eine De-Investitionsentscheidung getroffen werden könne. Die beklagte Partei habe im Hinblick auf die höchstgerichtliche Rechtsprechung (2 Ob 32/09h, 2 Ob 172/11z) die nachträgliche Erstellung eines Prospekts nach § 5 Abs 4 KMG sowie dessen Prüfung durch den Prospektkontrollor, die Hinterlegung bei der Meldestelle und die Veröffentlichung gemäß § 10 KMG per 3. Dezember 2012 erwirkt; der Kläger habe den Rücktritt von seiner im November 2000 getätigten Zeichnung aber erst am 17. Jänner 2013 erklärt. Ganz allgemein dürfe das weitreichende Rücktrittsrecht nach § 5 KMG nicht extensiv interpretiert werden, sondern im Licht der Möglichkeit zu nachträglichen Informations-vervollständigungen. Inhaltlich sei allerdings ein nachträglicher Prospekt (§ 5 KMG) von einem Prospektnachtrag (§ 6 KMG) klar zu unterscheiden. Auch die die Klagestattgebung tragende Rechtsansicht des Erstgerichts, der Nachtragsprospekt wäre von der zuständigen deutschen oder österreichischen Behörde (BaFin bzw FMA) zu billigen gewesen, sei unzutreffend, weil sich das Billigungsverfahren nicht auf Nachtragsprospekte beziehe. Der Nachtragsprospekt sei ein genuin österreichisches Prospektdokument, zu dessen Billigung ‑ im Hinblick auf den Herkunftsmitgliedstaat ‑ auch die österreichische FMA weder sachlich noch örtlich zuständig sei. Im Jahr 2000 habe es überhaupt keine Prospektbilligung durch die FMA gegeben, sondern es sei ausschließlich die (strengere) Prospektkontrolle durch einen Wirtschaftsprüfer bzw eine Wirtschaftsprüfungsgesellschaft vorgesehen gewesen; die diesbezüglichen Vorschriften seien von der beklagten Partei und der Emittentin bei der Erstellung bzw Veröffentlichung des Nachtragsprospekts eingehalten worden.
Unzutreffenderweise hätten die Vorinstanzen das Vorliegen eines „öffentlichen Angebots“ bejaht; zumindest der Kläger habe nicht im Rahmen eines öffentlichen Angebots erworben. Außerdem sei ihm vor Erwerb der P*****‑Aktien in Form des deutschen Prospekts der P***** eine der Prospektinformation gleichwertige Anlegerinformation zur Verfügung gestanden.
Die Vorinstanzen hätten auch übersehen, dass die beklagte Partei beim Vertrieb der P*****‑Aktien nur als Vermittlerin aufgetreten sei. Schließlich sei auch die rechtliche Beurteilung in Bezug auf die Verjährung der Gegenforderung unrichtig, weil nicht die tatsächliche Ausübung des Rücktrittsrechts maßgeblich sei, sondern die Möglichkeit dazu. Da der Kläger im Jahr 2006 längst die Möglichkeit gehabt hätte, den Rücktritt zu erklären und seine daraus erwachsenden Ansprüche geltend zu machen, seien einander Anspruch und Gegenanspruch im Jahr 2006 aufrechenbar gegenübergestanden.
Dazu wurde erwogen:
1. Nach dem mit „Verbrauchergeschäfte“ überschriebenen, aus der Stammfassung (BGBl 1991/625) stammenden § 5 KMG können Anleger, die Verbraucher im Sinne des § 1 Abs 1 Z 2 KSchG sind, von ihrem Angebot oder vom Vertrag zurücktreten, wenn ein prospektpflichtiges Angebot ohne vorhergehende Veröffentlichung eines Prospekts oder der Angaben nach § 6 KMG erfolgt (Abs 1). Dieses Rücktrittsrecht „erlischt mit Ablauf einer Woche nach dem Tag, an dem der Prospekt oder die Angaben nach § 6 KMG veröffentlicht wurden“ (§ 5 Abs 4 KMG).
