OGH 4Ob126/20p

OGH4Ob126/20p22.9.2020

Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsrekursgericht durch den Senatspräsidenten Dr. Vogel als Vorsitzenden und die Hofräte Dr. Schwarzenbacher, Hon.‑Prof. Dr. Brenn, Hon.‑Prof. PD Dr. Rassi und MMag. Matzka als weitere Richter in der Rechtssache der klagenden Partei S* GmbH, *, vertreten durch Beer & Steinmair Rechtsanwälte OG in Wien, gegen die beklagte Partei F*, vertreten durch Dr. Erich Kaltenbrunner, Rechtsanwalt in Linz, wegen Unterlassung (Streitwert im Sicherungsverfahren 43.200 EUR), über den außerordentlichen Revisionsrekurs der beklagten Partei gegen den Beschluss des Oberlandesgerichts Linz als Rekursgericht vom 10. Juni 2020, GZ 1 R 70/20z‑10, mit dem der Beschluss des Landesgerichts Linz vom 2. März 2020, GZ 2 Cg 2/20x‑4, teilweise abgeändert wurde, den

Beschluss

gefasst:

European Case Law Identifier: ECLI:AT:OGH0002:2021:E129478

Rechtsgebiet: Zivilrecht

 

Spruch:

Dem Revisionsrekurs wird Folge gegeben.

Die angefochtene Entscheidung wird dahin abgeändert, dass der zur Gänze abweisende Beschluss des Erstgerichts einschließlich der Kostenentscheidung wiederhergestellt wird.

Die klagende Partei hat ihre Kosten des Rechtsmittelverfahrens endgültig selbst zu tragen; sie ist zudem schuldig, der beklagten Partei die mit 4.063,50 EUR (darin enthalten 677,25 EUR USt) bestimmten Kosten des Rechtsmittelverfahrens binnen 14 Tagen zu ersetzen.

 

Begründung:

Die Klägerin ist unter anderem gewerbliche Vermögensberaterin und Versicherungsmaklerin. Der Beklagte verfügt ebenfalls über die Gewerbeberechtigungen als Vermögensberater und Versicherungsmakler. Er war zunächst als vertraglich gebundener Vermittler für die Klägerin tätig. Mit Schreiben vom 25. September 2019 kündigte er das Vertragsverhältnis zur Klägerin zum 31. Dezember 2019 auf. Bei einem Gespräch am 19. November 2019 kamen die Parteien überein, dass die Kunden selbst entscheiden könnten, welchen Betreuer sie zukünftig haben möchten. Nunmehr arbeitet der Beklagte mit einem anderen Unternehmen zusammen, das im selben Geschäftsbereich wie die Klägerin tätig ist.

Ab 1. Jänner 2020 – und damit nach Beendigung seiner Tätigkeit für die Klägerin – teilte der Beklagte den bisher von ihm betreuten Kunden mit, dass eine weitere Betreuung durch ihn nur unter einem anderen Haftungsdach möglich sei. Dazu erklärte er, dass die Kunden schriftlich mitteilen könnten, wenn sie keinen Kontakt mehr mit der Klägerin haben und die Vollmacht zu dieser kündigen möchten. Zudem verwies er darauf, dass ein Betreuerwechsel der freien Entscheidung des Kunden obliege. Gleichzeitig versandte er an seine bisherigen Kunden ein vorformuliertes an die Klägerin gerichtetes Musterschreiben mit folgendem für das Revisionsrekursverfahren wesentlichen Inhalt:

„Sehr geehrte Damen und Herren!

Ich darf Sie zunächst darüber informieren, dass ich ab sofort nicht mehr durch Ihr Unternehmen bzw durch Ihre Berater kontaktiert werden möchte; [...]

Ich widerrufe mit sofortiger Wirkung sämtliche von mir erteilte Vollmachten und erkläre die sofortige Beendigung jedwedes Betreuungsverhältnisses durch Ihr Unternehmen. [...]

In der Folge retournierten 121 früher vom Beklagten betreute Kunden die von ihnen mit Ort und Datum versehenen und unterschriebenen Musterschreiben an den Beklagten, der diese gesammelt per Telefax an die Klägerin übermittelte.

