OGH 9Ob64/18d

OGH9Ob64/18d30.10.2018

Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofs Dr. Hopf als Vorsitzenden, die Hofrätinnen und Hofräte des Obersten Gerichtshofs Hon.-Prof. Dr. Dehn, Dr. Hargassner, Mag. Korn und Dr. Stefula in der Rechtssache der klagenden Partei W***** AG *****, vertreten durch Gratl & Anker Rechtsanwaltspartnerschaft in Innsbruck, gegen die beklagte Partei F***** GmbH & Co KG, *****, vertreten durch Dr. Peter Lindinger und Dr. Andreas Pramer, Rechtsanwälte in Linz, sowie die auf Seiten der beklagten Partei beigetretene Nebenintervenientin G***** GmbH, *****, vertreten durch Dr. Christian Girardi und Ing. Dr. Stefan Schwärzler, Rechtsanwälte in Innsbruck, wegen 436.319,10 EUR sA sowie Feststellung (Streitwert: 55.000 EUR), über die außerordentlichen Revisionen der klagenden und der beklagten Partei gegen das Urteil des Oberlandesgerichts Innsbruck als Berufungsgericht vom 19. Juni 2018, GZ 1 R 51/18m‑103, in nichtöffentlicher Sitzung den

Beschluss

gefasst:

European Case Law Identifier: ECLI:AT:OGH0002:2018:0090OB00064.18D.1030.000

 

Spruch:

Die außerordentlichen Revisionen der klagenden und der beklagten Partei werden gemäß § 508a Abs 2 ZPO mangels der Voraussetzungen des § 502 Abs 1 ZPO zurückgewiesen.

 

Begründung:

Die Klägerin ist Haftpflichtversicherer von W***** M***** (Bauherr) für die Errichtung einer Appartementanlage. Im Zuge dieses Bauvorhabens errichtete die Beklagte über Auftrag des Bauherrn vom 7. 9. 2012 eine temporäre Baugrubensicherung in Form einer Spritzbetonnagelwand. Zuvor hatte die Beklagte bei der Nebenintervenientin eine geotechnische Stellungnahme eingeholt. In der Folge erstellte die Nebenintervenientin über Auftrag des Bauherrn ein geändertes Projekt. Bereits kurze Zeit nach den ersten – von einem anderen Unternehmen durchgeführten – Aushubarbeiten, kam es bei einem Nachbarhaus durch Risse und Setzungen zu schweren Schäden. Die Klägerin leistete Schadenersatzzahlungen, die sie nunmehr von der Beklagten gemäß § 67 VersVG ersetzt begehrt.

Die Vorinstanzen gaben dem Klagebegehren bestehend aus einem Leistungs- und Feststellungsbegehren mit Teil- und Zwischenurteil zur Hälfte statt. Sowohl dem Bauherrn als auch der Beklagten liege als maßgeblicher Sorgfaltsverstoß zur Last, dass die im Baubescheid vorgesehenen Auflagen nicht eingehalten worden seien. Dies sei zum einen dem Bauherrn als Normadressat des Bescheids zur Last zu legen, zum anderen habe die Beklagte die sie als Werkunternehmerin treffenden vertraglichen Schutz- und Sorgfaltspflichten und daran anschließend ihre Warnpflichten erheblich verletzt, weil sie in den Baubescheid nicht Einsicht genommen habe. Bei der Abwägung des die Beklagte und den Bauherrn treffenden Verschuldens liege kein deutliches Überwiegen auf der einen oder anderen Seite vor, sodass eine Aufteilung im Verhältnis 1:1 angemessen sei.

1. Zur Revision der Klägerin:

1.1.  Nach den Feststellungen sorgte der Bauherr im Zuge der Aushubarbeiten – entgegen den Auflagen im zugrunde liegenden Baubewilligungsbescheid – weder für regelmäßige Kontrollvermessungen der Baugrubensicherungs‑ wand und der Nachbargebäude noch für eine laufende Betreuung der Baugrubensicherung in Form einer geotechnischen Bauaufsicht und einer geologischen Begleitdokumentation. Dadurch erfolgte weder eine Kontrolle, ob die Baugrundverhältnisse den Beschreibungen im geotechnischen Bericht entsprachen noch welche Auswirkungen die Bauarbeiten auf das Bauwerk oder die Gebäude in der Umgebung hatten. Wäre diese geotechnische Planung vorgelegen und eine geotechnische Fachbauaufsicht installiert gewesen, wäre die Ausführung zeitnah im Sinne eines Soll-Ist-Vergleichs kontrollierbar gewesen. Aber nicht nur dieses Unterlassen stellt eine maßgebende (Mit‑)Ursache für die entstandenen Schäden dar. Der Bauherr verabsäumte es auch, eine funktionierende Kommunikation zwischen ihm, der Behörde, den Behördenvertretern, dem bauausführenden Unternehmen und dem geotechnischen Planer einzurichten. Er unterließ es insbesondere auch, die Beklagte und die Nebenintervenientin über die behördlichen Auflagen im Baubewilligungsbescheid zu informieren. Zudem verwirklichte sich im vorliegenden Fall auch das – den Bauherrn treffenden – Baugrundrisiko, weil sich der Baugrund anders als prognostiziert verhielt.

