OGH 8ObA32/18s

OGH8ObA32/18s28.8.2018

Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht in Arbeits‑ und Sozialrechtssachen durch den Senatspräsidenten Hon.‑Prof. Dr. Kuras als Vorsitzenden, die Hofrätin Dr. Tarmann‑Prentner und den Hofrat Dr. Stefula sowie die fachkundigen Laienrichter Mag. Andreas Mörk und KR Karl Frint als weitere Richter in der Arbeitsrechtssache der klagenden Partei K***** H*****, gegen die beklagte Partei M***** H*****, vertreten durch Lippitsch.Neumann.Hammerschlag Rechtsanwälte GmbH in Graz, wegen 10.000,60 EUR sA, über die außerordentliche Revision der beklagten Partei gegen das Urteil des Oberlandesgerichts Graz als Berufungsgericht vom 12. April 2018, GZ 7 Ra 47/17m‑30, in nichtöffentlicher Sitzung den

Beschluss

gefasst:

European Case Law Identifier: ECLI:AT:OGH0002:2018:008OBA00032.18S.0828.000

 

Spruch:

Die außerordentliche Revision wird gemäß § 508a Abs 2 ZPO mangels der Voraussetzungen des § 502 Abs 1 ZPO zurückgewiesen (§ 510 Abs 3 ZPO iVm § 2 Abs 1 ASGG).

 

Begründung:

Nachdem der Antrag der Klägerin von der Pensionsversicherungsanstalt vorweg abgelehnt worden war, verpflichtete sich die PVA nach Vorliegen von Sachverständigengutachten im anschließenden Gerichtsverfahren am 12. 8. 2015 in einem Vergleich zur Leistung einer Invaliditätspension ab 1. 9. 2015. Die Klägerin kündigte am 19. 8. 2015 ihr Arbeitsverhältnis wegen Inanspruchnahme der Invaliditätspension ab 1. 9. 2015 zum nachmöglichen Kündigungstermin. Die Vorinstanzen haben der Klägerin übereinstimmend die Abfertigung zugesprochen.

Rechtliche Beurteilung

Die außerordentliche Revision des Beklagten zeigt keine Rechtsfrage in der Qualität des § 502 Abs 1 ZPO auf:

1. §

 23a AngG enthält – als Ausnahmebestimmung zu § 23 Abs 7 AngG – den

Abfertigungsanspruch bei Arbeitnehmerkündigung (unter anderem) wegen Pensionsantritts. § 23a Abs 1 Z 2 AngG verlangt hierfür, dass das Dienstverhältnis „wegen Inanspruchnahme“ einer Pension (iSv lit a oder b der Z 2) durch Kündigung seitens des Dienstnehmers endet.

Der Begriff „Inanspruchnahme“ ist dahin auszulegen, dass der Arbeitnehmer ein ihm im Gesetz eingeräumtes Recht auf Gewährung der Pension geltend macht, wofür eine entsprechende Antragstellung bei der Pensionsversicherungsanstalt und die gehörige Fortsetzung des vom Sozialversicherungsträger über diesen Antrag eingeleiteten Verfahrens notwendig ist (RIS‑Justiz RS0028511). Der bloße Wille zur Inanspruchnahme einer Pension allein wahrt den

Abfertigungsanspruch zwar nicht (

9 ObA 142/98t = DRdA 1999/40 [Drs]), der Abfertigungsanspruch hängt aber auch nicht von der bescheidmäßigen Gewährung der Pension ab (4 Ob 190/82 = ZAS 1984/26 [Mazal]; 9 ObA 66/06f; RIS‑Justiz RS0028508). Bei positiver Erledigung eines Pensionsantrags nach Selbstkündigung eines Dienstnehmers besteht der Abfertigungsanspruch unabhängig davon zu Recht, ob die tatsächlichen materiellen Voraussetzungen für die Pensionsgewährung vorlagen oder der Dienstnehmer bei Stellung seines Pensionsantrags gutgläubig war (

9 ObA 108/17y).

2. Dass eine positive Erledigung in diesem Sinne nur bei Ergehen eines positiven Pensionsbescheides oder eines den Pensionsanspruch bestätigenden sozialgerichtlichen Urteils vorliegen soll, nicht aber im – hier gegebenen – Fall, dass das sozialgerichtliche Verfahren mit einem inhaltsgleichen Vergleich endete, ist zu verneinen. Nach der Rechtsprechung ist die bescheidmäßige Erledigung des Pensionsverfahrens für den Abfertigungsanspruch des Dienstnehmers gegen den Dienstgeber gar nicht zwingende Voraussetzung. Eine solche Bindung widerspräche auch der gesetzgeberischen Intention bei Einführung des § 75 Abs 3 ASGG, wonach Rechtsstreitigkeiten durch gerichtlichen

