OGH 4Ob104/20b

OGH4Ob104/20b26.11.2020

Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsrekurs- und Revisionsgericht durch den Senatspräsidenten Dr. Vogel als Vorsitzenden und die Hofräte Dr. Schwarzenbacher, Hon.‑Prof. Dr. Brenn, Hon.‑Prof. PD Dr. Rassi und MMag. Matzka als weitere Richter in der Rechtssache der Klägerin K***** Gesellschaft mbH & Co KG, *****, vertreten durch Gheneff – Rami – Sommer Rechtsanwälte OG in Wien, gegen die Beklagte o***** GmbH, *****, vertreten durch Dr. Peter Zöchbauer, Rechtsanwalt in Wien, wegen Unterlassung (Streitwert 68.000 EUR) und Urteilsveröffentlichung (Streitwert 1.000 EUR), über den außerordentlichen Revisionsrekurs der Klägerin (Interesse 17.000 EUR) gegen den Beschluss des Oberlandesgerichts Wien als Rekursgericht vom 21. April 2020, GZ 5 R 145/19h‑24, womit der Beschluss des Handelsgerichts Wien vom 26. September 2019, GZ 11 Cg 48/19z‑12, abgeändert wurde, und über die außerordentlichen Revisionen der Klägerin (Interesse 17.000 EUR) und der Beklagten (Interesse 51.000 EUR) jeweils gegen das Urteil des Oberlandesgerichts Wien als Berufungsgericht vom 21. April 2020, GZ 5 R 146/19f‑25, womit das Urteil des Handelsgerichts Wien vom 26. September 2019, GZ 11 Cg 48/19z‑13, abgeändert wurde, beschlossen und zu Recht erkannt:

European Case Law Identifier: ECLI:AT:OGH0002:2020:0040OB00104.20B.1126.000

 

Spruch:

 

I. Der Revision der Klägerin wird Folge gegeben und der Revision der Beklagten wird teilweise Folge gegeben.

Das angefochtene Teilurteil wird dahin abgeändert, dass es insgesamt wie folgt zu lauten hat:

„1. Die Beklagte ist schuldig, es zu unterlassen, im geschäftlichen Verkehr über Mediadaten ihrer Tageszeitung 'Ö*****' dadurch zu täuschen, dass sie für einen Reichweitenvergleich zwischen 'Ö*****' und anderen Tageszeitungen für einen bestimmten Zeitraum ein Produkt für die Tageszeitung 'Ö*****' heranzieht, das für diesen Zeitraum in der Reichweitenerhebung noch gar nicht ausgewiesen war.

2. Die Beklagte ist schuldig, es zu unterlassen, im geschäftlichen Verkehr Reichweitenvergleiche zwischen der Tageszeitung 'Ö*****' und anderen Tageszeitungen vorzunehmen, wenn dabei für die Reichweite der Tageszeitung 'Ö*****' falsche Zahlen, insbesondere zu hohe prozentuelle Anstiege, angegeben werden.

3. Die Beklagte ist schuldig, es zu unterlassen, im geschäftlichen Verkehr Reichweitenvergleiche zwischen der Tageszeitung 'Ö*****' und anderen Tageszeitungen vorzunehmen, wenn dabei für die Reichweite der Tageszeitung 'Ö*****' lediglich selbst vermutete und nicht durch nachvollziehbare und realistische Prognosen unterlegte Reichweiten behauptet werden.

4. Die Beklagte ist schuldig es zu unterlassen, im geschäftlichen Verkehr unter Berufung auf Erhebungen des Vereins 'A*****' (V*****) Reichweitenvergleiche zwischen der Tageszeitung 'Ö*****' und anderen Tageszeitungen vorzunehmen, wenn dabei gegen das Gebot des V***** verstoßen wird, relative Vergleiche mit Werten aus Vorjahren ausschließlich auf Basis der Reichweite in Prozenten anzustellen.

5. Das Mehrbegehren, der Beklagten zu untersagen, im geschäftlichen Verkehr ganz allgemein

a) unter Berufung auf Erhebungen des Vereins 'A*****' (V*****) Reichweitenvergleiche zwischen der Tageszeitung 'Ö*****' und anderen Tageszeitungen vorzunehmen, wenn dabei gegen Richtlinien des V***** verstoßen wird;

b) beim Vergleich von Mediadaten zwischen der Tageszeitung 'Ö*****' und anderen Tageszeitungen nicht Vergleichbares miteinander in Beziehung zu setzen;

c) Reichweitenvergleiche zwischen der Tageszeitung 'Ö*****' und anderen Tageszeitungen vorzunehmen, wenn dabei für die Reichweite der Tageszeitung 'Ö*****' nicht durch eine unabhängige Organisation, wie etwa des V*****, bestätigte Reichweiten behauptet werden, wird abgewiesen.

