European Case Law Identifier: ECLI:AT:OGH0002:2017:0040OB00231.17Z.1221.000
Spruch:
Der Revision wird Folge gegeben.
Das Urteil des Berufungsgerichts wird aufgehoben. Dem Berufungsgericht wird die neuerliche Entscheidung über die Berufung aufgetragen.
Die Kosten des Revisionsverfahrens sind weitere Verfahrenskosten.
Begründung:
Die erstklagende Partei ist Liegenschaftseigentümerin und Betreiberin eines Einkaufszentrums in der Steiermark. Die zweitklagende Partei ist mit der Verwaltung und Bewerbung dieses Einkaufszentrums betraut.
Die erstbeklagte Partei ist die Errichterin und Eigentümerin eines Einkaufszentrums in Salzburg. Sie ist Inhaberin (Bescheidadressatin) mehrerer öffentlich-rechtlicher Genehmigungen. Die zweitbeklagte Partei entwickelte, betreibt und bewirbt das Einkaufszentrum und hat die entsprechenden Liegenschaften von der erstbeklagten Partei in Bestand genommen. Gemäß der VO LGBl Salzburg 2001/67 ist für das Einkaufszentrum der beklagten Parteien eine Gesamtverkaufsfläche von maximal 41.250 m² zulässig.
Die Entfernung zwischen beiden Zentren beträgt ca 287 km. Zum Teil sind die Bestandnehmer beider Einkaufszentren ident.
Die klagenden Parteien begehren mit ihrer auf unlauteren Rechtsbruch (§ 1 Abs 1 Z 1 UWG) gestützten Klage, den beklagten Parteien das Betreiben oder Anbieten von Verkaufsflächen mit einer Fläche von mehr als 41.250 m² zu untersagen und stellen ein Urteilsveröffentlichungsbegehren. Sie warfen den beklagten Parteien das Überschreiten der zulässigen Verkaufsfläche nach der VO LGBl Salzburg 2001/67 bzw nach dem geltenden UVP‑Bescheid im Ausmaß von mindestens 800 m2 vor. Der Begriff der Verkaufsfläche richte sich nach § 32 Abs 2 Salzburger ROG 2009. Mehrere Geschäfte befänden sich auf Flächen, die zum Zeitpunkt des UVP‑Verfahrens nicht als Verkaufsflächen definiert gewesen seien. Darüber hinaus seien die Verkaufsflächen von mehreren Geschäften vergrößert worden. Durch die Verkaufsflächenüberschreitung lasse sich ein zusätzlicher monatlicher Bestandzins von ca 24.000 EUR verdienen. Die beklagten Parteien verletzten die einschlägigen öffentlich-rechtlichen Bestimmungen ganz bewusst, weil sie wüssten, dass dies den geschäftlichen Verkehr zu ihren Gunsten erheblich beeinflusse. Die erstbeklagte Partei sei als Gesellschafterin in der Lage, auf die zweitbeklagte Partei Einfluss zu nehmen, auch der Bestandvertrag gewähre ihr Einfluss auf die zweitbeklagte Partei.
Die beklagten Parteien bestritten ein Wettbewerbsverhältnis zwischen den Streitteilen und einen Verstoß gegen die Begrenzung der Gesamtverkaufsfläche. Die Verkaufsfläche laut Umweltverträglichkeitserklärung unterscheide sich von jener laut rechtskräftigem Abnahmebescheid, auf die allein abzustellen sei. Die Verkaufsflächenbeschränkung von 41.250 m² für Handelsbetriebe entsprechend der Standorte‑Verordnung werde eingehalten. Auch eine allfällige Überschreitung der zulässigen Verkaufsfläche könnte keine Verurteilung rechtfertigen. Nicht jede Überschreitung sei geeignet, eine nicht unerhebliche Nachfrageverlagerung zu bewirken. Nur bei Überschreiten einer Toleranzschwelle könne von der Eignung einer nicht bloß unerheblichen Nachfrageverlagerung gesprochen werden. Die behauptete Überschreitung sei nicht erheblich.
Das Erstgericht wies die Klage ab. Es ging von den eingangs zusammengefassten Feststellungen aus und traf folgende weitere Feststellung, die die beklagten Parteien in der Berufungsbeantwortung bekämpften:
Die Beklagten überschreiten im Betrieb des Einkaufszentrums … die genehmigten Verkaufsflächen um 800 m².
In rechtlicher Hinsicht bejahte das Erstgericht ein Wettbewerbsverhältnis zwischen den Streitteilen und die Aktivlegitimation der klagenden Parteien. Die Überschreitung der höchstzulässigen Verkaufsfläche liege aber nur bei 1,94 %. Eine derartige geringfügige Überschreitung sei nicht geeignet, eine nicht bloß unerhebliche Nachfrageverlagerung – weder am Endkundenmarkt noch am Markt der Inbestandgabe von Geschäftsflächen – zu generieren.
