OGH 3Ob234/14d

OGH3Ob234/14d18.3.2015

Der Oberste Gerichtshof hat durch den Senatspräsidenten Dr. Hoch als Vorsitzenden sowie die Vizepräsidentin Dr. Lovrek und die Hofräte Univ.‑Prof. Dr. Neumayr, Dr. Jensik und Dr. Roch als weitere Richter in der Rechtssache der klagenden Parteien 1. B***** GmbH, *****, Deutschland, und 2. A***** Versicherung AG, *****, Deutschland, beide vertreten durch Mag. Gernot Strobl, Rechtsanwalt in Salzburg, gegen die beklagten Parteien 1. „R*****“ ***** Gesellschaft m.b.H., 2. D***** Ges.m.b.H., und 3. J*****, alle vertreten durch Dr. Franz Gütlbauer, Dr. Siegfried Sieghartsleitner und Dr. Michael Pichlmair, Rechtsanwälte in Wels, und ihres Nebenintervenienten Dipl.‑Ing. J*****, Deutschland, vertreten durch MMag. Christoph Doppelbauer, Rechtsanwalt in Wels, wegen Feststellung (200.000 EUR), infolge außerordentlicher Revisionen der klagenden und der beklagten Parteien gegen das Urteil des Oberlandesgerichts Linz als Berufungsgericht vom 29. Oktober 2014, GZ 3 R 101/14i‑64, womit infolge Berufung der beklagten Parteien das Urteil des Landesgerichts Wels vom 15. April 2014, GZ 26 Cg 235/10b‑58, teilweise abgeändert wurde, den

Beschluss

gefasst:

European Case Law Identifier: ECLI:AT:OGH0002:2015:0030OB00234.14D.0318.000

 

Spruch:

1. Die Bezeichnung der erstbeklagten Partei wird von D***** GmbH & CoKG auf „R*****“ ***** Gesellschaft m.b.H. richtiggestellt.

2. Die außerordentlichen Revisionen werden gemäß § 508a Abs 2 ZPO mangels der Voraussetzungen des § 502 Abs 1 ZPO zurückgewiesen.

 

Begründung:

1. Die erstbeklagte Partei (früher „D***** Gesellschaft m.b.H. & Co. KG“, zuletzt „D***** GmbH & CoKG“, FN *****) wurde am 12. März 2015 aufgrund des am 23. Dezember 2014 eingebrachten Antrags zufolge Vermögensübernahme gemäß § 142 UGB durch die Gesellschafterin „R*****“ ***** Gesellschaft m.b.H. (FN *****) im Firmenbuch gelöscht. Die Gesamtrechtsnachfolge (§ 142 Abs 1 Satz 2 UGB) bewirkt, dass die Übernehmerin in Form eines Parteiwechsels entsprechend § 155 ZPO in anhängige Passivprozesse eintritt (vgl RIS‑Justiz RS0113856). Die Parteibezeichnung der erstbeklagten Partei ist entsprechend richtigzustellen ( Gitschthaler in Rechberger , ZPO 4 §§ 155‑157 Rz 13).

Aus Gründen der Übersichtlichkeit wird im Folgenden die „D***** GmbH & CoKG“ weiterhin als erstbeklagte Partei bezeichnet.

2.1 Am 7. Februar 2006 stürzte in T***** in Bayern das Dach eines in den Jahren 2000/2001 erbauten Verbrauchermarktes ein. Die erstklagende Partei hatte seinerzeit im Auftrag einer Generalunternehmerin die Dachkonstruktion des Verbrauchermarktes errichtet; die erstbeklagte Partei hatte als System-Lieferant die von der erstklagenden Partei vor Ort zu montierenden Dachbauteile konstruiert und geliefert. Die zweitklagende Partei ist die Betriebshaftpflichtversicherung der erstbeklagten Partei; die zweit- und drittbeklagten Parteien sind persönlich haftende Gesellschafter der ehemaligen erstbeklagten Partei. Der Nebenintervenient führte im Auftrag der erstbeklagten Partei die statischen Berechnungen der Dachkonstruktion durch.