6. Die Kostenentscheidung bleibt dem Endurteil vorbehalten.“

II. Der außerordentliche Revisionsrekurs wird gemäß §§ 78, 402 Abs 4 EO iVm § 526 Abs 2 Satz 1 ZPO mangels der Voraussetzungen des § 528 Abs 1 ZPO zurückgewiesen.

Die Klägerin hat die Kosten ihres Revisionsrekurses vorläufig selbst zu tragen.

 

Entscheidungsgründe:

[1] Die Klägerin ist Medieninhaberin der „K*****“, die Beklagte ist (mittelbar) Medieninhaberin von „Ö*****“ und „o*****“. Zwischen den Streitteilen besteht ein Wettbewerbsverhältnis.

[2] Die Klägerin und eine Konzerngesellschaft der Beklagten sind Mitglieder des Vereins „A*****“ (V*****). Die Beklagte selbst ist nicht Mitglied. Der Verein erhebt regelmäßig die Reichweite (Leserzahl) von Tageszeitungen und veröffentlicht sie periodisch in der „Media-Analyse“ (MA). Zuletzt hat er für die periodischen Druckwerke der Klägerin und der Konzerngesellschaft der Beklagten folgende Reichweiten erhoben:

MA 2017 (April 2018)

K *****: 2.173.000 Leser (29,2 %)

Ö *****: 523.000 Leser (7 %)

MA 2017/18 (Oktober 2018)

K *****: 2.091.000 Leser (28 %)

Ö *****: 512.000 Leser (6,9 %)

MA 2018 (April 2019)

K *****: 2.035.000 Leser (27,7 %)

Ö *****:

518.000 Leser (6,9 %)(„Ö *****“)

598.000 Leser (8 % ) („Ö*****/o*****-Kombi“)

 

[3] Nach den Allgemeinen Werberichtlinien des V***** dürfen relative Vergleiche mit Werten aus Vorjahren ausschließlich auf Basis Reichweite in Prozenten angestellt werden. Die Darstellung in der Zeitreihe bzw Vergleiche mit Werten aus Vorjahren sind – bei auch sonst gegebener Vergleichbarkeit – zulässig, sofern der aktuelle Wert genannt wird.

[4] Die Beklagte veröffentlichte am 30.3.2019 auf ihrer Website folgende Mitteilung:

Das sagt Ö *****

DANKE an 75.000 neue o *****-Leser

Ein Kommentar von Ö *****-Herausgeber W*****.

75.000 neue Leser bestätigt die neue „Media-Analyse 2018“ Ö ***** und seiner Gratis-Ausgabe o*****. Das ist ein Leser-Plus von 15 % in einem Jahr. Damit ist Ö*****/o***** die einzige große Tageszeitung, die 2018 sowohl in der „Media-Analyse“ als auch in der „Österreichischen Auflagen-Kontrolle“ signifikant zugelegt hat.

Der Erfolg von Ö *****/o***** ist umso bemerkenswerter, als gleichzeitig die direkte Konkurrenz – die Dichand-Blätter „K*****“ und „H*****“ – deutlich Leser verloren haben. Die „K*****“ verlor in nur einem Jahr 138.000 Leser – in den letzten 9 Jahren haben sich sogar schon mehr als 25 % der Leser verabschiedet: 818.000 Leser sind weg. Und das Gratis-Blatt „H*****“ hat nicht nur 70.000 Leser verloren – fast so viele, wie Ö*****/o***** gewonnen hat –, es verliert laut ÖAK auch massiv an Auflage, wurde in Wien in der vertriebenen Auflage sogar schon von Ö*****/o***** deutlich überholt.

Der Erfolg von Ö *****/o***** ist schnell erklärt: Wir machen für Sie, liebe Leser, eine wirklich unabhängige, möglichst spannende und betont moderne Zeitung, die als einzige in Ö***** alle modernen Medien bedient: Online, TV, Video, Facebook, Radio, Magazine. Wir nützen unsere Kraft zum Ausbau unserer Mediengruppe – und nicht wie die „K*****“ zum Krieg der Eigentümer, der die Zeitung lähmt und zum „Kampf‑Organ“ macht, bei dem sich die Eigentümer im eigenen Blatt bekriegen. Das will niemand lesen.

