Spruch:
In teilweiser Stattgebung der Nichtigkeitsbeschwerde der Angeklagten Szilvia B***** und aus Anlass der Nichtigkeitsbeschwerden wird das angefochtene Urteil, das im Übrigen unberührt bleibt, in der Subsumtion der dem Schuldspruch I/2 der Szilvia B***** zugrunde liegenden Taten auch nach § 216 Abs 2 vierter Fall StGB sowie im Schuldspruch der Klaudia P***** wegen des Vergehens der Sachbeschädigung nach § 125 StGB (IV/2), demgemäß auch in den diese beiden Angeklagten betreffenden Strafaussprüchen sowie im Zuspruch von Schadenersatz an Hans Peter M***** aufgehoben und die Sache im Umfang der Aufhebung zu neuer Verhandlung und Entscheidung an das Erstgericht verwiesen.
Im darüber hinausgehenden Umfang wird die Nichtigkeitsbeschwerde der Szilvia B*****, jene der Angeklagten Hajnalka R***** und Klaudia P***** werden zur Gänze zurückgewiesen.
Szilvia B***** und Klaudia P***** werden mit ihren gegen den Strafausspruch gerichteten Berufungen ebenso wie die Staatsanwaltschaft mit ihrer diese beiden Angeklagten betreffenden Berufung auf diese Entscheidung verwiesen.
Zur Entscheidung über die übrigen Berufungen (jene der Szilvia B*****, soweit sie sich gegen das unberührt gebliebene, sie betreffende Adhäsionserkenntnis hinsichtlich Hajnalka L***** richtet, sowie jene der Angeklagten Hajnalka R***** und der Staatsanwaltschaft diese Angeklagte betreffend) werden die Akten zunächst dem Oberlandesgericht Innsbruck zugeleitet.
Den Angeklagten fallen auch die Kosten des bisherigen Rechtsmittelverfahrens zur Last.
Text
Gründe:
Mit dem angefochtenen Urteil wurden Szilvia B***** und Hajnalka R***** des Vergehens der Förderung der Prostitution und pornographischer Darbietungen Minderjähriger nach § 215a Abs 1 (richtig:) letzter Fall StGB (I/1 und III), die Erstgenannte zudem (richtig:) jeweils eines Vergehens der Zuhälterei nach § 216 Abs 2 erster, dritter und vierter Fall StGB (I/2; zur Auslegung dieser Bestimmung als kumulatives Mischdelikt vgl Philipp in WK² § 216 Rz 26) und der Körperverletzung nach § 83 Abs 1 StGB (II) und Klaudia P***** jeweils eines Vergehens der Körperverletzung nach § 83 Abs 1 StGB (IV/1) und der Sachbeschädigung nach § 125 StGB (IV/2) schuldig erkannt.
Danach haben in Innsbruck und anderen Orten Österreichs
(I) Szilvia B*****
1) im September und Oktober 2010 sowie von etwa Mitte Jänner 2011 bis 7. Februar 2011 die am 7. Juli 1993 geborene, sohin minderjährige Ramona K*****, die der Prostitution nachging, ausgenützt, um sich oder einem anderen einen Vermögensvorteil zuzuwenden, indem sie ihr den Großteil ihres Lohnes abnahm;
2) zwischen etwa Februar 2010 und 7. Februar 2011 „mit dem Vorsatz, sich aus der Prostitution einer anderen Person eine fortlaufende Einnahme zu verschaffen, die Hajnalka L***** ausgebeutet und ihr die Bedingungen der Ausübung der Prostitution vorgeschrieben“;
(II) am 8. August 2009 Hans Peter M***** am Körper verletzt, indem sie ihm Pfefferspray ins Gesicht sprühte, wodurch er starke Schmerzen und einen Hustenanfall erlitt;
(III) Hajnalka R***** zwischen September 2010 und 7. Februar 2011 während der Abwesenheit der Szilvia B***** die am 7. Juli 1993 geborene, sohin minderjährige Ramona K*****, die der Prostitution nachging, ausgenützt, um sich oder einem anderen einen Vermögensvorteil zuzuwenden, indem sie ihr den Großteil ihres Lohnes abnahm;
(IV) Klaudia P*****
1) am 31. Juli 2009 Manfred B***** am Körper verletzt, indem sie ihm Pfefferspray ins Gesicht sprühte, wodurch er eine Augenreizung erlitt;
2) am 8. August 2009 den PKW der Marke Jaguar des Hans Peter M***** beschädigt, indem sie mit einem Blechrohr mehrfach gegen das Fahrzeug schlug.