2.2. Punkt 11. der von der erstklagenden Partei gegengezeichneten Allgemeinen Verkaufs- und Lieferbedingungen der erstbeklagten Partei enthält eine Haftungsbeschränkung zu ihren Gunsten auf grobe Fahrlässigkeit oder Vorsatz für Schadenersatzansprüche aller Art (Punkt 11.1.), wobei „Schadenersatzansprüche in jedem Fall nur die reine Schadensbehebung, nicht aber auch Folgeschäden und entgangenen Gewinn umfassen“ (Punkt 11.2.).

Gemäß Punkt 12. der Allgemeinen Verkaufs- und Lieferbedingungen der erstbeklagten Partei ist auf das Vertragsverhältnis zwischen der erstklagenden und der erstbeklagten Partei ausschließlich österreichisches Recht ‑ mit Ausnahme des UN-Kaufrechts ‑ anzuwenden.

2.3. Die Generalunternehmerin machte im Jahr 2006 gegen die (hier) erstklagende Partei vor dem Landgericht Traunstein Schadenersatzansprüche geltend; die erstbeklagte Partei trat dem Verfahren als Streithelferin bei. Mit Teil-Grundurteil und Teil-Endurteil vom 24. April 2008 sprach das Landgericht Traunstein aus, dass der Anspruch der Generalunternehmerin gegen die (hier) erstklagende Partei auf Ersatz ihres Schadens sowie der Mängelbeseitigungskosten wegen des Einsturzes des Verbrauchermarktgebäudes begründet ist, und stellte fest, dass die (hier) erstklagende Partei zum Ersatz sämtlicher weiterer Schäden aus dem Schadensereignis vom 7. Februar 2006 verpflichtet ist. Die dagegen an das Oberlandesgericht München erhobene Berufung blieb laut dessen Entscheidung vom 25. November 2008 erfolglos.

2.4. Das Erstgericht sprach mit Feststellungsurteil aus, dass die beklagten Parteien zur ungeteilten Hand sämtliche Schäden zu ersetzen haben, die der erstklagenden und der zweitklagenden Partei aufgrund des Einsturzes der Dachkonstruktion des Verbrauchermarkts am 7. Februar 2006 entstehen. Die Grundlage für dieses Feststellungsurteil liegt darin, dass das in einem Verfahren, an dem sich die erstbeklagte Partei und der Nebenintervenient als Streithelfer beteiligt hätten, ergangene Urteil des Landgerichts Traunstein vom 24. April 2008 Bindungswirkung auch für einen in Österreich anhängig gemachten Folgeprozess entfalte (4 Ob 192/08a). Das Verschulden bezüglich des nicht geplanten und nicht fachgerecht ausgeführten Firstknotens treffe nicht die erstklagende, sondern die erstbeklagte Partei.

2.5. Das Berufungsgericht gab der Berufung der beklagten Parteien dahin Folge, dass es in den Feststellungsanspruch die Haftungsbegrenzung gemäß Punkt 11.2. der Allgemeinen Verkaufs- und Lieferbedingungen der erstbeklagten Partei aufnahm und in Bezug auf die zweitklagende Partei ausführte, dass die Haftung der beklagten Parteien nur insoweit bestehe, als Ansprüche infolge Zahlung auf die zweitklagende Partei übergehen.

Das Berufungsgericht bejahte das rechtliche Interesse beider klagenden Parteien an der begehrten Feststellung sowie die Bindungswirkung des Teil-Grund- und Teil-Endurteils des Landgerichts Traunstein vom 24. April 2008 in Bezug auf die Tatsachenfeststellung, dass Einsturzursache der nicht geplante und nicht fachgerecht ausgeführte Firstknoten gewesen sei. Diese konstruktiven Mängel würden in den Verantwortungsbereich der erstbeklagten Partei fallen; die Sorgfaltsverletzungen seien als auffallend sorglos zu qualifizieren. Eine Rügeobliegenheitsverletzung der erstklagenden Partei wurde verneint.

Die Revision wurde im Hinblick auf die gesicherte Rechtsprechung nicht zugelassen.

