OGH 7Ob100/04p

OGH7Ob100/04p6.7.2004

Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofes Dr. Schalich als Vorsitzenden und die Hofräte des Obersten Gerichtshofes Hon. Prof. Dr. Danzl, Dr. Schaumüller, Dr. Hoch und Dr. Kalivoda als weitere Richter in der Rechtssache der klagenden Partei Monika H*****, vertreten durch Dr. Christine Kolbitsch, Rechtsanwältin in Wien, gegen die beklagte Partei Prim. Dr. Friedrich H*****, vertreten durch Dr. Franz Christian Sladek und Dr. Michael Meyenburg, Rechtsanwälte in Wien, wegen § 97 ABGB (Streitwert EUR 7.267,28), über die Revision der beklagten Partei gegen das Urteil des Landesgerichtes für Zivilrechtssachen Wien als Berufungsgericht vom 18. Dezember 2003, GZ 43 R 875/03z-13, womit das Urteil des Bezirksgerichtes Josefstadt vom 29. August 2003, GZ 23 C 111/02d-5, abgeändert wurde, in nichtöffentlicher Sitzung zu Recht erkannt:

 

Spruch:

1. Der Revision wird Folge gegeben.

Das angefochtene Urteil wird dahingehend abgeändert, dass die Entscheidung des Erstgerichtes wiederhergestellt wird. Die klagende Partei ist schuldig, der beklagten Partei die mit EUR 1.227,50 (darin enthalten EUR 204,58 an USt) bestimmten Kosten des Rechtsmittelverfahrens binnen 14 Tagen zu ersetzen.

2. Die vom Beklagten in der Revision vorgelegten Urkunden werden zurückgewiesen.

Text

Entscheidungsgründe:

Die Streitteile sind seit 15. 1. 1992 verheiratet, ein Ehescheidungsverfahren ist anhängig. Der Ehe entstammt eine 1985 geborene Tochter. Gegen den Beklagten wurde eine einstweilige Verfügung nach § 382b Abs 1 EO erlassen, seither wohnt der Beklagte in einer kleinen Wohnung im Personalheim des *****, in dem er in leitender Position angestellt ist. Die Klägerin und die gemeinsame Tochter verblieben in der ehelichen Wohnung *****. Der Mietvertrag lautet auf beide Streitteile. Der monatliche Mietzins beträgt EUR 1.303,22, er wurde bis inklusive September 2002 vom Beklagten bezahlt.

Die Klägerin bezieht ab Ende Dezember 2002 außer dem monatlichen Unterhalt von EUR 501,66 keinerlei Einkommen. Sie hat nicht die finanziellen Mittel, die Miete für die eheliche Wohnung, die ihre einzige Wohnmöglichkeit ist, zu begleichen. Der Beklagte verdiente ab Jänner 2003 durchschnittlich EUR 6.751,12 netto pro Monat. Dies setzt sich aus seinem monatlichen Einkommen als Oberarzt des Krankenhauses, dem Bezug von Klassegeldern und Privatentnahmen aus der von ihm aufgebauten Unternehmensgruppe (Laborgesellschaften) zusammen. Neben dem Unterhalt an die Klägerin bezahlt der Beklagte monatlich Kreditraten von insgesamt EUR 4.916,94. Die aushaftenden Kredite betragen rund S 23 Mio; 20 Mio davon wurden zum Kauf und Gründung der Laborgesellschaften aufgenommen. Bereits vor Gründung der Laborgesellschaften hatten die Streitteile Privatschulden von mehr als S 2 Mio, die vor allem darauf zurückzuführen sind, dass die Ehegatten gemeinsam mehr ausgaben, als der Beklagte monatlich ins Verdienen brachte. Die Gründung der Laborgesellschaften durch den Beklagten erfolgte mit Unterstützung der Klägerin, um angesichts der Schulden ein "zweites Standbein" aufzubauen. Der Unternehmensgruppe des Beklagten war kein Erfolg beschieden. Die Verträge der Gebietskrankenkasse mit dem Labor wurden zum 31. 12. 2002 gekündigt. Die Laborgesellschaften sind konkursgefährdet und dem Beklagten droht ein Abschöpfungsverfahren.

Die Klägerin begehrt, den Beklagten bis zum rechtskräftigen Abschluss des Ehescheidungsverfahrens zur Bezahlung der monatlichen Miete für die Ehewohnung in der Höhe von EUR 1.303,22 an die Hausverwaltung zu verpflichten.

