OGH 10Ob62/18t

OGH10Ob62/18t17.7.2018

Der Oberste Gerichtshof hat durch den Senatspräsidenten Univ.‑Prof. Dr. Neumayr als Vorsitzenden und durch die Hofrätinnen Dr. Fichtenau und Dr. Grohmann, den Hofrat Mag. Ziegelbauer und die Hofrätin Dr. Faber als weitere Richter in der Rechtssache der klagenden und gefährdeten Partei S*, vertreten durch Mag. Siegfried Berger, Rechtsanwalt in St. Johann im Pongau, gegen die beklagte Partei und den Gegner der gefährdeten Partei M*, vertreten durch Mag. Raimund Unger, Rechtsanwalt in Bischofshofen, wegen einstweiliger Verfügung, über den Revisionsrekurs der klagenden und gefährdeten Partei gegen den Beschluss des Landesgerichts Salzburg als Rekursgericht vom 10. April 2018, GZ 21 R 418/17t‑19, womit der Beschluss des Bezirksgerichts St. Johann im Pongau vom 5. Oktober 2017, GZ 30 C 21/17f‑11, bestätigt wurde, in nichtöffentlicher Sitzung den

Beschluss

gefasst:

European Case Law Identifier: ECLI:AT:OGH0002:2019:E122348

 

Spruch:

Dem Revisionsrekurs wird Folge gegeben.

Die Entscheidungen der Vorinstanzen, die im Umfang der Abweisung des Sicherungsbegehrens auf Zahlung eines „einstweiligen Unterhalts“ in Höhe von monatlich 700 EUR für den Zeitraum ab Klageeinbringung (25. 4. 2017) bis 30. 9. 2017 und von monatlich 351,66 EUR ab 1. 10. 2017 unangefochten in Rechtskraft erwachsen sind, werden im Umfang des Sicherungsbegehrens auf Zuerkennung einer monatlichen Zahlung von 348,34 EUR an Mietzinsbeitrag für die eheliche Wohnung * seit 1. 10. 2017 aufgehoben und es wird dem Erstgericht die neuerliche Entscheidung über den Sicherungsantrag der Klägerin in diesem Umfang aufgetragen.

Die Kosten des Rechtsmittelverfahrens sind weitere Kosten des Sicherungsverfahrens.

 

Begründung:

Die Ehe der klagenden und gefährdeten Partei (in weiterer Folge: Klägerin) und des Beklagten und Gegners der gefährdeten Partei (in weiterer Folge: Beklagter) ist aufrecht. Der Ehe entstammen zwei in den Jahren 2001 und 2006 geborene Kinder. Das Scheidungsverfahren ist anhängig.

Die Klägerin lebt derzeit mit ihren Kindern im letzten gemeinsamen Wohnsitz der Parteien, einer vom Beklagten gemieteten Wohnung. Der Beklagte hat Mitte Oktober 2016 – im Rahmen einer Vereinbarung mit der Klägerin – diese Wohnung verlassen und ist zu seiner Mutter gezogen. Solange die Ehegatten zusammen wohnten, bezahlte immer der Beklagte die Miete sowie sämtliche monatlichen Fixkosten. Dies hielt er auch nach seinem Auszug aus der Ehewohnung so, und zwar bis März 2017. Die Mietkosten für die Ehewohnung betragen monatlich 696,67 EUR.

Die Klägerin bezog aus ihrer beruflichen Tätigkeit in den Monaten Oktober 2016 bis August 2017 ein monatliches durchschnittliches Nettoeinkommen von 1.096,76 EUR, in den Monaten Juni bis August 2017 verdiente sie (nach Aufstockung der Arbeitszeit) durchschnittlich 1.529,73 EUR netto monatlich.

Der Beklagte verdient als Arbeiter durchschnittlich 2.500 EUR netto monatlich. Er hat für einen gemeinsam mit der Klägerin aufgenommenen Kredit seit Mai 2017 monatliche Raten von 600 EUR zurückzuzahlen. Für die beiden minderjährigen Kinder zahlt der Beklagte seit Juni 2017 einen monatlichen Unterhaltsbeitrag von gesamt 845 EUR.

