European Case Law Identifier: ECLI:AT:OGH0002:2018:0050OB00004.18A.0213.000
Spruch:
Das Teilurteil des Berufungsgerichts wird dahin abgeändert, dass die Entscheidung des Erstgerichts, soweit damit das Begehren der erstklagenden Partei abgewiesen wurde, als Teilurteil wiederhergestellt wird.
Die Entscheidung über die Kosten aller Instanzen bleibt dem Erstgericht vorbehalten.
Entscheidungsgründe:
Das Berufungsgericht hat den Rekurs gegen seinen Beschluss, mit dem es die Entscheidung des Erstgerichts hinsichtlich der zweitklagenden Partei aufhob, nicht zugelassen. Gegenstand des Revisionsverfahrens ist daher ausschließlich das Begehren des Erstklägers.
Der Erstkläger betreibt ein Unternehmen. Anlässlich der Aufnahme seiner Geschäftstätigkeit Anfang 2013 war er auf der Suche nach einer Steuerberatungskanzlei, in der man auch seine Muttersprache spricht. So kam er in Kontakt mit einer Mitarbeiterin der beklagten Wirtschaftsprüfungs‑KG. Diese Mitarbeiterin bot an, sich um alle steuerlichen Angelegenheiten des Erstklägers zu kümmern, womit er sich einverstanden erklärte. Die Mitarbeiterin bat die Geschäftsführerin, die Lohnverrechnung für den Erstkläger durchführen zu dürfen. Dem stimmte die Geschäftsführerin unter der Voraussetzung zu, dass die Mitarbeiterin eine Vollmacht zur Durchführung der Lohnverrechnung einhole und die dafür anfallende Arbeitszeit verrechne. Einen persönlichen Termin zwischen der Geschäftsführerin und dem Erstkläger gab es nicht. Dem Erstkläger gegenüber gab die Mitarbeiterin allerdings an, für diesen alle steuerlichen Angelegenheiten im Rahmen des Unternehmens der beklagten Partei durchzuführen, so auch die Buchhaltung. Dazu ließ sie den Erstkläger eine zu Gunsten der beklagten Partei auf deren Kanzleipapier ausgestellte Vollmacht unterfertigen, die diese zur Vertretung des Erstklägers in allen steuerlichen und wirtschaftlichen Angelegenheiten gegenüber den zuständigen Behörden berechtigte. Diese Vollmacht fand in weiterer Folge Eingang in den Klientenakt des Erstklägers. Die Wirtschaftsprüfungs‑KG zeigte dem Finanzamt eine „umfassende Vertretungsbefugnis“ an, obgleich der Leistungsumfang aus Sicht der Geschäftsführerin ausschließlich die Lohnverrechnung für den Erstkläger umfassen sollte.
In weiterer Folge führte die Mitarbeiterin der beklagten Partei ohne Wissen und Willen der Geschäftsführerin die Buchführung für den Erstkläger durch und verwendete hierfür ein Finanzbuchhaltungsprogramm der Beklagten. Die dafür notwendigen Unterlagen holte sie meist persönlich beim Erstkläger ab, der ihr monatlich Akontozahlungen von 500 EUR bar und ohne Rechnung übergab. Im Zuge ihrer Tätigkeit forderte die Mitarbeiterin vom Erstkläger den Code für seinen FinanzOnline‑Account, weil sie diesen für Buchungen im Rahmen der Vertretungsmacht benötige. Die Geschäftsführerin war über dieses Vorgehen nicht informiert. Bei der beklagten Wirtschaftsprüfungs‑KG war es nur der Geschäftsführerin gestattet, Anträge für Klienten beim zuständigen Finanzamt einzubringen. Der Mitarbeiterin war es insbesondere nicht gestattet, beim Finanzamt Rückzahlungsanträge zu stellen.
Die Mitarbeiterin nutzte den ihr vom Erstkläger bekanntgegebenen Zugangscode, um Rückerstattungsanträge für vorhandene Steuerguthaben zu stellen, wobei sie ihr eigenes Konto als Empfängerkonto für die rückzuerstattenden Beträge angab. Aufgrund dieser Malversationen wurden in der Zeit vom 2. 7. 2013 bis 16. 9. 2014 insgesamt 38.400 EUR vom Steuerkonto des Erstklägers auf das Privatkonto der Mitarbeiterin überwiesen. Dafür wurde sie wegen des Vergehens der Untreue nach § 153 Abs 1 und Abs 3 Fall 1 StGB rechtskräftig verurteilt.