Das Berufungsgericht bestätigte die Klagsabweisung. Die Argumente der klagenden Parteien zur Spürbarkeit des Wettbewerbsverstoßes hätten zwar einiges für sich, darauf komme es aber nicht an. Zu berücksichtigen sei der unstrittige Inhalt des von den beklagten Parteien vorgelegten Abnahmebescheids, wonach Abweichungen im Dezember 2008 genehmigt worden seien. Die klagenden Parteien hätten danach kein Vorbringen erstattet, auf das sich ein Rechtsbruch gründen ließe. Die bloße Behauptung, es bestehe eine Verkaufsflächenüberschreitung von etwa 800 m², ließe mangels Konkretisierung eine Beweisaufnahme lediglich in Form eines Erkundungsbeweises zu oder belastete – zu Unrecht – die beklagten Parteien mit dem Beweis der Verordnungskonformität.
Das Berufungsgericht sprach aus, dass der Wert des Entscheidungsgegenstands 30.000 EUR übersteigt und ließ die Revision mangels Rechtsfragen von der Qualität des § 502 Abs 1 ZPO nicht zu.
Gegen diese Entscheidung richtet sich die außerordentliche Revision der klagenden Parteien mit dem Antrag, das angefochtene Urteil dahin abzuändern, dass der Klage stattgegeben werde. Hilfsweise wird ein Aufhebungsantrag gestellt. Das Berufungsgericht sei ohne Beweisverfahren von den Feststellungen des Erstgerichts abgewichen.
Die beklagten Parteien beantragen in ihrer Revisionsbeantwortung, das Rechtsmittel zurückzuweisen, hilfsweise ihm nicht Folge zu geben.
Die Revision ist aus dem im Rechtsmittel aufgezeigten Grund zulässig und berechtigt.
Rechtliche Beurteilung
1.1 Das Berufungsgericht hat die Frage, ob die Klage schlüssig ist, falsch beurteilt.
1.2 Ein Klagebegehren ist rechtlich schlüssig, wenn das Sachbegehren des Klägers materiell‑rechtlich aus den zu seiner Begründung vorgetragenen Tatsachenbehauptungen abgeleitet werden kann (RIS‑Justiz RS0037516).
1.3 Der auf Rechtsbruch gestützte Unterlassungsanspruch setzt auf Sachverhaltsebene den Verstoß gegen eine (bestimmte) generelle abstrakte Norm voraus. Er besteht daher nur dann zu Recht, wenn die Beklagte dadurch verbotswidrig (und damit unlauter iSd § 1 UWG) gehandelt hat, dass sie gegen eine der im Sachvorbringen genannten Verbotsnormen verstoßen hat (RIS‑Justiz RS0129497).
1.4 Die klagenden Parteien haben den Vorwurf des Rechtsbruchs im Sinne des § 1 Abs 1 UWG auf ein Überschreiten der höchstzulässigen Gesamtverkaufsfläche im Ausmaß von mindestens 800 m2 gestützt und in diesem Zusammenhang einen Verstoß gegen die VO LGBl Salzburg 2001/67 bzw den UVP‑Bescheid behauptet. Damit lässt sich aus dem klägerischen Vorbringen das Unterlassungsbegehren ableiten, sodass die Klage schlüssig ist.
1.5 Es kann in diesem Zusammenhang auch von keinem unzulässigen Erkundungsbeweis gesprochen werden, der jedenfalls dann nicht vorliegt, wenn die antragstellende Partei einen konkreten rechtserheblichen Sachverhalt als Beweisthema vorträgt, selbst wenn sie im Zeitpunkt der Antragstellung von dem Bestand und der Richtigkeit des vorgetragenen Sachverhalts keineswegs überzeugt ist (RIS‑Justiz RS0039973).
2.1 Das Erstgericht hat festgestellt, „dass die Beklagten im Betrieb des Einkaufszentrums … die genehmigten Verkaufsflächen um 800 m² überschreiten“. Diese (angefochtene) Feststellung korrespondiert mit dem referierten Vorbringen der klagenden Parteien.
2.2 Von diesen Feststellungen ist das Berufungsgericht ohne Beweiswiederholung abgewichen. Es legte seiner Entscheidung zugrunde, dass mit dem Abnahmebescheid vom 2. 12. 2008 (= Beilage ./19) Änderungen gegenüber der ursprünglichen UVP‑Genehmigung bewilligt worden seien und das Klagsvorbringen (zum Ausmaß der Flächenüberschreitung um mindestens 800 m2)daher auf einer früheren und überholten Grundlage beruhe. Damit liegt die vom Rechtsmittel gerügte Mangelhaftigkeit des Berufungsverfahrens wegen Verletzung des Unmittelbarkeitsgrundsatzes vor, weil das Berufungsgericht (zum Ausmaß der Flächenüberschreitung um mindestens 800 m2) ohne Beweiswiederholung von den Feststellungen des Erstgerichts abging bzw diese Feststellungen aufgrund der in erster Instanz aufgenommenen Beweise ergänzte (RIS‑Justiz RS0043057).
