European Case Law Identifier: ECLI:AT:OGH0002:2022:E130674
Rechtsgebiet: Zivilrecht
Spruch:
Der außerordentliche Revisionsrekurs wird gemäß
§ 526 Abs 2 Satz 1 ZPO mangels der Voraussetzungen des § 528Abs 1 ZPO zurückgewiesen.
Begründung:
[1] In ihrem außerordentlichen Revisionsrekurs begründet die Klägerin die sachliche Zuständigkeit des Erstgerichts für ihre Klage, dessen Hauptbegehren auf Feststellung der Nichtigkeit eines mit der Beklagten im Jahr 2015 geschlossenen Kaufvertrags und auf Rückzahlung eines bereits geleisteten Teilkaufpreises lautet, nur noch damit, dass der Kaufvertrag einerseits eine Schiedsklausel enthalte und andererseits eine Gerichtsstandsvereinbarung, bezogen auf ein staatliches Moskauer Gericht. Diese einander widersprechenden Klauseln führen nach Auffassung der Klägerin zur Unwirksamkeit beider Bestimmungen und somit im Hinblick auf den Sitz der beklagten GmbH zur sachlichen Zuständigkeit des Erstgerichts.
[2] Die Vorinstanzen wiesen die Klage a limine wegen sachlicher Unzuständigkeit zurück. Soweit für das Revisionsrekursverfahren noch relevant, vertrat das Rekursgericht die Auffassung, unter Zugrundelegung einer im Vertrag enthaltenen Schiedsklausel und einer Gerichtsstandsvereinbarung bezogen auf Moskau sei von einem Wahlrecht der Klägerin zwischen dem ordentlichen Gericht mit Sitz in Moskau und dem privaten Schiedsgericht mit Sitz in Wien auszugehen (sog fakultative Schiedsvereinbarung). Es fehle daher an der sachlichen Zuständigkeit des angerufenen Erstgerichts.
[3] Mit ihrem außerordentlichen Revisionsrekurs wendet sich die Klägerin sowohl gegen die Rechtsansicht der Vorinstanzen, das Vorliegen einer Schiedsvereinbarung sei ohne entsprechende Einrede von Amts wegen zu berücksichtigen, als auch gegen die Annahme einer wirksamen fakultativen Schiedsvereinbarung.
Rechtliche Beurteilung
[4] Damit zeigt jedoch der nicht jedenfalls unzulässige (§ 528 Abs 2 Z 2 ZPO) Revisionsrekurs keine erhebliche Rechtsfrage auf.
[5] 1. Die im Zusammenhang mit § 584 Abs 1 ZPO (idF SchiedsRÄG 2006) relevierte Rechtsfrage lässt sich unmittelbar aufgrund des Gesetzes und seiner Materialien zweifelsfrei lösen, sodass sich insoweit keine Rechtsfrage iSd § 502 Abs 1 ZPO stellt (vgl RS0042656).
[6] 1.1. Nach § 41 Abs 1 und 2 JN hat das Gericht bei Einlangen der Klage seine Zuständigkeit an Hand der Klageangaben zu prüfen; dabei wird nicht nach prorogabler und unprorogabler Unzuständigkeit differenziert (Scheuer in Fasching/Konecny³ Vor § 41 JN Rz 8 mwN).
[7] 1.2. Während die Literatur für das Verhältnis zwischen staatlicher und Schiedsgerichtsbarkeit teilweise den Begriff der „Unzulässigkeit des Rechtswegs“ verwendet, lehnt die Rechtsprechung diese Einordnung ab und qualifiziert die Einrede einer Schiedsvereinbarung als solche der sachlichen, wenngleich prorogablen, Unzuständigkeit (18 ONc 2/18s mwN; RIS‑Justiz RS0039844 [T1]; RS0039817 [T1]). Das bedeutet, dass das angerufene Gericht diesen Mangel von Amts wegen lediglich bei Einlangen der Klage, später aber nur aufgrund der rechtzeitigen Einrede des Beklagten wahrnehmen kann (2 Ob 297/99m; 7 Ob 604/94 [je zur Rechtslage vor dem SchiedsRÄG 2006]).
