European Case Law Identifier: ECLI:AT:OGH0002:2019:0050OB00118.19T.0924.000
Spruch:
Die außerordentliche Revision wird gemäß § 508a Abs 2 ZPO mangels der Voraussetzungen des § 502 Abs 1 ZPO zurückgewiesen.
Begründung:
Im Revisionsverfahren ist nur mehr strittig, ob die Drittbeklagte als Eigentümerin eines Hauses nach § 1319 ABGB dafür zu haften hat, dass sich ein Zierstück des Gesimses von ihrem Haus löste und aus etwa 15 m Höhe die vorbeigehende Klägerin im Kopfbereich traf.
Das Erstgericht wies die Klage auch gegen die Drittbeklagte ab.
Das Berufungsgericht gab der Berufung der Klägerin nicht Folge und ließ die ordentliche Revision nicht zu.
Rechtliche Beurteilung
Die außerordentliche Revision der Klägerin zeigt keine erhebliche Rechtsfrage auf.
1. Nach ständiger Rechtsprechung stellt § 1319 ABGB auf einen objektiven Sorgfaltsbegriff des Gebäudebesitzers ab. Maßgeblich ist, welche Schutzvorkehrungen und Kontrollen ein sorgfältiger Eigentümer getroffen hätte. Auch die Verletzung der objektiv gebotenen Sorgfaltspflicht setzt die Erkennbarkeit oder doch Voraussehbarkeit der Gefahr voraus. Der Beweis der Schuldlosigkeit des Hauseigentümers ist daher erbracht, wenn er alle Vorkehrungen getroffen hat, die vernünftigerweise, das ist nach der Auffassung des Verkehrs, von ihm zu erwarten sind (RIS‑Justiz RS0030049; RS0030035; RS0030204). Bei Gebäuden oder Werken, die von einer Vielzahl von Menschen betreten werden, die in den Straßenraum hineinragen oder die ihrer Art nach besonders anfällig für Witterungseinflüsse sind, sind besonders hohe Anforderungen an die Sorgfaltspflicht zu stellen (RS0030322). Grundsätzlich wird das Maß der Zumutbarkeit geeigneter Vorkehrungen gegen einen Schadenseintritt nach § 1319 ABGB aber nach den Umständen des konkreten Einzelfalls bestimmt, weil sich eine allgemeine Abgrenzung nur in einem durch die Auffassung der Allgemeinheit und die Vernunft bestimmten breiteren Rahmen finden lässt (RS0029991). Die Beurteilung des Maßes der Zumutbarkeit geeigneter Vorkehrungen gegen einen Schadenseintritt wirft daher in der Regel keine erhebliche Rechtsfrage auf (RS0029874); Fragen des Entlastungsbeweises gemäß § 1319 letzter Halbsatz ABGB sind nur bei einer auffallenden Fehlbeurteilung des Berufungsgerichts vom Obersten Gerichtshof aufzugreifen (2 Ob 223/14w = ecolex 2015/183 [ Schoditsch ]). Eine solche liegt hier nicht vor.
2. Das Berufungsgericht vertrat die Auffassung, eine über die Sichtkontrolle hinausgehende Überprüfung der Fassade und der darauf befindlichen Zierelemente sei von der Drittbeklagten nicht zu fordern; einerseits ergebe sich aus der ÖNORM B 1300 eine derartige Prüfpflicht nicht, andererseits überspanne es die zumutbare Sorgfaltspflicht einer Hauseigentümerin, würde man ohne irgendwelche Anhaltspunkte für das Bestehen einer Gefahrenquelle von ihr verlangen, eine erst vor zweieinhalb Jahren unstrittig durch befugte Gewerbsleute renovierte Fassade durch Abklopfen sämtlicher Fassadenelemente zu überprüfen. Eine auch im Einzelfall aufzugreifende grobe Fehlbeurteilung liegt darin nicht, zumal hier feststeht, dass die abgestürzte Konsole vor dem Unfall nicht als mangelhaft zu erkennen war und auch eine Sichtkontrolle weder eine Beschädigung noch eine mangelnde Festigkeit erkennen hätte lassen können. Insoweit ist der Sachverhalt tatsächlich dem der Entscheidung 1 Ob 11/19b zugrunde liegenden Fall vergleichbar, wo es um Defekte einer Schachtabdeckung auf einem Golfplatz ging, die ebenfalls mit freiem Auge nicht sichtbar waren. Die von der Revisionswerberin zitierten Entscheidungen betreffen hingegen nicht vergleichbare Sachverhalte:
Zu 6 Ob 549/80 beschädigte eine bei einem Sturm gebrochene, bereits sehr alte, 30 m hohe, durch Pilzbefall morsch gewordene Pappel ein Nachbargebäude. Der 6. Senat ging davon aus, dass der Standort dieser hohen schräg gewachsenen Pappel in unmittelbarer Nähe des Nachbargeländes die Besitzerin zu Überlegungen veranlassen hätte müssen, unter welchen Voraussetzungen auch ohne für Laien erkennbare Anzeichen einer Erkrankung Zweifel an der Festigkeit und Elastizität des Stammes zu weiterreichenden Überprüfungen des Baumes als einer bloß optischen Beobachtung des Laubes Anlass geben mussten. Die dort Beklagte hatte nicht vorgebracht, welches Wissen und welche Beobachtungen (außer der normalen Belaubung) sie zur Unterlassung jeglicher Kontrolle des Baumes veranlasst hatte, weshalb der Entlastungsbeweis als nicht erbracht angesehen wurde.
