OGH 9ObA110/88

OGH9ObA110/881.6.1988

Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht in Arbeits- und Sozialrechtssachen durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofes Hon.Prof. Dr. Kuderna als Vorsitzenden und durch die Hofräte des Obersten Gerichtshofes Dr. Gamerith und Dr. Mayer, sowie die fachkundigen Laienrichter Dr. Richard Bauer und Franz Erwin Niemitz als weitere Richter in der Arbeitsrechtssache der klagenden Partei Ing. Gerhard S***, Angestellter, Graz,

Sparbersbachgasse 13, vertreten durch Dr. Harold Schmid und Dr. Kurt Klein, Rechtsanwälte in Graz, wider die beklagte Partei W***-B*** AG, Graz, Waagner-Biro-Straße 98, vertreten durch Dr. Reinhard Tögl, Rechtsanwalt in Graz, wegen Anfechtung einer Kündigung, infolge Revision der klagenden Partei gegen das Urteil des Oberlandesgerichtes Graz als Berufungsgerichtes in Arbeits- und Sozialrechtssachen vom 26.Februar 1988, GZ 8 Ra 1144/87-13, womit infolge Berufung der klagenden Partei das Urteil des Landesgerichtes für ZRS Graz als Arbeits- und Sozialgericht vom 29.September 1987, GZ 36 Cga 1154/87-9, bestätigt wurde, in nichtöffentlicher Sitzung zu Recht erkannt:

 

Spruch:

Der Revision wird nicht Folge gegeben.

Der Kläger ist schuldig, der beklagten Partei die mit S 10.198,65 bestimmten Kosten des Revisionsverfahrens (davon S 927,15 Umsatzsteuer) binnen 14 Tagen bei Exekution zu ersetzen.

Text

Entscheidungsgründe:

Der Kläger war bei der beklagten Partei seit 1.5.1966 als Angestellter beschäftigt. Mit Schreiben vom 19.8.1987 wurde er zum 31.12.1987 gekündigt. Der Angestelltenbetriebsrat der beklagten Partei hatte zur beabsichtigten Kündigung des Klägers innerhalb der gesetzlichen Frist keine Stellungnahme abgegeben.

Der Kläger ficht die Kündigung als sozial ungerechtfertigt an, weil er für eine nicht berufstätige Frau und zwei Kinder im Alter von 12 und 17 Jahren zu sorgen habe und wegen der derzeitigen Lage auf dem Arbeitsmarkt keinen entsprechenden Ersatzarbeitsplatz erhalten werde. Er sei in der Lage, in anderen Betriebsabteilungen der beklagten Partei Arbeiten zu verrichten, die in seinen Beruf fallen. Die beklagte Partei habe am 15.9.1987 die Stelle eines kaufmännischen Auftragsreferenten ausgeschrieben, die der Kläger ausfüllen könnte. Die Kündigung sei durch betriebliche Erfordernisse nicht begründet. Der Kläger begehrt daher den Ausspruch der Rechtsunwirksamkeit der Kündigung und die Feststellung des Fortbestehens seines Dienstverhältnisses.

Die beklagte Partei beantragte die Abweisung des Klagebegehrens und wendete ein, daß die Kündigung durch betriebliche Erfordernisse begründet sei. Der Kläger arbeite im technischen Büro, Bereich Stahlbau, das infolge zurückgehender Auftragslage auf längere Zeit nicht ausgelastet sei, so daß ein Personalabbau vorgenommen werden müsse. Ein Einsatz des Klägers in anderen Unternehmensbereichen sei nicht möglich. Für die von ihm ausgeübte Spezialtätigkeit bestehe kein Bedarf. Die Anforderungen der am 15.9.1987 ausgeschriebenen Stelle könne der Kläger nicht erfüllen. Er habe sich für diesen Posten auch nicht interessiert und bisher nicht beworben. Das Erstgericht wies das Klagebegehren ab und traf folgende wesentliche Feststellungen:

Das technische Büro, Bereich Stahlbau, der beklagten Partei hat drei Abteilungen: G 1 (Stahlhochbauten, Brücken im Export, Vergnügungseinrichtungen), G 2 (Herstellung und Planung von Brücken im Inland, Stahlkonstruktionen für Wärmetechnik, Baugruppe), RBS (Herstellung von Behältern, Rohren und sonstiger Stahlbau). Der Kläger arbeitete als Bautechniker in der Abteilung G 2, in der insgesamt drei Bautechniker und ein Dipl.Ing. für Bauwesen beschäftigt waren. Dem Kläger oblag vor allem die optische Darstellung von Bauwerken samt Details, die bautechnische Planung, insbesondere von Decken- und Wandverkleidungen sowie die Einholung und Sichtung von Anboten der von der beklagten Partei zu errichtenden Bauwerke. Seit ungefähr drei Jahren war der Kläger auch mit der Planung und Errichtung von Bauwerken für den Eigenbedarf beschäftigt.

