OGH 4Ob164/20a

OGH4Ob164/20a22.12.2020

Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht durch den Senatspräsidenten Dr. Vogel als Vorsitzenden und die Hofräte Dr. Schwarzenbacher, Hon.‑Prof. Dr. Brenn, Hon.‑Prof. PD Dr. Rassi und MMag. Matzka als weitere Richter in der Rechtssache des Klägers E***** S*****, vertreten durch Mag. Jörg Zarbl, Rechtsanwalt in Wien, gegen die Beklagte A***** GmbH, *****, vertreten durch Marschall & Heinz Rechtsanwalts‑Kommanditpartnerschaft in Wien, wegen 21.000 EUR sA, über die Revision der Beklagten gegen das Urteil des Oberlandesgerichts Wien als Berufungsgericht vom 8. Juni 2020, GZ 4 R 50/20g‑14, mit dem das Urteil des Landesgerichts Korneuburg vom 18. Februar 2020, GZ 4 Cg 110/19w‑10, bestätigt wurde, den

Beschluss

gefasst:

European Case Law Identifier: ECLI:AT:OGH0002:2020:0040OB00164.20A.1222.000

 

Spruch:

Die Revision wird zurückgewiesen.

Der Kläger hat die Kosten seiner Revisionsbeantwortung selbst zu tragen.

 

Begründung:

[1] Die Beklagte ist eine Treuhandgesellschaft mit Sitz in Deutschland und Gründungskommanditistin einer deutschen GmbH & Co KG, deren Geschäftsgegenstand die Beteiligung an nicht börsenotierten Kapitalgesellschaften ist, die ua Grundstücke entwickeln und verwalten. Der Kapitalmarktprospekt der KG wurde in Österreich im April 2010 veröffentlicht.

[2] Der Kläger zeichnete im Dezember 2010 bei der genannten KG eine Kommanditeinlage, die von der Beklagten als Treuhänderin gehalten wurde. Der Beitritt zur Gesellschaft erfolgte, indem der Kläger durch Zeichnung einer Beitrittserklärung an die Beklagte ein (in der Folge angenommenes) Angebot auf Abschluss eines Treuhandvertrags richtete. Seine Einlage, die er – gegen Erhalt eines Beteiligungszertifikats – auf das Konto der Beklagten überwies, betrug samt Agio 21.000 EUR. Mit Schreiben vom 4. 11. 2019 erklärte der Kläger unter Hinweis auf § 5 Abs 2 iVm § 14 Z 3 KMG aF gegenüber der Beklagten den Rücktritt vom Vertrag.

[3] Der Kläger begehrt von der Beklagten Zahlung von 21.000 EUR samt Zinsen Zug um Zug gegen die Übertragung der Treugeberstellung. Gemäß § 5 Abs 2 KMG aF könnten Anleger als Verbraucher im Sinne des KSchG unbefristet vom Vertrag zurücktreten, wenn ihnen – wie hier – der Erwerb der Veranlagung in Immobilien nicht gemäß § 14 Z 3 KMG aF bestätigt worden sei.

[4] Die Beklagte bestritt die Anwendbarkeit österreichischen Rechts sowie auch ihre Passivlegitimation; sie sei weder Emittentin noch Vermittlerin der Veranlagung, sondern lediglich Kommanditistin der Emittentin gewesen. Nach deutschem Recht seien die Ansprüche verjährt, außerdem kenne das deutsche Recht kein dem § 5 KMG aF vergleichbares Rücktrittsrecht. Aber selbst bei Anwendung österreichischen Rechts wäre der Rücktritt verfristet, weil das Beteiligungszertifikat samt Zahlungseingangsbestätigung den Erfordernissen des § 14 Z 3 KMG aF entspreche. Außerdem handle es sich um keine Veranlagung in Immobilien iSd § 14 KMG aF.

[5] Das Erstgericht gab der Klage statt. Nach Art 6 Rom I‑VO komme österreichisches Recht zur Anwendung. Die Beklagte habe ihre Tätigkeit auf Österreich ausgerichtet, indem sie (über Vermittler) Anleger in Österreich angeworben und dafür sogar ein eigenes Beitrittsformular vorgesehen habe. Bei der Emittentin handle es sich um eine Veranlagungsgemeinschaft gemäß § 9 Abs 1 KMG aF, weil sie überwiegend mittelbare Erträge aus der Überlassung und Übertragung von Immobilien erziele. Die Beklagte sei demnach verpflichtet gewesen, dem Kläger als Anleger den Erwerb der Veranlagung in schriftlicher Form zu bestätigen (§ 14 Z 3 KMG aF). Das Beteiligungszertifikat erfülle die dafür erforderlichen Kriterien nicht. Das Rücktrittsrecht des Klägers sei daher noch aufrecht.

[6] Das Berufungsgericht bestätigte diese Entscheidung und sprach aus, dass die ordentliche Revision – mangels höchstgerichtlicher Rechtsprechung zu § 14 KMG aF und der Anhängigkeit von rund 50 Parallelprozessen – zulässig sei.