3. Gegen diese Entscheidung richten sich außerordentliche Revisionen der klagenden und der beklagten Parteien, in denen jeweils keine erheblichen Rechtsfragen aufgezeigt werden.

Rechtliche Beurteilung

4. Zur außerordentlichen Revision der klagenden Parteien:

4.1. Die klagenden Parteien wenden sich gegen die Aufnahme der vertraglichen Haftungsbegrenzung (gemäß Punkt 11.2. der Allgemeinen Verkaufs‑ und Lieferbedingungen der erstbeklagten Partei) in den Urteilsspruch.

Punkt 11.2. sei in Bezug auf Schadenersatzansprüche aus dem dem Titel von Folgeschäden und entgangenem Gewinn als Haftungsausschlussklausel anzusehen. Allerdings könne nach der höchstgerichtlichen Rechtsprechung die Haftung ‑ jedenfalls bei krass grober Fahrlässigkeit (wie hier) ‑ nicht ausgeschlossen werden.

4.2. Die klagenden Parteien haben sich bereits in erster Instanz (ON 16, S 6 f) im Hinblick auf das Vorliegen einer außergewöhnlich groben Fahrlässigkeit der erstbeklagten Partei auf die Unwirksamkeit der Haftungsbegrenzungen in den Allgemeinen Verkaufs- und Lieferbedingungen der erstbeklagten Partei berufen.

4.3. Das Berufungsgericht (Punkt 5.2.2. des Berufungsurteils) qualifizierte dieses Gegenvorbringen als unsubstantiiert und sah im Übrigen im beiderseits unternehmerischen Rechtsgeschäft keine Bedenken gegen die Haftungsbeschränkung.

4.4. Vereinbarungen über den Ausschluss oder die Beschränkung der Haftung sind nur insoweit wirksam, als ihr Abschluss oder doch ihre Anwendung im Einzelfall nicht gegen die guten Sitten verstößt (RIS‑Justiz RS0038178). Die Beurteilung der Frage, ob ein Haftungsausschluss bei grob fahrlässigem Verhalten des Schädigers wegen Sittenwidrigkeit als unwirksam anzusehen ist, kann nicht allgemein beantwortet werden, sondern hängt von den Umständen des Einzelfalls ab (2 Ob 108/74 = SZ 48/67).

4.4.1. Die ältere Rechtsprechung stellte vor allem darauf ab, ob es sich um einen Schaden aus den für das Rechtsverhältnis typischen oder wenigstens im Einzelfall voraussehbaren Gefahren handelt; nur wenn die unterlaufene Fahrlässigkeit so krass ist, dass mit einem derartigen Verhalten nach den Erfahrungen des Lebens nicht gerechnet werden muss, ist ein Bestehen auf der Haftungsausschlussvereinbarung sittenwidrig (6 Ob 72/58 = SZ 31/57; RIS‑Justiz RS0016582).

4.4.2. In der jüngeren Rechtsprechung nimmt der Oberste Gerichtshof zunehmend auf eine umfassende Interessenabwägung Bezug. So wurde in 6 Ob 541/92 (= ÖBA 1992, 225 [ Jabornegg ]) die Freizeichnung für eine falsche Auskunft über Subventionsmöglichkeiten im Rahmen der Finanzierung eines Unternehmens durch eine Bank auch für grobe Fahrlässigkeit für unwirksam erklärt, weil einerseits eine richtige Beratung für den Kunden von essentieller Bedeutung war, andererseits zwischen der Bank und dem Kunden eine beträchtliche Ungleichgewichtssituation bestand.

4.4.3. Diese Entwicklung wurde in der Literatur begrüßt (siehe Graf in Kletečka/Schauer , ABGB‑ON 1.01 § 879 Rz 306). Kriterien der Interessenabwägung im Unternehmerbereich sind etwa, ob sich die Freizeichnung auf eine Haupt‑ oder bloß Nebenpflicht bezieht, oder darauf, inwieweit zwischen den Vertragsparteien ein Ungleichgewicht besteht. Sofern es nicht um eine vertragliche Hauptleistung geht, wird eine Freizeichnung für entgangenen Gewinn in weiterem Umfang zulässig sein als die Freizeichnung für den positiven Schaden ( Koziol , Haftpflichtrecht I 3 [1997] Rz 18/22).

