OGH 11Os82/17v

OGH11Os82/17v13.9.2017

Der Oberste Gerichtshof hat am 13. September 2017 durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofs Dr. Schwab als Vorsitzenden sowie die Hofrätinnen des Obersten Gerichtshofs Dr. Bachner‑Foregger, Mag. Michel und Mag. Fürnkranz und den Hofrat des Obersten Gerichtshofs Dr. Oberressl als weitere Richter in Gegenwart des Richteramtsanwärters Mag. Wetter als Schriftführer in der Strafsache gegen Daniel G***** und einen anderen Angeklagten wegen des Verbrechens des Mordes nach § 75 StGB und weiterer strafbarer Handlungen 1./ über die Reassumierung des Beschlusses des Obersten Gerichtshofs vom 8. August 2017, GZ 11 Os 82/17v-4, sowie 2./ über die Nichtigkeitsbeschwerde und die Berufung des Angeklagten G***** gegen das Urteil des Landesgerichts Leoben als Geschworenengericht vom 26. April 2017, GZ 13 Hv 11/17m‑94, nach Anhörung der Generalprokuratur in nichtöffentlicher Sitzung den

Beschluss

gefasst:

European Case Law Identifier: ECLI:AT:OGH0002:2017:0110OS00082.17V.0913.000

 

Spruch:

Der Beschluss des Obersten Gerichtshofs vom 8. August 2017, GZ 11 Os 82/17v-4, wird aufgehoben.

Die Nichtigkeitsbeschwerde wird zurückgewiesen.

Zur Entscheidung über die Berufung werden die Akten dem Oberlandesgericht Graz zugeleitet.

Dem Angeklagten G***** fallen die Kosten des bisherigen Rechtsmittelverfahrens zur Last.

 

Gründe:

Mit dem zu 1./ bezeichneten Beschluss entschied der Oberste Gerichtshof in gegenständlicher Strafsache gemäß §§ 285d Abs 1, 285i StPO.

Dieser Beschluss war aufzuheben, weil der Oberste Gerichtshof dabei in tatsächlicher Hinsicht von einer Zustellung der Stellungnahme der Generalprokuratur zu den Rechtsmitteln des Angeklagten an die Verteidigerin zur Einbringung einer allfälligen Gegenäußerung (§ 24 StPO) ausgegangen war, eine solche jedoch noch nicht stattgefunden hatte. Das Verfahren über die Rechtsmittel war daher in sinngemäßer Anwendung der §§ 352 ff StPO zu reassumieren (vgl 11 Os 187/96 ua; vgl RIS‑Justiz RS0117416).

Mit dem angefochtenen, auf dem Wahrspruch der Geschworenen beruhenden – auch einen unbekämpft in Rechtskraft erwachsenen Schuldspruch eines Mitangeklagten und einen Freispruch „gemäß § 259 Z 3“ (gemeint: § 336) StPO enthaltenden – Urteil wurde Daniel G***** des Verbrechens des Mordes nach § 75 StGB (I./), des Vergehens der Störung der Totenruhe nach § 190 Abs 1 StGB (II./), des Vergehens des schweren Betrugs nach §§ 146, 147 Abs 1 Z 1, Abs 2 StGB (IV./) und des Vergehens der dauernden Sachentziehung nach § 135 Abs 1 StGB (V./) schuldig erkannt.

Demnach hat er in F***** und anderen Orten

I./ am 22. April 2015 Walter H***** durch das Versetzen von mehreren Messerstichen in den Nacken‑ und Halsbereich vorsätzlich getötet;

II./ am 22. April 2015 und danach im bewussten und gewollten Zusammenwirken mit Philipp R***** als Mittäter nach der zu Punkt I./ dargestellten Tat den Leichnam des Walter H***** der verfügungsberechtigten Tochter des Getöteten entzogen und verunehrt, indem sie den Leichnam in den Kofferraum des Fahrzeugs des Toten luden und mit dem PKW von F***** nach O***** fuhren, dort die Leiche in einem abgelegenen Waldstück vergruben und etwa eine Woche später, nachdem sie bei einer Nachschau festgestellt hatten, dass die Tiere des Waldes den Leichnam partiell freigelegt hatten, den Leichnam mit Fertigbeton übergossen;

III./ …

IV./ mit dem Vorsatz, sich durch das Verhalten der Getäuschten unrechtmäßig zu bereichern, nachgenannte Personen durch Täuschung über Tatsachen und unter Verwendung entfremdeter unbarer Zahlungsmittel und falscher Urkunden zu nachangeführten Handlungen verleitet, die den ruhenden Nachlass oder die rechtmäßigen Erben des Walter H***** in einem 5.000 Euro übersteigenden Gesamtbetrag von 5.660 Euro am Vermögen schädigten, und zwar

