European Case Law Identifier: ECLI:AT:OGH0002:2017:0020OB00001.17M.1024.000
Spruch:
I. Die Bezeichnung der beklagten Partei wird auf „A***** GmbH“ (FN *****), *****, richtiggestellt.
II. Die Revision wird zurückgewiesen.
Die beklagte Partei ist schuldig, der klagenden Partei die mit 626,52 EUR (darin enthalten 104,42 EUR USt) bestimmten Kosten der Revisionsbeantwortung binnen 14 Tagen zu ersetzen.
Begründung:
Zu I.:
Die beklagte Partei (A***** GmbH & Co KG, FN *****) wurde am 30. März 2016 aufgrund des am 24. März 2016 eingebrachten Antrags zufolge Vermögensübernahme gemäß §
142 UGB durch die Gesellschafterin „A***** GmbH“ (FN *****, Geschäftsanschrift: *****) im Firmenbuch gelöscht. Die Gesamtrechtsnachfolge (§
142 Abs 1 Satz 2 UGB) bewirkt, dass die Übernehmerin in Form eines Parteiwechsels entsprechend § 155 ZPO in anhängige Passivprozesse eintritt (3 Ob 234/14d). Die Parteibezeichnung der beklagten Partei ist entsprechend richtigzustellen (Gitschthaler in Rechberger, ZPO4 §§ 155–157 Rz 13).
Zu II.:
Die Beklagte betreibt das Gewerbe der Arbeitskräfteüberlassung. Die Klägerin ist eine „gemeinsame Einrichtung der Kollektivvertragsparteien“ im Sinne des § 2 Abs 2 Z 6 ArbVG.
Die bis 31. Dezember 2013 befristeten Regelungen des Abschnitts „XVa. Weiterbildung“ des Kollektivvertrags für das Gewerbe der Arbeitskräfteüberlassung sahen in Punkt 1. eine Verpflichtung jedes Arbeitgebers vor, für die Weiterbildung der von ihm zum Zwecke der Überlassung eingestellten Arbeitnehmer zu sorgen, geeignete Maßnahmen vorzuschlagen und dafür mindestens den nach den Punkten 3. und 4. festgelegten Betrag selbst aufzuwenden oder der (im Bereich der Arbeitskräfteweiterbildung tätigen) Klägerin für diese Zwecke zu bezahlen.
Für jedes Arbeitsverhältnis eines Arbeitnehmers, der sich mit seiner Überlassung einverstanden erklärt hatte und auch tatsächlich überlassen worden war, war – zuletzt (2013) – nach Punkt 3. monatlich ein Betrag von 3,16 EUR für Weiterbildung zu verwenden. Dieser Betrag wurde von jedem Arbeitgeber mit 2,50 EUR und von jedem Arbeitnehmer mit 0,66 EUR netto dotiert. Die Summe der so errechneten Monatswerte ergab den im Verlauf eines Kalenderjahres aufzuwendenden Mindestbeitrag.
Punkt 4. enthielt eine Anrechnungsvorschrift:
„4. Anrechnung von Weiterbildungskosten auf die Mindest-Aufwendungen
Anrechnungsfähig auf die vorgesehenen Mindestaufwendungen sind alle direkt für Weiterbildungsmaßnahmen aufgewendeten Sachkosten. Anrechenbar ist ferner die Hälfte des auf die Dauer der Weiterbildung entfallenden Bruttoentgeltes, wenn die Weiterbildungsmaßnahme zumindest 15,4 Arbeitsstunden in Anspruch genommen hat.
Kosten für Aus/Weiterbildungsmaßnahmen während der Kündigungsfrist oder nach Ende eines Arbeitsverhältnisses sind nicht anrechnungsfähig.“
Mit der Novelle BGBl I 2012/98 wurde im Arbeitskräfteüberlassunggesetz (AÜG) in den §§ 22a bis 22g ein Sozial- und Weiterbildungsfonds verankert. Nach § 22d Abs 1 Satz 1 AÜG haben die Überlasser für die von ihnen zum Zweck der Überlassung an Dritte beschäftigten Arbeitnehmer einen Beitrag an den Fonds zu entrichten, dessen Höhe sich nach den nachfolgenden Sätzen des Abs 1 richtet. Die Verpflichtung zur Beitragsleistung gemäß § 22d Abs 1 AÜG trat gemäß § 23 Abs 15 AÜG hinsichtlich überlassener Arbeiter mit 1. Jänner 2013 (und hinsichtlich überlassener Angestellter mit 1. Jänner 2017) in Kraft.