Ö *****/o***** ist zur erfolgreichsten Familien-Zeitung im Land geworden – geführt von einer 100 % unabhängigen Familie – und gemacht für eine von Tag zu Tag größer werdende Leser-Familie, die in Wahrheit (nach der wahren Auflage hochgerechnet) schon über eine Million Leser stark sein dürfte. Denn in der „Media‑Analyse“ ist Ö***** bisher weit unter ihrem Wert ausgewiesen worden. Erst seit Sommer – als wir unsere Gratis-Zeitung in o***** umbenannten – verbessert sich die Bewertung. Plötzlich steigt die Reichweite so wie die Auflage. Der Leser-Zugewinn in der „Media-Analyse“ soll erst der Anfang sein. Weil o***** erst im 2. Halbjahr erstmals erfasst wurde, könnte der Zugewinn mathematisch (aufs ganze Jahr gerechnet) sogar doppelt so groß sein: bis zu 30 %. Der Leser‑Erfolg von Ö*****/o***** hat gerade erst begonnen. Dafür sagen wir allen Ö*****/o*****-Lesern von ganzem Herzen „Danke“ – und versprechen noch mehr Einsatz, Engagement, Dynamik und Qualität für die derzeit erfolgreichste Zeitung im Land:

Ihr 100 % unabhängiges, faires, spannendes und modernes Ö *****!

 

[5] Die Klägerin begehrte mit ihrer Klage und dem gleichlautenden Sicherungsantrag, die Beklagte sei schuldig zu unterlassen, im geschäftlichen Verkehr

1. Vergleiche von Mediadaten zwischen der Tageszeitung „Ö*****“ und anderen Tageszeitungen vorzunehmen und dabei nicht Vergleichbares miteinander in Beziehung zu setzen, etwa dahingehend, dass für einen Reichweitenvergleich zwischen der Tageszeitung „Ö*****“ und anderen Tageszeitungen für die Jahre 2017 und 2018 ein Produkt für die Tageszeitung „Ö*****“ herangezogen wird, das 2017 in der Reichweitenerhebung noch gar nicht ausgewiesen war;

2. Reichweitenvergleiche zwischen der Tageszeitung „Ö*****“ und anderen Tageszeitungen vorzunehmen, wenn dabei für die Reichweite der Tageszeitung „Ö*****“ lediglich selbst vermutete und nicht durch eine unabhängige Organisation, wie etwa den V*****, bestätigte Reichweiten behauptet werden;

3. Unter Berufung auf Erhebungen des V***** Reichweitenvergleiche zwischen der Tageszeitung „Ö*****“ und anderen Tageszeitungen vorzunehmen, wenn dabei gegen die Richtlinien des V***** verstoßen wird, etwa gegen das Gebot, relative Vergleiche mit Werten aus Vorjahren ausschließlich auf Basis der Reichweite in Prozenten anzustellen;

4. Reichweitenvergleiche zwischen der Tageszeitung „Ö*****“ und anderen Tageszeitungen vorzunehmen, wenn dabei für die Reichweite der Tageszeitung „Ö*****“ falsche Zahlen, insbesondere zu hohe prozentuelle Anstiege, angegeben werden.

[6] Die Klägerin erhob weiters ein Veröffentlichungsbegehren.

[7] Sie brachte im Wesentlichen vor, die in der MA 2018 ausgewiesene „Ö*****/o*****-Kombi“, also die gemeinsame Erfassung sowohl der Kaufversion („Ö*****“) als auch der Gratisausgabe („o*****“), gebe es erst seit Anfang Juli 2018. Für die (ausgewiesene) Kombination der beiden Titel gebe es daher keinen Vergleichswert für 2017. Die beanstandete Eigenwerbung habe den Inhalt, dass gemäß der MA 2018 „Ö*****“ an Reichweite gewonnen und „K*****“ verloren hätte. Zum Beweis dafür stelle die Beklagte für ihre eigenen Medien einen Vergleich an zwischen der bis Ende Juni 2018 am Markt befindlichen Kauf- und Gratis-Ausgabe „Ö*****“ (MA 2017: 523.000 Leser; MA 2018: 518.000 Leser) und einer erst seit Anfang Juli 2018 in der MA ausgewiesenen Kombination (Kaufversion „Ö*****“ und Gratis-Ausgabe „o*****“) (MA 2017: nicht vorhanden; MA 2018: 598.000 Leser), für die „K*****“ hingegen einen Vergleich zwischen 2017 und 2018, nämlich den Zahlen einerseits der MA 2017 (2.173.000 Leser) und andererseits der MA 2018 (2.035.000 Leser). Dieser Vergleich sei irreführend, weil er unterschiedliche Zeiträume bzw nicht vergleichbare Produkte miteinander in Beziehung setze. Zudem behaupte die Beklagte in irreführender Weise Reichweiten, die auf Fantasieberechnungen beruhten („die in Wahrheit [nach der wahren Auflage hochgerechnet] schon über eine Million Leser stark sein dürfte“, „könnte der Zugewinn mathematisch [aufs ganze Jahr gerechnet] sogar doppelt so groß sein: bis zu 30 %“). Die Werbung mit absoluten Leserzahlen sei unzulässig. Nach den Richtlinien des V*****, denen sich auch die Beklagte unterworfen habe, dürften relative Vergleiche mit Werten aus Vorjahren ausschließlich auf Basis der Reichweite in Prozenten angestellt werden. Hintergrund sei die ständige Veränderung der Bevölkerungszahl, die eine Werbung mit absoluten Leserzahlen irreführend mache. Eine Verletzung der Richtlinien des V***** sei wettbewerbswidrig. Die Beklagte habe mit falschen Zahlen geworben. Ein Anstieg von 7 auf 8 Prozentpunkte bedeute lediglich einen Anstieg von 14,3 % und nicht, wie behauptet, von 15 %.

