European Case Law Identifier: ECLI:AT:OGH0002:2020:0120OS00018.20V.0528.000
Spruch:
In Stattgebung der Nichtigkeitsbeschwerde wird das angefochtene Urteil aufgehoben und die Sache zu neuer Verhandlung und Entscheidung an das Landesgericht für Strafsachen Graz verwiesen.
Gründe:
Mit dem angefochtenen Urteil wurde der Antrag der Staatsanwaltschaft auf Unterbringung des Herbert M***** in einer Anstalt für geistig abnorme Rechtsbrecher nach § 21 Abs 1 StGB abgewiesen.
Laut Antrag der Anklagebehörde hat er unter dem Einfluss eines die Zurechnungsfähigkeit ausschließenden Zustands (§ 11 StGB), der auf einer geistigen oder seelischen Abartigkeit von höherem Grad beruhte, nämlich einer schizoaffektiven Störung mit manischer Episode, am 4. April 2019 in G***** Esat S***** durch die durch Vorhalt einer Faustfeuerwaffe verstärkte Ankündigung, „Lass das Auto herunter oder ich erschieße dich!“, sohin durch gefährliche Drohung mit dem Tod zu einer Handlung, nämlich zur Zurückstellung eines mit dem Abschleppwagen aufgehobenen Pkw genötigt, und daher eine Tat begangen, die ihm außer diesem Zustand als das Verbrechen der schweren Nötigung nach §§ 105 Abs 1, 106 Abs 1 Z 1 StGB zuzurechnen wäre und die mit einer ein Jahr übersteigenden Freiheitsstrafe bedroht ist.
Das Schöffengericht begründete die Abweisung damit, dass nach seiner Person, seinem Zustand und der Art der Tat nicht mit hoher Wahrscheinlichkeit zu befürchten wäre, dass Herbert M***** unter dem Einfluss seiner geistigen Abartigkeit mit Strafe bedrohte Handlungen mit schweren Folgen, nämlich insbesondere Taten in Form von gefährlichen Drohungen mit dem Tod und schwere Nötigungen begehen werde.
Auch den Antrag der Staatsanwaltschaft auf Einziehung der sichergestellten Waffe gemäß § 26 Abs 1 StGB wies das Erstgericht ab.
Rechtliche Beurteilung
Gegen dieses Urteil richtet sich die auf § 281 Abs 1 Z 11 zweiter Fall StPO gestützte Nichtigkeitsbeschwerde der Staatsanwaltschaft, welcher – in Übereinstimmung mit der Stellungnahme der Generalprokuratur – Berechtigung zukommt.
Nach dem angefochtenen Urteil hat Herbert M***** eine dem Tatbestand des Verbrechens der schweren Nötigung nach §§ 105 Abs 1, 106 Abs 1 Z 1 StGB subsumierbare Anlasstat begangen, die mit einer ein Jahr übersteigenden Freiheitsstrafe bedroht ist, und kann nur deshalb nicht bestraft werden, weil er sie unter dem Einfluss eines die Zurechnungsfähigkeit ausschließenden Zustands (§ 11 StGB), der auf einer geistigen oder seelischen Abartigkeit von höherem Grad beruhte, nämlich einer schizoaffektiven Störung mit manischer Episode, begangen hat (US 1, 4 f, 9).
Davon ausgehend erblickt die Staatsanwaltschaft im Unterbleiben der Anordnung einer Maßnahme nach § 21 Abs 1 StGB eine rechtsfehlerhafte Beurteilung der gesetzlichen Kriterien der Gefährlichkeitsprognose, weil eine – wie hier – lediglich infolge laufender Therapie unter Kontrolle gebrachte Gefährlichkeit, die nur „durch gesicherte medikamentöse Behandlung im Rahmen von strikten Kontrollstrukturen“ hintangehalten werden kann und solcherart nicht dauerhaft beseitigt, sondern nur eingedämmt ist, eine Anordnung der Maßnahme nicht hindert.