4.4.4. Unter Bedachtnahme darauf, dass ein Unternehmergeschäft vorliegt und kein gänzlicher Haftungsausschluss, sondern eine Haftungsbegrenzung auf den positiven Schaden vorgesehen ist, ist die Rechtsansicht des Berufungsgerichts, die von den klagenden Parteien beanstandete Klausel sei nicht sittenwidrig, im Einzelfall durchaus vertretbar.

5. Zur außerordentlichen Revision der beklagten Parteien:

5.1. Das Berufungsgericht ist nicht von den erstgerichtlichen Feststellungen abgewichen. Eine Bekämpfung der Tatsachenfeststellungen vor dem Obersten Gerichtshof ist ausgeschlossen.

5.2. Die einzelfallbezogene (RIS‑Justiz RS0039177 [T1]) Beurteilung des Berufungsgerichts, sowohl der erstklagenden als auch der zweitklagenden Partei sei ein rechtliches Interesse an der begehrten Feststellung zuzugestehen, hält sich im Rahmen der höchstgerichtlichen Rechtsprechung (vgl 2 Ob 191/12w = ecolex 2013/420, 1058 [ Wilhelm ]; RIS‑Justiz RS0038996 zur Rechtfertigung des Feststellungsinteresses durch potenzielle Regressansprüche des Sozialversicherungsträgers).

5.3. Sowohl in Bezug auf die Einschränkung betreffend die zweitklagende Partei als auch in Bezug auf die Haftungsbegrenzung laut Punkt 11.2. der Allgemeinen Verkaufs- und Lieferbedingungen der erstbeklagten Partei ist der Zuspruch des Berufungsgerichts ‑ im Verhältnis zum Urteilsspruch des Erstgerichts ‑ als quantitatives „minus“ und nicht als „aliud“ anzusehen (RIS‑Justiz RS0037485 [T7]; ähnlich 1 Ob 544/83 = SZ 56/38 = RIS‑Justiz RS0041057), weshalb der Urteilsspruch des Berufungsgerichts keinen Bedenken begegnet.

5.4. Die Wirkungen eines materiell-rechtskräftigen zivilgerichtlichen Urteils erstrecken sich insoweit auf den einfachen Nebenintervenienten und denjenigen, der sich am Verfahren trotz Streitverkündung nicht beteiligte, als diese Personen als Parteien eines als Regressprozess geführten Folgeprozesses keine rechtsvernichtenden oder rechtshemmenden Einreden erheben dürfen, die mit den notwendigen Elementen der Entscheidung des Vorprozesses in Widerspruch stehen. In diesem Rahmen sind sie daher an die ihre Rechtsposition belastenden Tatsachenfeststellungen im Urteil des Vorprozesses gebunden, sofern ihnen in jenem Verfahren insoweit unbeschränktes rechtliches Gehör zustand (RIS‑Justiz RS0107338).

Eine solche Bindungswirkung besteht grundsätzlich auch in Ansehung deutscher Urteile für inländische Folgeprozesse und ist in ihrer Reichweite nach deutschem Recht zu beurteilen (4 Ob 192/08a mwN).

Die die Haftung der erstbeklagten Partei begründenden Feststellungen ‑ dass der Firstknoten nicht geplant und nicht fachgerecht ausgeführt wurde ‑ finden sich im Urteil des Landgerichts Traunstein und wurden vom Erstgericht in seinem Urteil zusammengefasst wiedergegeben. Das Berufungsgericht hat sich bereits ausführlich und nachvollziehbar mit der Eindeutigkeit der Feststellungen des Landgerichts Traunstein auseinandergesetzt (siehe Punkt 5.3.3. des Berufungsurteils).

6. Mangels erheblicher Rechtsfrage sind die außerordentlichen Revisionen zurückzuweisen.

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