OGH 10ObS54/19t

OGH10ObS54/19t30.7.2019

Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht in Arbeits‑ und Sozialrechtssachen durch den Vizepräsidenten Univ.‑Prof. Dr. Neumayr als Vorsitzenden, die Hofrätinnen Dr. Fichtenau und Dr. Faber, sowie die fachkundigen Laienrichter KAD Dr. Lukas Stärker (aus dem Kreis der Arbeitgeber) und KR Karl Frint (aus dem Kreis der Arbeitnehmer) als weitere Richter in der Sozialrechtssache der klagenden Partei K*****, vertreten durch Dr. Herbert Pochieser, Rechtsanwalt in Wien, gegen die beklagte Partei Pensionsversicherungsanstalt, 1021 Wien, Friedrich-Hillegeist-Straße 1, wegen Berufsunfähigkeitspension, über die außerordentliche Revision der klagenden Partei gegen das Urteil des Oberlandesgerichts Wien als Berufungsgericht in Arbeits‑ und Sozialrechtssachen vom 28. Februar 2019, GZ 8 Rs 69/18b‑106, den

Beschluss

gefasst:

European Case Law Identifier: ECLI:AT:OGH0002:2019:010OBS00054.19T.0730.000

 

Spruch:

Die außerordentliche Revision wird gemäß § 508a Abs 2 ZPO mangels der Voraussetzungen des § 502 Abs 1 ZPO zurückgewiesen.

 

Begründung:

Der im Jahr 1954 geborene Kläger hat 1971 bis 1974 den Beruf eines Reisebüroassistenten erlernt; er war zuletzt bis 30. 6. 1989 (als Angestellter) beschäftigt. In den letzten 15 Jahren vor dem Stichtag 1. 7. 2012 erwarb der Kläger keine Beitragsmonate der Pflichtversicherung aufgrund von Erwerbstätigkeit. Es liegen in diesem Zeitraum lediglich Zeiten des Bezugs von Arbeitslosengeld, Notstandshilfe, Krankengeld/Sonderfall sowie Zeiten des Bezugs von Pensionsvorschuss vor. Aufgrund seiner medizinischen Leistungseinschränkungen waren dem Kläger vom Zeitpunkt der Antragstellung am 14. 6. 2012 bis zum 31. 3. 2014 keine geregelten Arbeiten möglich; seit 1. 4. 2014 sind ihm diverse Hilfskraft-Berufstätigkeiten ohne Überschreitung seines medizinischen Leistungskalküls zumutbar.

Die Vorinstanzen gaben dem Klagebegehren auf Zuerkennung der Berufsunfähigkeitspension im gesetzlichen Ausmaß ab dem Stichtag 1. 7. 2012 für den Zeitraum 1. 7. 2012 bis 31. 3. 2014 unbekämpft statt; das Mehrbegehren, dem Kläger über den 31. 3. 2014 hinaus eine Berufsunfähigkeitspension im gesetzlichen Ausmaß zuzuerkennen, wiesen sie ab.

Rechtlich führte das Berufungsgericht aus, der Kläger genieße keinen Berufsschutz. Eine Erstreckung des Rahmenzeitraums wegen Arbeitslosigkeit komme nicht in Betracht.

Mit seiner außerordentlichen Revision strebt der Kläger die Zuerkennung der Berufsunfähigkeitspension im gesetzlichen Ausmaß gemäß § 273 Abs 1 ASVG über den 31. 3. 2014 hinaus an.

Rechtliche Beurteilung

Die außerordentliche Revision ist mangels Vorliegens einer erheblichen Rechtsfrage (§ 502 Abs 1 ZPO) nicht zulässig.

1. Der Oberste Gerichtshof hat zu der vom Revisionswerber aufgeworfenen Rechtsfrage der Verlängerung des Rahmenzeitraums um Zeiten der Arbeitslosigkeit bereits wiederholt in Verfahren über den Anspruch auf Gewährung einer Invaliditätspension – zu 10 ObS 8/15x SSV‑NF 29/10; bestätigt zu 10 ObS 14/18h; vgl 10 ObS 31/19k – Stellung genommen. Die dort dargelegten Erwägungen gelten gleichermaßen für die angestrebte Erstreckung des Rahmenzeitraums gemäß § 273 Abs 1 ASVG.

Gründe, von dieser Rechtsprechung abzugehen, werden in der außerordentlichen Revision des Klägers nicht aufgezeigt.

2.1. Gemäß § 273 Abs 1 ASVG idF BBG 2011 (BGBl I 2010/111) gilt die versicherte Person als berufsunfähig, deren Arbeitsfähigkeit infolge ihres körperlichen oder geistigen Zustands auf weniger als die Hälfte derjenigen einer körperlich und geistig gesunden versicherten Person von ähnlicher Ausbildung und gleichwertigen Kenntnissen und Fähigkeiten herabgesunken ist, wenn innerhalb der letzten 15 Jahre vor dem Stichtag in zumindest 90 Pflichtversicherungsmonaten eine Erwerbstätigkeit als Angestellte/r oder nach § 255 Abs 1 ausgeübt wurde. § 255 Abs 2 dritter und vierter Satz sowie Abs 2a ASVG sind anzuwenden.

2.2. Liegen zwischen dem Ende der Ausbildung und dem Stichtag mehr als 15 Jahre, so verlängert sich gemäß § 273 Abs 1 letzter Satz ASVG iVm § 255 Abs 2 Satz 4 ASVG idF BBG 2011 der in § 273 Abs 1 ASVG genannte Rahmenzeitraum um die in diesem Zeitraum liegenden Versicherungsmonate nach § 8 Abs 1 Z 2 lit a, d, e und g ASVG. Mit dem SVAG BGBl I 2015/2 wurde zudem die Verlängerung des Rahmenzeitraums um Monate des Bezugs von Übergangsgeld nach § 306 ASVG sowie um höchstens 60 Monate des Bezugs von Rehabilitationsgeld nach § 143a ASVG und von Umschulungsgeld nach § 39b AlVG vorgesehen.

