European Case Law Identifier: ECLI:AT:OGH0002:2017:009OBA00092.17W.1128.000
Spruch:
Der Revision wird teilweise Folge gegeben.
Das Urteil des Berufungsgerichts wird im Umfang der Abweisung des (zweiten) Feststellungsbegehrens, der Kläger habe Anspruch auf Nachzahlung des Differenzbetrags zwischen dem ihm seit 1. 10. 2013 tatsächlich zukommenden Entgelt und dem ihm bei Einstufung in die Verwendungsgruppe V des Rahmenkollektivvertrags für Angestellte im Handwerk und Gewerbe, in der Dienstleistung, in Information und Consulting, betriebsüblich gebührenden Entgelt, als Teilurteil bestätigt. Die Kostenentscheidung bleibt insoweit der Endentscheidung vorbehalten.
Im Übrigen, also hinsichtlich des (ersten) Feststellungsbegehrens, der Kläger sei ab 1. 10. 2013 in die Verwendungsgruppe V des Rahmenkollektivvertrags für Angestellte im Handwerk und Gewerbe, in der Dienstleistung, in Information und Consulting einzustufen, werden die Urteile der Vorinstanzen aufgehoben. Die Rechtssache wird in diesem Umfang zur neuerlichen Verhandlung und Entscheidung an das Erstgericht zurückverwiesen. Die Kosten des Rechtsmittelverfahrens sind weitere Verfahrenskosten.
Entscheidungsgründe:
Auf das Dienstverhältnis des bei der Beklagten bzw deren Rechtsvorgänger seit 6. 11. 2006 beschäftigten Klägers ist der Rahmenkollektivvertrag für Angestellte im Handwerk und Gewerbe, in der Dienstleistung, in Information und Consulting (kurz: KollV) anzuwenden. Im schriftlichen Dienstvertrag wurde der Kläger entsprechend seiner damals auch ausgeübten Tätigkeit in die Verwendungsgruppe IV im ersten Verwendungsgruppenjahr (Mindestgrundgehalt 1.732 EUR) eingestuft. Die Parteien vereinbarten ein All-In-Gehalt von 3.900 EUR brutto.
Jedenfalls in der Zeit von 1. 10. 2013 bis 30. 9. 2014 übte der Kläger eine Tätigkeit aus, mit der eine Einstufung in die Verwendungsgruppe V verbunden war. Einem Arbeitnehmer im ersten Verwendungsgruppenjahr der Verwendungsgruppe V gebührte im Jahr 2013 ein Mindestgrundgehalt von 2.616,94 EUR brutto. Der Kläger bezog im Oktober 2013 ein IST-Gehalt von 4.227,78 EUR brutto.
Der Kläger begehrte mit der vorliegenden Klage zum einen die Feststellung, dass er rückwirkend ab 1. 10. 2013 in die Verwendungsgruppe V des KollV einzustufen sei, und zum anderen, dass er Anspruch auf Nachzahlung des Differenzbetrags zwischen dem ihm seit 1. 10. 2013 erhaltenen und ihm bei Einstufung in die Verwendungsgruppe V des KollV betriebsüblich gebührenden Entgelts habe. Seit 1. 10. 2013 übe er durchgehend eine Tätigkeit aus, die eine Einstufung in die Verwendungsgruppe V des KollV rechtfertige. Mit Übernahme der Funktion „Business Partner Prozessmanagement“ am 1. 10. 2013 sei ihm zugesagt worden, dass ein Kollektivvertragssprung auch einen Gehaltssprung bedeuten würde. Selbst wenn die aktuell ausgeübte Tätigkeit nur der Verwendungsgruppe IV zuzurechnen wäre, wäre eine dauernde Einreihung des Klägers auf einen schlechteren Arbeitsplatz mit eingeschränktem Tätigkeitsbereich bzw Verantwortungsbereich und verschlechterten Entgeltbedingungen unwirksam. Einer verschlechternden Versetzung habe er nicht zugestimmt. Zudem sei auch die notwendige Zustimmung des Betriebsrats nicht eingeholt worden. Ferner habe er im Lichte des Gleichbehandlungsgrundsatzes Anspruch auf Bezahlung eines angemessenen Entgelts, welches vergleichbaren Mitarbeitern der Beklagten im Konzern, die in der Verwendungsgruppe V eingestuft seien, bezahlt werde. Er habe zwar keine Informationen über das Gehalt anderer Mitarbeiter der Beklagten in vergleichbaren Positionen, aber marktüblich sei aus seiner Sicht ein Gehalt zwischen 4.500 EUR und 5.500 EUR brutto. Er gehe davon aus, dass sich auch die Beklagte bei der Einstellung von Mitarbeitern nach diesem marktüblichen Entgelt richte.