Die Klägerin begehrt mit ihrer Klage im vorliegenden Verfahren vom Beklagten die Zahlung von Ehegattenunterhalt in Höhe von 767,49 EUR monatlich ab März 2017. Der Beklagte habe Mitte Oktober 2016 die häusliche Gemeinschaft aufgelöst und die Ehewohnung verlassen. Er verdiene als Gleisbauarbeiter im Monatsdurchschnitt netto 2.500 EUR. Die Klägerin verdiene als Teilzeitangestellte monatlich rund 600 EUR. Zwischen den Ehegatten sei vereinbart gewesen und auch so gehandhabt worden, dass der Beklagte den Mietzins für die Ehewohnung von monatlich 696,67 EUR sowie die Stromkosten von monatlich 70,82 EUR bezahlt. Dies habe der Beklagte auch nach seinem Auszug weiter getan. Seit März 2017 leiste der Beklagte jedoch für die Klägerin keinen Geldunterhalt und bezahle weder den Mietzins noch die Stromkosten für die Ehewohnung, sodass er gegen § 97 ABGB verstoße. Die Klägerin sei aus eigenen Mitteln nicht in der Lage, die Kosten für die Ehewohnung zu zahlen, sodass ihr deren Verlust drohe.

Verbunden mit dieser Klage beantragte die Klägerin, dem Beklagten die Zahlung eines „einstweiligen Unterhalts“ ab Antragstellung in Höhe von monatlich 700 EUR aufzuerlegen.

Der Beklagte wandte dagegen ein, dass die Klägerin das alleinige bzw überwiegende Verschulden an der Zerrüttung der Ehe treffe, weshalb sie den Unterhaltsanspruch verwirkt habe. Die Klägerin verdiene monatlich etwa 1.300 EUR und erhalte Familienbeihilfe. Der Beklagte zahle Unterhalt für beide Kinder in Höhe von monatlich 845 EUR. Weiters leiste der Beklagte monatliche Zahlungen von 600 EUR zur Rückzahlung eines Kredits, für den beide Ehegatten hafteten. Die Klägerin sei Eigentümerin einer Wohnung in der Türkei, zumindest der Hälfteanteil dieser Wohnung sei bei der Beurteilung des notwendigen Unterhalts heranzuziehen, sodass kein Anspruch auf einstweiligen Unterhalt bestehe.

Das Erstgericht wies den Antrag auf Erlassung der beantragten einstweiligen Verfügung ab. Ausgehend von den Einkommensverhältnissen der Parteien ergebe sich – unter Berücksichtigung der vom Beklagten zu zahlenden Kreditraten und der Unterhaltsansprüche der Kinder in Höhe von jeweils 4 % – rechnerisch kein Unterhaltsanspruch für die Klägerin. Eine einstweilige Verfügung zur Sicherung des Anspruchs nach § 97 ABGB sei nicht beantragt worden.

Das Rekursgericht gab dem von der Klägerin gegen diesen Beschluss im Umfang der Abweisung des Sicherungsantrags auf Zahlung eines einstweiligen Unterhalts von wenigstens 141,30 EUR für April 2017, 466,50 EUR für Mai 2017 und 364,56 EUR monatlich ab Juni 2017 erhobenen Rekurs nicht Folge und billigte die Rechtsansicht des Erstgerichts.

Den Revisionsrekurs ließ das Rekursgericht nachträglich mit der Begründung zu, dass nach der Rechtsprechung auch eine andere Sichtweise als jene des Rekursgerichts im Interesse der Effektuierung des Wohnungsschutzes nach § 97 ABGB angezeigt erscheine.

Gegen diese Entscheidung richtet sich der vom Beklagten beantwortete Revisionsrekurs der Klägerin, mit dem sie die Zuerkennung eines „einstweiligen Unterhaltsbetrags“ von monatlich 348,34 EUR seit Oktober 2017 im Rahmen ihres Sicherungsantrags begehrt, hilfsweise die Aufhebung der angefochtenen Entscheidung.

Rechtliche Beurteilung

Der Revisionsrekurs ist im Sinn des hilfsweise gestellten Aufhebungsantrags berechtigt.

1.1 Einstweilige Verfügungen können gemäß § 389 EO nur über Antrag erlassen werden. Auch im Provisorialverfahren ist das Gericht an den Antrag der gefährdeten Partei gebunden. Das Gericht darf dem Spruch der einstweiligen Verfügung jedoch eine klarere und deutlichere, vom Begehren abweichende Fassung geben, wenn diese in den Behauptungen der gefährdeten Partei ihre eindeutige Grundlage findet und sich auch im Wesen mit dem Begehren deckt (E. Kodek in Angst/Oberhammer, EO³ § 389 EO Rz 2 mwH). Es trifft nicht zu, dass die Anforderungen an Anträge auf Erlassung einer einstweiligen Verfügung „strenger“ sind als etwa für Klagen, sie sind nur umfangreicher (G. Kodek in Burgstaller/Deixler‑Hübner, EO [20. Lfg] § 389 EO Rz 1). Wird – wie im vorliegenden Fall – die einstweilige Verfügung in der Klage beantragt, genügt hinsichtlich des Anspruchs ein – auch nurschlüssiger – Verweis auf das Klagevorbringen zum Anspruch (vgl RIS‑Justiz RS0005231 [T9]).