Das Rücktrittsrecht bietet dem Anleger die Möglichkeit, durch einseitige Erklärung die Vertragsbindung zu beseitigen. Im Unterschied zur Irrtumsanfechtung ist es nicht an die tatsächliche fehlerhafte Willensbildung beim Abschluss des Anlagegeschäfts gekoppelt, sondern an die mangelnde Einhaltung von kapitalmarktrechtlichen Informationsnormen durch den Vertragspartner oder durch einen in das Rechtsgeschäft im weiteren Sinn einbezogenen Rechtsträger. Das Rücktrittsrecht kann immer nur hinsichtlich des Kaufvertrags, der dem Erwerb der betreffenden Veranlagung gedient hat, ausgeübt werden. Damit kann sich das Rücktrittsrecht auch gegen jemanden richten, den gar keine Prospektverantwortung getroffen hat ( Graf , Entscheidungsanmerkung zu 2 Ob 32/09h, ecolex 2010, 561).
Die Rechtfertigung des Rücktrittsrechts liegt in der Informationsassymetrie: Dem Anleger werden beim Vertragsabschluss entscheidungserhebliche Informationen vorenthalten; ohne konkrete Einzelfallprüfung des Informationsstandes des Anlegers wird ihm ein effektives Rücktrittsrecht zur Verfügung gestellt. Auf diese Weise soll das Verhalten der Emittenten und sonstigen Marktteilnehmer insgesamt rechtskonform ausgerichtet und ein Anreiz geschaffen werden, dass sich Emittenten und sonstige Marktteilnehmer rechtskonform verhalten. Es wird also nicht nur die individuelle Kaufentscheidung des einzelnen Anlegers geschützt, sondern indirekt auch die Informations- und Prospektpflicht des Anbieters allgemein gesichert. In diesem Sinn ist das Rücktrittsrecht nicht nur als Rechtsbehelf auf der Ebene von zwei Vertragsparteien zu verstehen, sondern als Instrument des Private Enforcement allgemeiner kapitalmarktrechtlicher Pflichten gegenüber der Anlegergesamtheit und dem Kapitalmarkt ( Kalss , Das Rücktrittsrecht nach dem Kapitalmarktgesetz, in FS Fenyves [2013] 167 [169 f, 171 f]).
2. Sowohl in § 5 Abs 1 als auch in § 5 Abs 4 KMG wird auf § 6 KMG Bezug genommen.
2.1. Diese Norm war in der Stammfassung mit „Sonstige Veröffentlichungen“ überschrieben. § 6 Abs 1 KMG in der Stammfassung verpflichtete zu einer unverzüglichen Veröffentlichung von „Änderungen der Verhältnisse, die geeignet sind, die Beurteilung der öffentlich angebotenen Wertpapiere oder Veranlagungen ... zu beeinflussen“, solange das prospektpflichtige Angebot aufrecht ist.
