European Case Law Identifier: ECLI:AT:OGH0002:2021:0120OS00119.20X.0121.000
Spruch:
Die Nichtigkeitsbeschwerde wird zurückgewiesen.
Zur Entscheidung über die Berufung werden die Akten dem Oberlandesgericht Wien zugeleitet.
Dem Angeklagten fallen auch die Kosten des bisherigen Rechtsmittelverfahrens zur Last.
Gründe:
[1] Mit dem angefochtenen, auch einen rechtskräftigen Freispruch enthaltenden Urteil wurde Michael G***** des „Verbrechens“ (richtig: Vergehens; vgl dazu RIS‑Justiz RS0089896) des schweren gewerbsmäßigen Betrugs nach §§ 146, 147 Abs 1 Z 1 und Abs 2, 148 erster Fall, 12 zweiter Fall, 15 StGB (I./ und II./), (richtig:) je einmal des Vergehens der Zuhälterei nach § 216 Abs 2 erster Fall StGB und nach § 216 Abs 2 dritter Fall StGB (III./; zur Auslegung dieser Bestimmung als kumulatives Mischdelikt vgl 14 Os 151/11d; Philipp in WK 2 StGB § 216 Rz 26), des Verbrechens der Geldwäscherei nach § 165 Abs 1 und Abs 4 erster Fall StGB (IV./), des Vergehens nach § 50 Abs 1 Z 2 WaffG (V./) und des Vergehens der gefährlichen Drohung nach § 107 Abs 1 StGB (VI./) schuldig erkannt.
[2] Danach hat er in S***** und an anderen Orten
I./ gewerbsmäßig (§ 70 Abs 1 Z 3 StGB) andere Personen dazu bestimmt und zu bestimmen versucht, dass „diese mit auf unrechtmäßige Bereicherung gerichtetem Vorsatz“ Mitarbeiter von Banken und Versicherungsunternehmen durch Täuschung über Tatsachen unter Verwendung falscher Beweismittel (1./ bis 5./) zu Handlungen verleiteten und zu verleiten versuchten, die diese oder Berechtigte der jeweiligen Unternehmen in einem 5.000 Euro übersteigenden Betrag am Vermögen schädigen oder schädigen sollten, nämlich
1./ vor dem 29. Juni 2017 Jennifer H***** zur Aufnahme eines Kredits bei der B***** über 50.000 Euro, wobei die Genannte über ihre Rückzahlungsfähigkeit und ‑willigkeit täuschte und hiebei eine von Michael G***** ausgestellte unrichtige Lohnbestätigung vorwies;
2./ im März 2018 Anton K***** zur Aufnahme eines Kredits bei der B***** über 30.000 Euro, wobei der Genannte über seine Zahlungsfähigkeit und ‑willigkeit täuschte und bei den Vertragsverhandlungen eine unrichtige Lohnbestätigung vorlegte, die Kreditauszahlung jedoch scheiterte;
3./ im April 2018 Anton K***** zur Aufnahme eines Kredits bei der A***** über 30.000 Euro, wobei der Genannte über seine Zahlungsfähigkeit und ‑willigkeit täuschte und eine unrichtige Lohnbestätigung vorlegte,
4./ im April 2018 Sebastian Z***** zur Aufnahme eines Kredits bei einer nicht mehr feststellbaren Bank, wobei der Genannte über seine Zahlungsfähigkeit und ‑willigkeit täuschen und eine unrichtige Lohnbestätigung vorlegen sollte, wobei es zu keiner Kreditaufnahme kam;
5./ im März 2017 Tobias R***** zur Aufnahme eines Kredits bei einer nicht mehr feststellbaren Bank, wobei der Genannte über seine Zahlungsfähigkeit und -willigkeit täuschen und eine unrichtige Lohnbestätigung vorlegen sollte, wobei es zu keiner Kreditaufnahme kam;
6./ im Jänner 2018 Daniel Ku***** zur Vortäuschung eines Einbruchsdiebstahls und Einreichung der Versicherungsmeldung mit einem Schaden von mehr als 20.000 Euro bei den zuständigen Mitarbeitern der U***** Versicherung, wobei der Genannte nach Vortäuschung des Einbruchsdiebstahls und Anzeige bei der Polizei von einer Meldung an die Versicherung aber Abstand nahm;
II./ mit auf unrechtmäßige Bereicherung gerichtetem Vorsatz Jennifer H***** durch Täuschung über Tatsachen, nämlich seiner Rückzahlungsfähigkeit und ‑willigkeit, zu einer Handlung verleitet, die diese in einem 5.000 Euro übersteigenden Betrag am Vermögen schädigte, nämlich am 3. November 2013 zur Übergabe eines Darlehensbetrags in Höhe von 38.925 Euro;