Der Erstkläger begehrte von der beklagten Wirtschaftsprüfungs‑KG insgesamt 40.072,92 EUR sA als Ersatz des ihm durch die Malversationen der Mitarbeiterin entstandenen Schadens und brachte dazu im Wesentlichen vor, er habe die beklagte Wirtschaftsprüfungs‑KG bevollmächtigt und beauftragt, ihn in allen steuerlichen und wirtschaftlichen Angelegenheiten zu vertreten, insbesondere Anträge auf Rückzahlung von Steuerguthaben zu stellen und das ausbezahlte Geld entgegenzunehmen. Die Mitarbeiterin sei ihm als ständige Sachbearbeiterin und Ansprechpartnerin zugeordnet worden, weswegen diese in Erfüllung des erteilten Mandats für die Wirtschaftsprüfungs‑KG tätig geworden sei. Deren Schädigungshandlungen stünden daher in einem inneren Sachzusammenhang mit den Vertragspflichten der beklagten Partei, sodass diese für das Verhalten ihrer Mitarbeiterin gemäß § 1313a ABGB einzustehen habe. Zudem habe sie die Pflicht verletzt, ihre Mitarbeiterin zu kontrollieren.
Die Beklagte räumte ein, für den Erstkläger ein „steuerliches Mandat“ übernommen zu haben; ihre Mitarbeiterin habe jedoch unabhängig von diesem Mandat vorsätzlich und unerlaubt gehandelt, sodass sie für deren Verhalten nicht einzustehen habe.
Das Erstgericht wies das Klagebegehren ab. Ausgehend vom eingangs wiedergegebenen Sachverhalt gelangte es rechtlich zum Ergebnis, der Auftrag des Erstklägers an die beklagte Wirtschaftsprüfungs‑KG habe sich auf die Lohnverrechnung beschränkt, wobei von deren Geschäftsführerin keine Handlung gesetzt worden sei, die den Anschein erwecken hätte können, ihre Mitarbeiterin dürfe selbständig über den Umfang des Auftrags entscheiden. Ein über die Lohnverrechnung hinausgehendes Auftragsverhältnis habe nicht vorgelegen, sodass es auch nicht zu den Hauptleistungspflichten der beklagten Wirtschafts-prüfungs‑KG gehört habe, über Steuerguthaben des Erstklägers zu verfügen. Die strafgesetzwidrigen Handlungen der Mitarbeiterin könnten ihr daher nicht zugerechnet werden. Auch eine Vernachlässigung von Überwachungspflichten liege nicht vor.
Das Berufungsgericht gab dem Begehren des Erstklägers statt. Die beklagte Partei habe zugestanden, für den Erstkläger ein „steuerliches Mandat“ übernommen zu haben, in dessen Rahmen sie die Möglichkeit erhalten habe, über Steuerguthaben des Erstklägers zu verfügen. Dass die beklagte Partei die Vorteile der Arbeitsteilung in Anspruch genommen und – durch Anstellung einer Lohnverrechnerin – ihren geschäftlichen „Aktionsradius“ bei Erfüllung von Verträgen mit Klienten erweitert habe, dürfe nicht zu Lasten des Erstklägers gehen. Dieser habe darauf vertrauen dürfen, dass die beklagte Partei und ihre Erfüllungsgehilfin die rechtsgeschäftlich eingeräumte Befugnis, über Steuerguthaben zu verfügen, nicht missbrauchen werden. Der Erstkläger habe die Zugangsdaten zu seinem FinanzOnline‑Account im Vertrauen darauf ausgefolgt, diese Daten würden zur Erfüllung des erteilten Mandats benötigt. Die Mitarbeiterin habe sich das Steuerguthaben treuwidrig auf ihr Privatkonto auszahlen lassen und dadurch ein vorsätzliches Vermögensdelikt, innerhalb des (Haupt‑)Pflichtenkreises begangen, den das beklagte Unternehmen gegenüber dem Erstkläger vertraglich übernommen habe. Für diese in einem engen inneren Sachzusammenhang mit der Vertragserfüllung stehende Tathandlung habe die beklagte Partei gemäß § 1313a ABGB einzustehen.
Die Revision erklärte das Berufungsgericht für zulässig, weil es von jener Judikaturlinie abgewichen sei, nach der der Geschäftsherr auch bei Verletzung einer Hauptleistungspflicht durch ein vorsätzliches Vermögensdelikt des Erfüllungsgehilfen nur dann gemäß § 1313a ABGB hafte, wenn die Tat zusätzlich in den Aufgabenbereich – hier der Lohnverrechnung – eingreife, zu dessen Wahrnehmung der Geschäftsherr den Gehilfen bestimmt habe.
Rechtliche Beurteilung
Dagegen richtet sich die vom Erstkläger beantwortete Revision der beklagten Partei, die aus dem vom Berufungsgericht angeführten Grund zulässig ist; sie ist auch berechtigt.