1. am 23. April 2015 „gemeinsam“ mit Philipp R***** Berechtigte des Nachtclubs „P*****“ durch die wahrheitswidrige Vorgabe, als Inhaber der Kreditkarte zu deren Verwendung berechtigt zu sein, zur Herausgabe von Getränken und Erbringung von Dienstleistungen im Gesamtwert von 1.860 Euro, indem sie diese mit der Kreditkarte des Walter H***** bezahlten, wobei Daniel G***** dazu die Kreditkartenbelege mit einer unleserlichen Unterschrift unterfertigte;

2. am 13. Mai 2015 den KFZ‑Händler Peter He***** durch die wahrheitswidrige Vorgabe, als Eigentümer des PKW zu dessen Verkauf berechtigt zu sein, zum Kauf des PKW des Walter H***** um 3.800 Euro, wobei er hiefür einen Kaufvertrag mit der von ihm gefälschten Unterschrift des Walter H***** vorlegte;

V./ am 22. April 2015 (im Zusammenwirken mit Philipp R*****) den ruhenden Nachlass oder die rechtmäßigen Erben des Walter H***** dadurch geschädigt, dass sie fremde bewegliche Sachen, nämlich das Mobiltelefon, die Kleidung und weitere nicht näher bekannte Gegenstände des Walter H***** aus deren Gewahrsam dauernd entzogen, ohne die Sache sich oder einem Dritten zuzueignen, indem sie die genannten Sachen in einem Müllcontainer entsorgten.

Rechtliche Beurteilung

Dagegen richtet sich die auf § 345 Abs 1 Z 1, 4 und 10a StPO gestützte Nichtigkeitsbeschwerde des Angeklagten G*****.

Die Besetzungsrüge (Z 1) kritisiert die vermeintliche Ausgeschlossenheit von vier an der Entscheidung beteiligten Geschworenen.

Allerdings kann der Einwand, der Geschworene Felix Ra***** habe „über einen längeren Zeitraum sowohl die Augen geschlossen als auch den Kopf nach hinten gelegt“ und den Eindruck vermittelt, „unaufmerksam“ zu sein, mangels rechtzeitiger Rüge auf sich beruhen, weil all jene Umstände, die sich – wie hier – in Anwesenheit des Verteidigers für diesen wahrnehmbar ereignen, im Sinn des § 345 Abs 2 StPO als „ihm zur Kenntnis gekommen“ anzusehen sind (vgl RIS‑Justiz RS0100827 [T1], RS0106091).

Gleiches gilt für die behauptete Unaufmerksamkeit des Geschworenen Peter K***** und dessen – bloß spekulativ (vgl dazu RIS‑Justiz RS0109958) aus an die Angeklagten gerichteten Fragen abgeleitete – angebliche Voreingenommenheit.

Das Vorbringen zur Geschworenen Andrea B*****, bei der es sich „aller Voraussicht nach“ um die Schwester des „Herbert Bo*****“ handeln soll, der anlässlich einer fristlosen Entlassung Ende 2010 dem ihm als Vertriebs- und Objektleiter übergeordneten Angeklagten „unmissverständlich“ zum Ausdruck gebracht habe, dass er „ihm das Leben aus diesem Grund zur Hölle machen werde“, geht ebenso ins Leere. Mangels Darlegung konkreter Indizien für ein solches Verwandtschaftsverhältnis, für das die unterschiedliche Schreibweise der Familiennamen der genannten Geschworenen (ON 1 S 50; ON 93 S 1) und des früheren Untergebenen des Angeklagten (ON 101 S 5 ff und Blg./ II) gerade keinen Anhaltspunkt gibt, erschöpft sich dieser Einwand von vornherein in bloßer Spekulation, die als solche kein ausreichendes Substrat für den Nichtigkeitsgrund des § 345 Abs 1 Z 1 StPO darstellt (neuerlich RIS‑Justiz RS0109958). Sollte der Angeklagte seine Bedenken bloß aus der phonetischen Namensähnlichkeit mit dem Entlassenen hergeleitet haben, wäre es ihm im Übrigen ohne Weiteres möglich gewesen, seine Verteidigerin im Anschluss an den einzelnen Aufruf der Geschworenen (ON 93 S 2) über den Umstand einer möglichen Befangenheit zu informieren (vgl RIS‑Justiz RS0120890 [T4]).