Der Beklagte beantragt die Klagsabweisung mit der Begründung, dass beide Parteien Mieter der ehelichen Wohnung seien, weshalb die Klägerin verpflichtet sei, die halbe Miete zu tragen, was sie in der Vergangenheit nie getan habe und aufgrund der finanziellen Situation auch nicht tun könne. Der Beklagte beziehe ein Einkommen sowohl als leitender Oberarzt im ***** als auch als geschäftsführender Gesellschafter einer GmbH & Co KG sowie zweier weiterer GmbHs (Laborgesellschaften). Seine Schulden betrügen S 23 bis S 24 Mio. Die Nichtzahlung der Wohnungskosten stelle keinen Willkürakt dar, sondern wäre durch die eingetretene vollständige Überschuldung erzwungen. Aufgrund der finanziellen Situation sei es notwendig, die Wohnung aufzugeben und eine billigere Wohnmöglichkeit zu suchen. Die Erhaltung der Ehewohnung sei nicht zumutbar.

Das Erstgericht wies das Klagebegehren ab. In rechtlicher Hinsicht gelangte es zu dem Ergebnis, dass der Beklagte durch die angespannte finanzielle Lage gezwungen sei, die Mietzinszahlungen für die Wohnung einzustellen. Eine Interessensabwägung führe nicht dazu, dem Beklagten den Erhalt der Wohnung zuzumuten, weil die Schulden im gemeinsamen Interesse der Ehegatten während aufrechter Wirtschaftsgemeinschaft eingegangen worden seien.

Das Berufungsgericht änderte das Ersturteil in eine Klagsstattgebung ab. In rechtlicher Hinsicht vertrat es die Ansicht, dass eine wirtschaftliche Zwangslage nur bei rechtmäßiger Wohnungsverlegung zu berücksichtigen sei. Der Beklagte beziehe beträchtliche Einkünfte aus unselbständiger Tätigkeit. Es stehe nicht im Belieben des unselbständig tätigen Unterhaltsschuldners, durch eine verlustbringende Nebentätigkeit seine Fähigkeit, seine familienrechtlichen Verpflichtungen zu erfüllen, zu schmälern. Sein Erwerbseinkommen aus unselbständiger Tätigkeit reiche bei weitem aus, den Wohnbedarf seiner Familie zu decken. Der Umstand, dass Schulden in Bezug auf seine selbständige Erwerbstätigkeit aufgelaufen seien, vermöge keine Unzumutbarkeit zu begründen.

Das Berufungsgericht sprach aus, dass die Revision zulässig sei, da die vom Erstgericht vertretene Rechtsauffassung auch vertretbar erscheine und die Judikatur des Obersten Gerichtshofes die Frage der Unzumutbarkeit der Erhaltung der Ehewohnung zum Teil an die rechtmäßige Wohnungsverlegung knüpfe.

Dagegen richtet sich die Revision des Beklagten mit einem Abänderungsantrag, in eventu wird ein Aufhebungsantrag gestellt. Die Klägerin beantragt die Zurückweisung der Revision, in eventu, der Revision nicht Folge zu geben.

Rechtliche Beurteilung

Die Revision ist zulässig, sie ist auch berechtigt. Die erstmals in der Revision vorgelegten Urkunden sind infolge des geltenden Neuerungsverbotes zurückzuweisen.

Über das Vermögen des Beklagten wurde zwar der Konkurs eröffnet, die gegenständlichen Mietrechte aber aus der Masse ausgeschieden und dem Gemeinschuldner zur freien Verfügung überlassen (4 S 354/03s-20 des Handelsgerichtes Wien). Das vorliegende Verfahren über den familienrechtlichen Anspruch nach § 97 ABGB ist daher nicht nach § 7 Abs 1 KO unterbrochen.

Ist ein Ehegatte über die Wohnung, die der Befriedigung des dringenden Wohnbedürfnisses des anderen Ehegaten dient, verfügungsberechtigt, so hat dieser gemäß § 97 ABGB einen Anspruch darauf, dass der verfügungsberechtigte Ehegatte alles unterlasse und vorkehre, damit der auf die Wohnung angewiesene Ehegatte diese nicht verliere. Dies gilt nicht, wenn das Handeln oder Unterlassen des verfügungsberechtigten Ehegatten durch die Umstände erzwungen wird. Der Bestimmung liegt der Gedanke zugrunde, dass ein Ehegatte durch die Eheschließung ein Wohnrecht an der ihm nicht oder nicht allein gehörenden Wohnung, die seinem dringenden Wohnbedürfnis dient, erwirbt; die Bestimmung soll diesen Ehegatten in seinem Anliegen auf Sicherung seines Wohnbedürfnisses schützen (851 BlgNR 13. GP, 23). Aus ihr wird ein Anspruch des Ehegatten, dem eine Wohnung zur Befriedigung seines dringenden Wohnbedürfnisses dient, auf Benützung dieser Wohnung, die nicht die Ehewohnung sein muss, abgeleitet (1 Ob 162/00f, 9 Ob 226/02d, SZ 50/105, SZ 52/190; RIS-Justiz RS0009662, uva).