Rechtliche Beurteilung
Die dagegen von Hajnalka R***** aus dem Grund der Z 5 und von Klaudia P***** aus jenen der „Z 9a und b“ des § 281 Abs 1 StPO erhobenen Nichtigkeitsbeschwerden verfehlen ihr Ziel, der auf die Gründe der Z 5, 5a, „9a b“ und 10 des § 281 Abs 1 StPO gestützten Nichtigkeitsbeschwerde der Szilvia B***** kommt teilweise Berechtigung zu.
- Zur Nichtigkeitbeschwerde der Szilvia B*****:
- Mit dem zum Schuldspruch II der Sache nach erhobenen Einwand offenbar unzureichender Begründung (Z 5 vierter Fall) der Feststellungen zur Täterschaft der Angeklagten mangels „eindeutiger Identifikation“, ignoriert die Mängelrüge die insoweit zentralen unter dem Aspekt der Begründungstauglichkeit nicht zu beanstandenden Erwägungen der Tatrichter (US 37 ff), womit sie den vom Gesetz geforderten Bezugspunkt verfehlt.
- Entgegen dem Beschwerdevorbringen zum Schuldspruch I/1 (nominell Z 5a, der Sache nach Z 5 zweiter Fall) wurden die beiden aktenkundigen Schreiben der Zeugin Ramona K*****, in denen sie ihre ursprünglichen belastenden Angaben (ON 134 S 255 ff) widerrief, ebenso ausführlich erörtert wie deren spätere Unerreichbarkeit für das Gericht und die im Rechtsmittel nicht näher bezeichneten „Ergebnisse des Polizeiberichts vom 8. August 2011“ (ON 171; vgl US 14 ff, 17 ff, 23, 26).
- Soweit die Tatsachenrüge (Z 5a) aus diesen Verfahrensergebnissen für den Beschwerdestandpunkt günstigere Schlüsse zieht als die des Erstgerichts, zielt sie außerhalb der Anfechtungskategorien des in Anspruch genommenen Nichtigkeitsgrundes auf eine über die Prüfung erheblicher Bedenken hinausgehende Auseinandersetzung mit der Überzeugungskraft von Beweisergebnissen ab, wie sie die Berufung wegen Schuld des Einzelrichterverfahrens einräumt (Ratz, WK-StPO § 281 Rz 490 f).
- Die in diesem Zusammenhang nach Art einer Aufklärungsrüge (Z 5a) erhobene Kritik an unterlassener amtswegiger Wahrheitsforschung scheitert schon an der fehlenden Behauptung, die Beschwerdeführerin sei an darauf abzielender Antragstellung (die genannte Zeugin auszuforschen und neuerlich zu vernehmen [vgl dazu im Übrigen ON 1 S 27 und 31, ON 101]) und „den ungarischen Notar und Dr. G*****“ als Zeugen zu befragen) gehindert gewesen (RIS-Justiz RS0115823).
- Indem die Rechtsrüge (Z 9 lit a) zum Schuldspruch I/1 zudem ohne Angabe der Fundstelle in den umfangreichen Akten (vgl RIS-Justiz RS0124172) unter Hinweis auf angebliche Beweisergebnisse Feststellungen dazu vermisst, ob die Angeklagte „davon ausgehen durfte“, dass Ramona K***** als unter behördlicher Kontrolle stehende Prostituierte tätig war, leitet sie nicht aus dem Gesetz ab, weshalb es darauf für die rechtsrichtige Subsumtion ankommen soll (vgl dazu auch RIS-Justiz RS0095296).
- Mit dem Einwand nicht ausreichender Entscheidungsgrundlage für die Beurteilung des Austauschverhältnisses im Sinne eines Ausnützens Prostituierter, argumentiert sie nicht auf Basis der Gesamtheit der Entscheidungsgründe. Soweit hier wesentlich stellten die Tatrichter nämlich von der Beschwerde prozessordnungswidrig übergangen fest, dass Ramona K***** mit Ausnahme eines ihr belassenen Betrags von täglich zwischen zwanzig und vierzig Euro ihre gesamten Einnahmen in Höhe von wöchentlich durchschnittlich 3.500 Euro an Szilvia B***** abzuführen hatte, und verneinten in sachverhaltsmäßiger Hinsicht unter (zulässigem; vgl RIS-Justiz RS0119094, ON 172 S 41) Hinweis auf die gerichtsbekannten ortsüblichen Mieten für Unterkünfte von Prostituierten von wöchentlich maximal 500 Euro ausdrücklich, dass deren Gegenleistungen, die lediglich in der (zudem nicht durchgehenden) Bestreitung der anteiligen Kosten für die jeweils von mehreren Personen benützte „Arbeitswohnung“ und der gelegentlichen Vermittlung von Kunden bestanden, aus wirtschaftlicher Sicht annähernd der Höhe der an sie entrichteten (und möglicherweise an Janos K***** oder dessen Bruder weitergeleiteten) Zahlungen entsprachen (US 21 ff, 27; vgl dazu RIS-Justiz RS0121143). Dass es darüber hinausgehender Urteilsannahmen (zur exakten Höhe der Mietkosten und dazu „wie viel sie selbst an wen abliefern musste“) bedurft hätte, wird erneut bloß behauptet.
