OGH 8ObA21/14t

OGH8ObA21/14t24.3.2014

Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht in Arbeits‑ und Sozialrechtssachen durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshof Dr. Spenling als Vorsitzenden und durch die Hofräte des Oberstern Gerichtshofs Hon.‑Prof. Dr. Kuras und Dr. Brenn sowie die fachkundigen Laienrichter Dr. Reinhard Drössler und Dr. Gerda Höhrhan‑Weiguni als weitere Richter in der Arbeitsrechtssache der klagenden Partei H***** F*****, vertreten durch die Wille Brandstätter Scherbaum Rechtsanwälte OG in Wien, gegen die beklagte Partei Stadt Wien, 1082 Wien, Rathausstraße 4, vertreten durch Mag. Dieter Kieslinger, Rechtsanwalt in Wien, wegen Feststellung des aufrechten Bestands eines Dienstverhältnisses, über die außerordentliche Revision der beklagten Partei gegen das Urteil des Oberlandesgerichts Wien als Berufungsgericht in Arbeits‑ und Sozialrechtssachen vom 16. Dezember 2013, GZ 9 Ra 90/13s‑27, den

Beschluss

gefasst:

European Case Law Identifier: ECLI:AT:OGH0002:2014:008OBA00021.14T.0324.000

 

Spruch:

Die außerordentliche Revision wird gemäß § 508a Abs 2 ZPO mangels der Voraussetzungen des § 502 Abs 1 ZPO zurückgewiesen (§ 510 Abs 3 ZPO iVm § 2 Abs 1 ASGG).

Begründung

Rechtliche Beurteilung

1. Das Berufungsgericht hat die Grundsätze zum Kündigungsgrund der Dienstunfähigkeit wegen überlanger Krankenstände nach § 42 Abs 2 Z 2 VBO Wien 1995 zutreffend dargelegt.

Danach ist auch im Fall von lang andauernden Krankenständen bei Beurteilung der Dienstunfähigkeit von der bereits eingetretenen Dauer des Krankenstands sowie der Dauer und der Einschätzbarkeit der weiter zu erwartenden Krankenstände auszugehen. Eine starre zeitliche Grenze lässt sich auch für den Fall von durchgehenden langen Krankenständen nicht bestimmen. Für die anzustellende Zukunftsprognose kommt es nicht allein auf die Häufigkeit und Dauer der Krankenstände in der Vergangenheit, sondern auch auf die daraus ableitbare gesundheitliche Situation des Dienstnehmers und seine Eignung für die Erfüllung der Dienstpflichten in der Zukunft an. Insofern ist die Erkrankung des Dienstnehmers und deren Ursache von Bedeutung (8 ObA 103/06i; 8 ObA 7/08z; 9 ObA 133/13v). Ob die Voraussetzungen der Dienstunfähigkeit nach diesen Grundsätzen erfüllt sind, ist anhand der konkreten Umstände des Einzelfalls zu beurteilen.

2.1 Die Beklagte stützt sich in der außerordentlichen Revision auf die Rechtsprechung zum personenbezogenen Kündigungsgrund langer Krankenstände im Sinn des § 105 Abs 3 Z 2 ArbVG.

Grundsätzlich trifft es zu, dass der Rechtsprechung zu der in Rede stehenden Dienstunfähigkeit und jener für die Beurteilung überhöhter Krankenstände nach § 105 Abs 3 Z 2 ArbVG im Kern ähnliche Wertungen zugrunde liegen. Dies ergibt sich daraus, dass auch im Zusammenhang mit dem allgemeinen Kündigungsschutz die Rechtfertigung der Kündigung wegen längerer Krankenstände darin gesehen wird, dass wegen des vertretungsweise nicht mehr bewältigbaren Leistungsausfalls und der mangelnden Einsetzbarkeit der Arbeitskraft der Betrieb beeinträchtigt wird (vgl 8 ObA 178/00k).

