OGH 4Ob30/19v

OGH4Ob30/19v5.7.2019

Der Oberste Gerichtshof hat durch den Senatspräsidenten Dr. Vogel als Vorsitzenden unddie Hofräte Dr. Schwarzenbacher, Hon.‑Prof. Dr. Brenn, Priv.‑Doz. Dr. Rassi und MMag. Matzka als weitere Richter in der Rechtssache der Klägerin ***** Apothekerkammer, *****, vertreten durch Mag. Jakob Hütthaler‑Brandauer, Rechtsanwalt in Wien, gegen die Beklagte G***** GmbH, *****, vertreten durch Dr. Bernhard Tonninger und andere Rechtsanwälte in Wien, wegen Unterlassung (Streitwert im Provisorialverfahren 35.000 EUR), über den außerordentlichen Revisionsrekurs der Beklagten gegen den Beschluss des Oberlandesgerichts Graz als Rekursgericht vom 16. Jänner 2019, GZ 5 R 190/18b-15, den

Beschluss

gefasst:

European Case Law Identifier: ECLI:AT:OGH0002:2019:0040OB00030.19V.0705.000

 

Spruch:

Der außerordentliche Revisionsrekurs wird gemäß §§ 78, 402 Abs 4 EO iVm § 526 Abs 2 Satz 1 ZPO mangels der Voraussetzungen des § 528 Abs 1 ZPO zurückgewiesen.

 

Begründung:

Die klagende Apothekerkammer nimmt das beklagte Warenhandelsunternehmen nach § 2 UWG bzw § 5 Abs 2 und Abs 4 LMSVG auf Unterlassung der Bezeichnung, des Inverkehrbringens und des Bewerbens eines Lebensmittels als „HCG C30 GALL Globuli“ oder sinngemäß ähnlich in Anspruch; in eventu begehrt sie, der Beklagten zu untersagen, ein Produkt mit der genannten Bezeichnung ohne Zulassung oder Registrierung nach dem AMG in Verkehr zu bringen oder zu bewerben. Die Beklagte täusche aufgrund der angegebenen Darreichungsform (Globuli), des Kürzels HCG und der Angabe der homöopathischen Potenzstufe C30 vor, dass das Produkt Eigenschaften zur Heilung, Linderung oder Verhütung von Krankheiten oder Beschwerden (hier ua von Übergewicht) aufweise und damit ein homöopathisches „Präsentationsarzneimittel“ im Sinn des § 1 Abs 1 AMG sei.

Das Erstgericht erließ und das Rekursgericht bestätigte die von der Klägerin begehrte einstweilige Verfügung gegen die Beklagte im Sinn des Hauptbegehrens.

Rechtliche Beurteilung

Mit ihrem außerordentlichen Revisionsrekurs zeigt die Beklagte keine erheblichen Rechtsfragen auf.

1.1. Auch Homöopathika sind Arzneimittel (§ 1 Abs 10 AMG), wenngleich sie insbesondere hinsichtlich der Zulassung (§§ 9b, 11 AMG) gewissen Erleichterungen unterliegen. Daher ist auch hinsichtlich dieser Arzneimittelgruppe die Unterscheidung zwischen Funktions- und Präsentationsarzneimitteln (vgl RIS‑Justiz RS0126741) zu beachten. Auch letztere sind Arzneimittel im Sinne des AMG (vgl RS0051388; RS0051393).

1.2. Für ein Präsentationsarzneimittel reicht schon die subjektive Zweckbestimmung (RS0051450). Maßgeblich ist, wie die angesprochenen Verkehrskreise die Angaben zum Produkt auffassen (EuGH C-319/05 , Knoblauchkapseln [Rz 46 f]), nicht dagegen, wie sie der Werbende verstanden wissen wollte. Es sind die zur Beurteilung von Werbeankündigungen nach § 2 UWG entwickelten Grundsätze heranzuziehen (RS0051461). Der Eindruck kann zwar auch schlüssig, muss aber mit Gewissheit entstehen (EuGH C-319/05 [Rz 46]; 4 Ob 117/16h, OMNiBiOTiC MIGRAene, mwN).

2.1. Die Vorinstanzen sind vertretbar davon ausgegangen, dass durch den konkreten Produktnamen in Zusammenhang mit der Vertriebs- und Darreichungsform (vgl 4 Ob 117/16h mwN) bei einem durchschnittlich informierten und aufmerksamen Verbraucher der Eindruck eines homöopathischen Arzneimittels entsteht. Gerade der im Revisionsrekurs genannte Verbraucher mit Interesse an Homöopathie bzw „energetisierten Lebensmitteln“ versteht die Bezeichnung C30 als Hinweis auf die in der Homöopathie gebräuchliche „(Hoch-)Potenzierung“. Der Begriff „Globuli“ wird ebenfalls eindeutig mit der für Homöopathika typischen Darreichungsform in Verbindung gebracht. Schließlich gesteht der Revisionsrekurs selbst zu, dass der informierte Verbraucher „HCG“ als Abkürzung für ein Schwangerschaftshormon wahrnimmt, dem gewichtsreduzierende Wirkungen zugeschrieben werden. Die Gesamtbeurteilung der Vorinstanzen, ein derartiger Verbraucher müsse den (unrichtigen) Eindruck erhalten, ein im Sinne homöopathischer Verfahren „potenziertes“ Arzneimittel vor sich zu haben, ist daher nicht zu beanstanden.