Nichtigkeit nach § 281 Abs 1 Z 11 zweiter Fall StPO liegt vor, wenn die aus den in § 21 Abs 1 StGB genannten Erkenntnisquellen der Gefährlichkeitsprognose (Person des Betroffenen und dessen Zustand im Urteilszeitpunkt sowie Art der Anlasstat [vgl Ratz in WK² StGB § 21 Rz 25]) gebildete Feststellungsgrundlage die Verneinung der hohen Wahrscheinlichkeit einer Prognosetat als willkürlich erscheinen lässt (Ratz, WK‑StPO § 281 Rz 718, 720; RS0118581 [T13], RS0113980 [T7]).
Den erstrichterlichen Feststellungen zufolge leidet Herbert M***** nach wie vor an einer seelisch-geistigen Abartigkeit von höherem Grad in Form einer schizoaffektiven Störung, wobei durch die während der Unterbringung nach dem UbG und der anschließenden vorläufigen Anhaltung gemäß § 429 Abs 4 StPO begonnene, somit nun seit April 2019 andauernde (US 3) mehrmonatige Behandlung im L***** mittels monatlicher Depotspritze und oraler Medikation ein Behandlungserfolg eingetreten und der Betroffene derzeit „stabil“ ist (US 5 f). Diese Stabilisierung des umfassend therapie- und krankheitseinsichtigen Betroffenen ist bereits nach wenigen Wochen der Behandlung eingetreten (US 5). Herbert M*****, der sich in Pension befindet und „über ein stabiles soziales Umfeld in Form seiner Ehefrau und seiner Tochter verfügt, die ihn unterstützen“ (US 3), ist „mittlerweile derart behandelt und symptomfrei, dass – solange er die erforderlichen Medikamente nimmt – bei gesichertem sozialen Umfeld nicht die konkrete Gefahr besteht“, er werde unter dem Einfluss seiner geistigen und seelischen Abartigkeit höheren Grades in Hinkunft mit Strafe bedrohte Handlungen mit schweren Folgen, insbesondere gefährliche Drohungen auch mit dem Tod und schwere Nötigungen wie im vorliegenden Fall begehen (US 5 f). Nach dem zwischenzeitig eingetretenen Behandlungserfolg sind beim vorliegenden Krankheitsbild des Betroffenen bei entsprechender Medikation Tatwiederholungen mit schweren Folgen nicht mit hoher Wahrscheinlichkeit zu erwarten (US 6 f, 11).
Der Ansicht des Erstgerichts zuwider ist eine Maßnahme nach § 21 Abs 1 StGB auch anzuordnen, wenn eine stationäre Anhaltung zur Verhinderung der Prognosetaten nicht erforderlich ist, die Unterbringungsanordnung jedoch nach Maßgabe der (normativ verstandenen) Gefährlichkeit, wie sie sich nach den gesetzlich abgegrenzten Erkenntnisquellen darstellt, gerechtfertigt ist. Wird eine bestehende Gefährlichkeit – wie hier – durch eine medikamentöse Behandlung lediglich eingedämmt (hintangehalten), aber nicht dauerhaft beseitigt, und verlangt deren weitere Eindämmung die Fortsetzung der Behandlung, so steht die solcherart durch Therapie lediglich unter Kontrolle gebrachte Gefährlichkeit einer Anwendung der Bestimmung des § 21 Abs 1 StGB nicht entgegen (RIS‑Justiz RS0127350; Ratz in WK² StGB, Vor §§ 21–25 Rz 7 und § 45 Rz 9 und 13).
Nur wenn zwischen Anlasstat und Hauptverhandlung ein (von den Behandlungsaussichten zu unterscheidender; vgl dazu Ratz in WK² StGB Vor §§ 21–25 Rz 5) Behandlungserfolg eintritt, der die Gefährlichkeit in einem Maß reduziert erscheinen lässt, dass von einer Unterbringung im Maßnahmenvollzug Abstand genommen werden kann, liegt – unabhängig davon, ob dies im Rahmen der vorläufigen Anhaltung nach § 429 Abs 4 StPO, der vorläufigen Unterbringung nach § 438 StPO oder aufgrund einer ärztlichen Behandlung auf freiem Fuß erfolgt – gar kein Fall einer Unterbringung nach § 21 StGB vor, weil ohne die vom Gesetz verlangte (stets auf den Urteilszeitpunkt bezogene) Gefährlichkeit die freiheitsentziehende vorbeugende Maßnahme nach dem Gesetzlichkeitsprinzip des § 1 Abs 1 StGB (vgl Art 7 Abs 1 MRK) überhaupt nicht, also auch nicht bedingt angeordnet werden darf (RIS‑Justiz RS0121151, RS0119302).
