OGH 8ObA68/18k

OGH8ObA68/18k19.12.2018

Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht in Arbeits- und Sozialrechtssachen durch den Senatspräsidenten Hon.‑Prof. Dr. Kuras als Vorsitzenden, die Hofrätinnen Dr. Tarmann‑Prentner und Mag. Wessely‑Kristöfel als weitere Richter sowie die fachkundigen Laienrichter Mag. Dr. Bernhard Gruber (aus dem Kreis der Arbeitgeber) und Mag. Hubert Böhm (aus dem Kreis der Arbeitnehmer) in der Arbeitsrechtssache der klagenden Partei C*****, vertreten durch Mag. Johannes Bügler, Rechtsanwalt in Wien, gegen die beklagte Partei S*****, vertreten durch Fellner Wratzfeld & Partner Rechtsanwälte GmbH in Wien, wegen Feststellung des aufrechten Dienstverhältnisses, über die außerordentliche Revision der beklagten Partei gegen das Urteil des Oberlandesgerichts Wien als Berufungsgericht in Arbeits- und Sozialrechtssachen vom 29. August 2018, GZ 8 Ra 66/18m‑22, in nichtöffentlicher Sitzung den

Beschluss

gefasst:

European Case Law Identifier: ECLI:AT:OGH0002:2018:008OBA00068.18K.1219.000

 

Spruch:

Die außerordentliche Revision wird gemäß § 508a Abs 2 ZPO mangels der Voraussetzungen des § 502 Abs 1 ZPO zurückgewiesen (§ 510 Abs 3 ZPO iVm § 2 Abs 1 ASGG).

Der Antrag der klagenden Partei auf Zuspruch der Kosten der Revisionsbeantwortung wird abgewiesen.

Begründung:

Rechtliche Beurteilung

1. Die Beklagte hat die Kündigung des Klägers auf § 42 Abs 2 Z 2 VBO 1995 gestützt. Zu dieser Bestimmung nahm der Oberste Gerichtshof zuletzt in den Entscheidungen 9 ObA 153/17s und 9 ObA 70/18m, denen ähnliche Sachverhalte wie hier zugrunde lagen, ausführlich Stellung.

2. Nach § 42 Abs 2 Z 2 VBO 1995 ist die Beklagte zur Kündigung eines Bediensteten dann berechtigt, wenn dieser für die Erfüllung seiner Dienstpflichten gesundheitlich ungeeignet ist. Dies ist regelmäßig dann der Fall, wenn der Dienstnehmer nicht mehr die für die Erfüllung seiner dienstlichen Aufgaben erforderliche gesundheitliche Eignung besitzt.

Aber auch wenn der Dienstnehmer grundsätzlich für seine Arbeit körperlich geeignet ist, ist dieser Kündigungsgrund dann verwirklicht, wenn Krankenstände auftreten, die den Bediensteten laufend in einem weit über dem Durchschnitt liegenden Maß an der Dienstleistung hindern (RIS‑Justiz RS0081880). Die Erfüllung der Dienstpflichten umfasst nämlich nicht nur die Arbeitsleistung an sich, sondern auch deren Verfügbarkeit für den Dienstgeber (8 ObA 230/01h; 9 ObA 56/02d).

3. Eine starre Grenze für überhöhte Krankenstände in Bezug auf deren Häufigkeit und Dauer besteht nicht (8 ObA 21/14t mwN). Bei der Annahme überdurchschnittlicher Krankenstände orientiert sich die Rechtsprechung an Krankenständen, die jährlich sieben Wochen und darüber ausmachen (9 ObA 33/12m ua; vgl RIS‑Justiz RS0113471). Beim Erfordernis des „längeren Zeitraums“ wird von der Rechtsprechung darauf abgestellt, dass sich die über dem Durchschnitt liegenden Krankenstände über mehrere Jahre erstreckten (9 ObA 33/12m ua).

4. Kommen solcherart überhöhte Krankenstände als Kündigungsrechtfertigungsgrund in Betracht, so muss der Dienstgeber eine objektive Zukunftsprognose über die weitere Dienstfähigkeit des betroffenen Dienstnehmers anstellen, die im zeitlichen Zusammenhang mit dem Kündigungszeitpunkt zu erstellen ist (8 ObA 21/14t ua).

