OGH 8ObA48/08d

OGH8ObA48/08d2.9.2008

Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht in Arbeits- und Sozialrechtssachen durch den Senatspräsidenten Hon.‑Prof. Dr. Danzl als Vorsitzenden sowie den Hofrat Dr. Spenling und die Hofrätin Dr. Lovrek und die fachkundigen Laienrichter Dr. Michael Umfahrer und Franz Boindl als weitere Richter in der Arbeitsrechtssache der klagenden Partei Mijomir M*****, vertreten durch Dr. Bertram Grass, Mag. Christoph Dorner, Rechtsanwälte in Bregenz, gegen die beklagte Partei Julius B***** GmbH, *****, wegen Kündigungsanfechtung, über die außerordentliche Revision des Klägers gegen das Urteil des Oberlandesgerichts Innsbruck als Berufungsgericht in Arbeits- und Sozialrechtssachen vom 29. April 2008, GZ 15 Ra 19/08v‑15, den

Beschluss

gefasst:

European Case Law Identifier: ECLI:AT:OGH0002:2008:008OBA00048.08D.0902.000

 

Spruch:

Die außerordentliche Revision wird gemäß § 508a Abs 2 ZPO mangels der Voraussetzungen des § 502 Abs 1 ZPO zurückgewiesen (§ 510 Abs 3 ZPO).

 

Begründung

Rechtliche Beurteilung

Steht fest, dass durch die Kündigung wesentliche Interessen des Arbeitnehmers beeinträchtigt sind und andererseits in der Person des Arbeitnehmers gelegene Umstände betriebliche Interessen nachteilig berühren, dann sind diese Voraussetzungen zueinander in eine Wechselbeziehung zu setzen. Es ist eine Abwägung dieser gegenüberstehenden Interessen vorzunehmen (RIS‑Justiz RS0051719; RS0051818).

Dabei entspricht es der ständigen Rechtsprechung, dass als personenbezogene Kündigungsgründe auch Krankenstände herangezogen werden können (RIS‑Justiz RS0051801). Bei der vorzunehmenden Interessenabwägung ist nicht nur die Dauer der bisherigen Krankenstände zu berücksichtigen, sondern es ist auch die zukünftige Entwicklung der Verhältnisse nach der Kündigung soweit einzubeziehen, als sie mit der angefochtenen Kündigung noch in einem sachlichen und zeitlichen Zusammenhang steht (RIS‑Justiz RS0051785; 9 ObA 110/88 = ZAS 1989/21 [Hainz]). Dabei kann die Interessenabwägung naturgemäß nur nach den jeweiligen Umständen des Einzelfalls erfolgen. Sie stellt, soweit sie unter Heranziehung der vom Obersten Gerichtshof in seiner Judikatur erarbeiteten Grundsätze erfolgt, wegen dieser Einzelfallbezogenheit regelmäßig auch keine erhebliche Rechtsfrage dar, der zur Wahrung der Rechtseinheit oder Rechtsfortbildung iSd § 502 Abs 1 ZPO Bedeutung zukommen würde (9 ObA 26/04w; 8 ObA 141/04z uva).

Eine Fehlbeurteilung, die vom Obersten Gerichtshof (OGH) unter dem Aspekt der Rechtssicherheit iSd § 502 Abs 1 ZPO aufzugreifen wäre, vermag der Kläger ebenso wenig darzustellen wie eine Rechtsfrage von allgemeiner Bedeutung, die nicht bereits anhand der vom OGH herausgearbeiteten Grundsätze für die Beurteilung der Kündigungsgründe gelöst werden könnte. Im Anlassfall ist der seit 5. 5. 2003 bei der Beklagten beschäftigte Kläger aufgrund eines am 19. 10. 2005 erlittenen Arbeitsunfalls seit diesem Zeitpunkt ununterbrochen im Krankenstand. Er wurde am 21. 9. 2007 zum 30. 11. 2007 gekündigt. Der Kläger, dem die Beklagte verschiedene leichtere Arbeitstätigkeiten angeboten hatte, wobei es einfachere als die dem Kläger angebotene Tätigkeit im Unternehmen der Beklagten nicht gibt, war nach seinem eigenen Vorbringen jedenfalls bis Ende Februar 2008 im Krankenstand.

Unter Berücksichtigung der Dauer des Krankenstands, der unstrittigen Tatsache, dass der Kläger jedenfalls bis Ende Februar 2008 nicht arbeitsfähig war und unter Berücksichtigung der mehrfachen Versuche der Beklagten, dem Kläger leichtere Tätigkeiten im Unternehmen anzubieten, ist die Auffassung des Berufungsgerichts, die Interessenabwägung gehe zu Lasten des Klägers, jedenfalls vertretbar. Ob es sich - wie der Kläger meint - hier um einen „Grenzfall" handelt, ist nicht maßgeblich: Allein die Frage nach der Vertretbarkeit einer anderen als der in zweiter Instanz erzielten Lösung kann die Anrufung des OGH nicht rechtfertigen; andernfalls hätte der OGH in solchen, in den Zulassungsbereich fallenden Fällen immer die Sachentscheidung zu fällen (Zechner in Fasching/Konecny² § 502 ZPO Rz 66 mwN).

Der Vorwurf des Klägers, das Berufungsgericht habe sich nicht mit der Notwendigkeit einer Prognose über die weitere Arbeitsfähigkeit des Klägers auseinandergesetzt, ist unbegründet, weil ausgehend vom Kündigungszeitpunkt (September 2007) feststeht, dass der Kläger jedenfalls weitere fünf Monate nach diesem Zeitpunkt nicht arbeitsfähig war. Von einer günstigen Zukunftsprognose - die im zeitlichen Zusammenhang mit dem Kündigungszeitpunkt zu erstellen ist - kann daher nicht ausgegangen werden. Auch der Umstand, dass der Krankenstand aus einem Arbeitsunfall resultiert, lässt die Beurteilung des Berufungsgerichts nicht unvertretbar erscheinen, berücksichtigt man, dass die Beklagte den nahezu zweijährigen Krankenstand des Klägers in Kauf nahm, bevor sie sich - nach vergeblichen Versuchen, den Kläger auf andere Weise im Unternehmen einzusetzen - zur Kündigung entschloss. So wurde etwa in der Entscheidung 8 ObA 25/02p (RIS‑Justiz RS0051801) darauf verwiesen, dass ein ununterbrochener Krankenstand von acht Monaten nach einem Arbeitsunfall üblicherweise auf dem Arbeitsmarkt nicht mehr in Kauf genommen werde. Das in der Revision hervorgehobene Alter des Klägers lässt die Beurteilung des Berufungsgerichts schon deshalb nicht unvertretbar erscheinen, weil hier ohnedies eine Interessenbeeinträchtigung des Klägers durch die Kündigung bejaht wurde. Die Arbeitsunfähigkeit des Klägers wurde nicht durch das höhere Lebensalter des Klägers verursacht, weshalb auch § 105 Abs 3 letzter Satz ArbVG nicht heranzuziehen ist.

Stichworte