OGH 13Os72/17p

OGH13Os72/17p6.9.2017

Der Oberste Gerichtshof hat am 6. September 2017 durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofs Hon.‑Prof. Dr. Kirchbacher als Vorsitzenden sowie die Hofräte und die Hofrätinnen des Obersten Gerichtshofs Dr. Lässig, Mag. Michel, Dr. Oberressl und Dr. Brenner in Gegenwart des Richteramtsanwärters Mag. Wetter als Schriftführer in der Strafsache gegen Manfred D***** und einen weiteren Angeklagten wegen des Verbrechens des Suchtgifthandels nach § 28a Abs 1 fünfter Fall, Abs 2 Z 2, Abs 4 Z 3 SMG und weiterer strafbarer Handlungen über die Nichtigkeitsbeschwerden und die Berufungen der Angeklagten Manfred D***** und Harald W***** sowie über die Berufung der Staatsanwaltschaft gegen das Urteil des Landesgerichts Innsbruck als Schöffengericht vom 23. Februar 2017, GZ 37 Hv 116/16t‑75, nach Anhörung der Generalprokuratur in nichtöffentlicher Sitzung den

Beschluss

gefasst:

European Case Law Identifier: ECLI:AT:OGH0002:2017:0130OS00072.17P.0906.000

 

Spruch:

Die Nichtigkeitsbeschwerden werden zurückgewiesen.

Zur Entscheidung über die Berufungen werden die Akten dem Oberlandesgericht Innsbruck zugeleitet.

Den Angeklagten fallen auch die Kosten des bisherigen Rechtsmittelverfahrens zur Last.

 

Gründe:

Mit dem angefochtenen Urteil wurden

Manfred D***** des Verbrechens des Suchtgifthandels nach § 28a Abs 1 fünfter Fall, Abs 2 Z 2, Abs 4 Z 3 SMG (A/I) und des Vergehens nach § 50 Abs 1 Z 2 (richtig:) WaffG (C) sowie

Harald W***** des Verbrechens der Vorbereitung von Suchtgifthandel nach § 28 Abs 1 erster und zweiter Fall, Abs 2, Abs 3 SMG (A/II) und der Vergehen des unerlaubten Umgangs mit Suchtgiften nach § 27 Abs 1 Z 1 erster und zweiter Fall, Abs 2 SMG (B)

schuldig erkannt.

Danach haben in K*****, O*****, K*****, D***** und anderen Orten

A/ als Mitglieder einer kriminellen Vereinigung bestehend aus Manfred D*****, Harald W***** und den abgesondert verfolgten Zoran V***** und Aurel L***** vorschriftswidrig Suchtgift

I/ Manfred D***** im Zeitraum von zumindest Juni 2015 bis 16. August 2016 in einer das Fünfundzwanzigfache der Grenzmenge (§ 28b SMG) übersteigenden Menge anderen überlassen, und zwar

1/ an Harald W***** zumindest 1.033 Gramm Kokain mit einem Reinsubstanzgehalt von jedenfalls 33,9 % (350,18 Gramm Cocain) sowie weitere 1.000 Gramm Kokain mit einem Reinsubstanzgehalt von zumindest 72,5 % (725 Gramm Cocain);

2/ an Stefan U***** zumindest 130 Gramm Kokain mit einem Reinsubstanzgehalt von zumindest 33,9 % (44,07 Gramm Cocain);

3/ an Jonas R***** ca 225 Gramm Kokain mit einem Reinsubstanzgehalt von zumindest 33,9 % (77,27 Gramm Cocain);

4/ an Martina S***** zumindest 200 Gramm Kokain mit einem Reinsubstanzgehalt von 72,5 % (145 Gramm Cocain);

5/ an Unbekannte zumindest 1.000 Gramm Kokain mit einem Reinsubstanzgehalt von jedenfalls 33,9 % (339 Gramm Cocain) sowie weitere 142,9 Gramm Kokain mit einem Reinsubstanzgehalt von zumindest 72,5 % (103,6 Gramm Cocain);

II/ Harald W***** im Zeitraum von Februar 2016 bis 16. August 2016 in einer das Fünfzehnfache der Grenzmenge (§ 28b SMG) übersteigenden Menge von Manfred D***** in zumindest zwei Teilhandlungen mit dem Vorsatz erworben und besessen, dass es in Verkehr gesetzt werde, und zwar zumindest 1.000 Gramm Kokain mit einem Reinsubstanzgehalt von jedenfalls 33,9 % (339 Gramm Cocain) sowie weitere 1.000 Gramm Kokain mit einem Reinsubstanzgehalt von zumindest 72,5 % (725 Gramm Cocain);