Die Beklagte bestritt die Klagebegehren und beantragte Klagsabweisung. Der Verwendungswechsel am 1. 10. 2013 habe aufgrund des überkollektivvertraglichen Gehalts des Klägers keine finanziellen Auswirkungen gehabt. Ein Gehaltssprung sei ihm nicht zugesagt worden. Seit 1. 10. 2014 übe der Kläger keine in die Verwendungsgruppe V des KollV fallende Tätigkeit aus. Seine zuvor höherwertige Tätigkeit habe er mit 1. 10. 2014 freiwillig aufgegeben. Damit sei der Dienstvertrag konkludent geändert worden. Die Verwendungsänderung sei aber auch durch das einseitige Gestaltungsrecht des Dienstgebers gedeckt. Überdies habe der Kläger das Klarstellungsinteresse zeitlich verletzt. Dem Kläger fehle aber auch das rechtliche Interesse an den begehrten Feststellungen, weil er eine Leistungsklage erheben könnte. Ein betriebsüblich gebührendes Entgelt für Dienstnehmer der Verwendungsgruppe V gebe es im Betrieb der Beklagten nicht.
Die Vorinstanzen wiesen beide Feststellungsbegehren ab. Ein Feststellungsbegehren für die Vergangenheit scheide schon deshalb aus, weil der Kläger diesbezügliche Ansprüche mit Leistungsklage geltend machen könne. Dass der Kläger aufgrund seiner Tätigkeit von 1. 10. 2013 bis 30. 9. 2014 in die Verwendungsgruppe V des KollV einzustufen sei, sei nicht strittig. Da die Beklagte im Übrigen die Ansprüche des Klägers bestreite, sei zwar dessen Rechtssphäre möglicherweise gefährdet, es fehle aber am Bedürfnis des Klägers nach Klärung der Rechtslage in der Gegenwart oder unter Berücksichtigung der Prozessdauer für die nahe Zukunft. Auch aus der – im Übrigen auf das gegenständliche Arbeitsverhältnis nicht anwendbaren – Bestimmung des § 2g AVRAG ließe sich kein rechtliches Interesse an der begehrten Feststellung der Einstufung ableiten. Das zweite Feststellungsbegehren scheitere am mangelnden konkreten Vorbringen zum „betriebsüblich gebührenden Entgelt“. Die ordentliche Revision sei nicht zulässig, weil Fragen, die über den Einzelfall hinausgingen, nicht zu beantworten gewesen seien.
Gegen diese Entscheidung richtet sich die außerordentliche Revision des Klägers wegen unrichtiger rechtlicher Beurteilung mit dem Abänderungsantrag, dem Klagebegehren stattzugeben; hilfsweise wird ein Aufhebungsantrag gestellt.
Mit ihrer – vom Obersten Gerichtshof freigestellten – Revisionsbeantwortung beantragt die Beklagte, dem Rechtsmittel der Gegenseite den Erfolg zu versagen.