1.2 Die Revisionsrekurswerberin weist – wie bereits in ihrem Rekurs – zutreffend darauf hin, dass ihr Vorbringen in der Klage ausdrücklich auch auf einen Anspruch gemäß § 97 ABGB gestützt wird. Sie führt in der Klage aus, dass sie nicht mehr in der Lage ist, die Kosten für Strom und Miete der Ehewohnung zu zahlen, weil der Beklagte seine Verpflichtungen gemäß § 97 ABGB verletze. Ihr drohe deshalb der Verlust der Wohnung. Sie beziffert die Mietkosten mit monatlich 696,67 EUR und die Stromkosten mit monatlich 70,82 EUR. Sie begehrt die Zuerkennung eines monatlichen „Unterhalts“, dessen Höhe – 767,49 EUR – der Summe aus diesen beiden Beträgen entspricht.

1.3 Nach der Rechtsprechung des Obersten Gerichtshofs ist der Anspruch gemäß § 97 ABGB nicht den Streitigkeiten über den aus dem Gesetz gebührenden Unterhalt nach § 49 Abs 2 Z 2 JN zuordenbar und der auf § 97 ABGB gestützte Zahlungsanspruch kein bloßer Teil des Unterhaltsanspruchs, sondern ein familienrechtlicher Anspruch, der Ausfluss der spezifischen Beistandspflicht während aufrechter Ehe ist (6 Ob 84/11p; 4 Ob 71/09h; RIS‑Justiz RS0009534 [T7]). Einem Ehegatten, der die Ehewohnung, über die der andere Ehegatte verfügen kann, für die Befriedigung eines dringenden Wohnbedürfnisses benötigt, wird jedoch auch dann, wenn ein Geldunterhaltsanspruch nach der Prozentsatzmethode nicht besteht, ein Zahlungsanspruch gemäß § 97 ABGB gegenüber dem anderen Ehegatten zugebilligt, wenn der die Ehewohnung benötigende Ehegatte nicht in der Lage ist, diese Kosten ohne Gefährdung seiner über den Wohnungsbedarf hinausgehenden übrigen Unterhaltsbedürfnisse zu tragen (6 Ob 611/95; 4 Ob 55/07b = EF‑Z 2007/136, 228 [Gitschthaler]; 4 Ob 71/09h; 4 Ob 61/10i; 8 Ob 77/15d ua; RIS‑Justiz RS0111673; RS0085176; E. Kodek in Angst/Oberhammer, EO³ § 382h Rz 1/1; kritisch und nur einen Anspruch auf Zahlung des Mietzinses an den Vermieter bejahend Sailer in Burgstaller/Deixler‑Hübner, EO [20. Lfg] § 382h EO Rz 3 mH auf entsprechende Begehren in 7 Ob 100/04p und 3 Ob 231/04y).

1.4 Vor diesem Hintergrund war die – von der Revisionsrekurswerberin nicht ausdrücklich einer Bestimmung nach der EO zugeordnete – einstweilige Verfügung bereits nach ihrem Vorbringen in der Klage ungeachtet der Geltendmachung eines „einstweiligen Unterhalts“ entgegen der Rechtsansicht der Vorinstanzen (zumindest auch) als solche auf Sicherung des Wohnungsbedarfsanspruchs durch einen ergänzenden Zahlungsanspruch im Sinn des § 382h EO zu behandeln. Damit erweist sich das Verfahren als ergänzungsbedürftig:

2.1 Die Klägerin stellt im Revisionsrekurs die Rechtsansicht der Vorinstanzen, dass ihr ein Geldunterhaltsanspruch nach der Prozentsatzmethode gegenüber dem Beklagten nicht zusteht, nicht mehr in Frage. Sie begehrt die Zuerkennung der Hälfte der monatlichen Mietkosten für den Zeitraum ab Oktober 2017. Es bedarf daher keiner Auseinandersetzung mit dem von ihr „vorläufig“ erklärten Verzicht auf einstweiligen Unterhalt bis 22. 9. 2017. Der im Verfahren noch zu behandelnde Anspruch ist ausschließlich ein auf § 97 ABGB beruhender gemäß § 382h EO geltend gemachter Zahlungsanspruch, bei dem es sich – wie ausgeführt – nicht um einen Unterhaltsanspruch handelt.