2.2. Der Revisionsrekurs übergeht zunächst, dass das Produkt nach den Feststellungen zuvor ausdrücklich in der Kategorie „Homöopathika – Besorgerartikel“ des Onlineshops der Beklagten gelistet war. Erst nach Klagsführung durch die Klägerin (in einem Vorprozess) vertreibt die Beklagte das Produkt (mit annähernd gleicher Bezeichnung) als Lebensmittel. In Übereinstimmung mit der Rechtsprechung (4 Ob 132/90) haben die Vorinstanzen deswegen die Gefahr einer fortwirkenden Irreführung angenommen.

2.3. Auch die im Revisionsrekurs zitierte Judikatur des EuGH, insbesondere die zuletzt ergangene Entscheidung C-195/14 , Teekanne, zeigt keine Fehlbeurteilung auf. Darin hielt der EuGH fest, dass ein dem europäischen Leitbild entsprechender Verbraucher das Zutatenverzeichnis eines Lebensmittels lesen wird, wenn sich seine Kaufentscheidung nach der Zusammensetzung des Erzeugnisses richtet (Rn 37). Gleichwohl könne auch ein richtiges und vollständiges Verzeichnis in bestimmten Fällen eine Irreführung über die Inhaltsstoffe eines Lebensmittels nicht verhindern (Rn 40). Diese Judikatur bezieht sich insoweit auf Lebensmittel, die eindeutig als solche erkennbar sind. Wird hingegen schon der Eindruck hervorgerufen, es handle sich um ein Arzneimittel, ist von einem Verbraucher nicht zu erwarten, das „Zutatenverzeichnis“ zu lesen. Die Beklagte selbst gesteht zu, dass in den Kugeln aufgrund der „Potenzierung“ (ein „Zuckerstückchen in Milliarden von Galaxien“) nur Saccharose enthalten ist. Da es sich bei echten Homoöpathika ähnlich verhält, ist nicht nachvollziehbar, welche Aufklärung der Verbraucher durch dieses Verzeichnis erfahren würde. Bereits aus dem Namen ergeben sich für ihn alle Informationen vermeintlich vollständig und ohne Bedarf weiterer Aufklärung.

2.4. Auch dass kein Krankheitsbild genannt wird, ist nicht geeignet, die Irreführung zu beseitigen, zumal nach § 17a Abs 1 Z 11 iVm § 50a Abs 2 AMG für (registrierte) homöopathische Arzneimittel ohnehin kein genehmigtes therapeutisches Anwendungsgebiet beworben werden darf. Verbraucher sind folglich daran gewöhnt, für Homöopathika keine Indikation angegeben zu erhalten.

2.5. Die vom Revisionsrekurs beanstandete Annahme des Rekursgerichts, beim (überwiegenden) Verkauf des Produkts in der Apotheke würden Apotheker Kunden nicht zwingend über die wahre Beschaffenheit des Präparats und darüber aufklären, dass tatsächlich kein homöopathisches Mittel vorliege, steht ebenfalls im Einklang mit der Rechtsprechung des Senats. So wurde in der Entscheidung 4 Ob 141/02t das Vorliegen eines Präsentationsarzneimittels wegen der irreführenden Bewerbung nur gegenüber Apothekern deswegen bejaht, weil davon ausgegangen werden muss, dass diese Information im Wege mündlicher Beratungsgespräche (deren Inhalt dem Vertreiber zuzurechnen ist) an die maßgeblichen Verbraucherkreise weitertransportiert wird. Im Übrigen gesteht der Revisionsrekurs selbst zu, dass die Aufklärungs- und Beratungspflicht des Apothekers erst dann eingreift, wenn er Grund zu der Annahme hat, der Verbraucher unterliege einem Irrtum. Es ist aber weder anzunehmen, dass ein solcher bei jedem Käufer des Präparats erkennbar ist, noch ist Sinn und Zweck dieser Pflicht, Hersteller von Präsentationsarzneimitteln aus ihrer Verantwortung zu entlassen.

Zusammenfassend steht die Bejahung der Irreführung durch die Vorinstanzen im Einklang mit der Rechtsprechung des Obersten Gerichtshofs.

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