Eine ungünstige Prognose kann etwa aus der anhaltend steigenden Zahl der Krankheitstage bei regelmäßigen Krankenständen oder aus einer objektivierten Verschlechterung des Grundleidens abgeleitet werden (8 ObA 21/14t mwN). Bei dieser Beurteilung darf auch die Art der Erkrankung samt deren Ursache und die daraus ableitbare gesundheitliche Situation des Dienstnehmers und Eignung für die Erfüllung der Dienstpflichten in der Zukunft nicht außer Betracht bleiben (9 ObA 70/18m). Allgemein trägt der für das Vorliegen des Kündigungsgrundes behauptungs- und beweispflichtige Dienstgeber das Risiko, dass sich der von ihm angenommene Kündigungsgrund später (im gerichtlichen Verfahren) als nicht berechtigt erweist (vgl RIS‑Justiz RS0110154).

5. Im vorliegenden Fall zog das Berufungsgericht aus den Feststellungen den Schluss, dass sich nur für die Jahre 2012 und 2013 sieben Wochen übersteigende Krankenstände ergeben, aber ab 2014 bis zur Kündigungserklärung am 16. 8. 2017 keine überhöhten Krankenstände mehr vorliegen, weil sämtliche infolge von Unfällen aufgetretenen Krankenstände außer Betracht zu bleiben haben. Da nach den Feststellungen mit dem Eintritt weiterer unfallbedingter Krankenstände wahrscheinlich nicht zu rechnen ist und auch kein Grundleiden beim Kläger besteht, das diese erwarten ließe, ist das Berufungsgericht vertretbar zu der Auffassung gelangt, dass eine ungünstige Zukunftsprognose nicht anzunehmen war.

Dem Einwand der Beklagten, bei Ausspruch der Kündigung seien ihr die Ursachen der Krankenstände und die Zukunftsprognose aufgrund des späteren medizinischen Sachverständigengutachtens weder bekannt gewesen noch hätten sie ihr bekannt sein müssen, hielt bereits das Berufungsgericht die Rechtsprechung entgegen, dass der in Ansehung des Rechtfertigungsgrundes beweispflichtige Arbeitgeber, der sich – etwa indem er gar keine Nachforschungen anstellt – mit der Art der Erkrankung samt deren Ursachen und der zumutbaren Krankenbehandlung gar nicht auseinandersetzt, das Risiko trägt, dass sich seine Prognose bei Anlegung eines objektiven Maßstabs als unrichtig erweist (8 ObA 53/11v).

In der Revision meint die Beklagte nun, dass sie trotz der den Kläger nach § 13 Abs 2 VBO 1995 treffenden Untersuchungspflicht aus diversen grund- und datenschutz-rechtlichen Erwägungen keinen Anspruch darauf gehabt hätte, zu erfahren, woran der Kläger erkrankt gewesen sei bzw aus welchen Gründen er dienstunfähig gewesen sei; die Beurteilung, ob ein Kündigungsgrund verwirklicht sei, müsse aber auf Basis eines dem Dienstgeber zugänglichen Sachverhalts möglich sein.

Damit zeigt die Beklagte allerdings schon deshalb keine erhebliche Rechtsfrage auf, weil sie nie behauptet hat, vor der Kündigungserklärung auch nur versucht zu haben, an die relevanten Informationen für eine die Kriterien der Rechtsprechung berücksichtigende Zukunftsprognose (etwa durch Befragung des Klägers) zu gelangen. Im Übrigen hat der Oberste Gerichtshof zu den personenbedingten Kündigungsgründen nach § 105 Abs 3 ArbVG bereits klargestellt, dass den Bemühungen des Dienstgebers um Aufklärung der Krankenstandsursachen und der Mitwirkung des Arbeitnehmers daran Bedeutung zukommen kann (9 ObA 137/17p).

6. Mangels einer Rechtsfrage von der Qualität des § 502 Abs 1 ZPO ist die außerordentliche Revision zurückzuweisen.

7. Da eine Rechtsmittelbeantwortung nicht freigestellt war, diente die vom Kläger eingebrachte Revisionsbeantwortung nicht der zweckentsprechenden Rechtsverfolgung und ist nicht zu honorieren (§ 508a Abs 2 ZPO; RIS‑Justiz RS0043690).

Stichworte