Rechtliche Beurteilung

1.2.  Auflagen, die im Rahmen der Baubewilligung erteilt werden, sind als Schutzgesetze iSd § 1311 ABGB anzusehen (RIS-Justiz RS0118358). Der Schutzzweck der Norm ergibt sich aus ihrem Inhalt. Das Gericht hat das anzuwendende Schutzgesetz teleologisch zu interpretieren, um herauszufinden, ob die jeweilige Vorschrift, die übertreten wurde, den in einem konkreten Fall eingetretenen Schaden verhüten wollte (RIS-Justiz RS0008775 [T1, T8, T17). Dabei genügt es, dass die Verhinderung des Schadens bloß mitbezweckt ist (RIS-Justiz RS0008775 [T2]). Der Rechtswidrigkeitszusammenhang ist Voraussetzung der Ersatzpflicht (RIS-Justiz RS0022933).

1.3.  Das Berufungsgericht hat die Frage des Rechtswidrigkeitszusammenhangs im vorliegenden Einzelfall (vgl RIS-Justiz RS0017850 [T16]; RS0027553 [T11]) vertretbar gelöst. Danach war Schutzzweck der im Baubewilligungsbescheid angeordneten geotechnischen Bauaufsicht die Sicherheit der über dem Baugrundstück befindlichen Wohngebäude. Damit sollte der besonders schwierigen geologischen Situation Rechnung getragen werden, war doch allen am Bauverfahren Beteiligten bewusst, dass die Sicherung der Baugrube und der benachbarten Häuser technisch anspruchsvoll war und besonderer Vorkehrungen bedurfte. Insbesondere durch die gewählte, wenn auch dem Stand der Technik entsprechende Art der Baugrubenherstellung im Sinne eines sog „weichen Verbaus“ war mit einer Beweglichkeit des Verbausystems und daher mit Schäden an den Nachbarliegenschaften zu rechnen. Eine geotechnische Betreuung während der Bauphase war daher unbedingt erforderlich, um rechtzeitig schwere Schäden an der Nachbarliegenschaft zu verhindern.

1.4.  Dass die Bauaufsicht bzw Bauüberwachung im Interesse des Auftraggebers und nicht im Interesse des Werkunternehmers erfolgt, weshalb bei Verletzung dieser Verpflichtung der bauausführende Werkunternehmer mangels Rechtswidrigkeitszusammenhangs kein seine Haftung minderndes Mitverschulden geltend machen kann (vgl RIS‑Justiz RS0108535), ist richtig, im Anlassfall aber nicht maßgeblich. Die im Baubewilligungsbescheid konkret angeordnete geotechnische Bauaufsicht ist mit der örtlichen Bauaufsicht, die die Einhaltung der technischen Regeln und die behördlichen Vorschriften durch die mit der Ausführung der Arbeiten beauftragten Bauunternehmer zu überwachen und überhaupt in umfassender Weise die Interessen des Bauherrn auch gegenüber den Professionisten wahrzunehmen hat (5 Ob 143/15p Pkt. 3.2.; vgl RIS-Justiz RS0058803), nicht gleichzusetzen. Die geotechnische Fachbauaufsicht diente gerade nicht der Kontrolle jener Leistungen, die die Beklagte zu erbringen hatte.

2. Zur Revision der Beklagten:

2.1.  Nach § 1168a ABGB ist der Werkunternehmer für den Schaden verantwortlich, wenn das Werk infolge offenbarer Untauglichkeit des vom Besteller gegebenen Stoffes oder offenbar unrichtiger Anweisungen des Bestellers misslingt und er den Besteller nicht gewarnt hat. „Offenbar“ im zitierten Sinn ist alles, was vom Unternehmer bei der von ihm vorausgesetzten Sachkenntnis erkannt werden muss, wobei der Unternehmer für die Anwendung der in seinem Beruf üblichen Sorgfalt regelmäßig als Sachverständiger nach § 1299 ABGB anzusehen ist, sodass er die üblichen Branchenkenntnisse zu gewährleisten hat (8 Ob 57/17s Pkt. II.3.1.).

Unterlässt der Unternehmer die Warnung des Bestellers, so verliert er nicht nur den Anspruch auf Entgelt, sondern hat auch den weitergehenden Schaden zu ersetzen.(RIS-Justiz RS0022124). Auch in Fällen der Schadenstragung nach § 1168a ABGB führt ein Mitverschulden des Werkbestellers nach den Grundsätzen des § 1304 ABGB zur Teilung des Schadens (RIS-Justiz RS0022124 [T8]).

