OGH 1Ob205/20h

OGH1Ob205/20h27.11.2020

Der Oberste Gerichtshof hat durch den Senatspräsidenten Univ.‑Prof. Dr. Bydlinski als Vorsitzenden sowie die Hofräte und die Hofrätin Mag. Wurzer, Mag. Dr. Wurdinger, Dr. Hofer‑Zeni‑Rennhofer und Dr. Parzmayr als weitere Richter in der Familienrechtssache des Antragstellers H*, vertreten durch Dr. Gabriele Schubert, Rechtsanwältin in Baden, gegen die Antragsgegnerin P*, vertreten durch Dr. Gabriela Kaiser, Rechtsanwältin in Wien, wegen Aufteilung des ehelichen Gebrauchsvermögens und der ehelichen Ersparnisse, über den Revisionsrekurs der Antragsgegnerin gegen den Beschluss des Landesgerichts für Zivilrechtssachen Wien als Rekursgericht vom 24. August 2020, GZ 45 R 373/20s‑176, mit dem der Beschluss des Bezirksgerichts Innere Stadt Wien vom 6. Mai 2020, GZ 97 Fam 33/16i‑154, in der Hauptsache teilweise aufgehoben und teilweise bestätigt wurde, den

Beschluss

gefasst:

European Case Law Identifier: ECLI:AT:OGH0002:2021:E130594

Rechtsgebiet: Zivilrecht

 

Spruch:

Der Revisionsrekurs wird zurückgewiesen.

Der Antragsteller hat die Kosten seiner Revisionsrekursbeantwortung selbst zu tragen.

Begründung:

Rechtliche Beurteilung

[1] 1. Der Revisionsrekurs der Frau ist – ungeachtet des den Obersten Gerichtshof nicht bindenden (§ 71 Abs 1 AußStrG) gegenteiligen Ausspruchs des Rekursgerichts – nicht zulässig, weil darin keine erhebliche Rechtsfrage iSd § 62 Abs 1 AußStrG aufgezeigt wird.

[2] 2. Entgegen der Darstellung der Revisionsrekurswerberin stellten die Vorinstanzen bei der Bemessung der (vom Mann zu leistenden) Ausgleichszahlung nicht auf den Wert der mit ehelichen Mitteln erworbenen Wohnung in Griechenland zum Zeitpunkt ihrer Anschaffung ab. Wenn die Rechtsmittelwerberin argumentiert, dass der Wert zum Zeitpunkt der Auflösung der ehelichen Gemeinschaft („Aufteilungsstichtag“; vgl 1 Ob 112/18d Pkt 3. mwN) zugrundezulegen gewesen wäre, so übersieht sie, dass das Rekursgericht genau dies tat. Damit geht aber der Vorwurf, es seien keine Feststellungen zum Verkehrswert der Wohnung für diesen Zeitpunkt getroffen worden, ins Leere. Dass dieser Wert unter Anwendung des (richtig) § 34 AußStrG in Höhe des ursprünglichen Kaufpreises festgesetzt und damit weder die vom Mann behauptete Wertsteigerung noch die von der Frau behauptete Wertminderung festgestellt wurde, wäre zwar mit Rechtsrüge bekämpfbar (RIS‑Justiz RS0040341 [T14]). Als von den konkreten Umständen des Einzelfalls abhängige Ermessensentscheidung könnte dies aber nur bei einer gravierend fehlerhaften Ermessensausübung an den Obersten Gerichtshof herangetragen werden (vgl 1 Ob 140/18x mwN zur inhaltsgleichen Bestimmung des § 273 ZPO), welche die Revisionsrekurswerberin – die auch gar nicht behauptet, dass sich der Wert der Wohnung nach Auflösung der ehelichen Gemeinschaft bis zur erstinstanzlichen Aufteilungsentscheidung (zur grundsätzlichen Maßgeblichkeit dieses Zeitpunkts vgl RS0057613) verringert hätte, sondern selbst nur auf den Zeitpunkt der Auflösung der Ehegemeinschaft abstellt – aber nicht aufzeigt; eine Bewertung durch einen Sachverständigen hat sie selbst vereitelt.

