European Case Law Identifier: ECLI:AT:OGH0002:2019:0100OB00100.18F.0122.000
Spruch:
Die Revision wird zurückgewiesen.
Die klagenden Parteien sind schuldig, der beklagten Partei die mit 2.469,52 EUR (darin enthalten 411,59 EUR USt) bestimmten Kosten der Revisionsbeantwortung binnen 14 Tagen zu ersetzen.
Begründung:
Die Kläger erheben gegen den Beklagten ein auf Schadenersatzhaftung gerichtetes Feststellungsbegehren und machen in eventu Schadenersatzansprüche aus dem zwischen 1999 und 2008 erfolgten Erwerb von Genussscheinen geltend, die von der A***** Gruppe AG emittiert und von dieser (ab dem Jahr 2008) nicht mehr zurückgekauft worden waren.
Der Beklagte übte bei dieser Gesellschaft von 1. 2. 2005 bis 31. 1. 2010 die Funktion eines für Strategie, Public Relations, Marketing und Sponsoring zuständigen Vorstandsmitglieds aus.
Das Erstgericht wies das Klagebegehren ab.
Die vom Erstgericht getroffenen Feststellungen sind – soweit für das Revisionsverfahren wesentlich – wie folgt zusammenzufassen:
Wesentliches Geschäftsmodell der gesamten A*****gruppe (hinter der Dr. W***** stand) war der Vertrieb von Genussscheinen. Diese wurden von der – nicht börsennotierten – A***** Gruppe AG emittiert. Diese Gesellschaft verfügte neben Dr. W***** über zwei weitere Vorstandsmitglieder, von denen eines der Beklagte war; weitere Mitarbeiter gab es nicht. Der Vertrieb der Genussscheine wurde von der A***** AG und deren – zum großen Teil – freien Mitarbeitern besorgt; an dieser Gesellschaft hielt die A***** Gruppe AG etwa 75 % der Aktien. Diese beiden Gesellschaften waren die wichtigsten Teile der Unternehmensgruppe. Weder in der A***** Gruppe AG noch in der A***** AG gab es ein funktionierendes Kontrollsystem.
Das Genussscheinsystem war von Anfang an allein darauf ausgerichtet, durch den fortlaufenden Verkauf von Genussscheinen an Anleger Geldmittel zu lukrieren. Der von der A***** AG veröffentlichte Genussscheinkurs stellte jährlich einen 12 % gestiegenen Kurswert dar. Der stetige Kursanstieg war aber – wie sich später herausstellte – ausschließlich auf Kursmanipulationen des Dr. W***** zurückzuführen. Von einer jährlichen Rendite in dieser Höhe konnte keine Rede sein. Das Genussscheinkapital wurde zum Teil im Wege von Provisionen an die A***** AG weitergeleitet, zum Teil wurde es zur Abdeckung von Aufwendungen in der A***** Gruppe AG und zum Kauf von Wertpapieren verwendet. Eine Rendite auf das eingesetzte Kapital erzielten die Anleger nur dann, wenn sie die Genussscheine zum angegebenen Kurswert rechtzeitig an die A***** Gesellschaften zurückverkaufen konnten. Das ursprünglich vorhandene Rückkaufsrecht war aber bereits 2001 eliminiert worden. Dennoch wurden vorerst noch Rückkaufsanbote angenommen, ab Oktober 2008 wurden die Rückkäufe dann gänzlich eingestellt.
Aufgabe des Beklagten war es, die A***** Gruppe AG nach außen positiv vorzustellen und für diese ein positives Image zu schaffen. Er war auch für die Dynamik des Vertriebs der Genussscheine durch die A***** AG zuständig und übernahm für diese Gesellschaft Pressearbeiten. Er war nicht operativ tätig. In der A***** AG hatte der Beklagte keine Organfunktion inne, er hatte weder Einfluss auf den operativen Bereich dieser Gesellschaft noch verfügte er über Kompetenzen im Zusammenhang mit dem Vertrieb der Genussscheine.