2.2. Mit der Änderung des Kapitalmarktgesetzes mit dem Bundesgesetz BGBl I 2005/78 erhielt § 6 KMG die neue Überschrift „Nachtrag zum Prospekt“. Inhaltlich wurde § 6 Abs 1 KMG dahin geändert, dass „jeder wichtige neue Umstand oder jede wesentliche Unrichtigkeit oder Ungenauigkeit in Bezug auf die im Prospekt enthaltenen Angaben, die die Beurteilung der Wertpapiere oder Veranlagungen beeinflussen könnten und die zwischen der Billigung des Prospekts und dem endgültigen Schluss des öffentlichen Angebots oder, wenn diese früher eintritt, der Zulassung zum Handel an einem geregelten Markt auftreten bzw. festgestellt werden, ... in einem Nachtrag (ändernde oder ergänzende Angaben) zum Prospekt genannt werden [müssen]. Dieser Nachtrag (ändernde oder ergänzende Angaben) ist vom Antragsteller (§ 8a Abs. 1) unverzüglich zumindest gemäß denselben Regeln zu veröffentlichen und zu hinterlegen, wie sie für die Veröffentlichung und Hinterlegung des ursprünglichen Prospektes galten. Gleichzeitig mit der Veröffentlichung ist der Nachtrag vom Antragsteller bei der FMA zur Billigung einzureichen und von dieser innerhalb von sieben Bankarbeitstagen ab Einlangen des Antrags bei Vorliegen der Voraussetzungen gemäß § 8a zu billigen; die FMA hat der Meldestelle eine Ausfertigung der Billigung zu übermitteln. Im Falle, dass das Ergebnis des Billigungsverfahrens zu einem geänderten Nachtragstext führt, ist auch dieser samt einem die bereits erfolgte Veröffentlichung richtigstellenden Hinweis zu veröffentlichen. Auch die Zusammenfassung und etwaige Übersetzungen davon sind erforderlichenfalls durch die im Nachtrag enthaltenen Informationen zu ergänzen“.
3. Das Rücktrittsrecht des Klägers setzt voraus, dass die vier von § 5 Abs 1 KMG statuierten Tatbestandsmerkmale erfüllt sind (2 Ob 32/09h = ÖBA 2010, 753 [ Oppitz ] = ecolex 2010/195, 560 [ Graf ] = ZFR 2010/75, 133 [ Zahradnik 116]):
Die Vorinstanzen haben das Vorliegen dieser vier Voraussetzungen in Einklang mit der bisherigen Rechtsprechung (2 Ob 32/09h; Folgeentscheidung 2 Ob 172/11z) bejaht; auf die Richtigkeit dieser Ausführungen kann verwiesen werden (§ 510 Abs 3 Satz 2 ZPO). Dies gilt insbesondere auch für die Frage, ob die beklagte Bank nur als Vermittlerin aufgetreten ist, wie die beklagte Partei meint, oder ob sie Vertragspartnerin des Klägers wurde, wovon die Vorinstanzen ausgegangen sind.
4. Eine fünfte Voraussetzung besteht insoweit, als das Rücktrittsrecht nicht nach § 5 Abs 4 KMG erloschen sein darf.
4.1. Zum Erlöschen des Rücktrittsrechts hat der Oberste Gerichtshof bereits in der Entscheidung 2 Ob 32/09h ausgesprochen, dass dem Verbraucher-Anleger das Rücktrittsrecht unbefristet zusteht, „solange kein Prospekt veröffentlicht wurde“.
Dies steht auf den ersten Blick mit dem allgemein gehaltenen Wortlaut von § 5 Abs 4 Satz 1 KMG in Einklang, wonach das Rücktrittsrecht nach § 5 Abs 1 KMG „mit Ablauf einer Woche nach dem Tag [erlischt], an dem der Prospekt oder die Angaben nach § 6 veröffentlicht wurden“.
4.2. Die beklagte Partei leitet daraus ab, dass das Rücktrittsrecht jedenfalls verloren geht, wenn das Rücktrittsrecht nicht innerhalb einer Woche ausgeübt wird, wann immer ein Prospekt veröffentlicht wurde, also auch nachträglich und auch noch nach Beendigung des öffentlichen Angebots; dabei stellt sie darauf ab, dass die ursprünglich statuierten Voraussetzungen für die Prospektveröffentlichung eingehalten werden.
Sie findet sich durch den letzten Absatz der Zurückweisungsentscheidung 2 Ob 172/11z bestätigt, wo der Oberste Gerichtshof ‑ obiter (die zweite Instanz hatte zugunsten des klagenden Anlegers entschieden) ‑ ausgeführt hat, dass auch eine nachträgliche Veröffentlichung eines Emissionsprospekts für Kunden, die bereits Aktien erworben haben, Informationswert besitze, weil sie damit erstmals die ihnen nach dem Gesetz zustehenden Informationen erhalten und auf dieser Basis eine fundierte Entscheidung über den Beibehalt des Aktienerwerbs bzw das ihnen bis zur Beseitigung des Informationsdefizits zustehende Rücktrittsrecht nach § 5 KMG treffen können (so auch RIS‑Justiz RS0125646 [T5]).