III./ von März 2018 bis zum 26. November 2019 mit dem Vorsatz, sich aus der Prostitution der Jennifer H***** eine fortlaufende Einnahme zu verschaffen, diese Person ausgenützt, wobei er die Genannte ausbeutete und ihr die Bedingungen der Ausübung der Prostitution vorschrieb, indem er ihre Dienste im Internet anpries, die Termine vereinbarte, die Orte der Kundenkontakte vorgab, die Preise vereinbarte, Druck auf sie ausübte, die Termine einzuhalten und sich anfänglich die Hälfte des Lohns, in weiterer Folge drei Viertel des Lohns der Jennifer H***** aushändigen ließ;
IV./ von etwa November 2017 bis zum 27. November 2019 Vermögensbestandteile in einem 50.000 Euro übersteigenden Wert, die aus einer mit mehr als einjährigen Freiheitsstrafe bedrohten Handlung herrühren, nämlich Beträge, die aus den zu I./, II./ und III./ geschilderten Taten stammen, dadurch verborgen, dass er in einem (US 17: anonymen) Schließfach 225.000 Euro aufbewahrte;
V./ von einem nicht mehr feststellbaren Zeitpunkt bis zum 26. November 2019 eine verbotene Waffe, nämlich einen Schlagring (§ 17 Abs 1 Z 6 WaffG), „wenn auch nur fahrlässig“, besessen;
VI./ Jennifer H***** zu einem nicht mehr feststellbaren Zeitpunkt im Sommer oder Herbst 2019 durch die Äußerung, er werde sie umbringen, mit zumindest einer Verletzung am Körper bedroht, um sie in Furcht und Unruhe zu versetzen.
Rechtliche Beurteilung
[3] Die dagegen aus Z 1a, 3, 5, 9 lit a und b des § 281 Abs 1 StPO erhobene Nichtigkeitsbeschwerde des Angeklagten schlägt fehl.
[4] Soweit die Verfahrensrüge (Z 3) das Unterbleiben von Ausführungen zur subjektiven Tatseite des Angeklagten und zur Höhe des nicht bloß geringfügigen Einkommens (§ 70 Abs 2 StGB) im Referat der entscheidenden Tatsachen (§ 260 Abs 1 Z 1 StPO) zu I./ kritisiert, geht sie an den – zur Verdeutlichung des Tenors heranzuziehenden (vgl RIS-Justiz RS0116587) – Entscheidungsgründen vorbei, die die vermissten Angaben enthalten (vgl US 9, 13 ff).
[5] Die weitere Beschwerde behauptet, dass die (entsprechend der Verordnung der Bundesministerin für Justiz, mit der zur Verhinderung der Verbreitung von COVID‑19 besondere Vorkehrungen in Strafsachen getroffen werden, BGBl II 2020/113) unter Verwendung technischer Einrichtungen zur Wort- und Bildübertragung (Zuschaltung des Angeklagten mittels „Videokonferenz“) durchgeführte Hauptverhandlung einer Verhandlung in Abwesenheit gleichgekommen sei (§ 427 StPO), weil aufgrund der technischen Gegebenheiten Defizite in der Kommunikation zwischen dem Angeklagten und seiner Verteidigung aufgetreten seien.
[6] Nichtigkeit aus § 281 Abs 1 Z 3 iVm § 427 StPO wird solcherart nicht aufgezeigt. Denn die letzterwähnte Bestimmung stellt allein auf die persönliche Anwesenheit des Angeklagten zwischen dem Aufruf der Sache (§ 239 erster Satz StPO) und dem Schluss der Verhandlung (§ 257 StPO) ab (vgl RIS-Justiz RS0116271; Bauer , WK-StPO § 427 Rz 1, 2; Hinterhofer/Oshidari , Strafverfahren Rz 10.98).
[7] Aus welchem Grund der (im Übrigen durch zwei Wahlverteidiger vertretene) Angeklagte an einer die Verletzung von Verteidigungsrechten geltend machenden Antragstellung gehindert gewesen sei, macht die Beschwerde (Z 4) nicht klar.
[8] Soweit sich der Beschwerdeführer in diesem Zusammenhang aus § 281 Abs 1 Z 1a StPO darauf beruft, dass sein Verteidiger mit den Gegebenheiten vor Ort „heillos überfordert“ gewesen sei, übersieht er, dass der angesprochene Nichtigkeitsgrund nur auf die formelle Ausübung der Verteidigerfunktion in der Hauptverhandlung (RIS-Justiz RS0099304) und nicht auf die Art und Weise abstellt, wie der (anwesende) Verteidiger seinen Pflichten nachkommt (RIS-Justiz RS0129798).