2.2 Zu dieser Fragestellung besteht naturgemäß eine Fülle von Einzelfallentscheidungen. In der Entscheidung 8 ObA 53/11v wurde dazu die Rechtslage klargestellt und im gegebenen Zusammenhang Folgendes ausgeführt:

„Kommen [aufgrund der Häufigkeit und Dauer] überhöhte Krankenstände als Kündigungsrechtfertigungsgrund in Betracht, so muss der Arbeitgeber eine Zukunftsprognose über die weitere Arbeitsfähigkeit des betroffenen Arbeitnehmers anstellen, die im zeitlichen Zusammenhang mit dem Kündigungszeitpunkt zu erstellen ist (vgl RIS‑Justiz RS0051772; 8 ObA 48/08d). Entscheidend ist, dass ein verständiger und sorgfältiger Arbeitgeber bei objektiver Betrachtung (vgl Burgstaller, Krankheit und Kündigung, ZAS 2003/29, 163 [169]) berechtigt davon ausgehen kann, dass Krankenstände in erhöhtem Ausmaß mit hoher Wahrscheinlichkeit auch in Zukunft zu erwarten sind. Eine ungünstige Prognose kann etwa aus der anhaltend steigenden Zahl der Krankheitstage bei regelmäßigen Krankenständen oder aus einer objektivierten Verschlechterung des Grundleidens abgeleitet werden (vgl RIS‑Justiz RS0081880).

Bei der Beurteilung ist zu berücksichtigen, dass in der Vergangenheit aufgetretene Krankenstände, die für die künftige Einsatzfähigkeit des Arbeitnehmers nicht unbedingt aussagekräftig sind, weil die zugrunde liegende Krankheit überwunden wurde, nicht als persönlicher Kündigungsrechtfertigungsgrund herangezogen werden können (vgl Gahleitner in Cerny/Gahleitner/Preiss/Schneller, Arbeitsverfassungsrecht III4 § 105 Erl 44). Die Zukunftsprognose hängt damit außer von Häufigkeit und Dauer der bisherigen Krankenstände auch wesentlich von der Art der Erkrankung samt deren Ursache und der zumutbaren Krankenbehandlung ab (vgl Burgstaller aaO 169; vgl auch RIS‑Justiz RS0113471).

Eine starre Grenze für überhöhte Krankenstände in Bezug auf deren Häufigkeit und Dauer besteht nicht (8 ObA 103/06i; vgl auch 8 ObA 7/08z). Vielmehr ist das Vorliegen auch des in Rede stehenden Rechtfertigungsgrundes nach den Umständen des Einzelfalls zu beurteilen (8 ObA 48/08d).“

2.3 Aus diesen Grundsätzen folgt, dass es auf die Dauer und Häufigkeit der in der Vergangenheit aufgetretenen (überhöhten bzw überlangen) Krankenstände allein nicht ankommt und eine ungünstige Zukunftsprognose im Allgemeinen ausscheidet, wenn die Ursachen der Krankenstände die objektive Annahme verwehrt, der Zustand des Dienstnehmers werde auch in Zukunft überhöhte Krankenstände bewirken.

3. Die Beurteilung des Berufungsgerichts, dass bei objektiver Betrachtung der Situation im Rahmen der im zeitlichen Zusammenhang mit der Kündigung anzustellenden Zukunftsprognose für einen verständigen und sorgfältigen Dienstgeber überhöhte Krankenstände des Klägers nicht mit hoher Wahrscheinlichkeit zu erwarten gewesen seien, zumal seine festgestellten unterschiedlichen Erkrankungen jeweils ausgeheilt gewesen seien, hält sich im Rahmen der vom Einzelfall geprägten Rechtsprechung und erweist sich als nicht korrekturbedürftig.

Die Beklagte kann sich nach den dargestellten Grundsätzen gerade nicht darauf berufen, ihre ungünstige Zukunftsprognose sei deshalb richtig gewesen, weil der Kläger bei Ausspruch der Kündigung weitere drei Monate wegen Krankheit ausgefallen sei. Ebenso unzutreffend ist, dass die absolute Dauer der Krankenstände (hier im Jahr 2012) von mehr als acht Monaten bzw von mehr als 27 % der möglichen Arbeitszeit bzw von sieben Wochen pro Jahr in jedem Fall den in Anspruch genommenen Kündigungsgrund verwirkliche.

Mangels erheblicher Rechtsfrage war die außerordentliche Revision der Beklagten zurückzuweisen.

Stichworte