Der Personalstand des technischen Büros, Bereich Stahlbau, wurde von Beginn des Jahres 1977 bis Mitte des Jahres 1987 von seinerzeit 118 auf nunmehr 57 Arbeitnehmer, die Baugruppe (G 2) von 7 auf 4 Arbeitnehmer vermindert. Auf Grund der stark rückläufigen Auftragslage im Bereich Stahlbau wurde im Juli und August 1987 an jeweils sechs Freitagen und im September 1987 an vier Freitagen nicht gearbeitet. Im Bereich Stahlbau geht die Auftragslage langfristig zurück. Obwohl bereits Maßnahmen zur Senkung der Kapazität ergriffen wurden, sind weitere Personalverminderungen unumgänglich.

Eine Verwendung des Klägers in anderen Unternehmensbereichen, insbesondere im Bereich Wärmetechnik, ist nicht möglich. Auch in diesem Bereich ist im Jahr 1988 eine Minderauslastung zu erwarten, die voraussichtlich Rationalisierungs- und Einsparungsmaßnahmen notwendig machen wird. Außerdem werden in dieser Abteilung vorwiegend Maschinenbauer und Verfahrenstechniker, aber keinesfalls Bautechniker eingesetzt.

Am 15.9.1987 wurde im Unternehmen für die Abteilung "Verkaufsabwicklung Graz" die Stelle eines kaufmännischen Auftragsreferenten zur Abwicklung von Inlands- und Auslandsaufträgen ausgeschrieben. Der Kläger bewarb sich um diese Stelle nicht. Das Erstgericht war der Ansicht, daß die Kündigung im Hinblick auf die lange Betriebszugehörigkeit wesentliche Interessen des Klägers beeinträchtige. Die beklagte Partei habe jedoch den Nachweis erbracht, daß die Kündigung durch betriebliche Erfordernisse, die einer Weiterbeschäftigung des Klägers entgegenstehen, begründet sei. Die beklagte Partei befinde sich in einer schlechten wirtschaftlichen Situation mit schwindendem Auftragsstand, der zwangsläufig zu Betriebseinschränkungen und Personalverminderungen führen müsse. Eine Interessenabwägung zwischen den wirtschaftlichen Interessen der beklagten Partei und den sozialen Interessen des Klägers sei nicht vorzunehmen. Ein Sozialvergleich sei auch nicht anzustellen, weil der Angestelltenbetriebsrat zur Kündigung des Klägers keine Äußerung abgegeben habe. Eine Umschulung und Weiterbeschäftigung des Klägers in anderen Betriebsabteilungen sei nicht möglich.

Das Berufungsgericht gab der Berufung des Klägers nicht Folge und sprach aus, daß der Wert des Streitgegenstandes, über den es entschieden habe, S 30.000 übersteige.

Die zweite Instanz hielt dem den einzigen Inhalt der Rechtsmittelausführungen bildenden Vorbringen des Klägers, die beklagte Partei wäre verpflichtet gewesen, an ihn wegen der ausgeschriebenen Stelle heranzutreten und ihm Gelegenheit zu geben, sich auf diesem Arbeitsplatz einzuarbeiten, folgendes entgegen:

