European Case Law Identifier: ECLI:AT:OGH0002:2017:0070OB00160.17F.1018.000
Spruch:
Die außerordentliche Revision wird gemäß § 508a Abs 2 ZPO mangels der Voraussetzungen des § 502 Abs 1 ZPO zurückgewiesen.
Begründung:
Rechtliche Beurteilung
1.1 Für die Haftung nach Art 17 CMR kommt es darauf an, ob die Beschädigung der Ware zwischen dem Zeitpunkt der Übernahme und ihrer Ablieferung eingetreten ist (RIS‑Justiz RS0073771). Der Haftungszeitraum und damit auch der Aufgabenbereich des Frachtführers endet, sobald dem annahmebereiten Empfänger die Möglichkeit des Zugriffs auf das Gut eingeräumt ist, was regelmäßig der Fall ist, wenn das beladene Transportfahrzeug den vom Absender oder vom Empfänger bestimmten Abladeort erreicht hat und die Ladefläche zugänglich gemacht worden ist (RIS‑Justiz RS0062537). Der Ablieferungsvorgang ist abgeschlossen, wenn ein Verhältnis hergestellt wird, das dem zur Entgegennahme bereiten Empfänger die Einwirkungsmöglichkeit auf das Gut einräumt. Wie die Übernahme ist auch die Ablieferung ein zweiseitiger Akt, sie bedarf der Mitwirkung des Empfängers (RIS‑Justiz RS0074012).
1.2 Die Mitarbeiter der Empfängerin wiesen den Fahrer aufgrund der Enge der Zufahrt an, die Heckklappe zu öffnen und reversierend zur Entladerampe zu fahren. Auf der leicht abschüssigen Strecke kam das Ladegut ins Rutschen, ein Teil fiel aus dem Laderaum.
Das Berufungsgericht ging davon aus, dass nach dem festgestellten Ablauf der eigentliche Entladungsvorgang erst an der Laderampe durchgeführt werden sollte, weshalb– entgegen der Ansicht der Beklagten – nicht bereits das Öffnen der Heckklappe die Ablieferung darstelle und daher die Beschädigung des Ladeguts während der Obhut der Beklagten eingetreten sei. Diese Rechtsansicht hält sich im Rahmen der Judikatur und ist jedenfalls vertretbar.
Die Sachverhalte, die den von der Beklagten herangezogenen Entscheidungen 2 Ob 637/84 und 2 Ob 271/05z zugrunde lagen, unterscheiden sich vom hier vorliegenden insoweit, als dort der eigentliche Entladungsvorgang durch den Empfänger bereits begonnen hatte.
2.1 Gemäß Art 29 Abs 1 CMR kann sich der Frachtführer auf den Haftungsausschluss nach Art 17 Abs 4 lit c CMR nicht berufen, wenn er den Schaden vorsätzlich oder durch ein ihm zur Last fallendes Verschulden verursacht hat, das nach dem Recht des angerufenen Gerichts dem Vorsatz gleichsteht. Das gilt nach Abs 2 auch, wenn nicht dem Frachtführer selbst, sondern seinen Bediensteten oder sonstigen Beförderungsgehilfen ein solches grobes Verschulden zur Last fällt. Dem Vorsatz gleichstehende Fahrlässigkeit bedeutet in Österreich nach der Rechtsprechung grobe Fahrlässigkeit, die Beweislast für Vorsatz oder grobe Fahrlässigkeit des Frachtführers obliegt dem Geschädigten (RIS‑Justiz RS0062591). Wenn die Voraussetzungen des Art 29 CMR vorliegen, entfällt nach einhelliger Meinung jedenfalls das Recht des Frachtführers auf die Haftungsbegrenzungen nach Art 17 Abs 2 und 4 CMR, nach Art 18 CMR, aber auch nach Art 23 und 25 CMR (7 Ob 222/13t mwN). Eine Schadensteilung nach Art 17 Abs 5 CMR ist gleichfalls bei einem durch Zusammenwirken von haftungsbegründendem Frachtführerverschulden und haftungsbefreienden Transportgefahren entstandenen Schaden bei Vorsatz oder einer diesem gleichstehenden Fahrlässigkeit des Frachtführers ausgeschlossen (RIS‑Justiz RS0054050 [T1]).