[8] Die Beklagte beantragte die Abweisung der Klage und des Sicherungsantrags. Die Werbung sei nicht irreführend. Der V***** erhebe die Kategorie „Ö*****/o*****‑Kombi“ seit 1. 7. 2018, denn die Tageszeitung „Ö*****“ habe seit diesem Zeitpunkt ihren Gratisvertrieb eingestellt und werde nur noch als Kaufzeitung angeboten; „o*****“ werde hingegen ab dem 1. 7. 2018 als Gratiszeitung erhoben. Die Kombination aus der Kaufzeitung „Ö*****“ und der Gratiszeitung „o*****“ entspreche daher dem vor 1. 7. 2018 erhobenen Wert der Gratiszeitung „Ö*****“, wie er in der MA 2017 und in den Jahren davor ausgewiesen worden sei. Die Beklagte sei nicht Mitglied des V***** und daher an die Vereinsregeln nicht gebunden. Ein lauterkeitsrechtliches Gebot, sich ausschließlich auf Daten der MA zu stützen, bestehe nicht.

[9] Das Erstgericht gab dem Sicherungsbegehren und der Klage jeweils in den Antragspunkten 1 und 4 und dem darauf bezogenen Veröffentlichungsbegehren statt; die übrigen Klags- und Sicherungsanträge wurden abgewiesen. Der Irreführungstatbestand des § 2 UWG sei verwirklicht. Die Beklagte werbe für ihr konzernverbundenes Unternehmen mit einem Leserzuwachs von 75.000 Lesern und stelle diesen nicht nur marktschreierisch heraus, sondern setze ihn auch in Beziehung zu anderen Zeitungen, die keinen derartigen oder ähnlichen Leserzuwachs verzeichneten oder sogar Leser verloren hätten. Damit fördere die Beklagte den Wettbewerb ihrer Konzerngesellschaft mit einem Qualitätsmerkmal, das tatsächlich gar nicht vorliege, sei doch der Leserzuwachs nach den Feststellungen zum Großteil auf die Umbenennung der Gratiszeitung zurückzuführen, wodurch – anders als in der Vorperiode, mit welcher der Vergleich angestellt wurde – auch die bloßen Onlineleser erfasst seien. Die Beklagte verschweige diese Tatsache, um tatsachenwidrig einen Zuwachs von Lesern zu suggerieren und handle damit unlauter, weshalb die darauf gestützten Unterlassungsbegehren berechtigt seien. Unbegründet seien hingegen die weiters geltend gemachten Unterlassungsansprüche: Die gewünschte Zukunftsprognose an Leserzahlen sei für einen Durchschnittsleser so zu verstehen, dass es sich dabei um eine Wunschvorstellung der Beklagten handle, nicht jedoch um tatsächliche Reichweitenzahlen. Eine Irreführung liege dadurch nicht vor. Das zweite und das dritte Unterlassungsbegehren könne die Klägerin auch nicht mit Erfolg auf § 1 UWG, Fallgruppe Rechtsbruch, stützen. Die Beklagte sei nicht Mitglied des V***** und daher nicht an dessen Vereinsregeln gebunden. Die Veröffentlichung stehe der Klägerin hinsichtlich des stattgebenden Teils des Urteils zu.