B/ Harald W***** im Zeitraum von 2016 (US 8) bis 16. August 2016 vorschriftswidrig Suchtgift ausschließlich zum persönlichen Gebrauch erworben und besessen, und zwar durch den wiederholten Erwerb nicht näher bestimmbarer Mengen an Kokain von Manfred D***** (zumindest 33 Gramm) und Unbekannten;

C/ Manfred D***** am 16. August 2016, wenn auch nur fahrlässig, eine verbotene Waffe, nämlich einen Teleskopschlagstock, unbefugt besessen.

Dagegen richten sich die Nichtigkeits-beschwerden der beiden Angeklagten, die Manfred D***** auf § 281 Abs 1 Z 4, 5, „9 lit a, b, c“ und 10 StPO, Harald W***** auf § 281 Abs 1 Z 5, 5a, 10 und 11 StPO stützen.

 

Rechtliche Beurteilung

Zur Nichtigkeitsbeschwerde des Angeklagten Manfred D*****:

Die Verfahrensrüge (Z 4) behauptet eine Verletzung des Unmittelbarkeitsgrundsatzes sowie eine unzulässige Beschneidung von Verteidigungsrechten durch die Vernehmung der Zeugin Martina S***** in Abwesenheit des Rechtsmittelwerbers. Damit nimmt sie (was insoweit unabdingbare Voraussetzung für erfolgversprechende Urteilsanfechtung ist; vgl RIS‑Justiz RS0108863, RS0099112, RS0099250; Ratz, WK‑StPO § 281 Rz 302) nicht auf einen in der Hauptverhandlung gestellten Antrag (oder einen nach Art von Anträgen substanziierten Widerspruch), ein gegen einen Antrag (oder Widerspruch) gefälltes Zwischenerkenntnis oder die Nichterledigung eines Antrags Bezug.

Im Übrigen besagt der Grundsatz der Unmittelbarkeit (vgl §§ 13 Abs 1, 258 Abs 1 StPO) lediglich, dass daserkennende Gericht bei Fällen des Erkenntnisses nur solche Beweismittel beweiswürdigend zu verwerten hat, die in der Hauptverhandlung vorgekommen sind (vgl auch Lendl, WK‑StPO § 258 Rz 1).

Die Mängelrüge (Z 5) zum Schuldspruch A/I wendet sich gegen die Feststellung, wonach der Nichtigkeitswerber die Straftat als Mitglied einer kriminellen Vereinigung beging.

Der nicht näher konkretisierte Einwand, das Erstgericht habe die Verantwortung des Nichtigkeitswerbers insoweit „zur Gänze“ übergangen (Z 5 zweiter Fall), vernachlässigt, dass dort, wo das Gesetz auf einen Vergleich der angefochtenen Entscheidung mit Verfahrensergebnissen abstellt (Z 5 zweiter Fall und Z 5 fünfter Fall) der entsprechende Aktenbezug herzustellen ist (RIS‑Justiz RS0124172).

Dem weiteren Beschwerdevorbringen (Z 5 vierter Fall) zuwider hat das Erstgericht die bekämpfte Feststellung in objektiver und subjektiver Hinsicht logisch und empirisch einwandfrei auf die von beiden Angeklagten zugestandene Vorgehensweise bei der Beschaffung und Weitergabe und den Verkäufen des Suchtgifts, die Aussage des – durch die Erbringung von Chauffeurdiensten mitwirkenden – Zeugen Zoran V***** und die abgehörten Telefongespräche gestützt (US 10 ff; vgl RIS‑Justiz RS0116882).

Der Sache nach wendet sich der Nichtigkeitswerber bloß mit eigenen Erwägungen nach Art einer im kollegialgerichtlichen Verfahren nicht zulässigen Schuldberufung gegen die den Tatrichtern vorbehaltene Beweiswürdigung.

Die kritisierte Passage, es „liegen (die inkriminierten Tathandlungen) auf der Hand ... weshalb für (diese) jeweils Absicht im Sinn des § 5 Abs 2 StGB zu konstatieren war.“, findet sich im Urteil nicht, weshalb sich der bezughabende Beschwerdeeinwand jeglicher Erwiderung entzieht.