Die Beklagte erfüllte bis einschließlich 2012 ihre sich aus dem Kollektivvertrag gegenüber der Klägerin ergebenden Zahlungspflichten. Für das Jahr 2013, in dem die Beklagte Beiträge von zumindest 11.979,71 EUR gemäß §§ 22a ff AÜG leistete, ergibt sich aus dem Kollektivvertrag rechnerisch eine Zahlungspflicht der Beklagten – die in diesem Jahr insgesamt 1.946 Arbeiter zur Überlassung beschäftigte und keine nach dem Kollektivvertrag abzugsfähigen Aufwendungen für Weiterbildungsmaßnahmen tätigte – in Höhe von 6.149,36 EUR (= 1.946 x 3,16).
Gegenstand des Revisionsverfahrens ist das Begehren der Klägerin auf Zahlung dieser 6.149,36 EUR. Die Einführung der Bestimmungen über den Sozial- und Weiterbildungsfonds im AÜG hätten an der Gültigkeit des Abschnitts XVa. des Kollektivvertrags nichts geändert.
Die Vorinstanzen gaben der Klage statt.
Das Berufungsgericht vertrat zusammengefasst die Auffassung, die im Jahr 2013 nach § 22d AÜG zu entrichtenden Beträge seien dem Jahr 2014 zuzurechnen. Die in § 22d AÜG für die Jahre 2013 (0,25 %) und 2014 (0,35 %) vorgesehenen Beitragssätze ergäben zusammen den für das Jahr 2015 vorgesehenen Beitragssatz (0,60 %). Hätte sich der Gesetzgeber dafür entschieden, Beiträge für den gesetzlichen Fonds erst im Jahr 2014 in der Höhe von 0,60 % einzuheben, hätte dies für die Überlasser grundsätzlich im Wesentlichen dieselbe Belastung ergeben. Aus diesem Grund verneinte es die von der Beklagten behauptete Unsachlichkeit der kollektivvertraglichen Regelung.
Die Revision erklärte das Berufungsgericht für zulässig, weil der Auslegung von Kollektivverträgen regelmäßig eine über den Einzelfall hinausreichende Bedeutung zukomme und höchstgerichtliche Rechtsprechung zur Auslegung von Punkt XVa.4. des Kollektivvertrags fehle.
Gegen diese Entscheidung richtet sich die Revision der Beklagten, die auf eine Abweisung des Klagebegehrens abzielt.
Mit ihrer Revisionsbeantwortung beantragt die Klägerin, die Revision zurückzuweisen, in eventu, dieser den Erfolg zu versagen.
Rechtliche Beurteilung
Entgegen dem – den Obersten Gerichtshof nicht bindenden – Ausspruch des Berufungsgerichts ist die Revision mangels Aufzeigens einer entscheidungsrelevanten Rechtsfrage im Sinne des § 502 Abs 1 ZPO nicht zulässig.
1.1. Der Auslegung von Kollektivverträgen kommt zwar regelmäßig erhebliche Bedeutung im Sinne des § 502 Abs 1 ZPO deshalb zu, weil ein größerer Personenkreis hiervon betroffen ist; damit ist die Revision im Normalfall zulässig, außer die relevante Rechtsfrage ist in der Rechtsprechung des Obersten Gerichtshofs bereits geklärt oder ohnehin klar und eindeutig nur auf eine einzige Weise zu beantworten (9 ObA 109/10k; 8 ObA 22/12m; RIS‑Justiz RS0109942 [T1 und T6]; 9 ObA 74/03b = RS0042656 [T15]).
Bei einem Kollektivvertrag kann auch regelmäßig davon ausgegangen werden, dass ein größerer Personenkreis betroffen ist (8 ObA 54/05g). Dass ein Kollektivvertrag nicht
mehr in Kraft steht, bedeutet nicht ohne weiteres, dass die Frage seiner Auslegung nicht dennoch für einen größeren Personenkreis von Bedeutung sein kann. Eine solche Relevanz kann sich aus dem Akt ergeben, sodass die Revision ungeachtet des Außerkrafttretens des Kollektivvertrags zulässig ist (vgl 9 ObA 76/16s). Es reicht auch aus, wenn abseits des Akts konkrete Anhaltspunkte für eine Relevanz für einen größeren Personenkreis vorliegen (vgl 9 ObA 154/07y).