[10] Das Gericht zweiter Instanz änderte die einstweilige Verfügung und das Urteil des Erstgerichts mittels Teilurteils dahin ab, dass es die Stattgebung der Begehren 1 und 4 und die Abweisung des Begehrens 3 bestätigte, aber zusätzlich noch dem Begehren 2 stattgab, die Kostenentscheidung im Umfang des Teilurteils der Endentscheidung vorbehielt und im Übrigen die angefochtene Entscheidung über das Veröffentlichungsbegehren und die Kostenentscheidung ohne Rechtskraftvorbehalt aufhob. Den Wert des Entscheidungsgegenstands bemaß das Gericht zweiter Instanz mit jeweils 30.000 EUR übersteigend, und es erklärte den Revisionsrekurs bzw die Revision für nicht zulässig. Die Formulierung Weil o***** erst im 2. Halbjahr erstmals erfasst wurde, könnte der Zugewinn mathematisch (aufs ganze Jahr gerechnet) sogar doppelt so groß sein: bis zu 30 % vermittle nicht den Eindruck einer Zukunftsprognose, sondern einer Hochrechnung des Leserzugewinns auf das gesamte (vergangene) Jahr 2018 und unterstelle, dass die Bewertung in der Vergangenheit unrichtig zu niedrig erfolgt sei. Die in den Raum gestellten 30 % an Leserzugewinn aufs ganze Jahr gerechnet seien im Übrigen nicht nachvollziehbar. Somit liege auch diesbezüglich (Begehren 2) eine irreführende Geschäftspraktik vor.

[11] Gegen die Abweisung des jeweiligen Begehrens 3 richten sich der außerordentliche Revisionsrekurs und die außerordentliche Revision der Klägerin, und zwar insoweit, als der Beklagten nicht auch untersagt wurde, im geschäftlichen Verkehr unter Berufung auf Erhebungen des V***** Reichweitenvergleiche zwischen der Tageszeitung „Ö*****“ und anderen Tageszeitungen vorzunehmen, wenn dabei gegen das Gebot der Richtlinien des V***** verstoßen werde, relative Vergleiche mit Werten aus Vorjahren ausschließlich auf Basis der Reichweite in Prozenten anzustellen. Nicht angefochten wurde die Abweisung des Unterlassungsgebots, mit dem der Beklagten ganz allgemein hätte untersagt werden sollen, gegen die Richtlinien des V***** zu verstoßen.

[12] In der ihr vom Senat freigestellten Revisionsbeantwortung beantragt die Beklagte, der Revision nicht Folge zu geben.

[13] Gegen den stattgebenden Teil des berufungsgerichtlichen Teilurteils richtet sich die außerordentliche Revision der Beklagten mit dem Antrag, sämtliche Unterlassungsbegehren abzuweisen.

[14] Die Klägerin beantragt in der freigestellten Revisionsbeantwortung, die Revision zurück- bzw abzuweisen.

Rechtliche Beurteilung

[15] Beide Revisionen sind zulässig, jene der Klägerin ist berechtigt und jene der Beklagten teilweise berechtigt; der Revisionsrekurs ist nicht zulässig.

[16] I. Zur Revision der Klägerin

[17] 1. Die Klägerin bestreitet nicht, dass ihr ursprüngliches Begehren (3) zu weit und unbestimmt formuliert war, meint jedoch, das Berufungsgericht hätte nur dem Insbesondere-Zusatz stattgeben müssen.

[18] 1.1. Nach der Rechtsprechung ist es zulässig, die konkrete Verletzungshandlung zu nennen und das Verbot auf ähnliche Eingriffe zu erstrecken (RIS‑Justiz RS0037607 [T18]; 4 Ob 147/18y), oder das unzulässige Verhalten verallgemeinernd zu umschreiben und durch insbesondere aufgezählte Einzelverbote zu verdeutlichen (4 Ob 88/10k). Werden in einem Urteilsspruch Beispielfälle unter „insbesondere“ angeführt, so wird das Unterlassungsgebot dadurch nur verdeutlicht, nicht aber eingeschränkt (RS0037634 [T5]; 4 Ob 206/18z mwN). Auch bei einer solchen allgemeineren Fassung des Urteilsbegehrens muss der Spruch den Kern der Verletzungshandlung erfassen (4 Ob 166/19v; 4 Ob 25/20k). Wird mit der allgemeinen Umschreibung aber der Kern der Verletzungshandlung nicht erfasst, so kann das Verbot auf den insbesondere-Zusatz eingeschränkt und der überschießende Teil abgewiesen werden (4 Ob 206/18z; 4 Ob 79/13s; 4 Ob 95/98v).