Vergleich ganz oder teilweise beigelegt werden können

. Dadurch sollte die durch die einschränkende Rechtsprechung des Oberlandesgerichts Wien über die Zulässigkeit eines Vergleichs in Leistungsstreitsachen entstandene Rechtsunsicherheit behoben und klargestellt werden, dass nicht zu prüfen ist, ob der Vergleich „gegen zwingende Bestimmungen des Leistungsrechts“ verstößt (

10 ObS 144/91 =

RIS‑Justiz RS0085581; Neumayr in Neumayr/Reissner, ZellKomm3 § 75 ASGG Rz 13). Ein „bloß“ auf einem mit der Pensionsversicherungsanstalt abgeschlossenen Vergleich beruhender Pensionsanspruch ist gegenüber einem solchen, der mit Bescheid oder mit Urteil zuerkannt wurde, insoweit gleichwertig.

3.1. Der Verfassungsgerichtshof lehnte mit Beschluss vom 26. 2. 2018, G 201/2017 (= ON 29), die Behandlung des vom Beklagten gestellten Antrags auf (teilweise) Aufhebung des § 23a Abs 1 Z 2 AngG mangels hinreichender Aussicht auf Erfolg ab (Art 140 Abs 1b B‑VG). Dabei verwies der Verfassungsgerichtshof zur Sachlichkeit des Ausschlusses des Arbeitgebers von der Parteistellung im Verfahren auf Zuerkennung der Invalidität (im Verfahren nach § 14 BEinstG [bis BGBl 1988/721: Invalideneinstellungsgesetz]) auf sein Erkenntnis B 639/87 (= VfSlg 11.934 = ZAS 1990/16 [Stolzlechner]). Damals hatte der Verfassungsgerichtshof erkannt, dass die Feststellung der Invalidität in ihrer Funktion einer Statusentscheidung ähnle, die eine Reihe von Rechtswirkungen in verschiedenen Richtungen entfalte, ohne dass alle Betroffenen oder Berührten dem Verfahren beigezogen werden müssten oder auch nur könnten. Dazu komme, dass die Feststellung des Grades der Minderung der Erwerbsfähigkeit die Befassung mit höchstpersönlichen Umständen in der Sphäre des Behinderten erfordere und ein Vielparteienverfahren dafür ebenso ungeeignet sei wie eine mehrfache Wiederholung ähnlicher Verfahrensschritte in mehreren Verfahren mit unterschiedlichen Zwecken. Nicht alles, was Einfluss auf jemandes Rechtsstellung habe, sei „seine Sache“ im Sinne des Art 6 Abs 1 MRK.

3.2. Auch nach ständiger Rechtsprechung des Obersten Gerichtshofs zu § 14 BEinstG besitzt bei der Entscheidung, ob einer Person Behinderteneigenschaft zukomme, der Arbeitgeber keine Parteistellung, gleichwohl er an das Verfahrensergebnis durch die Tatbestandswirkung gebunden ist (vgl RIS‑Justiz RS0110655; RS0110351; RS0110353; RS0052634 [T1]).

3.3. Ob jemand Anspruch auf Invaliditätspension hat, hängt maßgeblich von höchstpersönlichen, insbesondere gesundheitlichen Aspekten ab, deren Behandlung in einem mit einem Dritten – wie etwa dem Arbeitgeber – geführten Verfahren äußerst problematisch wäre. Vergleichbar einer Entscheidung nach § 14 BEinstG oder einer Entscheidung über eine Statusangelegenheit ist der Arbeitgeber vom Ergebnis eines über den Anspruch auf Invaliditätspension geführten (Verwaltungs‑ oder Gerichts‑)Verfahrens bloß mittelbar betroffen. Beides spricht dafür, den Arbeitgeber an das Ergebnis des Verfahrens zu binden (vgl Musger, Verfahrensrechtliche Bindungswirkungen und Art 6 MRK, JBl 1991, 420 und 499 [425 f]).

3.4. Ob das Pensionsverfahren durch Bescheid (dazu 9 ObA 108/17y; Mayr in Neumayr/Reissner , ZellKomm 3 § 23a AngG Rz 5 aE), durch Gerichtsurteil oder durch Vergleich endete, macht hierfür keinen Unterschied. Auch ein gerichtlicher Vergleich vermag Tatbestandswirkung zu entfalten (1 Ob 516/77 = RIS‑Justiz RS0041431; Klicka in Fasching/Konecny 3 § 411 ZPO Rz 177).

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