[3] 3. Dass die dem Mann während der Ehe geschenkte Ehewohnung, in der die Frau mit den beiden volljährigen Kindern lebt, gemäß § 82 Abs 1 Z 1 EheG grundsätzlich nicht der Aufteilung unterliegt, ist im Revisionrekursverfahren nicht strittig. Sie begehrt jedoch deren Einbeziehung anch § 82 Abs 1 Satz 1 zweiter und dritter Fall EheG, weil sie auf deren Weiterbenützung zur Sicherung ihrer Lebensbedürfnisse angewiesen sei und außerdem beide (gemeinsamen) Kinder einen berücksichtigungswürdigen Bedarf an der Wohnung hätten. Eine erhebliche Rechtsfrage iSd § 62 Abs 1 AußStrG zeigt die Revisionsrekurswerberin auch in diesem Zusammenhang nicht auf.

[4] 3.1. Es entspricht der ständigen Rechtsprechung des Obersten Gerichtshofs, dass – wovon auch das Rekursgericht ausging – § 82 Abs 2 Satz 1 zweiter Fall EheG eine existentielle Bedrohung, etwa in Gestalt einer Obdachlosigkeit, voraussetzt (vgl RS0058357 [T6]; RS0058370; RS0058382 [T1, T2]). Eine solche Existenzgefährdung wird nicht nur verneint, wenn das laufende Einkommen den ehemaligen Ehegatten in die Lage versetzt, sich eine – wenn auch bescheidene – Wohnmöglichkeit zu finanzieren (RS0058370 [T6, T9]), sondern auch dann, wenn es ihm aufgrund seines Vermögens (vgl RS0058355) oder einer Ausgleichszahlung durch den anderen Ehegatten (vgl RS0058370 [T3, T4]) möglich ist, sich eine Ersatzwohnmöglichkeit zu beschaffen. Ob dies zutrifft, ist jeweils im Einzelfall zu beurteilen (vgl 9 Ob 56/05h; 10 Ob 363/99a). Das aktuelle Fehlen einer anderen Wohnmöglichkeit erfüllt für sich allein den Tatbestand des § 82 Abs 2 Satz 1 zweiter Fall EheG jedenfalls noch nicht (vgl RS0058355).

[5] 3.2. Dass das Rekursgericht den ihm bei der Prüfung der Voraussetzungen dieser Bestimmung zukommenden Spielraum überschritten hätte, kann die Revisionsrekurswerberin nicht darlegen. Sie bezieht sich nur auf ihr geringes monatliches Einkommen, lässt aber außer Acht, dass ihr die Wohnung in Griechenland verbleibt und sie vom Mann eine Ausgleichszahlung von 15.000 EUR erhält. Dass es ihr auch bei einem Verkauf oder einer Vermietung dieser Wohnung – für deren Vorbereitung seit der erstinstanzlichen Entscheidung fast 7 Monate zur Verfügung standen – unmöglich wäre, in Österreich zumindest eine bescheidene Mietwohnung zu finanzieren, behauptet sie gar nicht. Damit zeigt sie aber schon aus diesem Grund keine erhebliche Rechtsfrage iSd § 62 Abs 1 AußStrG auf.

[6] 3.3. Der Rechtsmittelwerberin ist im Übrigen auch entgegenzuhalten, dass die Voraussetzungen des § 82 Abs 2 Satz 1 zweiter Fall EheG nicht vergangenheitsbezogen zu beurteilen sind, stellt diese Bestimmung doch darauf ab, ob ein Ehegatte (in Hinkunft) auf die „Weiterbenützung“ angewiesen ist (vgl auch 1 Ob 233/16w). Dass das Rekursgericht die Fähigkeit der Frau, sich eine alternative Wohnmöglichkeit zu beschaffen, für die Zukunft positiv beurteilte (wobei es auch den möglichen Bezug von Sozialleistungen [Mietbeihilfe] berücksichtigte, wogegen sich die Revisionsrekurswerberin nicht ausspricht), begegnet keinen Bedenken. Dass es ihr unmöglich sei, am Arbeitsmarkt eine Vollzeitbeschäftigung zu finden, hat sie in erster Instanz nicht konkret behauptet. Sie führt dazu auch in ihrem Revisionsrekurs nur aus, dass es „auf dem Arbeitsmarkt nicht gerade einfach sei“, und übersieht außerdem, dass sie sich bei einem Umzug in eine kleinere Mietwohnung (zu 8 Ob 519/88 nahm der Oberste Gerichtshof bei einer einem Erwachsenen und einem Kind zur Verfügung stehenden Einzimmerwohnung keine existenzgefährdende Notlage an)die Zahlung der monatlichen Betriebskosten für die (größere) Ehewohnung in Höhe von rund 350 EUR (und nicht – wie die Revisionsrekurswerberin behauptet – 200 EUR) erspart. Billigkeitserwägungen sind entgegen der Ansicht der Rechtsmittelwerberin bei der Beurteilung der Einbeziehung der Ehewohnung in die Aufteilung nach § 82 Abs 2 EheG nicht maßgeblich (1 Ob 139/15w mwN).