Gleiches gilt für die Behauptung, das Erstgericht habe lediglich formelhaft ausgeführt, „dass sich die Feststellungen zur subjektiven Tatseite vollkommen zwanglos aus dem äußeren Tatgeschehen ergeben“.

Die prozessordnungsgemäße Geltendmachung eines materiellen Nichtigkeitsgrundes erfordert striktes Festhalten an den tatsächlich getroffenen Urteilskonstatierungen in ihrer Gesamtheit und die auf dieser Grundlage zu führende Darlegung, dass dem Gericht bei Beurteilung des Urteilssachverhalts ein Rechtsirrtum unterlaufen ist (RIS‑Justiz RS0099810; Ratz, WK‑StPO § 281 Rz 581).

Diesen Kriterien entspricht die Beschwerde („Z 9 ff., 9a“, der Sache nach Z 10) zum Schuldspruch A/I nicht, die sich darauf beschränkt, die Feststellungen, wonach der Nichtigkeitswerber die Straftat als Mitglied einer kriminellen Vereinigung beging, als „reine Spekulation“ zu bezeichnen und mit eigenen Erwägungen behauptet, diese Konstatierungen würden jeglicher Beweisgrundlage entbehren.

Mit dem Einwand, „weder das quantitative Element und die kriminelle Zielrichtung wurden ausreichend festgestellt“, orientiert sich auch die den Entfall der Qualifikation des § 28a Abs 2 Z 2 SMG anstrebende Subsumtionsrüge (Z 10) zum Schuldspruch A/I nicht am Urteilssachverhalt. Sie legt überdies nicht dar, welche zusätzlichen Feststellungen für eine rechtsrichtige Subsumtion unter Abs 2 Z 2 des § 28a SMG erforderlich wären (RIS‑Justiz RS0099620 [T7]).

Gleiches gilt in Ansehung des Vorbringens, es mangle an Feststellungen „zu einem Zusammenschluss der Tätergruppe im Sinn einer […] Willenseinigung, sich zur Erreichung des verpönten Zwecks zusammenzuschließen“.

Mit der Behauptung, aus der Gesamtbetrachtung des bekämpften Urteils ergebe sich überdies, dass das Erstgericht entgegen dem Grundsatz „in dubio pro reo“ geurteilt habe, zeigt der Beschwerdeführer keine Nichtigkeit im Sinn des § 281 Abs 1 StPO auf (vgl RIS‑Justiz RS0102162, RS0098325, RS0098336, RS0098483, RS0074721).

Zum Schuldspruch C wendet die Rechtsrüge („9 b“) ein, der Rechtsmittelwerber habe als EU‑Bürger davon ausgehen können, die Rechtslage in Österreich sei ident mit jener in Deutschland, weshalb ihm „die inkriminierte Delinquenz nicht vorwerfbar“ sei. Damit nimmt er erneut prozessordnungswidrig nicht Maß am Urteilssachverhalt (US 9, 16).

Soweit sich der Nichtigkeitswerber auch in Ansehung des Angeklagten Harald W***** gegen die Feststellung der Begehung der Straftat als Mitglied einer kriminellen Vereinigung (§ 28 Abs 3 SMG; Schuldspruch A/II) wendet, ist er zur Ergreifung der Nichtigkeitsbeschwerde nicht legitimiert (§ 282 Abs 1 StPO).

 

Zur Nichtigkeitsbeschwerde des Angeklagten Harald W*****, die sich inhaltlich nur gegen den Schuldspruch A/II richtet:

Der Behauptung der Mängelrüge (Z 5 vierter Fall) zuwider haben die Tatrichter die Feststellungen zur Menge und zur Qualität des vom Nichtigkeitswerber erworbenen und besessenen Suchtgifts logisch und empirisch einwandfrei auf dessen eigene Verantwortung (US 9 f) sowie auf die erstatteten Gutachten und die Aussagen des Angeklagten Manfred D***** und seiner Abnehmer über die hohe Qualität des Kokains (US 14) gegründet. Der Sache nach bekämpft die Beschwerde bloß mit eigenen Erwägungen nach Art einer im kollegialgerichtlichen Verfahren nicht zulässigen Schuldberufung die den Tatrichtern vorbehaltene Beweiswürdigung.