- Indem die weitere Rechtsrüge (Z 9 lit a) zum Schuldspruch wegen des Vergehens der Körperverletzung nach § 83 Abs 1 StGB (II) den Eintritt eines tatbildmäßigen Erfolgs mit dem Vorbringen bestreitet, die festgestellten Auswirkungen der Pfeffersprayattacke wären nicht „hinreichend intensiv“ (vgl aber US 39, RIS-Justiz RS0092475), wendet sie sich mit Blick auf die unbestrittenen Urteilsannahmen zu einem auf die Verursachung einer Körperverletzung gerichteten Vorsatz der Sache nach bloß gegen die Annahme vollendeten (statt bloß versuchten) Delikts und spricht damit keine entscheidende Tatsache, sondern eine dem Regelungsbereich des § 281 Abs 1 Z 11 zweiter Fall StPO zuzuordnende hier zudem nicht relevante Strafzumessungstatsache an (RIS-Justiz RS0122137).
- Absolute Versuchsuntauglichkeit (§ 15 Abs 3 StGB) wird in der Beschwerde gar nicht eingewendet und würde im Übrigen voraussetzen, dass die einem Tatbestand entsprechende Sachverhaltsverwirklichung bei generalisierender Betrachtung, also losgelöst von den Besonderheiten des Einzelfalls geradezu denkunmöglich ist, sohin unter keinen Umständen erwartet werden kann (Hager/Massauer in WK² §§ 15, 16 Rz 70), wovon beim hier aktuellen Sprühen mit Pefferspray in das Gesicht des Attackierten keine Rede sein kann (RIS-Justiz RS0098852).
- Welche Verfahrensergebnisse Feststellungen zu einer die Annahme einer (Putativ-)„Nothilfesituation“ tragenden Sachverhaltsgrundlage indiziert hätten, legt die Rüge (Z 9 lit b) prozessordnungswidrig nicht dar (vgl Ratz, WK-StPO § 281 Rz 600 ff).
- Soweit die Beschwerde (der Sache nach Z 10) zum Schuldspruch I/1 rechtsirrige Unterstellung des Urteilssachverhalts auch unter „Abs 2 dritter Fall“ des § 215a StGB zufolge fehlender diesbezüglicher Feststellungen releviert, ist ihr durch die Angleichung der Urteilsausfertigung an das mündlich verkündete Urteil (ON 173 S 2, 211) der Boden entzogen.
- Die Subsumtionsrüge (Z 10) zum Schuldspruch I/2 orientiert sich mit dem Einwand undeutlicher Feststellungen zum Vorschreiben der Bedingungen für die Ausübung der Prostitution (§ 216 Abs 2 dritter Fall StGB) erneut nicht an den tatrichterlichen im Übrigen unmissverständlichen Konstatierungen in ihrer Gesamtheit (US 29 f) und verfehlt solcherart den Bezugspunkt (vgl RIS-Justiz RS0099810, RS0117247).
- Insoweit war die Nichtigkeitsbeschwerde daher bereits bei der nichtöffentlichen Beratung sofort zurückzuweisen (§ 285d StPO).
- Zutreffend zeigt sie demgegenüber auf, dass die Feststellungen zum Schuldspruch I/2 die rechtliche Beurteilung als Vergehen der Zuhälterei nach § 216 Abs 2 vierter Fall StGB nicht tragen.
- Diese Gesetzesstelle enthält nämlich eine Subsumtionseinheit, ähnlich derjenigen des § 84 Abs 3 StGB, für gleichzeitiges Ausnützen mehrerer Prostituierter (Philipp in WK² § 216 Rz 15 f mwN), womit hinsichtlich jeder der solcherart zusammengefassten selbständigen Taten sämtliche Tatbestandsmerkmale erfüllt sein müssen. Konstatierungen dazu, dass die Angeklagte nicht nur in Betreff der Hajnalka L***** (US 28 f, 30 f), sondern auch hinsichtlich der nach der Überzeugung der Tatrichter ebenfalls ausgenützten Prostituierten Ramona K***** mit dem Vorsatz handelte, sich selbst (und nicht etwa bloß Janos K***** oder dessen Bruder; vgl US 21, 23) aus deren Prostitution eine fortlaufende Einnahme zu verschaffen (Philipp in WK² § 216 Rz 23), sind der angefochtenen Entscheidung jedoch nicht zu entnehmen.
