European Case Law Identifier: ECLI:AT:OGH0002:2020:0030OB00215.19T.0226.000
Spruch:
Die außerordentliche Revision wird gemäß § 508a Abs 2 ZPO mangels der Voraussetzungen des § 502 Abs 1 ZPO zurückgewiesen.
Begründung:
Zwischen den Parteien ist die Auslegung von Emissionsbedingungen zu einer von der Beklagten (bzw deren Rechtsvorgängerin) emittierten und von der Klägerin am 12. Jänner 2004 gezeichneten Ergänzungskapitalanleihe strittig und daran anknüpfend die Berechnung des (allenfalls) von der Beklagten nach Fälligkeit am 25. August 2015 zu leistenden Rückzahlungsbetrags. Beide Vorinstanzen wiesen die Klage ab.
Rechtliche Beurteilung
Die Klägerin zeigt in ihrer außerordentlichen Revision keine erhebliche Rechtsfrage auf, weshalb diese als nicht zulässig zurückzuweisen ist. Das ist wie folgt kurz zu begründen (§ 510 Abs 3 ZPO):
1. Da es prozessual unbedenklich ist, unstrittiges Parteienvorbringen ohne weiteres der Entscheidung zu Grunde zu legen (RIS‑Justiz RS0121557 [T1 und T8]), schadet es nicht, dass die Vorinstanzen dazu keine Feststellungen trafen (3 Ob 30/02m SZ 2002/31; 3 Ob 243/13a; RS0040095; RS0040101).
2. Die Klägerin bestreitet die Zulässigkeit bei der hier gebotenen objektiven Auslegung der vereinbarten Anleihebedingungen das dispositive Recht und die dazu ergangene Judikatur zu berücksichtigen.
2.1. Sie übergeht, dass die dem Vertragsabschluss zwischen den Parteien zugrunde gelegten Anleihebedingungen ausdrücklich auf „Wertpapiere über eingezahltes Ergänzungskapital gemäß § 23 Abs 7 des BWG“ und auf die Nachrangigkeit gemäß den §§ 23 Abs 8 und 45 Abs 4 BWG Bezug nehmen (§ 3 Z 1) und diese Bestimmungen damit zum Inhalt der Vereinbarung machen; ebenso wird übersehen, dass der mit den Worten „sind gemäß § 23 Abs 7 und Abs 8 BWG so vereinbart“ eingeleitete Text des § 3 zu der Z 2 lit b und c im Wesentlichen dem Text von § 23 Abs 7 Z 2 und 3 BWG in der bei Zeichnung der Anleihe durch die Klägerin am 12. Jänner 2004 geltenden Fassung (BGBl I 2000/33 und damit vor der Novelle BGBl I 2009/152 [die zu einer Änderung der Z 2 führte]; in Hinkunft aF) entspricht.
Die Rechtsansicht des Berufungsgerichts, deshalb seien die gesetzlichen Vorgaben des § 23 Abs 7 Z 2 und 3 BWG aF Gegenstand der rechtsgeschäftlichen Einigung gewesen, ist geradezu zwingend und daher nicht zu beanstanden (vgl 5 Ob 4/14w).
2.2. Ebensowenig zu beanstanden ist es, wenn sich das Berufungsgericht bei der Auslegung der § 23 Abs 7 Z 3 BWG aF entsprechenden Regelung an der dazu bereits vorliegenden Judikatur orientiert.
3. Dabei handelt es sich um die Entscheidung 6 Ob 87/16m, die die hier strittige Frage beantwortete, wie die „Nettoverluste“ iSd § 23 Abs 7 Z 3 BWG aF zu ermitteln sind: Demnach ist auf den Jahresüberschuss bzw Jahresfehlbetrag im Sinne des Punktes VI der Anlage 2 Teil 2 zu § 43 BWG (vgl auch § 231 Abs 2 Z 22 UGB) abzustellen. Es sind alle Gewinne vor ihrer Verwendung zur Rücklagenbildung und zur Ausschüttung von Dividenden während der Laufzeit des Ergänzungskapitals zu addieren; aus Gewinnen abgedeckte Verlustvorträge sind den Gewinnen zuzurechnen. Diesen sind die in dieser Zeit eingetretenen Verluste gegenüberzustellen; hierbei ist von den Verlusten vor ihrer allfälligen Deckung aus Gewinnvorträgen, Eigenkapital, insbesondere Rücklagen oder aus Zuschüssen zur Verlustdeckung auszugehen. Rückstellungen, auch solche für ungewisse Verbindlichkeiten, sind grundsätzlich zu berücksichtigen (RS0129439 [T4]). Die auch hier strittige Frage wurde also dahin beantwortet, dass Rücklagenbewegungen die Höhe der Nettoverluste nicht beeinflussen.