Schließlich scheitert die Beschwerde, die aufgrund eines „nicht friktionsfreien beruflichen und privaten Kontakts“ die Unbefangenheit der Geschworenen Rosemarie Pl***** in Zweifel zieht, neuerlich am Unterbleiben einer rechtzeitigen Rüge gleich zu Beginn der Hauptverhandlung, lässt sie doch nicht erkennen, weshalb der Angeklagte daran gehindert gewesen wäre, seine Verteidigerin schon zu diesem Zeitpunkt über eine mögliche Befangenheit der Geschworenen zu informieren.

Im Protokoll über die Hauptverhandlung wurde schließlich ausdrücklich festgehalten, dass „weder von Seiten der Staatsanwaltschaft noch von Seiten der Verteidigung ein Geschworener abgelehnt wird“ (ON 93 S 2).

Für die vom Rechtsmittelwerber begehrte Einholung tatsächlicher Aufklärungen (§ 285f StPO) über die in der Besetzungsrüge vorgebrachten Umstände besteht schon aus den angeführten Gründen kein Anlass.

Die Verfahrensrüge (Z 4) behauptet einen Verstoß gegen § 252 StPO, übergeht jedoch, dass laut dem unbeanstandet gebliebenen Protokoll über die Hauptverhandlung die kritisierte „Verlesung“ sämtlicher Vernehmungsprotokolle ausdrücklich „gemäß § 252 Abs 1 Z 4 StPO“, also erkennbar einverständlich erfolgte, wobei die Parteien zuvor (im Sinn des § 252 Abs 2a StPO) „ausdrücklich auf eine wörtliche Verlesung einvernehmlich verzichtet“ hatten (ON 93 S 38 f; vgl RIS‑Justiz RS0127712, RS0128873). Dementsprechend war der Vorsitzende auch nicht gemäß § 322 zweiter Satz StPO gehalten, die in der Beschwerde genannten Vernehmungsprotokolle auszusondern. Der Vorwurf einer Verletzung des Umgehungsverbots des § 252 Abs 4 StPO (RIS‑Justiz RS0118038) geht somit gleichermaßen ins Leere.

Im Übrigen sind die von der Nichtigkeitsbeschwerde konkret angesprochenen (früheren) Aussagen der beiden Angeklagten (ON 93 S 3 und 11) ebenso wie jene der in der Hauptverhandlung unmittelbar vernommenen Zeugen Ella H*****, Andrea Ba***** und Monika L***** bereits zuvor durch ausdrückliche Berufung darauf (ON 93 S 23, 24 f, 26) gesetzmäßig in der Hauptverhandlung vorgekommen (RIS‑Justiz RS0107793, RS0126738). Hinsichtlich der Aussagen der in der Hauptverhandlung nicht vernommenen Zeugen Hans Gr***** und John Ha***** ist ein dem Beschwerdeführer nachteiliger Einfluss zudem auszuschließen (§ 345 Abs 3 StPO), weil beide Zeugen diesen in keiner Weise belastet haben, sondern Gr***** als Nachbar lediglich allgemeine Angaben zu Verhalten und Kontakten des Tatopfers vor dessen Verschwinden gemacht (ON 2 S 143 ff) und sich Ha***** bloß zu einem vom Beschwerdeführer zugestandenen Mietverhältnis betreffend ein Gartenhaus in Wien (ON 93 S 12 ff) geäußert hat (ON 58 S 35 ff).

Indem die Beschwerde „lediglich aus advokatorischer Vorsicht“ – unter Bezugnahme auf die (eine nicht vergleichbare Sachverhaltskonstellation betreffende) Entscheidung des Obersten Gerichtshofs zu 15 Os 162/10b – das Vorbringen der Verfahrensrüge durch bloßen Verweis darauf „vollumfänglich“ auch als Tatsachenrüge verstanden wissen will, bringt sie den Nichtigkeitsgrund des § 345 Abs 1 Z 10a StPO (vgl RIS‑Justiz RS0119583, RS0118780) nicht prozessordnungskonform zur Darstellung (RIS‑Justiz RS0115902).

Die Nichtigkeitsbeschwerde war daher – in Übereinstimmung mit der Stellungnahme der Generalprokuratur jedoch entgegen der Äußerung des Beschwerdeführers dazu – bereits in nichtöffentlicher Beratung zurückzuweisen (§§ 285d Abs 1, 344 StPO), woraus die Zuständigkeit des Oberlandesgerichts zur Entscheidung über die Berufung folgt (§§ 285i, 344 StPO).

Die Kostenentscheidung beruht auf § 390a Abs 1 StPO.

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