Dr. W***** versicherte dem Beklagten, dass die Genussscheine mit der Finanzmarktaufsicht ausgearbeitet, mehrfach von einem Rechtsanwalt überprüft worden seien und seit Jahren an der Börse gehandelt würden. Die Kursmanipulationen verschwieg er dem Beklagten, dafür ergaben sich für den Beklagten auch keine Anhaltspunkte. Der Kurs der Genussscheine wurde dem Beklagten jeweils am Anfang des Monats zur Veröffentlichung bekanntgegeben. Auf Basis dieser Informationen verfasste der Beklagte monatlich einen Aktionärsbrief (den sogenannten „Newsletter“). Diese Mitteilungen enthielten neben den stets gestiegenen Kursen weitere – stets positive – Einzelmeldungen aus dem Geschäftsbetrieb der A***** Gesellschaften. Der Beklagte gab als Vorstandssprecher zahlreiche Interviews, in denen er – aufgrund der nicht den Tatsachen entsprechenden Informationen des Dr. W***** – über die erfolgreichen Entwicklungen der A***** Gesellschaften berichtete und die Genussscheine als sichere und gewinnbringende Anlageform darstellte.
Im Mai 2010 wurde sowohl über die A***** Gruppe AG als auch deren Tochterunternehmen, die A***** AG jeweils das Konkursverfahren eröffnet. Beide Konkursverfahren waren zum Zeitpunkt des Schlusses der mündlichen Verhandlung erster Instanz im vorliegenden Verfahren (14. 11. 2016) noch nicht rechtskräftig beendet.
Dr. W***** wurde mit Urteil des Landesgerichts ***** vom 31. 1. 2011 wegen der Verbrechen des gewerbsmäßigen schweren Betrugs, der Untreue und der betrügerischen Krida sowie der Vergehen nach § 255 Abs 1 Z 1 und Z 4 AktG, nach § 15 Abs 1 Z 1 KMG und der Fälschung von Beweismitteln zu einer achtjährigen Freiheitsstrafe verurteilt. Mit einem weiteren Urteil wurde er wegen der Finanzvergehen der gewerbsmäßigen Abgabenhinterziehung nach dem Finanzstrafgesetz zu einer Geldstrafe verurteilt.
Das von der Staatsanwaltschaft ***** gegen den Beklagten geführte Ermittlungsverfahren wegen der Verbrechen des Betrugs und der Untreue, der Vergehen gemäß § 15 KMG, gemäß § 255 AktG sowie gemäß § 48b BörseG wurde am 4. 7. 2011 gemäß § 190 Z 2 StPO eingestellt.
Das Berufungsgericht bestätigte das abweisliche Ersturteil und ließ die Revision mit der Begründung zu, es könnte auch der Standpunkt vertreten werden, dass der Beklagte (dessen Ausschluss vom operativen Geschäft sich zwar aus seinem Vorstandsvertrag ergab, nach außen aber nicht ersichtlich war), doch dazu verhalten gewesen wäre, die ihm von Dr. W***** erteilten Informationen vor Weiterleitung an die Medien zu hinterfragen.
Rechtliche Beurteilung
Entgegen diesem – den Obersten Gerichtshof nicht bindenden Zulassungsausspruch – ist die Revision der Kläger nicht zulässig.
1.1 Die Kläger machen eine „Außenhaftung“ (Durchgriffshaftung) des Organmitglieds der Emissionsaktiengesellschaft nach allgemeinem Deliktsrecht geltend, wobei sie dem Beklagten im Wesentlichen haftungsbegründende Schutzgesetzverletzungen vorwerfen (vgl RIS‑Justiz RS0120155 [T2]).
1.2 Da die Ansprüche der Gesellschaftsgläubiger gegen die Vorstandsmitglieder aus Delikt kein Bestandteil des Vermögens der AG sind, werden derartige Schadenersatzverfahren durch die Insolvenzeröffnung gegen die AG nicht berührt (8 Ob 543/87; vgl RIS‑Justiz RS0023677 [T14] zur GmbH; Strasser in Jabornegg/Strasser, AktG II5 § 84 AktG Rz 124).
1.3 Eine deliktische Haftung von Vorstandsmitgliedern aus Schutzgesetzverletzungen kommt nach ständiger Rechtsprechung dann in Betracht, wenn das Organmitglied nicht nur seine Verpflichtungen gegenüber der Gesellschaft, sondern durch sein Handeln gleichzeitig Normen zum Schutz der Gläubiger verletzt hat (RIS‑Justiz RS0023677; RS0023887). Wird ein strafrechtlich relevanter Tatbestand durch eine gegen Gläubiger gerichtete strafbare Handlung verwirklicht, ist jedenfalls auch eine Haftung wegen Verletzung eines Schutzgesetzes begründet, mit der Konsequenz, dass das Organ für den dadurch verursachten Schaden persönlich haftet (1 Ob 51/12z).