Soweit sich die Rüge gegen die Feststellung wendet, wonach der Nichtigkeitswerber (bei der zweiten Tathandlung) 1.000 Gram Kokain mit einem Reinsubstanzgehalt von zumindest 72,5 % in seiner Wohnung gelagert habe (US 6), richtet sie sich nicht gegen eine entscheidende Tatsache. Denn schon das vom Beschwerdeführer nicht in Frage gestellte Aufbewahren von 857,1 Gramm Kokain mit dem – wie ausgeführt übrigens mängelfrei festgestellten – Reinheitsgehalt von 72,5 % ergibt ein Überschreiten des Fünfzehnfachen der Grenzmenge (§ 28b SMG) von Cocain (RIS‑Justiz RS0120681).

Feststellungen, wonach der Nichtigkeitswerber „im Bewusstsein gehandelt“ habe, dass das von ihm gelagerte Suchtmittel „einen Reinheitsgehalt von 33,9 % und ein zweites Mal einen Reinheitsgehalt von 72,5 % aufgewiesen“ habe, enthält die angefochtene Entscheidung nicht. Der insoweit erhobene Einwand (Z 5 vierter Fall) geht daher ins Leere.

Entgegen der Behauptung offenbar unzureichender Begründung (Z 5 vierter Fall) der Feststellungen über die Begehung der Straftat als Mitglied einer kriminellen Vereinigung in objektiver und subjektiver Hinsicht haben die Tatrichter diese ohne Verstoß gegen Gesetze der Logik oder grundlegende Erfahrungswerte aus der arbeitsteiligen Vorgangsweise bei der Beschaffung, dem Transport und der Lagerung von jeweils ca einem Kilogramm Kokain in Verbindung mit den abgehörten Telefongesprächen gestützt (US 12). Dass die bezughabenden Erwägungen dem Rechtsmittelwerber nicht überzeugend erscheinen und aus den Beweismitteln auch andere Schlüsse gezogen werden könnten, stellt keinen Begründungsmangel im Sinn der Z 5 des § 281 Abs 1 StPO dar. Erneut wendet sich der Beschwerdeführer bloß unzulässig gegen die Beweiswürdigung des Schöffensenats.

Die Tatsachenrüge (Z 5a) erschöpft sich darin, Bedenken gegen die Richtigkeit des Ausspruchs über entscheidende Tatsachen ohne Aktenbezug lediglich aus den Urteilsgründen abzuleiten, ohne auf konkretes, in der Hauptverhandlung vorgekommenes Beweismaterial Bezug zu nehmen. Vielmehr beschränkt sie sich auf die Behauptung, die Feststellungen über die Begehung der Straftat als Mitglied einer kriminellen Vereinigung könnten „aus dem Akteninhalt“ nicht abgeleitet werden. Damit verlässt sie den gesetzlichen Anfechtungsrahmen (RIS‑Justiz RS0119424).

Die gegen die Annahme der Qualifikation des § 28 Abs 3 SMG gerichtete Subsumtionsrüge (Z 10) orientiert sich nicht an den tatrichterlichen Feststellungen (US 6 f, 12) und verfehlt solcherart den Bezugspunkt materiell‑rechtlicher Nichtigkeit.

Mit Sanktionsrüge (Z 11 erster Fall iVm Z 5 dritter Fall) behauptet der Beschwerdeführer einen Widerspruch zwischen der Feststellung, wonach er an den Konsum von Kokain gewöhnt war, die Straftaten aber nicht vorwiegend deshalb beging, um sich Suchtmittel oder Geld zum Erwerb von Suchtmitteln zu beschaffen (US 9), und jener, wonach er für seine Tätigkeiten wiederum mit der Überlassung von Kokain für eigene Zwecke bezahlt wurde (US 7).

Diese Konstatierungen können jedoch nach den Denkgesetzen (vgl Ratz , WK‑StPO § 281 Rz 438) schon deshalb nebeneinander bestehen, weil die Bezahlung des Harald W***** in Form der Überlassung von Kokain keineswegs zwingend dessen auf die Beschaffung von Suchtmitteln gerichtete Intention für die Straftaten indiziert. Die Feststellung, wonach die Motivation der Tathandlungen des Rechtsmittelwerbers darin bestand, Kokain für eigene Zwecke (kostenlos) zu erhalten, ist den Entscheidungsgründen dem Beschwerdevorbringen zuwider nicht zu entnehmen.

 

Die Nichtigkeitsbeschwerden waren daher bereits in nichtöffentlicher Beratung sofort zurückzuweisen (§ 285d Abs 1 StPO), woraus die Zuständigkeit des Oberlandesgerichts für die Entscheidung über die Berufungen folgt (§ 285i StPO).

Die Kostenentscheidung gründet sich auf § 390a Abs 1 StPO.

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