Die ausführlich begründete und mehrfach veröffentlichte Entscheidung, zu der gegenteilige nicht vorliegen, wurde in der Lehre positiv aufgenommen ( A. Foglar‑Deinhardstein [in GesRZ 2016, 353] stimmt ausdrücklich zu; Dellinger [in ÖBA 2017, 181/2323] sieht die Entscheidung für die stärkere Verlustbeteiligung der Ergänzungskapitalinhaber als „nicht verkehrt“ an, widerspricht ihr aber in einem Teilaspekt, der die Bestimmung des Anteils am Nettoverlust betrifft). Die Revision weist zwar auf diese Kritik Dellingers hin, versucht aber gar nicht aufzuzeigen, dass deren Berücksichtigung für die Beurteilung des Klageanspruchs wesentlich wäre, sodass darauf nicht weiter eingegangen werden muss.
4. Das Auslegungsergebnis des Berufungsgerichts kann sich somit auf gesicherte Rechtsprechung (vgl RS0103384) berufen. Dem vermag die Revision nichts Stichhältiges entgegenzusetzen.
4.1. Die auch von der Klägerin ins Treffen geführten Entscheidungen des Obersten Gerichtshofs 2 Ob 84/13m und 6 Ob 90/14z blieben schon zu 6 Ob 87/16m als nicht einschlägig unberücksichtigt; auch die Argumentation zur Kapitalherabsetzung nach §§ 182 f AktG wurde bereits damals als unbeachtlich beurteilt.
4.2. Da die Klägerin wusste, dass die bestehende Ausfallshaftung eines Bundeslandes nur im Fall der Insolvenz schlagend geworden wäre, musste ihr als einer institutionellen Anlegerin klar sein, dass sie dennoch wegen der Regelung nach § 3 Z 2 lit c der Anleihebedingungen (entsprechend § 23 Abs 7 lit 3 BWG aF) am wirtschaftlichen Misserfolg der Beklagten, der nicht zur Insolvenz führt, teilnimmt. Der Hinweis der Revision, die Beklagte habe den Eindruck vermittelt, die gezeichnete Ergänzungskapitalanleihe sei „risikolos“, entspricht nicht den getroffenen Feststellungen.
4.3. Dem Vorwurf, die Gesellschafterzuschüsse hätten die Insolvenz der Beklagten und damit verhindert, dass die Klägerin die Ausfallshaftung in Anspruch nehmen habe können, und müssten deshalb bei der Ermittlung des Nettoverlustes als Rücklagenbewegungen berücksichtigt werden, hat schon das Berufungsgericht zutreffend entgegnet, dass die Klägerin von den Zuschüssen ohnehin dadurch profitierte, dass sie auch in den Jahren 2007 bis 2010 Zinsen lukrierte. Die mit der ausschließlichen Nachteiligkeit der Zuschüsse für die Position der Klägerin begründete Unbilligkeit des Auslegungsergebnisses liegt daher nicht vor. Vielmehr handelt es sich auch in der vorliegenden Konstellation bei der wirtschaftlichen Entwicklung der Beklagten und der drohenden Insolvenz, die durch die Gesellschafterzuschüsse abgewendet wurde, um ein geradezu typisches Kapitalmarktrisiko, das die Klägerin als Ergänzungskapitalgläubigerin allein zu tragen hat (vgl 5 Ob 4/14m; 6 Ob 68/15s), worauf schon das Berufungsgericht hingewiesen hat.