1.4 Anknüpfungspunkt einer deliktischen Außenhaftung für Organmitglieder des Emittenten kann die Strafnorm des § 255 Abs 1 Z 1 AktG sein, die nach herrschender Auffassung bei Verletzung kapitalmarktorientierter Informationspflichten auch den Anleger schützt (3 Ob 75/06k). Voraussetzung einer direkten persönlichen Außenhaftung nach § 255 AktG ist, dass vorsätzlich eine nach außen gerichtete Information unrichtig, unvollständig oder – entgegen einer Informationspflicht – nicht rechtzeitig abgegeben wird; bedingter Vorsatz genügt. Wie bereits das Berufungsgericht ausgeführt hat, hätte der Beklagte es also zumindest ernstlich für möglich halten müssen, dass eine Darstellung unrichtig wiedergegeben oder verschleiert wird und dies auch billigend in Kauf nehmen müssen. Der Vorwurf, er habe keine eigenen Überlegungen angestellt und hätte um die Unrichtigkeit wissen müssen, reicht zur Annahme eines bedingten Vorsatzes hingegen nicht aus (RIS‑Justiz RS0089257). Eine fahrlässige unrichtige Wiedergabe genügt nicht. Die vom Berufungsgericht als erheblich angesehene Frage lässt sich somit dahin beantworten, dass es für die Tatbestandsverwirklichung nach § 255 AktG (und einer daraus abgeleiteten deliktischen Haftung) nicht ausreicht, dass der Beklagte bei sorgfältiger Prüfung die Unrichtigkeit erkennen hätte müssen ( Kalss in Doralt/Nowotny/Kalss Kommentar zum AktG II 2 § 255 Rz 38).
2. Wenn die Kläger in ihrer Revision zu der vom Berufungsgericht aufgeworfenen Rechtsfrage nur geltend machen, aufgrund verschiedener – näher dargestellter – Beweisergebnisse wäre davon auszugehen gewesen, dass der Beklagte in „Vogelstraußmanier die Augen verschlossen hätte“ und es ihm bei gehöriger Aufmerksamkeit leicht möglich gewesen wäre, die Anleger über die Medien richtig zu informieren, wird keine Rechtsfrage von erheblicher Bedeutung iSd § 502 Abs 1 ZPO aufgezeigt.
3. Da die Revision auch in ihrem weiteren Vorbringen zu anderen Anspruchsgrundlagen nur solche Gründe geltend macht, deren Erledigung nicht von der Lösung erheblicher Rechtsfragen abhängt, ist sie – trotz Zulässigerklärung – zurückzuweisen. Die Darlegung kann sich auf die Zurückweisungsgründe beschränken:
4. Zu §§ 40, 41 WAG als Anspruchsgrundlage:
4.1 Nach § 40 Abs 1 des – auf den vorliegenden Fall noch anwendbaren – WAG 2007 (BGBl I 2007/60) müssen Rechtsträger die dort angeführten Informationen allen Kunden übermitteln. Diese Informationspflicht trifft daher die Rechtsträger iSd § 15 WAG 2007 gegenüber ihren Kunden, also gegenüber Kreditinstituten, Wertpapierfirmen, Wertpapierdienstleistungsunternehmen, Versicherungs-unternehmen etc ( Brandl/Klausberger in Brandl/Saria, WAG 2 § 40 Rz 27). Eine Verpflichtung der Organmitglieder wird nicht begründet, weshalb eine etwaige Verletzung dieser Bestimmungen nicht zu einer persönlichen (Außen‑)Haftung des Beklagten gegenüber den Klägern führen kann. Auch die Bestimmung des § 41 WAG 2007 ist lediglich auf das Verhältnis zwischen Rechtsträger und Kunden anzuwenden ( Brandl/Klausberger in Brandl/Saria, WAG 2 § 40, Rz 27; § 41 Rz 7). Aus welchen Gründen diese Rechtsansicht unrichtig sein sollte, ist der Revision nicht zu entnehmen, weshalb nicht weiter darauf einzugehen ist (vgl RIS‑Justiz RS0042779).
5. Zur Anspruchsgrundlage nach § 84 Abs 5 AktG:
5.1 Nach § 84 Abs 1 Satz 1 AktG hat jedes Vorstandsmitglied bei seiner Geschäftsführung die Sorgfaltspflicht eines ordentlichen und gewissenhaften Geschäftsleiters anzuwenden. Vorstandmitglieder, die ihre Obliegenheiten verletzen, sind der Gesellschaft zum Ersatz des daraus entstehenden Schadens als Gesamtschuldner verpflichtet.