4.3. Diese Ansicht vertritt auch Zib (Nachträgliche Prospektveröffentlichung und Rücktrittsrecht nach § 5 KMG, ÖBA 2014, 506 [508]): Er geht davon aus, dass § 5 Abs 4 KMG gerade den Fall einer zunächst fehlenden (§ 5 Abs 1 KMG), dann aber nachträglich vorgenommenen Prospektveröffentlichung regelt.
5. Im Hinblick auf den Wortlaut des § 5 Abs 4 Satz 1 KMG folgt der Senat der in 2 Ob 172/11z (am Ende) vertretenen Ansicht, dass der Verbraucher-Anleger sein Rücktrittsrecht gegenüber seinem Vertragspartner umgehend (sprich innerhalb der Frist von einer Woche) effektuieren muss, wenn nachträglich ein Prospekt veröffentlicht wird, der die erforderlichen Angaben enthält.
5.1. Der vorliegende Fall ist dadurch gekennzeichnet, dass der Emittent zwischenzeitig insolvent und damit die seinerzeitige Investition möglicherweise wertlos geworden ist. Dazu ist jedoch festzuhalten, dass dann, wenn eine nachträgliche Prospektveröffentlichung zugelassen wird, deren Informationswert nur mehr für eine De-Investitionsentscheidung relevant sein kann. Aus diesem Grund muss ein Nachtragsprospekt diejenigen sachlichen Informationen enthalten, die für die De-Investitionsentscheidung von Relevanz sind, dh er muss auf die aktuelle Sachlage zum Zeitpunkt der Prospekterstellung und ‑veröffentlichung abstellen.
5.2. Betreffend die Frage, welche Rechtsnormen auf die Erstellung und Veröffentlichung eines nachträglichen Prospekts im Fall zwischenzeitiger Rechtsänderung nach der ursprünglichen Emission anzuwenden sind (Prüfung, Billigung, Veröffentlichungsmedien etc), finden sich keine expliziten Regelungen im Kapitalmarktgesetz.
5.2.1. Gewisse Informationen sind der KMG‑Novelle BGBl I 2005/78 zu entnehmen, mit der der „einheitliche europäische Pass“ für einmal in einem Mitgliedstaat gebilligte Prospekte eingeführt wurde; damit werden weitere nationale Prüfungen der Prospekte ausgeschlossen, wenn Wertpapiere auch in anderen Mitgliedstaaten angeboten oder zum Börsehandel zugelassen werden (§ 8b KMG).
5.2.2. Aus § 17b Abs 3 KMG (idF BGBl I 2005/78) ergibt sich die Wertung, dass für prospektpflichtige Angebote, die vor dem 10. August 2005 begonnen haben und vor dem 10. November 2005 abgeschlossen wurden (wie das hier zu beurteilende Angebot), die Veröffentlichung eines gemäß den Bestimmungen des Kapitalmarktgesetzes in der Fassung BGBl I 2003/80 errichteten und kontrollierten Prospekts gilt; speziell die §§ 2 und 8b Abs 3 KMG (idF BGBl I 2005/78) kommen dafür nicht zur Anwendung.