[19] 1.2. Entgegen der Ansicht von Rami (Unterlassungsklage: Wie konkret muss der Anspruch gefasst sein, ecolex 2017, 48 [50]) ist es aber nicht möglich, nur das insbesondere-Verbot zu erlassen, wenn dieses nicht zur verallgemeinernden Umschreibung (Kern der Verletzungshandlung) passt. Denn damit würde ein aliud zugesprochen. Der insbesondere-Zusatz hat auch nicht die Funktion eines Eventualbegehrens.

[20] 1.3. Ausgehend vom hier zugrunde liegenden Begehren muss sich somit das Unterlassungsgebot im Kern am konkreten Wettbewerbsverstoß orientieren und der insbesondere -Zusatz unter das Kernverbot subsumieren lassen.

[21] 2.1. Im vorliegenden Fall begehrt die Klägerin, der Beklagten zu verbieten, „im geschäftlichen Verkehr unter Berufung auf Erhebungen des V***** Reichweitenvergleiche zwischen der Tageszeitung 'Ö*****' und anderen Tageszeitungen vorzunehmen, wenn dabei gegen die Richtlinien des V***** verstoßen wird, etwa gegen das Gebot, relative Vergleiche mit Werten aus Vorjahren ausschließlich auf Basis der Reichweite in Prozenten anzustellen“. Der Beklagten soll also untersagt werden, Reichweitenvergleiche vorzunehmen, wenn sie damit ganz allgemein, also ohne jede weitere Konkretisierung, gegen die Richtlinien des V***** verstößt.

[22] 2.2. In diesem Fall ist die verallgemeinernde Umschreibung zu weit, weshalb eine Verurteilung nur zum insbesondere-Zusatz (als minus) zulässig ist.

[23] 3.1. Zu den Richtlinien des Vereins Ö***** (Ö*****), zu dessen Mitgliedern inländische Werbeagenturen und Medienunternehmen zählen, hat der Senat schon ausgesprochen, dass diese der Regelung des Wettbewerbs zwischen den Mitgliedsverlagen dienen. Die Werbeverbote der Richtlinien haben offenkundig den Zweck, andere Mitgliedsverlage vor einer möglicherweise irreführenden Werbung mit ermittelten Daten zu schützen. Ein Verstoß gegen diese Richtlinien verwirklicht somit auch einen Verstoß gegen wettbewerbsrelevante Vertragspflichten. Die Verletzung dieser zugunsten Dritter bestehenden Vertragspflichten ist jedenfalls geeignet, den Wettbewerb zwischen den Mitgliedern der Ö***** zu beeinträchtigen. Sie begründet daher als sonstige unlautere Handlung iSv § 1 Abs 1 Z 1 UWG Unterlassungsansprüche der durch die Vereinbarung geschützten Mitbewerber (4 Ob 4/10g [2.]; 4 Ob 152/12k).

[24] Für die Richtlinien des V***** als einem auf freiwilliger Mitgliedschaft beruhenden Zusammenschluss von wichtigen inländischen Verlagen und Werbeagenturen kann nichts anderes gelten. Auch dieser Verein befasst sich mit der Erhebung von Mediadaten und ist auf diesem Gebiet eine anerkannte Institution (vgl 4 Ob 56/19t [1.]).

[25] 3.2. Die Beklagte selbst ist nicht Mitglied des V*****, wohl aber eine ihr konzernverbundene Gesellschaft.

[26] 3.3. Der Senat hat in einer Reihe von Entscheidungen ausgesprochen, dass Verletzungen des Ehrenkodex des Österreichischen Presserats als sonstige unlautere Handlung nach § 1 Abs 1 Z 1 UWG auch gegen Nichtmitglieder verfolgt werden können. Der Ehrenkodex ist für Nichtmitglieder zwar kein verbindliches Recht, definiert jedoch den Standard der beruflichen Sorgfalt iSd § 1 Abs 4 Z 8 UWG (4 Ob 62/14t; 4 Ob 45/17x; 4 Ob 77/17b). Die Klägerin zeigt zutreffend auf, dass diese Rechtsprechung auch für die Richtlinien des V***** einschlägig ist. Auch diese Richtlinien spiegeln den Konsens der Vereinsmitglieder betreffend die Anforderungen an die berufliche Sorgfalt im Zusammenhang mit der Werbung mit Reichweitenzahlen von Medien wieder. Im Sinne der angeführten Rechtsprechung zum UWG kann daher auch ein Verstoß durch Nichtmitglieder gegen diese Richtlinien als Sorgfaltsverstoß geltend gemacht werden.