[9] Die Kritik (Z 3) an vermeintlichen Protokollierungsmängeln übersieht, dass mit Nichtigkeit nur bedroht ist, wenn überhaupt kein Protokoll geführt wird (RIS‑Justiz RS0098665).
[10] Wie die weitere Verfahrensrüge (Z 3) ohnedies zugesteht, liegt im Ausschluss der Öffentlichkeit (ON 97 S 22) vor Vernehmung des Angeklagten und der Zeugin Jennifer H***** zum Anklagevorwurf der Zuhälterei (III./) kein Nichtigkeit begründender Verstoß gegen § 228 StPO. Bei Prüfung der tatsächlichen Voraussetzungen der (hier ersichtlich auf § 229 Abs 1 Z 2 StPO gestützten) Beschlussfassung ist auf deren Zeitpunkt abzustellen. Eine Erörterung des persönlichen Lebensbereichs des Angeklagten und des Opfers durch die bevorstehende Vernehmung des Angeklagten war vom Erstgericht damals schon mit Blick auf den Verhandlungsgegenstand zwanglos anzunehmen. Die (erkennbar) herangezogene Sachverhaltsgrundlage wird demnach vom Beschwerdeführer (zu Recht) gar nicht bekämpft (vgl Ratz , WK-StPO § 281 Rz 49 f und 256). Ob die unter Ausschluss der Öffentlichkeit durchgeführten weiteren Verfahrensschritte (hier: Vortrag des erheblichen Inhalts der Aktenstücke gemäß § 252 Abs 2a StPO; vgl ON 97 S 65) tatsächlich einen Bezug zu dem von § 229 Abs 1 Z 2 StPO angesprochenen Inhalt hatten, ist aber unter dem Aspekt des § 281 Abs 1 Z 3 StPO unbeachtlich (RIS-Justiz RS0098875, RS0098868).
[11] Der Mängelrüge (Z 5 dritter Fall) zuwider stehen die Feststellungen zur subjektiven Tatseite in den Entscheidungsgründen (US 9, 13 f) nach den Kriterien logischen Denkens (vgl RIS-Justiz RS0117402; Hinterhofer/Oshidari , Strafverfahren Rz 9.125) in keinem inneren Widerspruch zum – darüber keine Aussage treffenden – Referat im Erkenntnis (§ 260 Abs 1 Z 1 StPO). Gleiches gilt für die Urteilsannahmen zum gewerbsmäßigen Handeln des Angeklagten und zum auf unrechtmäßige Bereicherung gerichteten Vorsatz bei den zur Tatausführung Bestimmten.
[12] Entsprechend dem Gebot zu gedrängter Darstellung der Entscheidungsgründe (§ 270 Abs 2 Z 5 StPO) war der Schöffensenat nicht verpflichtet, sämtliche Details der (ohnedies berücksichtigten – vgl US 18 ff) Aussagen der Zeugin Jennifer H***** im Einzelnen zu erörtern. Dass die Tatrichter aus diesen Angaben nicht die vom Rechtsmittelwerber angestrebten Schlüsse zur subjektiven Tatseite in Bezug auf die Kreditaufnahme am 29. Juni 2017 (I./1./) gezogen haben, stellt keinen Begründungsmangel dar (vgl RIS-Justiz RS0098400).
[13] Ebensowenig ist die Ableitung der subjektiven Ausrichtung des Angeklagten (US 19) aus den von ihm (einschließlich der Verwendung inhaltlich unrichtiger Lohnbestätigungen) zugestandenen Täuschungshandlungen (ON 97 S 3 ff) zu beanstanden. Dass zunächst Kreditraten bezahlt wurden, hat das Schöffengericht ebenso berücksichtigt wie eine vorgeblich geplante gewinnbringende Investition des Darlehens (US 9).
[14] Bedingt vorsätzliches Handeln (US 18) in Ansehung des Besitzes einer verbotenen Waffe (V./) konnten die Tatrichter ohne weiteres aus dem äußeren Geschehen ableiten (vgl RIS-Justiz RS0116882). Die Kritik am Fehlen der Erörterung (der Sache nach Z 5 zweiter Fall) der Einlassung des Angeklagten, sich beim Kauf des Schlagrings „nicht viel gedacht zu haben“, bezieht sich mit Blick auf die in § 50 Abs 1 WaffG normierte Fahrlässigkeitsvariante einerseits auf keinen erheblichen Umstand und stellt andererseits den konstatierten Eventualvorsatz (§ 5 Abs 1 StGB) ohnedies nicht in Frage.
[15] Die gesetzmäßige Ausführung eines materiell‑rechtlichen Nichtigkeitsgrundes hat das Festhalten am gesamten im Urteil festgestellten Sachverhalt, dessen Vergleich mit dem darauf anzuwendenden Gesetz und die Behauptung, dass das Erstgericht bei Beurteilung dieses Sachverhalts einem Rechtsirrtum unterlegen ist, zur Voraussetzung (RIS-Justiz RS0099810).
