OGH 6Ob6/18b

OGH6Ob6/18b28.2.2018

Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht durch den Senatspräsidenten Dr.

 Schramm als Vorsitzenden und die Hofräte Dr. Gitschthaler, Univ.‑Prof. Dr. Kodek, Dr. Nowotny und die Hofrätin Dr. Kodek als weitere Richter in der Rechtssache der klagenden Partei E***** K*****, vertreten durch Dr. Johannes Öhlböck, LL.M., Rechtsanwalt in Wien, gegen die beklagte Partei D***** D*****, vertreten durch Mag. Klemens Mayer, Rechtsanwalt in Wien, wegen Widerruf, Unterlassung und Veröffentlichung (Streitwert 42.000 EUR), über die außerordentliche Revision der beklagten Partei gegen das Urteil des Oberlandesgerichts Wien als Berufungsgericht vom 23. November 2017, GZ 11 R 182/17s‑68, in nichtöffentlicher Sitzung den

Beschluss

gefasst:

European Case Law Identifier: ECLI:AT:OGH0002:2018:0060OB00006.18B.0228.000

 

Spruch:

Die außerordentliche Revision wird gemäß § 508a Abs 2 ZPO mangels der Voraussetzungen des § 502 Abs 1 ZPO zurückgewiesen (§ 510 Abs 3 ZPO).

Begründung:

Rechtliche Beurteilung

1. Die Revision steht zusammengefasst auf dem Standpunkt, der vorliegenden Klage stehe das Prozesshindernis der Unzulässigkeit des Rechtswegs entgegen, weil eine Streitigkeit aus dem Vereinsverhältnis nach § 8 VereinsG vorliege. Nach dieser Bestimmung ist bei Streitigkeiten aus dem Vereinsverhältnis zunächst der vereinsinterne Instanzenzug zu beschreiten, andernfalls die Klage – auch von Amts wegen – wegen Unzulässigkeit des Rechtswegs zurückzuweisen ist (RIS‑Justiz RS0124983). Im vorliegenden Fall haben sich jedoch beide Vorinstanzen mit dem entsprechenden Einwand der Beklagten befasst und ihn verworfen. Damit liegt eine den Obersten Gerichtshof bindende Entscheidung nach § 42 Abs 3 JN über die Zulässigkeit des Rechtswegs vor (RIS‑Justiz RS0035572 [T33]). Dies gilt auch für die Unzulässigkeit des Rechtswegs nach § 8 VereinsG (6 Ob 189/08z). Dass das Erstgericht keinen förmlichen Beschluss auf Zurückweisung der Prozesseinrede gefasst, sondern sich damit bloß in den Entscheidungsgründen befasst hat, schadet nicht (RIS‑Justiz RS0114196; RS0035572 [T30]).

2.1. Inhaltlich wendet die Revision im Wesentlichen ein, bei Politikern seien die Grenzen der zulässigen Kritik weiter zu ziehen als bei Privatpersonen; die Äußerungen der Beklagten seien durch Art 10 EMRK geschützt. Die Beklagte habe den Kläger keines unehrenhaften Verhaltens beschuldigt.

2.2. Zwar trifft zu, dass die Grenzen der Toleranz bei Politikern und generell bei Personen des öffentlichen Lebens weiter zu ziehen sind als bei Privatpersonen (RIS‑Justiz RS0082182). Im Interesse einer freien, demokratischen Diskussion muss Kritik erlaubt sein; sie muss allerdings in einer Form vorgebracht werden, die das absolut geschützte Recht auf Ehre nicht verletzt, und, sofern sie einen nachprüfbaren Tatsachenkern enthält, auch erweislich wahr sein (RIS‑Justiz RS0082182 [T5]). Weil Politiker erhöhter Kritik unterworfen sind, soweit sie in öffentlicher Funktion handeln, genügt im Rahmen politischer Auseinandersetzung allerdings bereits ein „dünnes Tatsachensubstrat“ für die Zulässigkeit einer Wertung (RIS‑Justiz RS0127027). Eine in die Ehre eingreifende politische Kritik auf Basis unwahrer Tatsachenbehauptungen verstößt aber gegen § 1330 ABGB (RIS‑Justiz RS0082182 [T6]). Das Recht auf freie Meinungsäußerung findet in der Interessenabwägung gegenüber der ehrenbeleidigenden Rufschädigung seine Grenze in einer unwahren Tatsachenbehauptung (RIS‑Justiz RS0082182 [T8]). Ein Recht auf freie Meinungsäußerung auf der Grundlage unrichtiger oder nicht bewiesener Tatsachenbehauptungen gibt es nicht (RIS‑Justiz RS0032201 [T9]). Dies gilt auch gegenüber Politikern (RIS‑Justiz RS0032201 [T21]) und entspricht auch der Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte, der selbst im politischen Meinungsstreit prüft, ob die notwendige Tatsachenbasis für einen wertenden Vorwurf vorliegt (RIS‑Justiz RS0032201 [T11]). Unwahre, diffamierende Tatsachenbehauptungen oder auf unwahren Tatsachenbehauptungen beruhende negative Wertungsurteile oder Wertungsexzesse fallen nicht unter den Schutzbereich des Art 10 EMRK (RIS‑Justiz RS0032201 [T24]).