Keine erhebliche Rechtsfrage liegt aber dann vor, wenn überhaupt nicht ersichtlich ist, ob die Lösung der relevierten Rechtsfrage sich nicht nur in der Entscheidung im Anlassfall erschöpft, sondern der Lösungsansatz im Interesse der Rechtsgemeinschaft auch zur Klärung zukünftiger Streitfälle fruchtbar gemacht werden kann (vgl 8 ObA 54/05g), mit anderen Worten, wenn dem vorliegenden Fall vergleichbare Fälle wohl nicht mehr zu beurteilen sein werden (6 Ob 62/16k [in Punkt 1.]). Diesfalls spricht nämlich die geringe Wahrscheinlichkeit, dass die Norm ein weiteres Mal anzuwenden sein wird, gegen ein Bedürfnis der Rechtsgemeinschaft an einer höchstgerichtlichen Auslegung als Leitlinie für die Klärung künftiger Streitfälle (zu aufgehobenen Gesetzesbestimmungen Zechner in Fasching/Konecny 2 IV § 502 ZPO Rz 43 mwH).
1.2. Die hier maßgeblichen Bestimmungen finden sich seit dem 1. Jänner 2014, also bereits seit mehreren Jahren, nicht mehr im betreffenden Kollektivvertrag. Im Akt findet sich kein Anhaltspunkt dafür, dass die Frage ihrer Auslegung bzw ihrer Gültigkeit für andere Arbeitskräfteüberlasser noch von Bedeutung ist; im Gegenteil ergibt sich aus dem Akt, dass die Frage der „Doppelbelastung im Jahr 2013“ allein zwischen der Klägerin und der Beklagten rechtlich strittig wurde.
Damit ist davon auszugehen, dass sich die Lösung der relevierten Rechtsfragen nur in der Entscheidung im Anlassfall erschöpft.
2.1. Eine Korrektur der Entscheidung des Berufungsgerichts könnte daher hier nur im Sinne der Gewährleistung der Rechtseinheit und der Rechtssicherheit erforderlich sein (vgl Zechner in Fasching/Konecny² IV § 502 ZPO Rz 43; weiters E. Kodek in Rechberger ZPO4 § 502 Rz 12). Eine aus diesen Gründen korrekturbedürftige
Fehlbeurteilung durch das Berufungsgericht vermag die Beklagte aber nicht aufzuzeigen:
2.2. Die Beklagte übergeht gänzlich, dass der Sozial- und Weiterbildungsfonds seine Leistungen erst beginnend mit 1. Jänner 2014 zu erbringen hatte und allein, um ihm zu diesem Zeitpunkt bereits ein gewisses Mindestmaß an durch Beiträge eingenommenen Mitteln zu garantieren, im Jahr 2013 eine – prozentuell im Vergleich zu den Folgejahren geringe – Zahlungspflicht in § 22d AÜG verankert wurde (vgl ErläutRV 1903 BlgNR 24. GP 6; Aubauer/Rosenmayr-Khoshideh, Novelle zur Arbeitskräfteüberlassung, taxlex 2012, 431 [433]; Ercher, Novelle zum AÜG: Verbesserungen für Leiharbeitskräfte, ASoK 2012, 397 [398]; Kusternigg, Ab 1. 1. 2013 neue Pflichten für Überlasser und Beschäftiger, ASoK 2013, 42 [45]; Schindler, Arbeitskräfteüberlassungs-KV 2013 [2013] 324 f; Schlitzer, Die Umsetzung der Leiharbeitsrichtlinie, infas 2013, 9 [13]). Damit erweist sich die Sichtweise der Vorinstanzen, dass die im Jahr 2013 geschuldeten Beiträge nach §§ 22a ff AÜG wirtschaftlich dem Jahr 2014 zuzurechnen sind, als zutreffend. Zumal die Weiterbildungsaufgabe der Klägerin Ende 2013 endete und jene des Sozial- und Weiterbildungsfonds erst mit Anfang 2014 begann, liegt entgegen der Ansicht der Beklagten auch keine Überschneidung der Aufgaben der Klägerin und des Fonds vor. Überschneiden sich die Leistungszeiträume der Klägerin (bis Ende 2013) und des Fonds (ab Beginn 2014) aber nicht, gibt es von vornherein auch keinen sachlichen Grund, die Zahlungen an den Fonds bei dem kollektivvertraglichen Zahlungsanspruch der Klägerin als Abzugsposten zu berücksichtigen. Damit erweist sich das vermeintliche „Fehlen“ eines solchen Abzugspostens in Punkt XVa.4. des Kollektivvertrags jedenfalls als unproblematisch.
3. Die Revision war daher zurückzuweisen.
4. Die Kostenentscheidung gründet sich auf §§ 41, 50 ZPO. Die Beklagte hat auf die Unzulässigkeit der Revision hingewiesen.
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