2.2 Grobe Fahrlässigkeit ist anzunehmen, wenn eine außergewöhnliche und auffallende Vernachlässigung einer Sorgfaltspflicht (Pflicht zur Unfallverhütung) vorliegt und der Eintritt des Schadens als wahrscheinlich und nicht bloß als möglich vorhersehbar ist, wenn ganz einfache und naheliegende Überlegungen nicht angestellt wurden, oder unbeachtet geblieben ist, was im gegebenen Fall jedermann hätte einleuchten müssen. Grobe Fahrlässigkeit ist ein objektiv besonders schwerer Sorgfaltsverstoß, der bei Bedachtnahme auf alle Umstände auch subjektiv schwerstens vorzuwerfen ist (RIS‑Justiz RS0030644, RS0085373, RS0030272).
3.1 Die Parteien des Frachtvertrags können nicht nur eine Vereinbarung dahin treffen, dass der Frachtführer zur Verladung und Verstauung des Frachtguts, sondern auch zur Überprüfung der durch den Absender oder einen Dritten vorgenommenen Verladung oder Verstauung verpflichtet ist. Unterlässt der Frachtführer dann eine solche ihm vertraglich obliegende Überprüfung und tritt dadurch der Schaden am Gut ein, ist dies von ihm zu vertreten (RIS‑Justiz RS0062529).
3.2 Das ist hier geschehen. Die Beklagte übernahm vertraglich die ordnungsgemäße Verstauung und Sicherung des Ladeguts, der Fahrer führte diese nach der Verladung auch tatsächlich durch.
3.3 Das Ladegut war teilweise auf Rollen gelagert. Vom Fahrer wurde nach der dritten Reihe ein Klemmbalken angebracht und Spanngurte oben über die einzelnen Reihen des Ladeguts gespannt. Eine Sicherung der einzelnen Reihen der Fracht mit horizontal von Seitenwand zu Seitenwand geführten Spanngurten – und somit zur Heckklappe hin – erfolgte nicht.
3.4 Die Rechtsauffassung des Berufungsgerichts, dem Fahrer sei es als grobes Verschulden anzulasten, dass er in Kenntnis der solcherart erfolgten Sicherung des Ladeguts zur Heckklappe hin, diese dennoch öffnete und eine geneigte Fahrbahn rückwärts befuhr, wodurch das Herausfallen des Ladeguts geradezu wahrscheinlich wurde, ist jedenfalls vertretbar.
4. Die Beklagte hält dieser Rechtsansicht entgegen, dass doch eine Schadensteilung im Sinn des Art 17 Abs 5 CMR vorgenommen werden müsse, wenn die Versenderin und die Empfängerin ein gleichwertiges Verschulden treffe. Diese Frage einer möglichen Schadensteilung im Anwendungsbereich des Art 29 CMR ist nicht entscheidungsrelevant:
Die Beklagte hat nämlich keine Umstände behauptet, aus denen sich eine qualifiziert schuldhafte Schadensverursachung durch die Versenderin und/oder die Empfängerin ergibt.
4.1 Darauf, dass die Versenderin sie über den hohen Wert des Frachtguts in Unkenntnis gelassen habe, hat sich die Beklagte im erstgerichtlichen Verfahren nicht gestützt.
4.2 Weiters behauptete die Beklagte selbst eine den Erfordernissen während einer normal verlaufenden Beförderung entsprechende Ladungssicherung, wobei insbesondere der Fall nicht bedacht werden müsste, dass nach Öffnen der Heckklappe auch Fahrbewegungen durchgeführt würden. Aus welchem Grund dann der Versenderin – grob schuldhaft – vorzuwerfen sein soll, beim Beladen nicht an diese Möglichkeit gedacht zu haben, bleibt offen. Die Mitarbeiter der Empfängerin forderten den Fahrer zwar auf, die Heckklappe zu öffnen und rückwärts zu fahren. Der Fahrer wusste aber aufgrund der von ihm selbst vorgenommenen Sicherung, dass sich das Ladegut teilweise auf Rollen befand und nur nach oben, nicht aber zur Heckklappe hin gesichert war; dass die Mitarbeiter der Empfängerin über den gleichen Wissensstand verfügten, wurde aber ebensowenig behauptet, wie Umstände, aus denen sie auf die Art der konkreten Sicherung hätten schließen müssen.
5. Einer weiteren Begründung bedarf dieser Beschluss nicht (§ 510 Abs 3 ZPO).
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