4.4. Die Klägerin erblickt einen relevanten Unterschied der vorliegenden Konstellation, in der es um die Hinzurechnung von Rücklagen aus Gesellschafterzuschüssen in den Jahren 2007 bis 2010 geht, die während der Laufzeit der Ergänzungskapitalanleihe und konkret zur Abdeckung der Jahresfehlbeträge geleistet wurden, zu jener, die 6 Ob 87/16m zugrunde lag, in der es um die Hinzurechnung von Rücklagen, die aus Gewinnen gebildet worden seien, ging. Nicht nur, dass der gänzliche Ausschluss der Berücksichtigung von Rücklagenbewegungen auch die hier zu beurteilenden erfasst, ist jedoch nach der in der Vorentscheidung übernommenen und wiedergegebenen Berechnungsmethode Kastners – wie schon die zweite Instanz hervorhob – ausdrücklich von den „Verlusten vor ihrer allfälligen Deckung aus [...] Zuschüssen zur Verlustdeckung“ auszugehen.
5. Auch das Argument der Klägerin, es müsse auf die Rechtslage nach BGBl I 2009/152 (weil damit § 23 Abs 7 Z 2 BWG abgeändert worden sei, was sich auch auf die Auslegung der Z 3 auswirke und 6 Ob 87/16m die Einschlägigkeit nehme), Bedacht genommen werden, ist nicht stichhältig.
5.1. Die dazu ergangene Übergangsbestimmung des § 103l BWG sieht vor, dass die neue Fassung der Z 2 „auf jenes Ergänzungskapital anzuwenden ist, dass ab dem 1. Jänner 2010 begeben oder an diese Bestimmung vertraglich angepasst wird“, was hier nicht der Fall war. Auch im Zeitpunkt der Fälligkeit der Anleihe am 25. August 2015 blieb daher die Rechtslage vor BGBl I 2009/152 relevant.
5.2. Zu 1 Ob 93/16g wurde zwischen den selben Parteien nach (versuchter) Kündigung der Anleihe durch die Beklagte anlässlich einer Spaltung im August/September 2012 festgestellt, dass die Anleihe „weiterhin wirksam aufrecht ist“. Nach der Begründung der Entscheidung erfolgte die rechtliche Beurteilung ua nach § 23 Abs 7 BWG „in der hier anzuwenden Fassung im Zeitpunkt der Kündigung nach BGBl I 2012/20“. Die Klägerin leitet daraus ab, dass damit bindend auch für das vorliegende Verfahren die Relevanz dieser Rechtslage entschieden sei.
Die im Vorverfahren entschiedene Hauptfrage betraf den weiter aufrechten Bestand der Anleihe, sodass diese Rechtsfrage aufgrund der Bindungswirkung des materiell rechtskräftigen Urteils im Vorprozess nicht mehr zu prüfen war (RS0127052; RS0041251 [T3]). Die Rechtskraftwirkung eines Urteils erstreckt sich grundsätzlich nur auf den Spruch; nur soweit es für die Individualisierung des Anspruchs und dessen Tragweite erforderlich ist, sind auch die Entscheidungsgründe heranzuziehen (RS0041357; RS0043259 uva).
Wird auf die Entscheidungsgründe der Vorentscheidung zurückgegriffen, zeigt sich nicht nur, dass bei der Beurteilung der Zulässigkeit einer vorzeitigen Kündigung im August/September 2012 auf die Rechtslage „im Zeitpunkt der Kündigung“ abgestellt wurde (vgl RS0008715; RS0070764; RS0070282), sondern auch, dass die hier bei der Beurteilung der Ansprüche der Klägerin nach Ende der Laufzeit im August 2015 relevante Rechtsfrage, wie Nettoverluste zu berechnen sind, nicht zu beantworten war und dementsprechend auch nicht beantwortet wurde. Damit unterscheiden sich die rechtserzeugenden Tatsachen, die zur Individualisierung des herangezogenen Rechtsgrundes im Vorprozess herangezogen wurden, ganz wesentlich von jenen im vorliegenden Prozess, was eine Bindungswirkung der Vorentscheidung in diesem ausschließt (RS0127052 [T2 und T5]).
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