Den Arbeitgeber treffe zwar insofern eine Gestaltungspflicht, als bei Kündigungen die weitere Verwendungsmöglichkeit der betroffenen Arbeitnehmer auf den Gesamtbetrieb hin geprüft werden müsse. Könne der betroffene Arbeitnehmer in einer anderen Abteilung verwendet werden, sei die Kündigung nicht betriebsbedingt. Dem Arbeitnehmer müsse Gelegenheit zur Einschulung und Einarbeitung auf einem Ersatzarbeitsplatz gegeben werden. Eine mögliche Nichteignung des Arbeitnehmers für die neue Arbeit genüge in der Regel nicht, er müsse aber - allenfalls nach einer dem Betrieb zumutbaren Ein- und Umschulung - auf diesem neuen Arbeitsplatz entsprechen. Lehne der Arbeitnehmer die Versetzung ab, sei die Kündigung betriebsbedingt. Durch die betriebsinterne Stellenausschreibung vom 15.9.1987 sei auch dem Kläger die frei gewordene Stellung zur Bewerbung angeboten worden. Die beklagte Partei habe einen kaufmännischen Auftragsreferenten mit HAK oder HTL-Ausbildung, guten Englischkenntnissen und einer Praxis von vier bis fünf Jahren, also einen kaufmännisch ausgebildeten Angestellten gesucht, während der Kläger bei der beklagten Partei eine Technikertätigkeit ausgeübt habe. Die beklagte Partei habe diese Stelle nur intern ausgeschrieben, also keinen neuen Dienstnehmer aufnehmen wollen. Die Berücksichtigung des Klägers bei der Besetzung dieses Arbeitsplatzes hätte mit Rücksicht auf seine bisherige völlig anders geartete Tätigkeit zur Voraussetzung gehabt, daß er sich um die Stelle beworben hätte, was ihm zwischen dem Zeitpunkt der Ausschreibung und dem Schluß der mündlichen Verhandlung erster Instanz ohne weiteres möglich gewesen wäre. Die beklagte Partei habe daher ihre Gestaltungspflicht nicht verletzt. Da der Kläger auch in anderen Unternehmensbereichen der beklagten Partei nicht verwendet werden könne, sei die ausgesprochene Kündigung durch betriebliche Erfordernisse, die einer weiteren Beschäftigung des Klägers entgegenstehen, begründet und daher unabhängig von den dadurch berührten Interessen des Klägers als gerechtfertigt anzusehen. Der Kläger erhebt Revision wegen unrichtiger rechtlicher Beurteilung und beantragt, das angefochtene Urteil dahin abzuändern, daß dem Klagebegehren stattgegeben werde.

Die beklagte Partei beantragt, der Revision des Klägers nicht Folge zu geben.

Rechtliche Beurteilung

Die Revision ist nicht berechtigt.

Gegenstand der Revisionsausführungen und damit des Revisionsverfahrens ist - ebenso wie der Berufungsausführungen - ausschließlich die Frage, ob die beklagte Partei dadurch, daß sie dem Kläger den am 15.9.1987 ausgeschriebenen Posten eines kaufmännischen Auftragsreferenten nicht von sich aus angeboten hat, ihre Pflicht, alle Möglichkeiten zur weiteren Beschäftigung des Klägers in einer anderen Verwendung auszuschöpfen (sogenannte Gestaltungspflicht) verletzt hat. Auf andere rechtliche Fragen ist daher hier nicht einzugehen.

Diese Frage ist meritorisch zu prüfen. Der Verwaltungsgerichtshof hat zwar ausgesprochen, daß bei der Prüfung, ob eine Kündigung in den Betriebsverhältnissen begründet ist, von dem Sachverhalt ausgegangen werden muß, der im Zeitpunkt der Anfechtung der Kündigung gegeben ist (Arb 5637; ebenso 2 Ob 554/86; hingegen Kuderna, Die sozial ungerechtfertigte Kündigung nach § 105 Abs 3 Z 2 ArbVG, DRdA 1975, 12 iVm 16: Für die Beurteilung des Vorliegens des Tatbestandsmerkmales der betrieblichen Erfordernisse ist der Zeitpunkt des Ausspruches der Kündigung von Bedeutung, Floretta-Strasser, Komm z ArbVG 651: Grundsätzlich ist vom Zeitpunkt des Wirksamwerdens der Kündigung auszugehen). Sowohl bei der Beurteilung der Beeinträchtigung der Interessen des Arbeitnehmers als auch der Betriebsbedingtheit der Kündigung muß aber auch die künftige Entwicklung der Verhältnisse nach der Kündigung und der Beendigung des Arbeitsverhältnisses herangezogen werden. Diese sind in die Beurteilungsgrundlage einzubeziehen, wenn sie mit der angefochtenen Kündigung noch in einem sachlichen und zeitlichen Zusammenhang stehen (Kuderna aaO 12 und 16). Die erst nach Anfechtung der Kündigung, aber noch vor der Beendigung des Arbeitsverhältnisses des Klägers erfolgte Postenausschreibung durch die beklagte Partei ist daher bei der Entscheidung jedenfalls zu berücksichtigen.

Das Berufungsgericht hat jedoch eine Verletzung der Gestaltungspflicht durch die beklagte Partei zutreffend verneint. Die beklagte Partei hat am 15.9.1987 eine interne Stellenausschreibung vorgenommen. Gesucht wurde aus den Reihen der eigenen Bediensteten ein kaufmännischer Auftragsreferent zur Abwicklung von Inlands- und Auslandsaufträgen. Voraussetzung für die Bewerbung waren

HAK oder HTL-Ausbildung,

gute Englischkenntnisse,

etwa vier bis fünf Jahre Praxis (Beilage A).