Ob im Einzelfall das Unterbleiben der Aufklärung über einen bei vorauszusetzender Sachkunde erkennbaren Umstand eine schuldhafte, haftungsbegründende Warnpflichtverletzung darstellt, kann wegen der Kasuistik der Fallgestaltung keine allgemein bedeutsame Frage des materiellen Rechts abgeben, der zur Wahrung der Rechtseinheit, Rechtssicherheit oder Rechtsentwicklung erhebliche Bedeutung zukommt (RIS-Justiz RS0116074). Eine unvertretbare Fehlbeurteilung des Berufungsgerichts zeigt die Revision der Beklagten nicht auf:

2.2.  Nach den Feststellungen hatte sich die Beklagte vor Baubeginn nicht über den Inhalt des Baubewilligungsbescheids für das Bauvorhaben informiert. Dem Stand der Technik entsprechend hätte sich die Beklagte aber vom Inhalt des Baubewilligungsbescheids Kenntnis verschaffen müssen. Dies gehört zu den standardgemäßen Informationspflichten eines mit einer Baugrubensicherung beauftragten Fachunternehmens, weil im Baubescheid für die Ausführung relevante behördliche Vorschreibungen enthalten sein können. Hätte die Beklagte sich vom Inhalt der Baubewilligung Kenntnis verschafft, hätte sie gemäß den darin enthaltenen Vorschreibungen vorgehen können, wodurch die Schäden am Nachbarhaus wesentlich geringer gewesen wären. Zwar hatten die von der Nebenintervenientin im Auftrag des Bauherrn entwickelten Projektvorgaben die im Baubescheid vorgesehenen Vorgangsweisen nicht vorgeschrieben, jedoch wäre bei einer standardgemäßen Einsichtnahme in die Baubescheide die technische Unrichtigkeit bzw Unvollständigkeit der Anweisungen des Bestellers offenkundig geworden. Sodann hätten entsprechende Warnhinweise erfolgen können.

Richtig ist, dass die Beklagte den Bauherrn im Schreiben vom 9. 2. 2012 zwar darauf hinwies, dass für die Baugrubenherstellung im Sinne eines sog „weichen Verbaus“ während der Bauphase eine geotechnische Betreuung unbedingt erforderlich sei, doch ist die Rechtsauffassung des Berufungsgerichts, dass auf Grund der konkreten Umstände die Beklagte vor Baubeginn (neuerlich) – hätte sie sich vom Inhalt des Baubewilligungsbescheids rechtzeitig Kenntnis verschafft – auf die Einhaltung der im Baubescheid genannten Auflagen durch den Bauherrn dringen hätte müssen, nicht unvertretbar. Gerade weil die konkrete geologische Situation als schwierig eingestuft wurde und auch der Beklagten bewusst war, dass die Sicherung der Baugrube und der benachbarten Häuser technisch anspruchsvoll war und besonderer Vorkehrungen bedurfte und zudem aufgrund der Art der Baugrubensicherstellung sogar mit Schäden an den Nachbarliegenschaften gerechnet werden musste, hätte die Beklagte, nachdem sie erkannte, dass der Bauherr die während der Bauarbeiten unbedingt erforderliche geotechnische Betreuung nicht durchführte, die Beklagte vor Baubeginn im September 2012 mit ausreichender Deutlichkeit (RIS-Justiz RS0110849) auf die Folgen einer fehlenden geotechnischen Betreuung hinweisen (und allenfalls von ihrer Leistungserbringung Abstand nehmen) müssen. Eine Warnung im Sinne des § 1168a ABGB muss nämlich erkennen lassen, dass die Anweisung des Bestellers das Misslingen des Werks zur Folge haben könnte (8 Ob 57/17s Pkt. II.3.2.; RIS-Justiz RS0022158). Aufgrund des im Anlassfall bestandenen hohen Schadensrisikos ist hier ein strengerer Maßstab anzulegen (vgl RIS-Justiz RS0022158 [T3]). Die Überlegungen der Revision der Beklagten, sie sei nicht „nochmals“ zu einer Warnung verpflichtet gewesen, sind daher nicht zielführend.

2.3.  Bei der Verschuldensabwägung entscheidet vor allem die Größe und Wahrscheinlichkeit der durch das schuldhafte Verhalten bewirkten Gefahr und die Wichtigkeit der verletzten Vorschrift für die Sicherheit des Verkehrs (RIS-Justiz RS0027389; RS0026861).

Das Ausmaß eines Mitverschuldens des Geschädigten kann wegen seiner Einzelfallbezogenheit nicht als erhebliche Rechtsfrage im Sinn des § 502 Abs 1 ZPO gewertet werden (RIS-Justiz RS0087606 [T1]). Eine solche Einzelfallentscheidung ist vom Obersten Gerichtshof nur dann überprüfbar, wenn eine auffallende, krasse Fehlbeurteilung durch die Vorinstanzen vorliegt (RIS-Justiz RS0044088; RS0042405). Eine solche vermag die Revision der Beklagten aber nicht aufzuzeigen.

Mangels Darstellung einer erheblichen Rechtsfrage im Sinne des § 502 Abs 1 ZPO waren daher die außerordentlichen Revisionen beider Parteien zurückzuweisen.

Stichworte