1.1 Nach § 1313a ABGB haftet derjenige, der einem anderen zu einer Leistung verpflichtet ist, für das Verschulden der Personen, deren er sich zur Erfüllung dieser Leistung bedient, wie für sein eigenes. Erfüllungsgehilfe ist danach, wer mit dem Willen des Schuldners bei der Erfüllung der diesem obliegenden Verbindlichkeit als seine Hilfsperson tätig wird (RIS-Justiz RS0028729).
1.2 Nach der ständigen Rechtsprechung des Obersten Gerichtshofs zu § 1313a ABGB können auch vorsätzliche unerlaubte Handlungen in einer dem Schuldner zurechenbaren Weise vom Erfüllungsgehilfen begangen werden, sofern ein innerer Sachzusammenhang der schädigenden Handlung des Erfüllungsgehilfen mit der Vertragserfüllung vorliegt. Hingegen wird eine Haftung für eine Schädigung ausgeschlossen, die der Gehilfe dem Gläubiger nur gelegentlich (anlässlich) der Erfüllung zugefügt hat, und die einer selbständigen unerlaubten Handlung entsprungen ist. Nur dann, wenn die unerlaubte Handlung des Gehilfen in den Aufgabenbereich eingreift, zu dessen Wahrnehmung er vom Schuldner bestimmt worden ist, hat der Schuldner für das Verhalten seines Gehilfen einzustehen (RIS‑Justiz RS0028626; vgl auch RS0028425; RS0121745). Dementsprechend haftet der Geschäftsherr nicht nach § 1313a ABGB, wenn das Verhalten des Gehilfen aus dem allgemeinen Aufgabenbereich, den der Gehilfe im Rahmen der Interessenverfolgung für den Schuldner wahrzunehmen hat, herausfällt (RIS‑Justiz RS0028499).
1.3 Auch in der Lehre herrscht Einigkeit darüber, dass der Geschäftsherr nicht für beliebige Akte seines Gehilfen haftet (vgl dazu Reischauer in Rummel , ABGB³ § 1313a Rz 3). Überwiegend wird betont, dass die Geschäftsherrn für (unerlaubte) schädigende Handlungen seines Gehilfen (nur) dann haften, wenn das Verhalten noch innerhalb des für den Geschäftsherrn wahrzunehmenden Pflichtenkreises lag und der Schaden nicht nur „gelegentlich in der Erfüllung“ verursacht wurde ( Schacherreiter in Kletečka/Schauer , ABGB‑ON 1.04 § 1313a Rz 71; Wagner in Schwimann/Kodek , ABGB 4 § 1313a Rz 22; Karner in KBB 5 § 1313a Rz 8; aA Reischauer aaO mwN aus der Lehre).
2.1 Veruntreuungshandlungen der Mitarbeiterin der beklagten Wirtschaftsprüfungs-KG waren bereits Gegenstand der Entscheidung 8 Ob 63/17y. Nach dem dieser Entscheidung zugrunde liegenden Sachverhalt bestand zwischen der beklagten Partei und der dort klagenden Klientin ein Vollmachtsverhältnis, das erstere zur Vertretung in allen steuerlichen und wirtschaftlichen Angelegenheiten gegenüber den zuständigen Behörden und Personen berechtigte. Die Verfügung über Steuerguthaben gehörte demgegenüber nicht zu den Hauptleistungspflichten der beklagten Partei. Der Oberste Gerichtshof verneinte daher deren Haftung für das vorsätzlich schädigende Verhalten ihrer Mitarbeiterin nach § 1313a ABGB.