2.2 Für die Berechtigung des Sicherungsanspruchs der Klägerin kommt es nach der Rechtsprechung darauf an, ob dem in der Wohnung verbliebenen Ehegatten (hier der Klägerin) die Erhaltung der Wohnung aus eigenen Mitteln, vor allem aus dem eigenen Einkommen und den Unterhaltsempfängen möglich ist oder nicht (8 Ob 77/15d mwH).

2.3 Die Klägerin hat zur Gefahrenlage das oben wiedergegebene geeignete Tatsachenvorbringen erstattet (8 Ob 108/13k), einer Bescheinigung konkreter Gefährdung bedarf es im konkreten Fall gemäß § 382h Abs 2 EO nicht. Dem Beklagten steht der Beweis des Gegenteils offen.

2.4 Das dringende Wohnbedürfnis der Klägerin am zu sichernden Wohnobjekt ist ebenso wenig strittig wie die Verfügungsbefugnis des Beklagten. Allerdings reichen die bisher im Verfahren bescheinigten Feststellungen zur finanziellen Leistungsfähigkeit beider Streitteile nicht hin, um den Sicherungsantrag abschließend zu beurteilen. Da die Vorinstanzen diesen Aspekt ausgehend von ihrer Rechtsansicht, ein Antrag auf einstweilige Verfügung im Sinn des § 382h EO sei nicht gestellt worden, bisher nicht geprüft haben, erweist sich das Verfahren insofern als ergänzungsbedürftig.

2.5 Zweck des § 97 ABGB ist es, dem betroffenen Ehegatten jene Wohnmöglichkeit zu erhalten, die ihm bisher zur Deckung des den Lebensverhältnissen der Ehegatten angemessenen Bedürfnisses gedient hat und die er weiterhin benötigt (RIS‑Justiz RS0009580). Maßgebend ist schon auf der Ebene des Anspruchs die finanzielle Lage des in der Wohnung verbliebenen Gatten. Es kommt auf den konkreten Bedarf zur Erhaltung der Wohnung – daher, worauf die Klägerin ohnehin Bedacht genommen hat: nur auf die Zahlung der Mietkosten zur Vermeidung der Aufkündigung des Mietvertrags durch den Vermieter – an. Dabei wird ein Ehegatte jedoch nicht mehr zahlen müssen, als es dem Verhältnis zwischen den Einkommen der Gatten entspricht. Es ist daher keine starre Formel für die Bemessung der Anspruchshöhe anzuwenden. Der den Unterhalt ergänzende eigene Anspruch nach § 97 ABGB soll höchstens mit der – von der Klägerin im Revisionsrekurs begehrten – Hälfte der Kosten der Wohnungserhaltung ausgemessen werden (4 Ob 55/07b). Keinesfalls sachgerecht erscheint es dabei, den Unterhaltspflichtigen bis zur absoluten Leistungs-fähigkeitsgrenze anzuspannen (Gitschthaler, Wohnbedarf neben Ehegattenunterhaltsanspruch zu decken?, EF‑Z 2007/136, 228).

2.6 Vor diesem Hintergrund werden Feststellungen zu treffen sein, ob die Klägerin die mit der Erhaltung der Wohnung verbundenen Mietkosten ohne Gefährdung ihrer sonstigen Bedürfnisse selbst tragen kann. Dafür werden die der Klägerin zur Verfügung stehenden Mittel im Rahmen einer Gesamtabwägung zu beurteilen sein, daher insbesondere auch – wie vom Beklagten im Verfahren erster Instanz vorgebracht – die ihr zukommende Familienbeihilfe und der für die Kinder vom Beklagten gezahlte Unterhalt (Beck in Gitschthaler/Höllwerth, Ehe‑ und Partnerschaftsrecht § 382h EO Rz 15). Sollte die Klägerin danach in der Lage sein, die Kosten der Erhaltung der Wohnung ohne Gefährdung ihrer sonstigen Bedürfnisse selbst zu tragen, kommt die Erlassung der beantragten einstweiligen Verfügung nicht in Betracht. Sollte dies nicht der Fall sein, werden Feststellungen über die Einkommensverhältnisse des Beklagten zu treffen sein, um die Höhe seiner allfälligen Beteiligung an den Wohnungskosten im konkreten Einzelfall beurteilen zu können.

Dem Revisionsrekurs war daher Folge zu geben, die Entscheidungen der Vorinstanzen waren aufzuheben und dem Erstgericht war die neuerliche Entscheidung nach Verfahrensergänzung aufzutragen.

Die Kostenentscheidung beruht auf §§ 78, 402 EO und 52 ZPO.

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