Rechtliche Beurteilung
Die Revision ist entgegen dem – den Obersten Gerichtshof nicht bindenden – Ausspruch des Berufungsgerichts zulässig, weil sich die Entscheidung der Vorinstanzen als korrekturbedürftig erweist. Die Revision ist dementsprechend im Sinn des subsidiär gestellten Aufhebungsantrags auch teilweise berechtigt.
1. Das erste Feststellungsbegehren des Klägers (betreffend Einstufung) betrifft – entgegen der Ansicht der Vorinstanzen – keine lediglich abstrakte Rechtsfrage (vgl dazu 9 ObA 72/93), sondern die nach der konkreten Einstufung des Klägers in eine bestimmte Verwendungsgruppe des KollV. Der Kläger ist aufgrund der außergerichtlichen und gerichtlichen Bestreitung seines Anspruchs auf Einstufung in die Verwendungsgruppe V des KollV durch die Beklagte (vgl 9 ObA 3/16f; RIS‑Justiz RS0039007; RS0038968; RS0039228) nicht bloß „theoretisch möglich“ betroffen (vgl 8 ObA 32/07z), sondern konkret aktuell.
2. Bei Dauerrechtsverhältnissen ist in Beziehung auf den Bestand und Inhalt dieser Rechte die Feststellungsklage zulässig, ohne Rücksicht darauf, ob eine Leistungsklage auf aus dem Rechtsverhältnis fällig gewordene Leistungen möglich ist oder nicht (RIS‑Justiz RS0039110; 8 ObA 23/04x). Dies gilt auch für einzelne strittige Rechtsbeziehungen aus einem Dauerschuldverhältnis (RIS‑Justiz RS0039110 [T5, T6]), zumal sich das Rechtsverhältnis zwischen den Arbeitsvertragsparteien nicht in seinem bloßen Bestehen erschöpft; es geht auch um dessen rechtliche Ausformung (vgl 9 ObA 180/08y).
3.1. Dass der (europäische und innerstaatliche) Gesetzgeber verlangt, dass ein Arbeitnehmer über die Hauptpunkte des Arbeitsvertrags nachweislich informiert sein soll, damit er vor etwaiger Unkenntnis seiner Rechte geschützt ist, zeigen ua § 6 Abs 3 AngG und § 2 AVRAG. Der Zweck der – in Umsetzung der Richtlinie 91/533/EWG des Rates vom 14. Oktober 1991 über die Pflicht des Arbeitgebers zur Unterrichtung des Arbeitnehmers über die für seinen Arbeitsvertrag oder sein Arbeitsverhältnis geltenden Bedingungen (Nachweisrichtlinie) ergangenen – Bestimmung des § 2 AVRAG liegt darin, einerseits den Arbeitnehmer über die Hauptpunkte des Vertrages zu informieren und ihm andererseits ein Instrument zur Beweissicherung in die Hand zu geben (9 ObA 250/99a; 9 ObA 86/01i). Der Arbeitnehmer hat damit einen gesetzlichen Anspruch auf Aushändigung eines Dienstzettels (§ 2 Abs 1 AVRAG; Reissner in ZellKomm 2 § 2 AVRAG Rz 2; RIS‑Justiz RS0027889 [T4]). Haben sich die vertraglichen Bedingungen des Arbeitsvertrags – etwa kraft neuer Abrede – geändert, dann hat der Arbeitnehmer Anspruch auf Anpassung bzw Änderung des Dienstzettels (§ 2 Abs 6 AVRAG).