[8] 1.3. Entsprechend sieht § 584 Abs 1 Satz 1 ZPO (nunmehr) vor, dass das Gericht im Fall der Erhebung einer Klage in einer Angelegenheit, die Gegenstand einer Schiedsvereinbarung ist, diese zurückzuweisen hat, sofern der Beklagte nicht zur Sache vorbringt oder mündlich verhandelt, ohne dies zu rügen. Damit soll nach Ansicht des Gesetzgebers vor Gericht die „Zulässigkeit des ordentlichen Rechtswegs“ als Prozessvoraussetzung von Amts wegen in limine litis geprüft und danach nur mehr über Einrede desBeklagten wahrgenommen werden können (ErläutRV 1158 BlgNR 22. GP 10).
[9] 1.4. Das mit § 41 Abs 1 und 2 JN und dem klaren Wortlaut des § 584 Abs 1 ZPO in Einklang stehende Vorgehen der Vorinstanzen entspricht auch der überwiegenden Lehre (Rechberger in Liebscher/Oberhammer/Rechberger Schiedsverfahrensrecht I Rz 6/14 ff; Ballon/Fucik/Lovrek in Fasching/Konecny³ § 1 JN Rz 35; Hausmaninger in Fasching/Konecny³ § 584 ZPO Rz 49; Nueber in Höllwerth/Ziehensack ZPO-TaKom § 584 Rz 4; Mayr in Fasching/Konecny³ § 230 ZPO Rz 23; aA offenbar jedoch ders in Rechberger/Klicka ZPO5 § 43 JN Rz 9; s auch die Wiedergabe des Meinungsstands in Zeiler Schiedsverfahren² § 584 Rz 4).
[10] 2. Die einzelfallbezogene Vertragsauslegung des Rekursgerichts wirft keine erhebliche Rechtsfrage auf (vgl RS0044997 [T7], RS0018023 [T11]).
[11] 2.1. Der Oberste Gerichtshof hat bereits die Rechtsansicht als nicht korrekturbedürftig beurteilt, wonach im Fall einer – wie hier vorliegenden – Kollision einer formularmäßig verwendeten Gerichtsstandsklausel mit einer formularmäßig gebrauchten Schiedsgerichtsklausel in derselben Urkunde beide Klauseln nebeneinander wirksam bestehen können, wenn zusätzlich zu einer Schiedsvereinbarung eine nicht ausschließliche (einfache) Zuständigkeit staatlicher Gerichte vereinbart wird (2 Ob 65/13t mwN = RS0018023 [T14]; idS auch Oberhammer, Fakultative Schiedsklauseln RdW 2000/106, 134 mit Nachweisen aus der deutschen Rechtsprechung).
[12] 2.2. Die Klägerin, deren Angaben der Zuständigkeitsprüfung zugrundezulegen sind (RS0046236), unterstellt in ihrem Revisionsrekurs selbst die Vereinbarung einer Streitbeilegung sowohl durch ein staatliches ordentliches Gericht (Vertragspunkt 12.3.) als auch durch ein Schiedsgericht (Vertragspunkt 14.6.). Sie gestand schon in der Klage zu, dass ein übereinstimmender Parteiwille nicht festgestellt werden könne, weshalb für die Zuständigkeitsprüfung allein der Text der Schiedsklausel relevant ist. Da dieser weder eine ausschließliche Geltung einer der beiden Klauseln noch eine verpflichtende Anrufung einer der beiden Institutionen vorsieht, begründet das Interpretationsergebnis des Rekursgerichts, den Parteien komme ein Wahlrecht zu, keine korrekturbedürftige Fehlbeurteilung. Der Hinweis der Klägerin, die Parteien hätten in korrespondierenden Bestimmungen zu den Klauseln die Anwendung unterschiedlichen materiellen Rechts vereinbart (Recht der Russischen Föderation/österreichisches Recht), ist für die Zuständigkeitsprüfung ohne Relevanz. Davon abgesehen haben die Parteien bei der Rechtswahl in jeder Hinsicht Wahlfreiheit. Es können für dieselbe Frage oder denselben Sachverhalt mehrere Rechtsordnungen alternativ oder kumulativ zur Anwendung kommen, etwa, dass das jeweilige materielle Recht des angerufenen Gerichts gelten soll (vgl 3 Ob 115/95 = SZ 71/26 = RS0109634).
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