Dem betroffenen Ehegatten soll jene Wohnmöglichkeit erhalten werden, die ihm bisher zur Deckung der den Lebensverhältnissen der Ehegatten angemessenen Bedürfnisse diente und die er weiter benötigt. Er soll gegen Willkürmaßnahmen des anderen geschützt werden (1 Ob 162/00f, 9 Ob 226/02d mwN). Aufgrund dieses familienrechtlichen Wohnverhältnisses stehen ihm nicht nur Unterlassungs-, sondern auch Leistungsansprüche gegen den anderen Ehegatten zu (1 Ob 162/00f, 9 Ob 226/02d, RIS-Justiz RS0005961). Im Rahmen dessen besteht auch der hier geltend gemachte Anspruch auf Zahlung des Mietzinses an den Vermieter (9 Ob 226/02d, 1 Ob 368/98v; RIS-Justiz RS0005961, Schwimann in Schwimann, § 97 ABGB, Rz 8, Stabentheiner in Rummel3 § 97 Rz 4).

Der Wohnungserhaltungsanspruch des wohnbedürftigen Ehegatten ist aber gemäß § 97 Satz 2 ABGB ausgeschlossen, wenn der Wohnungsverlust "durch die Umstände erzwungen wird", eine Erhaltung der Wohnung dem verfügungsberechtigten anderen Ehegatten also unzumutbar ist. Das Gesetz verlangt demnach zwar eine gewisse Zwangslage des verfügungsberechtigten Ehegatten, die ihn zur Aufgabe der Wohnung nötigt, eine echte "Zwangslage" im Sinne fehlender Alternativen ist aber nicht gefordert (4 Ob 49/01m, RIS-Justiz RS0015115, Stabentheiner aaO Rz 7, Schwimann aaO § 97 ABGB, Rz 5). Daher können auch wirtschaftliche Gründe wie mangelnde finanzielle Leistungsfähigkeit des verfügungsberechtigten Ehegatten diesen zur Wohnungsaufgabe nötigen (4 Ob 49/01m, Stabentheiner aaO § 97 ABGB, Rz 7, Ent/Hopf, Die Neuordnung der persönlichen Rechtswirkungen der Ehe 157). Ob dem Ehegatten im Einzelfall dennoch die Erhaltung der Wohnung zumutbar ist, ist aufgrund einer Interessensabwägung zu beurteilen (4 Ob 49/01m, Schwimann aaO, § 97 ABGB Rz 5, Binder in Harrer/Zitta, Familie und Recht, 58).

Im vorliegenden Fall wurde die missliche finanzielle Lage der Ehegatten während aufrechter Lebensgemeinschaft dadurch verursacht, dass sie einerseits mehr ausgaben, als der Beklagte ins Verdienen brachte, und andererseits dadurch, dass der Beklagte Kredite für die Gründung von Laborgesellschaften aufnahm, um den finanziellen Bedarf der Ehegatten danach abzudecken und ein "weiteres Standbein" zu schaffen. Nach den Feststellungen wäre auch bei aufrechter Lebensgemeinschaft die Ehewohnung, für die ein Mietzins von EUR 1.303,22 zu bezahlen ist, nicht leistbar gewesen. Die Auflösung der Lebensgemeinschaft und die gesonderte Wohnungnahme aufgrund der einstweiligen Verfügung nach § 382b Abs 1 EO stehen damit nicht im Zusammenhang. Bei der gebotenen Interessenabwägung kann dem Beklagten nunmehr nicht zum Vorwurf gemacht werden, er habe gleichsam mutwillig neben seiner hoch dotierten unselbständigen Erwerbstätigkeit eine verlustbringende selbständige Tätigkeit übernommen. Diese diente ja nach den Feststellungen zur Abdeckung des sehr hohen Geldbedarfes des Ehepaares und erfolgte seinerzeit mit Einverständnis der Klägerin. Wird also die Aufgabe der Wohnrechte durch eine wirtschaftliche Zwangslage, die die Wohnung nicht mehr leistbar macht und während der aufrechten Lebensgemeinschaft im Interesse beider begründet wurde, erzwungen, so ist der Ausnahmetatbestand des § 97 zweiter Satz ABGB verwirklicht.

Nach Abzug der festgestellten monatlichen Zahlungen würde vom monatlichen Durchschnittseinkommen des Beklagten lediglich EUR 1.332,52 verbleiben. Dieser Betrag würde bis auf rund EUR 30 von der zu zahlenden monatlichen Miete für die Ehewohnung aufgezehrt, sodass sich die Unzumutbarkeit des Erhaltens der Wohnung schon aus diesem Grund ergibt.

Es ist daher das erstinstanzliche Urteil wieder herzustellen. Die Kostenentscheidung im Rechtsmittelverfahren gründet sich auf §§ 50, 41 ZPO.

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