[16] Aus welchem Grund das Urteil trotz der Konstatierungen zum Wissen des Angeklagten über das Fehlen der Kreditwürdigkeit der zum Abschluss der Darlehensverträge bestimmten Personen (US 13 ff) keine Feststellungen zum Bereicherungsvorsatz enthalten soll, erklärt die gegen die Schuldsprüche I./ und II./ gerichtete Rechtsrüge (Z 9 lit a) nicht.
[17] Soweit sich der Beschwerdeführer auf den jeweiligen Abschluss der den Darlehen zugrunde liegenden Kreditverträge beruft, geht er prozessordnungswidrig an den Konstatierungen vorbei, dass sämtlichen Vertragshandlungen Täuschungs-, Schädigungs- und Bereicherungsvorsatz zugrunde lag (US 8 ff, 13 ff).
[18] Der Vorwurf des Fehlens von Konstatierungen zu Bestimmungshandlungen (§ 12 zweiter Fall StGB) ignoriert die genau darauf bezogenen Feststellungen (wonach der Angeklagte „erklärte“, dass es „möglich sei, einen schnellen Kredit aufzunehmen, in Privatkonkurs zu gehen und den Kredit nicht zurückzahlen zu müssen“ [US 14] und er „erklärte, … wie man über einen Kredit leicht zu Geld kommen könne, wobei er gleich auf die Illegalität der Vorgangsweise hinwies“ [US 15]).
[19] Das Argument (der Sache nach Z 10), die zu I./6./ abgeurteilte Tat sei mangels Feststellungen zu einer Bestimmung (auch) zur Erstattung einer Versicherungsmeldung bloß nach § 298 Abs 1 StGB zu subsumieren, lässt die Konstatierung unberücksichtigt, wonach der Angeklagte den Zeugen Ku***** fragte, ob dieser bereit sei, einen Einbruch vorzutäuschen, um so an Geld einer Versicherung zu kommen (US 16).
[20] Die von der Rüge (nominell Z 9 lit a, inhaltlich Z 10) vermissten Feststellungen zur Absicht des Angeklagten, sich durch wiederkehrende Begehung über eine längere Zeit hindurch ein fortlaufendes, monatlich 400 Euro übersteigendes Einkommen zu verschaffen, finden sich – vom Beschwerdeführer ebenfalls vernachlässigt – auf US 17.
[21] Die zum Schuldspruch IV./ erhobene Rechtsrüge (Z 9 lit b) reklamiert Feststellungsmängel zum Vorliegen der Voraussetzungen tätiger Reue nach § 165a Abs 1 StGB. Angesichts des – in Bezug auf die Rechtzeitigkeit einer allfälligen Reuehandlung relevanten – Beweisergebnisses, wonach Jennifer H***** bereits am 26. November 2019 konkrete Angaben zum Schließfach des Angeklagten getätigt hatte (ON 48 S 227), während Michael G***** dies erst über entsprechenden Vorhalt am Folgetag zugestand (ON 48 S 157), zeigt die Beschwerde nicht durch Feststellungen geklärte Verfahrensergebnisse in Bezug auf den in Anspruch genommenen Ausnahmesatz (zu den Voraussetzungen der Geltendmachung eines Feststellungsmangels vgl RIS-Justiz RS0118580) nicht auf.
[22] Abgesehen davon macht der Rechtsmittelwerber nicht deutlich, aus welchem Grund in der bloßen Bestätigung der (den Ermittlungsbehörden bereits bekannten) Existenz dieses Schließfachs ein freiwilliges und ernstliches Bemühen um die Sicherstellung liegen soll.
[23] Die Nichtigkeitsbeschwerde war daher – in Übereinstimmung mit der Stellungnahme der Generalprokuratur – bereits bei nichtöffentlicher Beratung sofort zurückzuweisen (§ 285d Abs 1 StPO), woraus die Zuständigkeit des Oberlandesgerichts zur Entscheidung über die Berufung folgt (§ 285i StPO).
[24] Damit ist auch die gegen den Protokollberichtigungsbeschluss vom 28. August 2020 (ON 106) gerichtete Beschwerde erledigt, weil das Rechtsmittel auch unter Zugrundelegung der angestrebten Protokolländerung im Sinne der Verschriftlichung der schon nach dem Vorbringen des Angeklagten vereinzelt gebliebenen Tonprobleme während der Videokonferenz und Verständigungsschwierigkeiten in der Hauptverhandlung erfolglos bleiben würde (vgl RIS-Justiz RS0120683).
[25] Die Kostenentscheidung beruht auf § 390a Abs 1 StPO.
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