Zur Sicherung ihres inhaltsgleichen, auf § 1 Abs 1 Z 1 UWG gestützten, Unterlassungsbegehrens beantragte die Klägerin die Erlassung einer einstweiligen Verfügung, mit der dem Beklagten – soweit für das Revisionsrekursverfahren von Bedeutung – verboten werden soll, im geschäftlichen Verkehr Kunden der Klägerin zur Beendigung der Geschäftsbeziehung zu dieser dadurch zu verleiten, dass den Kunden vorformulierte Schreiben zur Verfügung gestellt werden, die eine Aufforderung an die Klägerin enthalten, die Kunden nicht mehr zu kontaktieren. Der Beklagte werbe Kunden der Klägerin sittenwidrig ab. Er beeinflusse die Kunden unsachlich und nehme der Klägerin durch das vorformulierte Kontaktverbot auch die Möglichkeit, die Kunden von ihren Leistungen zu überzeugen und wieder für sich zu gewinnen. Dadurch werde der Leistungswettbewerb verhindert.

Der Beklagte entgegnete, dass er die bisher von ihm betreuten Kunden lediglich sachlich über ihre Möglichkeit eines Betreuerwechsels informiert habe. Er habe die Kunden weder unsachlich beeinflusst noch sich einen unlauteren Wettbewerbsvorteil verschafft. Die Kunden hätten auf Basis der erteilten Informationen die Entscheidung selbst getroffen.

Das Erstgericht wies das Sicherungsbegehren ab. Ein Verstoß gegen die guten Sitten liege auch im Rahmen des Behinderungswettbewerbs nur dann vor, wenn verwerfliche Mittel angewandt würden, was dann anzunehmen sei, wenn die Wettbewerbsfähigkeit des Konkurrenten beeinträchtigt werden solle. Eine unsachliche Beeinflussung der Kunden durch den Beklagten sei nicht bescheinigt. Vielmehr hätten die bisher vom Beklagten betreuten Kunden freiwillig über ein Kontaktverbot der Klägerin sowie über die Vollmachtsauflösung zu dieser entscheiden können.

Das Rekursgericht gab dem Rekurs der Klägerin im hier relevanten Umfang Folge und erließ die beantragte Einstweilige Verfügung, mit der dem Beklagten zusammengefasst verboten wurde, Kunden der Klägerin durch Zurverfügungstellung des beanstandeten vorformulierten Schreibens zur Beendigung der Geschäftsbeziehung zur Klägerin zu verleiten. Ein unlauterer Behinderungswettbewerb liege bereits dann vor, wenn eine zunächst unbedenkliche Wettbewerbshandlung durch das Hinzutreten besonderer Umstände zu einer unmittelbar gegen den Mitbewerber gerichteten Behinderungsmaßnahme werde. Das Kontaktverbot im beanstandeten Musterschreiben könne es der Klägerin erschweren oder unmöglich machen, ihre Leistungen gegenüber ihren früheren Kunden zur Geltung zu bringen. Insoweit werde die Klägerin für die Zukunft vom Leistungsvergleich ausgeschlossen und aus dem Leistungswettbewerb ausgeschaltet. Mit dem Kontaktverbot habe sich der Beklagte eines unlauteren Mittels bedient, weshalb die beantragte einstweilige Verfügung zu erlassen gewesen sei. Der ordentliche Revisionsrekurs sei mangels erheblicher Rechtsfrage nicht zulässig.

Gegen diese Entscheidung richtet sich der außerordentliche Revisionsrekurs des Beklagten, der auf die Wiederherstellung der abweisenden Entscheidung des Erstgerichts abzielt.

Mit ihrer – vom Obersten Gerichtshof freigestellten – Revisionsrekursbeantwortung beantragt die Klägerin, das Rechtsmittel der Gegenseite zurückzuweisen, in eventu, diesem den Erfolg zu versagen.

Rechtliche Beurteilung

Der Revisionsrekurs ist entgegen dem – den Obersten Gerichtshof nicht bindenden – Ausspruch des Rekursgerichts zulässig, weil die Entscheidung des Rekursgerichts einer Korrektur durch den Obersten Gerichtshof bedarf. Dementsprechend ist der Revisionsrekurs auch berechtigt.