[27] 3.4. Im Sinne der oben zitierten Rechtsprechung ist auch die Beklagte verpflichtet, sich an diese Richtlinien des V***** zu halten. Die darin enthaltenen Werbebeschränkungen mit Daten der MA sollen nicht dadurch umgangen werden (können), dass Mitglieder richtlinienwidrige Werbung für ihre Medien nicht selbst, sondern durch Konzerngesellschaften betreiben (lassen).

[28] Der Unterlassungsanspruch besteht somit auch zum Begehren 3 im revisionsgegenständlichen (eingeschränkten) Umfang zu Recht. Der Revision der Klägerin ist daher Folge zu geben.

[29] II. Zur Revision der Beklagten

[30] 1. Unterlassungsbegehren 1 (I.1. des Spruchs des Berufungsurteils)

[31] Die Beklagte rügt zunächst, das Begehren sei überschießend, weil ihr allgemein geboten werde, nicht Vergleichbares in Beziehung zu setzen; der etwa-Zusatz schränke dies nicht ein.

[32] 1.1. Auch in diesem Zusammenhang stellt sich wieder die Frage, ob von der verallgemeinernden Umschreibung des Unterlassungsgebots der Kern der Verletzungshandlung umfasst ist und sich der insbesondere-Zusatz darunter subsumieren lässt.

[33] 1.2. Das beantragte und erlassene Verbot bezieht sich ganz allgemein darauf, „nicht Vergleichbares miteinander in Beziehung zu setzen“; diese verallgemeinernde Fassung ist zu weit. Das Unterlassungsgebot ist auf die konkrete und als solche auch benannte Verletzungshandlung einzuschränken.

[34] 1.3. Die Beklagte ist der Ansicht, sie habe ohnedies Vergleichbares beworben. Dies ist unzutreffend.

[35] 1.4. Abzustellen ist nach dem Urteilsspruch darauf, dass die Beklagte ein Produkt für einen Vergleich zwischen 2017 und 2018 herangezogen hat, das 2017 in der MA noch gar nicht ausgewiesen war (Ö*****/o*****‑Kombi).

[36] 1.5. Das durch einen Reichweitenvergleich von Tageszeitungen angesprochene Publikum erwartet eine aussagekräftige Mitteilung darüber, von wie vielen Personen eine bestimmte Zeitung tatsächlich gelesen wird. Die Publikumserwartung bezieht sich dabei auf ein reales, auf dem Markt erhältliches Produkt. Eine eigene Reichweitenposition kann daher auch nur einem auf dem Markt existenten Produkt zugeordnet werden. Ein rein mathematischer Wert, der sich aus einer (um DoppelleserInnen) bereinigten Summe der Leserzahlen von zwei Tageszeitungen ergibt, kommt dafür nicht in Betracht (4 Ob 42/20k; 4 Ob 112/20d). Hinzu kommt, dass in dem verglichenen Produkt Ö*****/o*****‑Kombi erstmals auch Leser der Online-Ausgabe erfasst wurden; auch deswegen sind die Produkte nicht vergleichbar. Das dazu gleich wie hier erstattete Vorbringen hat der Senat zu 4 Ob 47/20w bereits als ausreichend und die entsprechende Feststellung des Erstgerichts als nicht überschießend beurteilt. Indem die Revision dagegen die Aussage eines Zeugen anführt, übersieht sie, dass die entsprechende Beweisrüge vom Berufungsgericht mangelfrei erledigt wurde.

[37] 2. Unterlassungsbegehren 4 (I.2. des Spruchs des Berufungsurteils)

[38] 2.1. Die Behauptung, das Begehren sei zu weit gefasst und werde durch insbesondere- Verbote nicht eingeschränkt, ist nicht nachvollziehbar. Verboten werden sollen Reichweitenvergleiche mit falschen Zahlen, insbesondere mit zu hohen prozentuellen Anstiegen. Nach dem zuvor zu Pkt 1.5. Gesagten ist auch dieses Verbot berechtigt.

[39] 2.2. Dass die angegebene Steigerungszahl (15 % statt 14,3 %) unrichtig ist, wird von der Beklagten nicht bestritten. Damit hat sie aber auch hinsichtlich der Reichweite von „Ö*****“ falsche Angaben gemacht.

[40] 2.3. Wie das Berufungsgericht ausgeführt hat, entspricht eine Differenz von 0,7 % rund 52.000 Lesern. Dass damit eine spürbare Nachfrageverlagerung einhergehen kann, ist zutreffend. Die prozentuelle Differenz darf – entgegen der Revision – nämlich nicht isoliert ins Kalkül gezogen werden. Zu berücksichtigen ist vielmehr auch das Ausmaß der absoluten Überschreitung (vgl 4 Ob 231/17z).

