European Case Law Identifier: ECLI:AT:OGH0002:2017:009OBA00108.17Y.0927.000
Spruch:
Die Revision der beklagten Partei wird zurückgewiesen.
Die beklagte Partei ist schuldig, der klagenden Partei die mit 2.208,92 EUR (darin 368,15 EUR USt) bestimmten Kosten des Revisionsverfahrens binnen 14 Tagen zu ersetzen.
Begründung:
Das Berufungsgericht hat die ordentliche Revision zur Frage zugelassen, ob bei Geltendmachung einer Abfertigung bei Selbstkündigung des Dienstnehmers wegen Inanspruchnahme einer Alterspension über Einwand des Dienstgebers geprüft werden müsse, ob der Dienstnehmer die Voraussetzungen für den Pensionsanspruch tatsächlich erfüllt habe und ob er bei Pensionsantragstellung hinsichtlich des Vorliegens der gesetzlichen Voraussetzungen gut- oder schlechtgläubig sei, wenn ihm die Pension mit rechtskräftigem Bescheid zuerkannt worden sei.
Rechtliche Beurteilung
Die Revision des Beklagten ist – entgegen dem den Obersten Gerichtshof nicht bindenden (§ 508a Abs 1 ZPO) – Ausspruch des Berufungsgerichts nicht zulässig. Trotz Fehlens einer ausdrücklichen Rechtsprechung des Obersten Gerichtshofs zu einer konkreten Fallgestaltung liegt dann keine erhebliche Rechtsfrage vor, wenn das Gesetz – wie hier in § 23a Abs 1 Z 1 lit b AngG – selbst eine klare und eindeutige Regelung trifft (RIS‑Justiz RS0042656).
1. Nach § 23a Abs 1 Z 1 lit b AngG besteht der Anspruch auf Abfertigung auch dann, wenn das Dienstverhältnis mindestens zehn Jahre ununterbrochen gedauert hat und wegen Inanspruchnahme der vorzeitigen Alterspension bei langer Versicherungsdauer aus einer gesetzlichen Pensionsversicherung durch Kündigung seitens des Dienstnehmers endet.
Die Kündigung „wegen Inanspruchnahme einer Pension“ deutet nach der Rechtsprechung auf einen engen Zusammenhang zwischen Kündigung und Pensionierung hin (9 ObA 142/98t = DRdA 1990/40 [Drs]; 9 ObA 66/06f) und ist dahin auszulegen, dass der Dienstnehmer ein ihm im Gesetz eingeräumtes Recht auf Gewährung der vorzeitigen Alterspension geltend macht (RIS‑Justiz RS0028511). Wenn aus dem Grund der Inanspruchnahme der Pension gekündigt wurde, soll der gegenüber § 23 Abs 7 AngG eine Ausnahmeregelung bildende Abfertigungsanspruch bei Selbstkündigung des Angestellten gewahrt sein (9 ObA 66/06f). In der hier relevanten Relation ist ein engerer Zusammenhang zwischen Kündigung und – wie imAnlassfall – tatsächlicher Gewährung der Pension durch den Versicherungsträger nicht denkbar. Weitere Voraussetzungen für den Anspruch auf Abfertigung nach Pensionsgewährung normiert die Ausnahmeregelung des § 23a Abs 1 Z 1 und 2 AngG nicht.
2. Gerichte sind an rechtskräftige Bescheide der Verwaltungsbehörden gebunden, und zwar selbst dann, wenn diese Verfügungen unvollständig oder fehlerhaft sein sollten; eine inhaltliche Überprüfung eines Verwaltungsbescheids durch das Gericht hat nicht stattzufinden (RIS‑Justiz RS0036981). Die Bindung der Gerichte an rechtskräftige rechtsgestaltende Verwaltungsbescheide kann in der vorliegenden Konstellation nicht deshalb abgelehnt werden, weil die Parteien des gerichtlichen Verfahrens in einem vorangegangenen Verwaltungsverfahren nicht beteiligt waren (RIS‑Justiz RS0036975). Der am Verwaltungsverfahren nicht beteiligte Dritte – wie hier die Gemeinschuldnerin bzw der Beklagte – wird nach der Rechtsprechung des Obersten Gerichtshofs ebenfalls von der Gestaltungswirkung und der Tatbestandswirkung des Bescheids erfasst (RIS‑Justiz RS0121545). Die Tatbestandswirkung eines Bescheids tritt ein, wenn ein solcher in einer Rechtsvorschrift als Tatbestand für eine Rechtsfolge eingesetzt wird (RIS‑Justiz RS0114910).
3. Zusammengefasst besteht in den Fällen des § 23a Abs 1 AngG bei positiver Erledigung eines Pensionsantrags nach Selbstkündigung eines Dienstnehmers der Abfertigungsanspruch unabhängig davon zu Recht, ob die tatsächlichen materiellen Voraussetzungen für die Pensionsgewährung vorlagen oder der Dienstnehmer bei Stellung seines Pensionsantrags gutgläubig war. Die in der Revision geltend gemachten sekundären Feststellungs- und Verfahrensmängel sind bei dieser rechtlichen Beurteilung nicht relevant.
Die Zurückweisung der ordentlichen Revision konnte sich auf die Ausführung der Zurückweisungsgründe beschränken (§ 510 Abs 3 letzter Satz ZPO).
Die Kostenentscheidung beruht auf den §§ 41, 50 ZPO. Der Kläger hat auf die Unzulässigkeit der Revision der Beklagten in seiner Revisionsbeantwortung hingewiesen (RIS‑Justiz RS0035979 [T16]). Der Kostenberechnung liegt der Streitwert von 40.057 EUR zugrunde.
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