5.2 Gemäß § 84 Abs 5 AktG kann der Ersatzanspruch der Gesellschaft auch von den Gläubigern der Gesellschaft geltend gemacht werden, soweit sie von dieser keine Befriedigung erlangen. Ist über das Vermögen der Gesellschaft das Insolvenzverfahren eröffnet, so übt während dessen Dauer der Masse‑ oder Sanierungsverwalter das Recht der Gläubiger gegen die Vorstandsmitglieder aus.
5.3 Die in § 84 Abs 5 AktG vorgesehene Möglichkeit, dass Gesellschaftsgläubiger Vorstandsmitglieder direkt klagen, hat vor allem Relevanz, wenn die AG vermögenslos ist, der Gläubiger sohin aus dem Vermögen der AG keine Befriedigung erlangt und über das Vermögen der AG auch kein Insolvenzverfahren eröffnet wird ( Reich‑Rohrwig/Grossmayer in Artmann/Karollus , Kommentar zum AktG 6 § 84 Rz 429). Befindet sich die Gesellschaft aber – wie hier – im Konkurs, gehören deren Ersatzansprüche gegen Verwaltungsmitglieder zum konkursverfangenen Gesellschaftsvermögen. Nur der Masseverwalter ist dann im Rahmen seiner insolvenzrechtlich bestimmten Vertretungsbefugnis mit Wirkung für und gegen die Aktiengesellschaft und die Gesellschaftsgläubiger verfügungsberechtigt. Das Recht der Gesellschaftsgläubiger, Ersatzansprüche der AG aus Pflichtverletzungen von Verwaltungsmitgliedern im eigenen Namen und für eigene Rechnung geltend zu machen, wird für die Dauer des Gesellschaftsinsolvenzverfahrens zu Gunsten des Masseverwalters verdrängt. Der Gesellschaftsgläubiger gewinnt seine prozessuale Stellung erst mit dem Erlöschen des Prozessführungsrechts des Insolvenzverwalters, also in der Regel mit der Beendigung des Insolvenzverfahrens (mit der Rechtskraft der Aufhebung des Insolvenzverfahrens) zurück ( Herzer/Strobl in Gratzl/Hausmaninger/Justich , Handbuch zur Aktiengesellschaft I 2 Kap 6 Rz 339).
6.1 Mit diese Rechtslage steht die Rechtsansicht der Vorinstanzen in Einklang, aufgrund des noch anhängigen Konkursverfahrens über das Vermögen der A***** Gruppe AG (und über das Vermögen der A***** AG) fehle es den Klägern an der Aktivlegitimation zur Durchsetzung ihrer Ansprüche auf der Grundlage des § 84 AktG. Dass – wie die Revisionswerber vorbringen – mit Beschluss vom 23. 5. 2018 der Konkurs über das Vermögen der A***** (rechtskräftig) aufgehoben worden ist und auch mit dem baldigen Ende des Konkursverfahrens über das Vermögen der A***** Gruppe AG zu rechnen sei, ist im Hinblick darauf nicht maßgeblich, dass auf den Zeitpunkt des Schlusses der mündlichen Verhandlung erster Instanz abzustellen ist (RIS‑Justiz RS0013338), also auf den 14. 11. 2016.
6.2 Das weitere Vorbringen, der Masseverwalter habe die Geltendmachung nach § 84 Abs 5 AktG abgelehnt, weshalb trotz des laufenden Konkursverfahrens die Ansprüche von den Anlegern geltend gemacht werden könnten, entfernt sich von den Feststellungen, weshalb nicht darauf einzugehen ist (RIS‑Justiz RS0043312).
7. Zur Anspruchsgrundlage nach § 1300 ABGB:
Auf die Haftung für Rat und Auskunft nach § 1300 ABGB ist das Erstgericht nicht eingegangen; die Kläger haben in ihrer Berufung auf diese Anspruchsgrundlage nicht Bezug genommen. Wird eine Rechtsrüge aber nur in bestimmten Punkten ausgeführt, können andere selbständige Rechtsfragen in der Revision nicht mehr nachgetragen werden (RIS‑Justiz RS0043352 [T27, T33]).
Die Revision war daher zurückzuweisen.
Die Kostenentscheidung beruht auf den §§ 41, 50 ZPO. Der Beklagte hat auf die Unzulässigkeit der Revision hingewiesen.
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