Der Kläger konnte von dieser internen Stellenausschreibung zwar erst nach seiner Parteienvernehmung (14.9.1987) Kenntnis erlangen, doch ist sein Vorbringen, er habe keine Möglichkeit gehabt, sich um diese Planstelle zu bewerben, aktenwidrig, weil er in der Tagsatzung zur mündlichen Streitverhandlung vom 29.9.1987 auf diese Ausschreibung hingewiesen hat, also jedenfalls damals davon Kenntnis hatte. Die beklagte Partei brachte damals vor, der Kläger habe sich um diese Stelle nicht beworben und beantragte seine Einvernahme darüber, ob er bereit sei, diese Stelle anzutreten. Der Klagevertreter hat dieses Vorbringen bestritten und keine weitere Erklärung abgegeben.

Wie das Berufungsgericht zutreffend erkannte, ist der Betriebsinhaber im Rahmen der sogenannten Gestaltungspflicht verbunden, trotz Einschränkung des Betriebes oder trotz Rationalisierungsmaßnahmen alle Möglichkeiten auszuschöpfen, seine bisherigen Arbeitnehmer weiter zu beschäftigen. Der Arbeitgeber darf nicht ohne triftigen Anlaß Arbeitnehmer kündigen und dafür neue einstellen. Im Rahmen von betrieblichen Rationalisierungs- oder Reorganisationsmaßnahmen etc. muß der Arbeitgeber den bisherigen Arbeitnehmern im Rahmen des Zumutbaren Gelegenheit zur Umschulung und Einarbeitung geben. Bei Kündigungen muß die weitere Verwendungsmöglichkeit der betroffenen Arbeitnehmer auf den Gesamtbetrieb hin überprüft werden. Kann der betroffene Arbeitnehmer in einer anderen Abteilung verwendet werden, ist die Kündigung nicht betriebsbedingt (Floretta-Strasser aaO 639).

Der Fall der Kündigung alter Arbeitnehmer und der Aufnahme neuer Arbeitnehmer liegt hier nicht vor, weil die ausgeschriebene Stelle eines kaufmännischen Auftragsreferenten aus dem eigenen Personalstand besetzt werden sollte. Der Kläger hat sich um diese Stelle aber nicht beworben, obwohl ihm die Ausschreibung noch rechtzeitig bekannt wurde. Da es sich um eine Stelle handelte, für die eine kaufmännische Praxis von mehreren Jahren und Fremdsprachenkenntnisse erforderlich waren, lag es für die klagende Partei nicht nahe, daß der Kläger diese Stelle - allenfalls nach einer ihm zumutbaren Einschulungszeit - mit Erfolg ausfüllen könne, da er bei ihr durch Jahrzehnte als Bautechniker beschäftigt war. Die beklagte Partei hat daher ihre Plflicht, die weitere Verwendungsmöglichkeit des Klägers im Gesamtunternehmen entsprechend zu prüfen, nicht etwa dadurch verletzt, daß sie es aus eigenem unterließ, an ihn heranzutreten und ihm den ausgeschriebenen kaufmännischen Posten anzubieten. Da es sich um eine eher ungewöhnliche Möglichkeit der Weiterverwendung des Klägers im Betrieb handelte, hätte er selbst initiativ werden und sich um diese Stelle bewerben müssen. Erst dann wäre die beklagte Partei verpflichtet gewesen, die Frage zu prüfen, ob der Kläger für die außerhalb seiner bisherigen Berufspraxis liegende

Funktion - eventuell nach einer entsprechenden

Einschulung - überhaupt in Betracht kam. Zu dieser Frage hat der Kläger - ohne Beweise anzubieten - nur vorgebracht, daß er die in der Stellenausschreibung erwähnte Tätigkeit ausüben könne. Konkrete Behauptungen darüber, ob er die erforderliche kaufmännische Praxis und Englischkenntnisse besitze, hat er nicht aufgestellt. Aus dem Verhalten des Klägers (seines Vertreters) in der letzten Tagsatzung zur mündlichen Streitverhandlung ist der Schluß zu ziehen, daß er eine solche Bewerbung gar nicht ernstlich in Betracht gezogen hat. Für den Kläger als Bautechniker in Betracht kommende Verwendungsmöglichkeiten in anderen Unternehmensbereichen, insbesondere im Bereich Wärmetechnik, wurden geprüft, sind aber nach den Feststellungen der Vorinstanzen nicht gegeben. Die Vorinstanzen gelangten daher zutreffend zum Ergebnis, daß die Kündigung des Klägers durch betriebliche Erfordernisse, die seiner Weiterbeschäftigung entgegenstehen, begründet ist (§ 105 Abs 3 Z 2 lit b ArbVG).

Der Revision ist daher ein Erfolg zu versagen.

Die Kostenentscheidung stützt sich auf die §§ 41, 50 ZPO.

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