3.2. Nach § 2 Abs 2 Z 7 AVRAG hat der Dienstzettel auch Angaben über eine allfällige Einstufung in ein generelles Schema, also die Einstufung in einen Kollektivvertrag ( Reissner in ZellKomm 2 § 2 AVRAG Rz 9) zu beinhalten. § 2 Abs 2 Z 9 AVRAG sieht ua die Angabe des Grundgehalts vor. Die verpflichtende Angabe des Grundgehalts soll vor allem im Zusammenhang mit „All-in-Vereinbarungen“ das nötige Maß an Transparenz für den Arbeitnehmer sicherstellen ( F. G. Burger in Binder/Burger/Mair , AVRAG 3 § 2g Rz 4; ErläutRV 903 BlgNR 25. GP 1f, 4). § 2g AVRAG sanktioniert im Zusammenhang mit Pauschalentgeltvereinbarungen die Nichteinhaltung der Verpflichtung nach § 2 Abs 2 Z 9 AVRAG mit einem zwingenden Entgeltanspruch des Arbeitnehmers auf den sogenannten Ist-Grundgehalt oder Ist-Grundlohn. Auch wenn die Bestimmungen des § 2 Abs 2 Z 9 und § 2g AVRAG auf das gegenständliche Arbeitsverhältnis hier noch nicht anwendbar sind (§ 19 Abs 1 Z 34 und 37 AVRAG), so zeigen sie doch das fortgesetzte Bemühen des Gesetzgebers um Transparenz im Arbeitsverhältnis, um Unsicherheiten über die wesentlichen Eckpunkte des Arbeitsvertrags zu vermeiden.
3.3. Auch der hier anzuwendende KollV sieht in § 17 Abs 4 Satz 3 vor, dass dem Angestellten mittels Dienstzettel die Einreihung in die Verwendungsgruppen, die Anzahl der angerechneten Verwendungsgruppenjahre und die Höhe des Gehalts sowie alle weiterhin eintretenden Veränderungen bekannt zu geben sind.
4. Im vorliegenden Rechtsstreit sind sich die Arbeitsvertragsparteien uneins über die korrekte Einstufung des Klägers in das Verwendungsgruppenschema des anzuwendenden Kollektivvertrags. Auch wenn der Kläger derzeit aufgrund der kollektivvertraglichen Überzahlung keinen weiteren Entgeltanspruch haben sollte, den er überdies mit Leistungsklage geltend machen könnte, so kann ihm dennoch ein rechtliches Interesse an der richtigen kollektivvertraglichen Einstufung seiner Tätigkeit nicht abgesprochen werden. Das Gedeihen eines Arbeitsverhältnisses verträgt – aus Sicht redlicher Vertragsparteien – keine Unsicherheit bezüglich des Entgelts und seiner Grundlagen. Das rechtliche Interesse des Klägers am ersten Feststellungsbegehren iSd § 226 ZPO ist daher zu bejahen. Insofern ist die Revision des Klägers – im Sinne des eventualiter gestellten Aufhebungsantrags – auch berechtigt.
5. Hingegen istdie Revision des Klägers, soweit sie sich gegen die berufungsgerichtliche Bestätigung der abweislichen Entscheidung des Erstgerichts über sein zweites Feststellungsbegehren (betreffend Nachzahlung) richtet, nicht berechtigt. Die Rechtsauffassung des Berufungsgerichts, das zweite Feststellungsbegehren scheitere (schon) am mangelnden konkreten Vorbringen des Klägers zum „betriebsüblich gebührenden Entgelt“, ist nicht zu beanstanden. Sein Revisionsargument, es könne ihm nicht angelastet werden, kein konkreteres Vorbringen dazu erstattet zu haben, weil er über keine näheren Informationen zur Höhe des betriebsüblichen Entgelts im Konzern der Beklagten verfüge, macht sein unsubstantiiertes Vorbringen nicht schlüssig.
Der Revision des Klägers war daher teilweise Folge zu geben. Die Abweisung des zweiten Feststellungsbegehrens durch die Vorinstanzen war zu bestätigen. Die abweislichen Entscheidungen der Vorinstanzen hinsichtlich des ersten Feststellungsbegehren waren aufzuheben, weil Feststellungen zur Beurteilung des materiellen Anspruchs des Klägers auf Einstufung in die Verwendungsgruppe V des KollV fehlen, sodass sich das Verfahren als ergänzungsbedürftig erweist.
Der Kostenvorbehalt beruht auf § 52 Abs 1 ZPO.
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