[7] 3.4. Der dritte Tatbestand des § 82 Abs 2 Satz 1 EheG (berücksichtigungswürdiger Bedarf eines gemeinsamen Kindes) erfordert zwar keine Gefährdung des Kindeswohls, setzt aber voraus, dass das Verlassen der bisherigen Wohnung mit gewissen Beeinträchtigungen des Kindes im persönlichen und sozialen Lebensalltag verbunden wäre (RS0131619). Ob dies der Fall ist, ist jeweils im Einzelfall zu prüfen (5 Ob 192/08h). Dabei ist auch das Alter der Kinder zu berücksichtigen. Diese sind hier schon volljährig, wobei das Rekursgericht unbekämpft davon ausging, dass das ältere Kind bereits selbsterhaltungsfähig ist. Dass es die Voraussetzungen des dritten Falls des § 82 Abs 2 Satz 1 EheG daher als nicht erfüllt ansah, begründet keine korrekturbedürftige Fehlbeurteilung. Zu 1 Ob 143/17m erachtete es der Fachsenat als unbedenklich, dass das Schutzbedürfnis von siebzehn- und neunzehnjährigen Kindern, die demnächst eine Berufsausbildung anstreben und möglicherweise die Ehewohnung verlassen werden, verneint wurde, weil es den allgemeinen gesellschaftlichen Gepflogenheiten entspreche, dass erwachsene Kinder ihre eigenen Wege gehen und ihnen daher im Allgemeinen auch ein Wohnsitzwechsel zumutbar sei (zustimmend DeixlerHübner, iFamZ 2017/234). Auch zu 1 Ob 73/19w billigte der Fachsenat die Rechtsansicht, wonach der berücksichtigungswürdige Bedarf eines Kindes an der Ehewohnung mit seiner Volljährigkeit endet (vgl auch Gitschthaler, Aufteilungsrecht² [2017] Rz 90, wonach sich § 82 Abs 2 [erster Satz, dritter Fall] EheG nur auf die Phase der Minderjährigkeit beziehe, in der ein Kind Anspruch darauf habe, im Haushalt zumindest eines Elternteils betreut zu werden, wohingegen es den Eltern nach Volljährigkeit freistehe, das familienrechtliche Wohnverhältnis zu beenden). Die Revisionsrekurswerberin setzt sich mit dieser – vom Rekursgericht (teilweise) berücksichtigten – Rechtsprechung nicht näher auseinander, sondern behauptet bloß, dass den Kindern bei einem Auszug aus der Ehewohnung Obdachlosigkeit drohe oder sie nach Griechenland übersiedeln müssten. Dies ist hinsichtlich des jüngeren Kindes aber schon angesichts des ihm gegen seinen (gutverdienenden; die Revisionsrekurswerberin behauptet ein monatliches Nettoeinkommen von 6.000 EUR; festgestellt wurde ein solches von 2.800 EUR) Vater zustehenden Unterhaltsanspruchs nicht nachvollziehbar. Dass dieser nicht erfüllt würde, behauptet die Revisionsrekurswerberin nicht. Hinsichtlich des älteren Kindes ging das Rekursgericht ohnehin – wie ausgeführt – unbekämpft von dessen Selbsterhaltungsfähigkeit aus.

[8] 4. Der Antragsteller hat in seiner Revisionsrekursbeantwortung nicht auf die Unzulässigkeit des Rechtsmittels der Frau hingewiesen. Sein Antrag, den Revisionsrekurs als „nicht berechtigt zurückzuweisen“ und die angefochtene Entscheidung zu bestätigen, reicht dafür nicht aus (vgl nur 4 Ob 60/15z). Seine Rechtsmittelbeantwortung war damit nicht zur zweckentsprechenden Rechtsverfolgung notwendig, weshalb ihm für diese kein Kostenersatz zusteht (vgl RS0035979; RS0129381).

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