Zutreffend weist die beklagte Partei in der Revision (S 10 f) darauf hin, dass das Erstgericht über die Prospektunterfertigung, den Prospekt-Kontrollvermerk, die Bekanntmachung in der Wiener Zeitung und die Hinterlegung bei der Meldestelle hinaus keine Feststellungen zur ordnungsgemäßen Erstellung des Nachtragsprospekts und dessen Veröffentlichung im Sinne der §§ 8, 10 KMG (idF BGBl I 2003/80) getroffen hat, nämlich zur
‑ Erfüllung der inhaltlichen Voraussetzungen eines Prospekts nach dem KMG idF BGBl I 2003/80, wobei auf die aktuelle Sachlage zum Zeitpunkt der Prospekterstellung und ‑veröffentlichung abzustellen ist (siehe Punkt 5.1.),
‑ Erfüllung der Voraussetzungen für die Kontrolle des Prospeks durch einen Prüfer gemäß § 8 Abs 2 Z 3 KMG (idF BGBl I 2003/80), der über eine dort genannte Haftpflichtversicherung verfügt, und
‑ Erfüllung der Voraussetzungen der Veröffentlichung gemäß § 10 KMG (idF BGBl I 2003/80).
5.3. Ausgehend von ihrer vom Obersten Gerichtshof nicht geteilten Rechtsansicht haben die Vorinstanzen nicht geprüft, ob die nachträgliche Veröffentlichung eines Prospekts diesen unter 5.2.2. genannten Regeln entspricht. Zu Recht hat die beklagte Partei in ihrer Revision (S 10 f) auf entsprechende sekundäre Feststellungsmängel hingewiesen.
6. Nicht zu folgen ist dem Revisionsvorbringen in Bezug auf die Berechtigung der Gegenforderung.
6.1. Gestaltungsrechte verleihen ihrem Inhaber die Rechtsmacht, durch einseitige (außergerichtliche oder gerichtliche) Willenserklärung ohne Mitwirkung eines anderen eine Veränderung der bestehenden Rechtslage herbeizuführen, Rechte zum Entstehen oder zum Erlöschen zu bringen oder zu ändern; sie können gesetzlich oder vertraglich begründet sein. Zu den Gestaltungsrechten zählt auch das Recht auf Rücktritt vom Vertrag (RIS‑Justiz RS0013908). Ein Gestaltungsrecht wird regelmäßig durch formlose empfangsbedürftige Willenserklärung ausgeübt, wird mit deren Zugang an den Empfänger wirksam und erlischt mit seiner Ausübung (RIS‑Justiz RS0013923, RS0018264). Der Rücktritt bewirkt die Aufhebung des Vertragsantrags bzw des Vertrags ex tunc (RIS‑Justiz RS0018414).
6.2. Die (auf die Rechtsprechung zum Beginn der Verjährung bei verzögerter Rechnungslegung für eine Werklohnforderung bezugnehmenden) Revisions-ausführungen, wonach bei Ausübung eines einseitigen Gestaltungsrechts, aufgrund derer eine Aufrechnungslage herbeigeführt werde, nicht der Zeitpunkt der Gestaltungserklärung maßgebend sei, sondern jener Zeitpunkt, in dem der Berechtigte sein Gestaltungsrecht erstmals ausüben hätte können, stehen in Widerspruch zu der unter 6.1. angeführten Rechtsprechung, die auf die tatsächliche Ausübung des Gestaltungsrechts abstellt, weil erst dadurch ein möglicher Rückforderungsanspruch entsteht. Es besteht keine Pflicht, ein Gestaltungsrecht auszuüben bzw ‑ wenn es ausgeübt wird ‑ dieses zum frühestmöglichen Zeitpunkt auszuüben, weil ansonsten jede Ausübungsfrist ihren Sinn verlöre.
6.3. Wie die Vorinstanzen zutreffend dargestellt haben, war die Gegenforderung zum Zeitpunkt der Ausübung des Rücktrittsrechts durch den Kläger bereits verjährt.
7. Zur Klärung der unter 5.3. genannten Fragen ist eine Verfahrensergänzung durch das Gericht erster Instanz unumgänglich, weshalb die Entscheidungen der Vorinstanzen aufzuheben waren.
Der Kostenvorbehalt beruht auf § 50 ZPO.
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