2.3 Wohl kann eine im Verfahren vorgelegte Urkunde, die ihrem Inhalt nach unstrittig ist, der Entscheidung des Rechtsmittelgerichts ohne weiteres zugrundegelegt werden, zumal es auch sonst unbedenklich ist, unstrittiges Parteivorbringen der Entscheidung zugrunde zu legen (RIS‑Justiz RS0121557). Die Heranziehung der vom Berufungsgericht erwähnten Urkunde ist aber nicht im Sinne des Rechtssatzes RIS‑Justiz RS0121557 dazu geeignet, von den vom Erstgericht getroffenen Feststellungen ohne Beweisaufnahme abzugehen. Aus dem Protokoll über die Tagsatzung (am 20. 2. 2017) kann nicht im Ansatz ein zwischen beiden Parteien unstrittiger Inhalt der Urkunde dahin entnommen werden, dass die festgestellte Flächenüberschreitung von 800 m2 genehmigt wurde bzw der Klagsvorwurf damit als überholt gilt. Die klagenden Parteien haben bei der Urkundenvorlage vielmehr ausdrücklich bestritten, dass der Bescheid aus dem Jahr 2008 die damalige Situation wiedergab und der von ihnen behaupteten Flächenüberschreitung entspreche. Hinzu kommt, dass sich das Erstgericht in seiner Beweiswürdigung mit dieser Urkunde ausdrücklich auseinandergesetzt hat und diese als ungeeignet qualifizierte, die Tatsachenbehauptungen der beklagten Parteien zur angeblich nicht (mehr) vorliegenden Flächenüberschreitung nachzuweisen. Die Urkundenvorlage des erwähnten Bescheids musste die klagenden Parteien auch nicht veranlassen, ihr bisheriges Vorbringen zur Flächenüberschreitung (noch) weiter zu präzisieren.
3. Die aufgezeigte Mangelhaftigkeit des Berufungsverfahrens war relevant (siehe unten) und führt zur Aufhebung der Entscheidung, zumal die beklagten Parteien in ihrer Berufungsbeantwortung die referierte Feststellung zur Flächenüberschreitung mit Beweisrüge bekämpften, die vom Berufungsgericht bisher nicht behandelt wurde.
4. Die Mangelhaftigkeit des Berufungsverfahrens war deshalb relevant, weil der lauterkeitsrechtliche Unterlassungsanspruch weder an der fehlenden Aktivlegitimation noch an der Unerheblichkeit der Wettbewerbsbeeinträchtigung scheitert bzw grundsätzlich dann zu bejahen ist, wenn sich die Beweisrüge als unberechtigt erweist.
4.1 Zutreffend hat bereits das Erstgericht das Vorliegen eines Wettbewerbsverhältnisses bejaht. Im Rahmen des § 14 UWG bedarf es keiner eigenen Beeinträchtigung des klagenden Mitbewerbers durch den Wettbewerbsverstoß (kein konkretes Wettbewerbsverhältnis), sondern es reicht wegen des auch öffentlichen Interesses an der Ausschaltung unlauterer Wettbewerbshandlungen aus, dass abstrakt eine Beeinträchtigung theoretisch möglich erscheint (Kodek/Leupold in Wiebe/Kodek, UWG2 § 14 Rz 96). Es genügt zur Begründung einer Mitbewerbereigenschaft, wenn sich der Kundenkreis auch nur zum Teil oder lediglich vorübergehend überschneidet (RIS‑Justiz RS0077680), was hier vom Erstgericht unter Hinweis auf den Umstand, dass die Streitteile Einkaufszentren betreiben bzw in Bestand geben, zu Recht bejaht wurde.
4.2 Die von § 1 Abs 1 Z 1 UWG verlangte Eignung der unlauteren Handlung, den Wettbewerb zum Nachteil von Unternehmen nicht nur unerheblich zu beeinflussen, ist zu bejahen, denn die beklagten Parteien verschaffen sich dadurch gegenüber anderen Betreibern bzw Vermietern von Einkaufszentren, die sich rechtstreu verhalten, einen evidenten Geschäftsvorteil. Entgegen der Ansicht des Erstgerichts darf dabei die prozentuelle Flächenüberschreitung nicht isoliert ins Kalkül gezogen werden. Zu berücksichtigen ist vielmehr auch das Ausmaß der absoluten Überschreitung von immerhin 800 m2. Durch diese beträchtliche Fläche, auf der jedenfalls ein größeres Verkaufsgeschäft oder auch mehrere mittlere bzw kleinere Geschäftslokale betrieben werden könnten, wird die erforderliche Mindestintensität des Rechtsbruchs jedenfalls erreicht, zumal für die Attraktivität eines Einkaufszentrums auch der Umfang des Angebots entscheidend ist (4 Ob 38/06a – Shopping City).
5. Damit war die Entscheidung des Berufungsgerichts aufzuheben. Das Berufungsgericht wird sich auch mit der Beweisrüge zu befassen und dazu Stellung zu nehmen haben.
6. Die Kostenentscheidung beruht auf §§ 40, 52 ZPO.
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