- Zur Nichtigkeitbeschwerde der Hajnalka R*****:
- Dem Standpunkt der Mängelrüge (Z 5 zweiter Fall) zuwider, stehen die isoliert und aus dem Zusammenhang gerissen zitierten Passagen aus der Aussage der Ramona K*****, nach denen Hajnalka R***** „keine besondere Rolle mehr spiele und freundlich zu ihr sei“, dem festgestellten, § 215a Abs 1 zweiter Satz StGB subsumierbaren Geschehen nicht erörterungsbedürftig entgegen.
- Die vermissten Konstatierungen zu den Einnahmen der Ramona K***** im gesamten Tatzeitraum (nominell Z 5, der Sache nach Z 9 lit a) finden sich auf US 21 und 23, was die Beschwerde erneut übergeht und damit den Bezugspunkt materieller Nichtigkeit verfehlt.
- Mit der substratlosen Behauptung, aus dem Akt lasse sich keine Grundlage für eine diesbezügliche Feststellung entnehmen, wobei insbesonders das Tatopfer dazu keine Angaben machte, wird ein Begründungsmangel nicht aufgezeigt, sondern die entsprechende Beweiswürdigung der Tatrichter (US 23 f) nach Art einer im kollegialgerichtlichen Verfahren nicht vorgesehenen Schuldberufung bekämpft.
- Zur Nichtigkeitsbeschwerde der Klaudia P*****:
- Mit ihrem den Schuldspruch wegen des Vergehens der Körperverletzung nach § 83 Abs 1 StGB betreffenden Einwand, eine „Augenreizung durch Pfefferspray“ erfülle nicht die Kriterien einer tatbildgemäßen Verletzung, spricht die Rechtsrüge (Z 9 lit a) aus den in Beantwortung der gleichlautenden Beschwerde der Angeklagten Szilvia B***** zum Schuldspruch II keine entscheidende Tatsache an.
- Die Forderung nach Feststellungen zum Vorliegen einer „Putativnotwehrsituation“ basiert auf bloßen Spekulationen zu den Vorstellungen dieser Beschwerdeführerin bei der Tatbegehung und lässt erneut den bei Geltendmachung eines Feststellungsmangels erforderlichen Hinweis auf solche Konstatierungen indizierende Verfahrensergebnisse vermissen (vgl im Übrigen US 43).
- Die Nichtigkeitsbeschwerden dieser beiden Angeklagten waren damit bereits bei der nichtöffentlichen Beratung sofort zurückzuweisen (§ 285d StPO).
- Aus Anlass der Nichtigkeitsbeschwerden überzeugte sich der Oberste Gerichtshof, dass der angefochtenen Entscheidung im Schuldspruch der Angeklagten Klaudia P***** wegen des Vergehens der Sachbeschädigung nach § 125 StGB (IV/2) der von Amts wegen wahrzunehmende (§ 290 Abs 1 zweiter Satz erster Fall StPO) Nichtigkeitsgrund des § 281 Abs 1 Z 9 lit a StPO anhaftet, weil Feststellungen zur subjektiven Tatseite nicht getroffen wurden.
- Die aufgezeigten Rechtsfehler zwingen zur Aufhebung des Urteils im aus dem Spruch ersichtlichen Umfang bereits bei der nichtöffentlicher Beratung und insoweit zur Verweisung der Sache zu neuer Verhandlung und Entscheidung an das Erstgericht (§§ 285e, 288 Abs 2 Z 3 zweiter SatzStPO).
- Mit ihren den Strafausspruch betreffenden Berufungen waren Szilvia B***** und Klaudia P***** ebenso auf die Kassation des Strafausspruchs zu verweisen wie die Staatsanwaltschaft mit ihrer diese beiden Angeklagten betreffenden Berufung.
- Die Kompetenz zur Entscheidung über die übrigen aus dem Spruch ersichtlichen Berufungen kommt dem Oberlandesgericht Innsbruck zu (§ 285i StPO).
Der Kostenausspruch, der sich nicht auf die amtswegige Maßnahme bezieht (Lendl, WK-StPO § 390a Rz 12), beruht auf § 390a Abs 1 StPO.
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