Rechtliche Beurteilung

[7] Die von der Beklagten erhobene und vom Kläger beantwortete Revision ist – ungeachtet des den Obersten Gerichtshof nicht bindenden Zulassungsausspruchs des Berufungsgerichts – nicht zulässig.

[8] 1. Die Anwendung österreichischen Rechts durch die Vorinstanzen ist nicht zu beanstanden.

[9] 1.1. Gegenstand des Rücktritts des Klägers ist nicht ein allfälliges Rechtsverhältnis mit der Emittentin, sondern der Treuhandvertrag mit der Beklagten. Demgemäß fordert der Kläger nicht von der Emittentin die Kapitaleinlage zurück, sondern macht gegenüber seiner Vertragspartnerin, der Beklagten, die Kondiktion der an diese – als Treugut – geleisteten Einzahlung geltend. Der Anspruch unterliegt daher nicht dem Ausnahmetatbestand des Art 1 Abs 2 lit f Rom I‑VO und damit nicht dem Gesellschaftsstatut (vgl EuGH C-272/18 , VKI/TVP).

[10] 1.2. Gemäß Art 6 Abs 1 Rom I‑VO kommt auf einen Vertrag, den eine natürliche Person zu einem Zweck, der nicht ihrer beruflichen oder gewerblichen Tätigkeit zugerechnet werden kann („Verbraucher“), mit einer anderen Person geschlossen hat, auf die diese Bedingung nicht zutrifft („Unternehmer“), das Recht des Staates, in dem der Verbraucher seinen gewöhnlichen Aufenthalt hat, zur Anwendung, wenn der Unternehmer seine berufliche oder gewerbliche Tätigkeit in dem Staat ausübt oder seine Tätigkeit auf irgend eine Weise auf diesen Staat ausrichtet.

[11] Der Begriff des „Ausrichtens“ ist weit zu verstehen und bedeutet, dass der Wille des Unternehmers hinreichend erkennbar sein muss, mit Verbrauchern aus anderen Staaten, darunter dem Sitzstaat des Verbrauchers, Verträge abzuschließen (EuGH C‑585/08 und C‑144/09; Pammer/Reederei Karl Schlüter und Hotel Alpenhof/Heller, Rn 63 ff).

[12] 1.3. Die Vorinstanzen haben aufgrund des festgestellten Sachverhalts, wonach das konkrete Veranlagungsprodukt unter Verwendung eines eigenen Beitrittsformulars durch gewerbliche Vermögensberater mit Wissen und Einverständnis der Beklagten in Österreich vermittelt wurde, vertretbar ein Ausrichten der Tätigkeit der Beklagten auf Österreich angenommen.

[13] 1.4. Dem Revisionsvorbringen, dass der Ausnahmetatbestand des Art 6 Abs 4 lit a Rom I‑VO (Erbringung der Dienstleistungen ausschließlich in einem anderen Staat als jenem, in dem der Verbraucher seinen gewöhnlichen Aufenthalt hat) erfüllt sei, ist die Rechtsprechung des Obersten Gerichtshofs (6 Ob 110/07f; 1 Ob 48/12h) entgegen zu halten, wonach in vergleichbaren Fällen das Vorliegen des Ausnahmetatbestands verneint wurde. Auf Basis des hier gegebenen Sachverhalts, nachdem der Kläger die Beitrittserklärung in Österreich unterfertigte und laufend Informationen über seine Beteiligung in Österreich erhielt, haben die Vorinstanzen daher vertretbar die Erbringung der Dienstleistungen der Beklagten ausschließlich im Ausland verneint und somit österreichisches Recht zur Anwendung gebracht.

[14] 2.1. Gemäß § 14 KMG aF liegen Veranlagungsgemeinschaften in Immobilien vor, wenn Veranlagungen von Emittenten ausgegeben werden, die mit dem investierten Kapital direkt oder indirekt nach Zweck oder tatsächlicher Übung überwiegend Erträge aus der Überlassung oder Übertragung von Immobilien an Dritte erwirtschaften.

[15] Diese Sonderbestimmung ist nur dann anwendbar, wenn der Emittent mehr als 50 % seiner Erträge aus der Überlassung (Vermietung, Verpachtung) und der Übertragung (Veräußerung) von Immobilien erzielt (Zivny, KMG² § 14 Rz 4).

[16] 2.2. Nach den getroffenen Feststellungen sollte sich der Kläger als Treugeber über die Beklagte an einer GmbH & Co KG beteiligen, welche wiederum bis zu 90 % der Anteile an einer Kapitalgesellschaft in den VAE erwerben sollte. Diese werde dann mit einem weiteren Gesellschafter eine Gesellschaft gründen, deren Gegenstand die Entwicklung und Verwaltung von Grundstücken und Einrichtungen der Gesundheitsfürsorge, insbesondere Bau und Betrieb einer Herz‑, Gefäß‑ und Nierenklinik sei.