Würde sich die Gefährlichkeitsprognose nach § 21 Abs 1 StGB nach dem Erfordernis des Vollzugs der Maßnahme richten, so bliebe für die Anwendung des § 45 Abs 1 StGB, der ausdrücklich an den die Gefährlichkeit hintanhaltenden Behandlungserfolg anknüpft, kein Raum (12 Os 73/11v = EvBl 2012/56, 372; 15 Os 2/13b = EvBl 2013/90, 612).
Die vom Erstgericht angenommene Krankheitseinsicht und Therapiebereitschaft des Herbert M***** sowie der bereits erzielte Erfolg der mehrmonatigen medikamentösen Behandlung, deren Aufrechterhaltung bzw Fortführung zur Hintanhaltung der Gefährlichkeit aber notwendig ist, stehen demnach der Anordnung der Maßnahme nicht entgegen, sodass sich die Verneinung der Gefährlichkeitsprognose angesichts des zu den Prognosekriterien angeführten Sachverhalts als offenbar unzureichend begründet erweist (vgl Ratz, WK‑StPO § 281 Rz 718) und das Urteil insofern mit Nichtigkeit gemäß § 281 Abs 1 Z 11 zweiter Fall StPO behaftet ist.
Auch in Ansehung der Abweisung des Antrags auf Einziehung der sichergestellten Schusswaffe gemäß § 26 Abs 1 StGB macht die Staatsanwaltschaft zutreffend eine rechtsfehlerhafte Beurteilung der gesetzlichen Kriterien für ein Absehen (§ 26 Abs 2 erster Satz StGB) von der beantragten Maßnahme geltend:
Gegenstände, die der Täter zur Begehung der mit Strafe bedrohten Handlung verwendet hat, sind nach § 26 Abs 1 StGB einzuziehen, wenn dies nach der besonderen Beschaffenheit der Gegenstände geboten erscheint, um der Begehung mit Strafe bedrohter Handlungen entgegenzuwirken. Die damit angesprochene Deliktstauglichkeit (vgl RIS‑Justiz RS0121298) ist in Ansehung der vorliegend zur Drohung verwendeten (US 4 f), durch Austausch des Originallaufs durch ein dem Kaliber 12 entsprechendes Eisenrohr umgebauten und so zum Verschießen von Schrotpatronen geeigneten schwarzen Leuchtpistole des Betroffenen (US 12) jedenfalls zu bejahen (vgl Ratz in WK² StGB § 26 Rz 13).
Gemäß § 26 Abs 2 erster Satz StGB ist von der Einziehung abzusehen, wenn der Berechtigte die besondere Beschaffenheit der Gegenstände beseitigt, insbesondere indem er Vorrichtungen oder Kennzeichnungen entfernt oder unbrauchbar macht, die die Begehung mit Strafe bedrohter Handlungen erleichtern. Die festgestellte Erklärung des Betroffenen, mit der Vernichtung der Pistole einverstanden zu sein und auf deren Ausfolgung zu verzichten (US 12), vermag – entgegen der Ansicht des Erstgerichts – die Deliktstauglichkeit des inkriminierten Gegenstands nicht zu beseitigen.
Insofern hat das Schöffengericht die zur Beseitigung der Deliktstauglichkeit iSd § 26 Abs 2 erster Satz StGB getroffenen Sachverhaltsannahmen rechtsfehlerhaft bewertet (Z 11 zweiter Fall; vgl Ratz in WK² StGB § 26 Rz 18).
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