2.2 Im vorliegenden Fall sollte die für die Bereiche Buchhaltung und Lohnverrechnung angestellte Mitarbeiterin nach dem von der Geschäftsführerin der beklagten Wirtschaftsprüfungs-KG getragenen Willen Aufgaben der Lohnverrechnung für den Erstkläger erbringen. Die Verfügung über Steuerguthaben gehörte damit – wie in dem zu 8 Ob 63/17y entschiedenen Fall – nicht zu den Hauptleistungspflichten der beklagten Partei. Deren Mitarbeiterin ist damit nicht in dem ihr übertragenen Aufgabenbereich tätig geworden, als sie mit dem vom Erstkläger herausgelockten Zugangscode in Ausnutzung ihrer Kenntnisse die Überweisung der beim Finanzamt für diesen vorhandenen Steuerguthaben auf ihr Konto veranlasste. Soweit sich der Erstkläger in seiner Revisionsbeantwortung auf die Regeln über die Anscheinsvollmacht beruft, um zu begründen, dass die beklagte Partei – vertreten durch die Mitarbeiterin – ihm gegenüber die Aufgaben eines Steuerberaters übernommen habe, die die Verfügung über seine Steuerguthaben umfassten, übersieht er, dass die Anscheinsvollmacht einen äußeren (Rechtsscheins‑)Tat-bestand voraussetzt, der dem Vertretenen zurechenbar sein muss, um das Vertrauen des Dritten vom Vorhandensein der Vertretungsmacht zu rechtfertigen (8 Ob 45/14x = RIS-Justiz RS0019609 [T17]). Ein solcher, der beklagten Partei zurechenbarer Tatbestand wurde aber nicht schon dadurch geschaffen, dass sich die Mitarbeiterin eines bei der beklagten Partei gängigen Vollmachtsformulars bediente, das von einem vertretungsbefugten Organ gar nicht unterschrieben war. Weitere Argumente kann der Erstkläger für diese Auffassung nicht ins Treffen führen. Auch den Feststellungen lassen sich keine Anhaltspunkte dafür entnehmen, dass die beklagte Partei oder deren Geschäftsführerin in irgendeiner Form einen Anschein erweckt hätten, sie hätten ihrer Mitarbeiterin eine derartige Befugnis erteilt. Vielmehr steht fest, dass das Einbringen von Anträgen auf Rückzahlung von Steuerguthaben ausdrücklich der Geschäftsführerin der beklagten Partei vorbehalten war. Entgegen der vom Erstkläger auch noch in der Revisionsbeantwortung vertretenen Auffassung kommt daher eine Haftung der beklagten Partei für das vorsätzlich schädigende Verhalten ihrer Mitarbeiterin nach § 1313a ABGB nicht in Betracht; der von ihm zur Stützung seines Standpunkts angeführten Entscheidung 8 Ob 98/17w lag ein anderer Sachverhalt zugrunde.
2.3 Anhaltspunkte für ein Organisations‑, Auswahl- oder Überwachungsverschulden der Geschäftsführerin der beklagten Partei liegen ebenfalls nicht vor. Der Dienstvertrag der Mitarbeiterin der beklagten Partei sah ausdrücklich vor, dass sie keine konkurrenzierende Nebenbeschäftigung, wie zB Buchhaltungsarbeiten für Bekannte, erbringen durfte. Mit seinen Ausführungen, dass die Geschäftsführerin bereits im Sommer 2012, also noch vor seinem ersten Kontakt zur Mitarbeiterin, Kenntnis von deren Malversationen erlangen hätte müssen, zielt der Erstkläger ganz offensichtlich auf die zu 8 Ob 63/17y entschiedene Sache ab, ohne näher darzulegen, aus welchen Gründen hier eine andere Beurteilung vorzunehmen wäre. Nach den Feststellungen erfolgte die letzte Überweisung durch die Mitarbeiterin auf ihr Privatkonto im September 2014, sodass auch unklar bleiben muss, inwieweit eine – im Einzelnen ohnedies nicht näher dargelegte – Vorgangsweise der Geschäftsführerin im April 2015 von Einfluss auf seinen Schaden hätte sein können.
2.4 Auch die vom Erstkläger in seiner Revisionsbeantwortung geforderte (analoge) Heranziehung des § 1009 ABGB kommt nicht in Betracht. Diese Bestimmung regelt den Herausgabeanspruch des Vollmachtgebers, der als Erfüllungsanspruch voraussetzt, dass der Nutzen dem Geschäftsbesorger auch zugekommen ist (RIS‑Justiz RS0019312). Hier steht fest, dass die von der Mitarbeiterin über das Portal FinanzOnline eingeforderten Steuerguthaben des Erstklägers von dessen Steuerkonto auf das Privatkonto der Mitarbeiterin geflossen sind. Damit fehlt es schon an Anhaltspunkten dafür, dass diese Steuerguthaben jemals in den Verfügungsbereich der beklagten Partei gelangt sind. Auch der Erstkläger betont, dass die Steuerguthaben nach Verrechnung mit der Abgabenschuld als positiver Saldo am Finanzamtskonto „stehengeblieben“ sind, worauf sie über Veranlassung der Mitarbeiterin auf deren Privatkonto überwiesen wurden. Inwieweit diese Guthaben der beklagten Partei zugeflossen sein sollen, „indem sie in ihre Einflusssphäre gelangt sind und [diese] darüber verfügen konnte“, wie der Erstkläger meint, kann daher nicht nachvollzogen werden. Auch eine analoge Anwendung des § 1009 ABGB kommt daher nicht in Betracht.
3. Damit scheidet eine Haftung der beklagten Partei für die Malversationen ihrer Mitarbeiterin aus, sodass der Revision Folge zu geben und das Klagebegehren abzuweisen ist.
4. Das Berufungsgericht hat gemäß § 52 Abs 1 ZPO ausgesprochen, dass die Kosten bis zur rechtskräftigen Beendigung der Streitsache vorbehalten bleiben, sodass die Kostenbestimmung dem Erstgericht obliegt.
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