1. Der Beklagte führt in seinem Rechtsmittel aus, dass durch die Überlassung des von ihm vorformulierten Kündigungsschreibens an die bisher von ihm betreuten Kunden kein unlauterer Behinderungswettbewerb verwirklicht worden sei, weil besondere Umstände, die eine verpönte Vorgangsweise begründen könnten, nicht gegeben seien. Außerdem handle es sich bei dem im Musterschreiben ausgedrückten Kontaktverbot der Klägerin lediglich um einen manifesten Hinweis auf § 107 TKG, wonach Anrufe und E‑Mail‑Sendungen ohne Einwilligung des Empfängers unzulässig seien.

Damit ist der Beklagte im Ergebnis im Recht:

2. Das Ausspannen von Kunden ist für sich allein selbst dann noch nicht unlauter, wenn es zielbewusst und systematisch erfolgt; erst durch Hinzutreten besonderer Umstände, die den Leistungswettbewerb verfälschen, wird ein lauterkeitsrechtlich verpöntes Verhalten verwirklicht (RIS‑Justiz RS0116886; 4 Ob 81/12h). Solche Umstände sind nach der Rechtsprechung etwa das Verwenden von Kundenlisten oder das Ausnützen von Geschäftsgeheimnissen auf unlautere Weise (4 Ob 81/12h), das Anschwärzen des Mitbewerbers oder Stimmungsmache gegen diesen (4 Ob 193/02i; 4 Ob 78/17z; 4 Ob 12/18w) oder der Einsatz irreführender Geschäftspraktiken (RS0078531; 4 Ob 66/06v).

3.1 Auch die Verleitung zur ordnungsgemäßen Vertragsauflösung ist – im Gegensatz zur Verleitung oder Beihilfe zum Vertragsbruch – nicht schlechthin unlauter, sondern nur dann, wenn verwerfliche Mittel angewandt werden. Dies ist nach der Rechtsprechung dann der Fall, wenn die Aktion nicht darauf ausgerichtet ist, neue Kunden zu gewinnen, sondern wenn dadurch der Mitbewerber behindert werden soll. Dies kann nur in Ausnahmefällen angenommen werden, weil der Werbende regelmäßig anstrebt, neue Kunden zu gewinnen, wenn er anbietet, bei der Kündigung eines Vertrags mit einem Mitbewerber behilflich zu sein (4 Ob 242/02w).

3.2 Einigkeit herrscht in dieser Hinsicht darüber, dass eine bloße Kündigungsberatung nicht unlauter ist. Zu einer darüber hinausgehenden Kündigungshilfe hat der Oberste Gerichtshof in der Entscheidung zu 4 Ob 242/02w die bisherige Rechtsprechung, wonach die Vorlage eines vorbereiteten Kündigungsschreibens an den Kunden des Konkurrenten, das die Kunden nach Einsetzen des Kündigungstermins nur noch unterschreiben mussten (4 Ob 336/86) bzw wonach das Versenden vorgedruckter, an den Mitbewerber adressierter Kündigungsschreiben als Massenpostwurfsendungen, die von den Kunden nur noch ausgefüllt, unterschrieben und im adressierten Kuvert abgeschickt werden mussten (4 Ob 106/93; siehe dazu auch 4 Ob 193/02i), als verwerfliche Mittel zu qualifizieren seien, unter Bezugnahme auf die ablehnenden Literaturmeinungen (Koppensteiner, Österreichisches und europäisches Wettbewerbsrecht3 § 33 Rz 88; ders, Sittenwidrigkeit und Wettbewerbswidrigkeit, WBl 1995, 1; Gruber, Wettbewerbswidrigkeit der Abwerbung von Kunden und Arbeitnehmern, JBl 2002, 416) einer Überprüfung unterzogen.

Dazu gelangte der Senat im Rahmen einer Neubewertung zum Ergebnis, dass sich das Unlauterkeitsurteil des § 1 UWG an den Funktionsbedingungen des Leistungswettbewerbs orientiere, die sowohl Unternehmer-, aber auch Verbraucher- und Allgemeininteressen zu berücksichtigen hätten. Dabei komme es darauf an, ob der Kunde durch die Kündigungshilfe zur Vertragskündigung in Fällen verleitet werde, in denen die Kündigung in Wahrheit nicht gewollt sei. Werde aber die freie Entscheidung des Kunden nicht unsachlich (vor allem ohne unsachliche Lockmittel oder irreführende Geschäftspraktiken) beeinflusst, sondern dieser nur dabei unterstützt, einen selbst gefassten Entschluss umzusetzen, so könne die Kündigungshilfe für den Kunden eine willkommene Serviceleistung sein, die insoweit Teil des Leistungswettbewerbs sei (vgl dazu auch RS0077756 [T2]).