[17] Basierend auf dieser Feststellung haben die Vorinstanzen vertretbar das Vorliegen einer Veranlagungsgemeinschaft in Immobilien bejaht.

[18] 3.1. Gemäß § 14 Z 3 KMG aF ist dem Anleger einer Veranlagung in Immobilien der Erwerb der Veranlagung in schriftlicher Form zu bestätigen. Die Bestätigung hat die wesentlichen Merkmale der Veranlagung, insbesondere deren Gegenwert und die Rechtsstellung des Anlegers sowie das Publikationsorgan und das Datum der Veröffentlichung des Prospekts sowie allfällige sonstige Angaben nach dem KMG zu enthalten.

[19] Nur das völlige Fehlen der Bestätigung berechtigt den Anleger zum Rücktritt, nicht hingegen eine bloße Fehlerhaftigkeit des vorhandenen Schriftstücks (Kalss/Oppitz/Zollner, Kapitalmarktrecht² § 7 Rz 43).

[20] 3.2. Den unbestrittenen erstgerichtlichen Feststellungen lässt sich entnehmen, dass der Kläger eine schriftliche Bestätigung über die wesentlichen Merkmale der Veranlagung, insbesondere über seine Rechtsstellung sowie das Publikationsorgan und das Datum der Veröffentlichung des Prospekts nicht erhalten hat. Auch die von der Beklagten zitierten Urkunden enthalten nicht die vom Gesetz geforderten Angaben; sie enthalten nur den Namen und den Gegenwert der Veranlagung, allerdings keinerlei Information über die Rechtsstellung des Klägers sowie das Publikationsorgan und das Datum der Prospektveröffentlichung.

[21] Die Vorinstanzen gingen daher vertretbar vom Fehlen einer Bestätigung gemäß § 14 Z 3 KMG aF aus.

[22] 4.1. Gemäß § 5 Abs 2 KMG aF können Verbraucher vom Vertrag zurücktreten, wenn ihnen der Erwerb einer Veranlagung in Immobilien nicht gemäß § 14 Z 3 KMG aF bestätigt wurde.

[23] Nach der Rechtsprechung kann dieses Rücktrittsrecht nur gegenüber dem jeweiligen Vertragspartner geltend gemacht werden (RIS‑Justiz RS0125648 [T1, T2]).

[24] 4.2. Im konkreten Fall macht der Kläger einen Rücktritt vom Treuhandvertrag geltend; die Beklagte als Treuhänderin ist seine Vertragspartnerin. Das Rücktrittsrecht besteht daher gegenüber der Beklagten (vgl 9 Ob 60/19t).

[25] 4.3. Soweit die Revisionswerberin argumentiert, sie habe beim Vertrieb der Wertpapiere nicht im eigenen Namen, sondern für die Emittentin gehandelt, weicht sie vom festgestellten Sachverhalt ab; die Revision ist insofern nicht gesetzmäßig ausgeführt (vgl RS0043312).

[26] 5.1. Das Rücktrittsrecht des § 5 KMG aF wurde weitgehend dem § 3 KSchG nachgebildet (Zib/Russ/Lorenz, Kapitalmarktgesetz [aF] § 5 Rz 2). Somit wirkt auch der Rücktritt nach § 5 KMG aF ex‑tunc (3 Ob 144/14v; Zivny, KMG² § 5 Rz 21, Zib/Russ/Lorenz, KMG § 5 Rz 26).

[27] 5.2. Dass die Vorinstanzen die Lehre über die fehlerhafte Gesellschaft, wonach ein Verbraucher im Fall eines Rücktritts oder Widerrufs eines Beitritts zu einer Personengesellschaft nur einen Anspruch auf das Auseinandersetzungsguthaben habe, das sich nach dem Wert seines Anteils im Zeitpunkt des Ausscheidens aus der Gesellschaft berechnet (vgl BGH II ZR 444/13), nicht angewendet haben, ist nicht zu beanstanden, zumal der Kläger – wie oben ausgeführt – nur vom Treuhandverhältnis mit der Beklagten zurücktrat. Dadurch kommt es weder zu einer Verringerung der Gesellschafteranzahl noch zu einer Verringerung des Gesellschaftsvermögens, da die Beklagte weiterhin ihre Stellung als Gesellschafterin der Fondsgesellschaft behält.

[28] Zusammengefasst haben die Vorinstanzen auf Basis der zitierten Rechtsprechung vertretbar den Anspruch des Klägers auf Rückzahlung des rechtsgrundlos geleisteten Einzahlungsbetrags bejaht (vgl auch jüngst 6 Ob 220/20a). Die Beklagte zeigt in ihrer Revision keine Rechtsfragen von erheblicher Bedeutung iSv § 502 Abs 1 ZPO auf. Die Revision ist daher als unzulässig zurückzuweisen.

[29] 6. Die Revisionsbeantwortung des Klägers diente nicht der zweckentsprechenden Rechtsverfolgung, weil nicht auf die Unzulässigkeit der Revision hingewiesen wurde. Ein Kostenersatz findet daher nicht statt.

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