[41] 3. Unterlassungsbegehren 2 (I.3. des Spruchs des Berufungsurteils)

[42] 3.1. Mit diesem Begehren will die Klägerin der Beklagten untersagen, Reichweitenvergleiche zu betreiben, wenn dabei nur eine selbst vermutete (und nicht durch unabhängige Institutionen bestätigte) Reichweite behauptet wird. Das Begehren zielt damit nicht auf die Irreführung des Publikums über den Inhalt einer unabhängigen „Quelle“ der angegebenen Reichweite ab.

[43] 3.2. Werbung mit Reichweitenangaben ist ähnlich streng zu beurteilen wie vergleichende Werbung. Es darf aber nicht nur mit dem Inhalt einer unabhängigen Quelle, sondern auch mit einer realistischen, bloß erwarteten Reichweite geworben werden. Dabei muss aber ausreichend offen gelegt werden, dass es sich um eine mehr oder minder realistische Zukunftsprognose handelt und diese Prognose auf realistischer Grundlage beruht (vgl 4 Ob 67/93).

[44] 3.3. Im vorliegenden Fall hat die Beklagte den Anschein einer realistischen Prognoserechnung und sogar eines bereits bestehenden, jedoch noch nicht ausgewiesenen Zustands erweckt („könnte der Zugewinn mathematisch – aufs ganze Jahr gerechnet – sogar doppelt so groß sein; bis zu 30 %), ohne deutlich darauf hinzuweisen, dass es sich dabei eben nur um eine Hoffnung für die Zukunft ohne realistische Grundlage handelt. Indem sie den vermeintlichen Zugewinn an Lesern schlicht verdoppelt hat, hat sie den Leserkreis gleich zweifach durch Verschweigen irregeführt: Einerseits basiert der Zugewinn im Wesentlichen auf der erstmaligen Erfassung der Onlineleser, andererseits fehlt jede Angabe zu einer realistischen Grundlage dieser Prognose. Selbst wenn die Beklagte Leser zugewonnen haben sollte, lässt sich daraus noch nicht der zwingende Schluss für die Zukunft ziehen, dass sie weiterhin Leser in genau gleichem Ausmaß (linear) hinzugewinnen werde. Damit erweist sich die Werbung mit dieser Prognose als irreführend.

[45] 3.4. Der Unterlassungstitel ist somit im Sinne der obigen Ausführungen dahin einzuschränken, dass der Beklagten nur untersagt wird, lediglich selbst vermutete und nicht durch nachvollziehbare und realistische Prognosen unterlegte Reichweiten zu behaupten.

[46] Der Revision der Beklagten ist daher insoweit sowie hinsichtlich des Begehrens 1 (siehe oben zu 1.2.) teilweise Folge zu geben.

[47] III. Der Kostenvorbehalt gründet sich auf § 52 Abs 3 ZPO.

[48] IV. Zum Revisionsrekurs der Klägerin

[49] Das Rekursgericht hat als Berufungsgericht in der Hauptsache hinsichtlich der auch im Sicherungsverfahren relevanten Anträge entschieden. Über die dagegen eingebrachte Revision entscheidet der Senat mit obigem Urteil. Aufgrund der nunmehr getroffenen unanfechtbaren Entscheidung in der Hauptsache fehlt dem Revisionsrekurs im Provisorialverfahren daher das Rechtsschutzbedürfnis (vgl 4 Ob 59/16d mwN). Der Revisionsrekurs ist somit zurückzuweisen.

[50] Der nachträgliche Wegfall der Beschwer ist jedoch gemäß § 50 Abs 2 ZPO bei der Entscheidung über die Kosten des Rechtsmittelverfahrens nicht zu berücksichtigen. Bei der Kostenentscheidung ist der Erfolg des Rechtsmittels hypothetisch nachzuvollziehen, sodass der Rechtsmittelwerber, der ohne Wegfall der Beschwer seine Kosten erhalten hätte, diese auch so zugesprochen bekommt (vgl 3 Ob 1/00v).

[51] Im vorliegenden Fall ist die Klägerin mit der gleichlautenden Revision durchgedrungen. Da im Hauptverfahren noch kein Endurteil ergeht und die Kostenentscheidung diesem vorbehalten bleibt, ist hinsichtlich der Kosten des Revisionsrekurses gemäß § 393 EO auszusprechen, dass die Klägerin die Kosten ihres Revisionsrekurses vorläufig selbst zu tragen hat. Das Erstgericht wird mit dem Endurteil auch über die Kosten des Sicherungsverfahrens endgültig abzusprechen haben.

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