3.3 Auch der Bundesgerichtshof geht davon aus, dass es ohne Hinzutreten besonderer verwerflicher Umstände grundsätzlich zulässig sei, einem vertraglich noch gebundenen Kunden bei einer ordnungsgemäßen Kündigung dadurch zu helfen, dass ihm ein vorbereitetes Kündigungsschreiben vorgelegt wird, das nach Einfügung des Kündigungstermins nur noch unterschrieben werden muss. Ein unlauteres Verhalten könne nur dann vorliegen, wenn der Abwerbende den Kunden irreführe, überrumple oder sonst in seiner Entscheidungsfreiheit unsachlich beeinflusse (I ZR 140/02).

4.1 Nach dem bescheinigten Sachverhalt hat der Beklagte kein verwerfliches Mittel eingesetzt, das die Grenze des Leistungswettbewerbs überschritten hat. Im vorformulierten Kündigungsschreiben finden sich weder negative Äußerungen über die Klägerin, noch unsachliche Lockmittel oder irreführende Angaben, durch die die freie Entscheidung der bisher vom Beklagten betreuten Kunden über einen allfälligen Betreuerwechsel unsachlich hätte beeinflusst werden können. Die Klägerin hat auch nicht etwa behauptet, dass die vorformulierte Kündigungserklärung absprachewidrig gewesen sei. Der Beklagte hat mit dem vorformulierten Musterschreiben vielmehr nur die zwischen den Streitteilen getroffene Vereinbarung umgesetzt, wonach sich die Kunden frei entscheiden können, von welchem Berater sie in Zukunft betreut werden wollen. Dass durch diese nicht zu beanstandende Kündigungshilfe die Vornahme der Kündigung faktisch erleichtert wurde, beeinflusst den Leistungswettbewerb nicht.

4.2 Die Klägerin bezieht die dem Beklagten vorgeworfene Unlauterkeit primär auf das im Musterschreiben ausgedrückte Kontaktverbot, das es ihr unmöglich mache, sich mit einem Angebot auf neuerliche Aufnahme der Geschäftsbeziehung aktiv an ihre bisherigen Kunden zu wenden. Auch dieses Sachverhaltselement trägt die geltend gemachte Unlauterkeit nicht. Ist die Geschäftsbeziehung eines Kunden zur Klägerin aufgelöst, so liegt es allein am Kunden, der Klägerin die Einwilligung zur weiteren Kontaktaufnahme zu erteilen. Ebenso kann der Kunde, wenn dies seinem Willen entspricht, schon erklären, dass er keine Geschäftsverbindung zur Klägerin mehr möchte und daher auch eine weitere Kontaktaufnahme ablehnt; eine solche Erklärung ist zudem jederzeit widerrufbar. Im Vorbereiten einer solchen Erklärung liegt ebenfalls kein unlauteres Mittel.

5. Zusammenfassend ist festzuhalten, dass der Beklagte durch die Übermittlung des von ihm vorformulierten Musterschreibens an die bisher von ihm betreuten Kunden die Grenze des Leistungswettbewerbs nicht überschritten hat. Dass er bemüht war, sich innerhalb des Rahmens des Leistungswettbewerbs zu halten, zeigt sich auch darin, dass er sich nur an solche Kunden wandte, die bisher von ihm betreut wurden und diese zudem darauf hingewiesen hat, dass der Betreuerwechsel der freien Entscheidung des Kunden obliegt.

Die Entscheidung des Rekursgerichts hält der Überprüfung durch den Obersten Gerichtshof damit nicht stand. In Stattgebung des Revisionsrekurses des Beklagten war die abweisende Entscheidung des Erstgerichts daher wiederherzustellen.

Die Kostenentscheidung gründet sich auf § 393 EO iVm §§ 41, 50 ZPO.

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