Auch die Entscheidung 5 Ob 564/85 (SZ 59/121) betraf einen bei starkem Westwind auf dem Areal einer Krankenanstalt umgestürzten 100 bis 120 Jahre alten und rund 24 Meter hohen Baum, der einen Passanten schwer verletzte. Allerdings hatte die Beklagte dort nach dem Abbruch eines alten Krankenanstaltsgebäudes Bauarbeiten im Nahbereich dieses Baumes veranlasst, in deren Zug die stärkste Hauptwurzel verletzt worden war. Fest stand dort, dass bei den Grabungsarbeiten in 1,5 m Entfernung vom Stamm mit Starkwurzeln zu rechnen und dieser Abstand zu gering war, was der Beklagten bekannt hätte sein müssen. Der 5. Senat warf der beklagten Stadtgemeinde vor, schon aufgrund ihrer Magistratsorganisation über Einrichtungen zu verfügen, von denen eine genaue Kenntnis der botanischen Voraussetzungen der Standfestigkeit von Bäumen vorausgesetzt werde, und dass schon die äußeren Umstände selbst für Laien erkennbar machten, dass jede weitere Beeinträchtigung der natürlichen Verankerung des Wurzelwerks gefahrenerhöhend sein werde. Vergleichbare Umstände stehen hier nicht fest.
Letztlich ist auch 2 Ob 243/14w (= ecolex 2015/183 [ Schoditsch ]) nicht einschlägig, wo der Beklagten die Verletzung der objektiven Pflicht vorgeworfen wurde, die Sicherheit eines automatischen Tores regelmäßig und fachmännisch überprüfen zu lassen, dies schon im Hinblick auf die Schadensanfälligkeit und Kompliziertheit einer Schiebetoranlage bei einem Hangar, der von besonders vielen Menschen betreten werde. Auch dort war nach einem objektiven Maßstab die vom Tor ausgehende Gefahr für die Beklagte erkennbar.
Hier ging nach dem festgestellten Sachverhalt von den anlässlich der Fassadenarbeiten unverändert gebliebenen Konsolenteilen keine augenscheinliche Gefährdung für Passanten aus, sodass die Beurteilung des Berufungsgerichts, eine über Sichtkontrolle hinausgehende Untersuchung der vor zweieinhalb Jahren renovierten und auf Schadensfreiheit überprüften Fassadenteile durch Abklopfen, könne auch nach einem objektiv gebotenen Sorgfaltsmaßstab von der Drittbeklagten nicht verlangt werden, nicht korrekturbedürftig ist.
3. Ob der Drittbeklagten allenfalls eine Verletzung der objektiv gebotenen Sorgfalt laut ÖNORM B 1300 dahin vorgeworfen werden könnte, dass sie die jährliche Sichtkontrolle der Fassade nicht durchgeführt bzw nicht veranlasst hat, kann dahinstehen. Daraus allein ist nach der sich im Rahmen der Rechtsprechung haltenden Auffassung des Berufungsgerichts für die Klägerin nämlich nichts zu gewinnen. Die Drittbeklagte wendete ein, selbst bei Durchführung der jährlichen Sichtkontrolle wäre irgendein Schaden an diesem Fassadenteil (der nach der ÖNORM B 1300 allenfalls weitere Untersuchungspflichten ausgelöst hätte) nicht erkennbar gewesen. Der Sache nach erhob sie damit den Einwand der mangelnden Kausalität ihrer Unterlassung für den eingetretenen Erfolg (vgl RS0022913) bzw des rechtmäßigen Alternativverhaltens, bei dem es darum geht, ob ein an sich rechtswidrig handelnder Täter selbst dann für den verursachten Schaden zu haften hat, wenn er denselben Nachteil auch durch ein rechtmäßiges Verhalten herbeigeführt hätte. Beweist der Schädiger, dass derselbe rechnerische Schaden entstanden wäre, haftet er nicht (RS0111706). Auch in Fällen der – hier gegebenen – Beweislastumkehr sowohl hinsichtlich objektiver Pflichtwidrigkeit als auch Verschuldens vertritt der Oberste Gerichtshof die Auffassung, dass die Beweislast dafür, dass der eingetretene Schaden auch bei pflichtgemäßem Alternativverhalten eingetreten wäre, den Schädiger treffe (vgl RS0121916 [T2] zur Haftung des Geschäftsführers nach § 84 Abs 2 Satz 2 AktG). Dass die Vorinstanzen der Drittbeklagten als Gebäudebesitzerin iSd § 1319 ABGB ebenfalls den Einwand zugestanden, derselbe Schaden hätte sich auch bei Einhaltung der objektiv gebotenen Sorgfalt durch Sichtkontrollen gleichermaßen ereignet, hält sich im Rahmen dieser Rechtsprechung. Auch eine jährliche Sichtkontrolle hätte keine Beschädigung oder mangelnde Festigkeit des Zierelements erkennen lassen, sodass auch diesfalls kein Anlass für die Drittbeklagte bestanden hätte, weitere Maßnahmen zur Verhinderung des für sie weder erkennbaren noch vorhersehbaren Schadens zu setzen. Dass aufgrund der Negativfeststellungen zur Schadensursache nicht einmal feststeht, dass überhaupt eine Schwächung der Konsole durch Rissbildung oder Materialdefekt vorlag, sei ergänzend erwähnt.
4. Damit war die außerordentliche Revision zurückzuweisen, ohne dass dieser Beschluss einer weiteren Begründung bedürfte (§ 510 Abs 3 ZPO).
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