2.3. Für die Frage der Erhaltung des Berufsschutzes als gelernter (angelernter) Arbeiter gemäß § 255 Abs 1 ASVG hat der Oberste Gerichtshof das Vorliegen einer planwidrigen Gesetzeslücke in § 255 Abs 2 ASVG bejaht, die im Hinblick auf das Gebot der verfassungskonformen Interpretation im Weg der analogen Anwendung des § 255 Abs 4 Z 1 ASVG zu schließen ist: Demnach wird der Rahmenzeitraum des § 255 Abs 2 ASVG auch um (neutrale) Zeiten des Bezugs einer Pension aus dem Versicherungsfall der geminderten Arbeitsfähigkeit (§ 234 Abs 1 Z 2 lit a ASVG) verlängert (10 ObS 12/14h SSV‑NF 28/13; 10 ObS 14/18h; 10 ObS 31/19k; RS0129361).

2.4. Der Oberste Gerichtshof stellte aber auch klar, dass eine – eine Analogie ermöglichende – planwidrige Lücke des § 255 Abs 2 Satz 4 ASVG im Hinblick auf Zeiten der Arbeitslosigkeit nicht vorliegt (10 ObS 8/15x SSV‑NF 29/10; 10 ObS 14/18h; RS0130003).

2.5. Maßgeblich für die unterschiedliche Behandlung von in den Rahmenzeitraum des § 255 Abs 2 Satz 2 ASVG oder des § 273 Abs 1 ASVG fallenden Zeiten des Bezugs einer Pension aus dem Versicherungsfall der geminderten Arbeitsfähigkeit und von Zeiten der Arbeitslosigkeit ist, dass der Versicherte während des Bezugs von Arbeitslosengeld (und Notstandshilfe) grundsätzlich arbeitsfähig sein muss (10 ObS 14/18h). Die zu 10 ObS 12/14h als ausschlaggebende angesehene Wertung – die Vermeidung der Diskriminierung behinderter Menschen, die durch den Bezug einer (befristeten) Pension aus dem Versicherungsfall der geminderten Arbeitsfähigkeit nicht Gefahr laufen sollen, einen bestehenden Berufsschutz zu verlieren, weil sie während der Zeit des Pensionsbezugs arbeitsunfähig sind und aus diesem Grund keine Möglichkeit haben, Pflichtversicherungsmonate aufgrund von Erwerbstätigkeit zu erwerben (10 ObS 12/14h; vgl 10 ObS 14/18h) – kommt für Zeiten der Arbeitslosigkeit nicht zum Tragen.

3.1. Die Rechtsansicht des Revisionswerbers, aus der Entscheidung 10 ObS 12/14h könne die von ihm angestrebte Erstreckung der Rahmenfrist des § 273 Abs 1 ASVG um Zeiten der Arbeitslosigkeit abgeleitet werden, findet in der genannten Entscheidung keine Deckung. Diese Ansicht wurde vielmehr vom Obersten Gerichtshof bereits mehrfach abgelehnt (10 ObS 8/15x SSV‑NF 29/10; 10 ObS 14/18h; 10 ObS 31/19k).

3.2. Eine erhebliche Rechtsfrage iSd § 502 Abs 1 ZPO wird in der außerordentlichen Revision in diesem Zusammenhang daher nicht aufgezeigt.

4.1. Die Vollständigkeit und Schlüssigkeit eines Sachverständigengutachtens und die allfällige Notwendigkeit einer Ergänzung oder eines Vorgehens nach § 362 Abs 2 ZPO fallen in den Bereich der vom Obersten Gerichtshof nicht überprüfbaren Beweiswürdigung (RS0113643 [T3]; vgl RS0043163; RS0097433). Mittels Rechtsrüge wären die Gutachtensergebnisse nur bekämpfbar, wenn dabei ein Verstoß gegen zwingende Denkgesetze, (sonstige) Erfahrungssätze oder zwingende Gesetze des sprachlichen Ausdrucks unterlaufen wäre (RS0043404 [T4]; RS0043168 [T14, vgl T2, T8]) oder erkennbar ist, dass der Sachverständige erheblichen Verhandlungsstoff außer Acht gelassen hat und dies die Unrichtigkeit des Gutachtens zur Folge hatte (RS0043168 [T7]).

4.2. Indem der Revisionswerber die während des erstgerichtlichen Verfahrens eingetretene Entwicklung des Krankheits- bzw Heilungsverlaufs den vom Sachverständigen getätigten Prognosen gegenüberstellt und auf einzelne in diesem Zusammenhang vorgelegte Urkunden verweist, gleichzeitig aber die aufgrund der laufenden Behandlung erstatteten (insgesamt sechs) Ergänzungsgutachten außer Acht lässt, zeigt er weder einen Verstoß gegen die Denkgesetze noch die Missachtung wesentlicher Verfahrensergebnisse auf.

4.3. Im Übrigen können angebliche Mängel des Verfahrens erster Instanz, die vom Berufungsgericht nicht als solche anerkannt worden sind, in der Revision nicht mehr geltend gemacht werden (RS0042963; RS0043061). Dieser Grundsatz kann auch nicht durch die Behauptung, das Berufungsverfahren sei – weil das Berufungsgericht der Mängelrüge nicht gefolgt sei – mangelhaft geblieben, umgangen werden (RS0043061 [T18]; RS0042963 [T58]).

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