3. Mit diesen Grundsätzen steht die Entscheidung der Vorinstanzen im Einklang, weil diese übereinstimmend festgestellt haben, dass die inkriminierten Äußerungen tatsächlich falsch sind. Nach den Feststellungen der Vorinstanzen hat sich die beklagte Partei „erschüttert“ gezeigt, dass der Wirtschaftsbund W***** den Kläger als Kandidaten aufgestellt habe, obwohl dieser „ein bekennendes Mitglied der A***** und ein glühender Verehrer von E*****“ sei. Außerdem habe dieser für die Wirtschaftskammerwahlen das Schariarecht und Fatwas (religiöse Rechtsgutachten) für die österreichische und europäische Wirtschaft gefordert.

4.1. Soweit die Revision geltend macht, die inkriminierten Äußerungen unterstellten kein unehrenhaftes Verhalten, weil es sich bei der A***** um eine demokratisch gewählte Partei und bei E***** um einen demokratisch gewählten Politiker handle, ist dem entgegenzuhalten, dass nach der ständigen Rechtsprechung bei der Auslegung einer Äußerung immer auf den Gesamtzusammenhang und den dadurch vermittelten Gesamteindruck der beanstandeten Äußerungen abzustellen ist; das Verständnis des unbefangenen Durchschnittslesers oder Durchschnittshörers, nicht aber der subjektive Wille des Erklärenden ist maßgebend (RIS‑Justiz RS0031883 [T1]).

4.2. Die Ermittlung des Bedeutungsinhalts ist im Allgemeinen eine Rechtsfrage, die von den näheren Umständen des Einzelfalls, insbesondere aber von der konkreten Formulierung in ihrem Gesamtzusammenhang abhängt (RIS‑Justiz RS0031883 [T6]).

4.3. Wenn die Vorinstanzen die auszugsweise wiedergegebenen Äußerungen der Beklagten dahin verstanden, dass damit dem Kläger unterstellt werde, dieser hänge einer fundamentalistischen Richtung des Islam an, seine politischen Ansichten seien für den Rechtsstaat gefährlich und er wolle demokratische Wahlregeln durch islamische Religionsgesetze ablösen, so ist darin keine vom Obersten Gerichtshof im Interesse der Rechtssicherheit aufzugreifende Fehlbeurteilung zu erblicken. Mit diesen Überlegungen des Berufungsgerichts setzt sich die Revision auch nicht substantiiert auseinander, sondern erschöpft sich in einer Zergliederung des Textes in einzelne Sätze. Dies widerspricht jedoch dem bestehenden allgemeinen Grundsatz, dass der Inhalt einer Äußerung stets am Gesamteindruck zu messen ist (RIS‑Justiz RS0031883 [T24]).

5. Der Einwand, die Äußerungen seien nur in einem für Mitglieder des Wirtschaftsbundes zugänglichen Diskussionsforum gefallen, weicht vom festgestellten Sachverhalt ab. Im Übrigen genügt für das Tatbestandsmerkmal der öffentlichen Verbreitung der unwahren Behauptung bereits, dass die Tatsachenmitteilung gegenüber bloß einer vom Täter und dem Verletzten verschiedenen Person erfolgt (RIS‑Justiz RS0032413 [T1]). Dass diese Voraussetzung erfüllt ist, wird von der Revision aber nicht bestritten.

6. Dass der Kläger durch die Äußerungen keinen konkreten Schaden erlitten hat, ist nicht entscheidend, weil § 1330 Abs 2 ABGB die Behauptung von Tatsachen bereits dann verbietet, wenn sie den Kredit, den Erwerb oder das Fortkommen eines anderen gefährden. Ausreichend ist daher der Nachweis der Eignung der Äußerung, solche Nachteile herbeizuführen (RIS‑Justiz RS0032410, RS0032294). Dass vor dem Hintergrund der seit Jahren bestehenden politischen Diskussionen über die Rolle des Islam in Österreich den Äußerungen die Eignung zur Beeinträchtigung des beruflichen Fortkommens des Klägers als Selbständiger nicht abgesprochen werden kann, liegt auf der Hand. Zudem hat das Erstgericht ausdrücklich auch festgestellt, dass die Äußerungen bei Kunden des Klägers für Irritationen sorgten.

7. Die Berufung der Revision auf „glaubwürdige Zeugen“, die die Richtigkeit der Behauptungen der Beklagten stützten, stellt lediglich den unzulässigen Versuch dar, die Feststellungen der Vorinstanzen zu bekämpfen (RIS‑Justiz RS0069246). Das Erstgericht hat zu all diesen Behauptungen festgestellt, dass diese nicht zutreffen. Das Berufungsgericht hat diese Feststellungen übernommen.

8. Zusammenfassend bringt die Revision daher keine Rechtsfragen der in § 502 Abs 1 ZPO geforderten Bedeutung zur Darstellung, sodass sie spruchgemäß zurückzuweisen war.

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