European Case Law Identifier: ECLI:AT:OGH0002:2017:0230DS00002.17X.0828.000
Spruch:
Die Beschwerden werden zurückgewiesen.
In teilweiser Stattgebung der Berufung wird das angefochtene Erkenntnis, das im Übrigen unberührt bleibt, im Strafausspruch aufgehoben und in Neubemessung der Geldbuße über den Beschuldigten eine solche von 1.200 Euro verhängt.
Im Übrigen wird der Berufung (wegen Nichtigkeit und Schuld) nicht Folge gegeben.
Mit seiner Berufung wegen Strafe wird er auf die Strafneubemessung verwiesen.
Dem Beschuldigten fallen auch die Kosten des Rechtsmittelverfahrens zur Last.
Gründe:
Mit dem angefochtenen Erkenntnis wurde ***** der Disziplinarvergehen der Berufspflichtenverletzung und der Verletzung von Ehre oder Ansehen des Standes nach § 1 Abs 1 erster und zweiter Fall DSt schuldig erkannt und hiefür zu einer Geldbuße von 1.500 Euro verurteilt, weil er in einem im Verfahren AZ 41 Hv 15/11p des Landesgerichts Feldkirch eingebrachten auf Wiederaufnahme des Verfahrens gerichteten Antrag vom 4. April 2015 die Äußerungen getätigt hatte: „Des Rätsels Lösung für seine Voreingenommenheit (gemeint ist Richter des LG *****) liegt offenbar in einem vom Vorsitzenden in der Hauptverhandlung verschwiegenen Umstand begründet, entweder in einer Traumatisierung in seiner Familie oder in seinem Umfeld ...“; … „dass Oralsex besonders erniedrigend sei, stellt die absurde Privatmeinung des Erstgerichtsvorsitzenden dar“.
Mit Beschlüssen vom 10. November 2016 wies der Disziplinarrat teils vor Beginn, teils im Zug der an diesem Tag durchgeführten Disziplinarverhandlung gestellte Anträge auf Ablehnung der Vorsitzenden zurück (ON 15, 16).
Rechtliche Beurteilung
Gegen das Erkenntnis richtet sich die– undifferenziert ausgeführte – Berufung des Beschuldigten; die Beschlüsse bekämpft er mit im selben Schriftsatz ausgeführten Beschwerden.
Zu den Beschwerden:
Gegen die oben angeführten Beschlüsse ist gemäß § 26 Abs 5 DSt ein (abgesondertes) Rechtsmittel unbeschadet dessen nicht zulässig, dass die Entscheidung über einen vor Beginn der Disziplinarverhandlung gestellten Ablehnungsantrag in die Kompetenz des Präsidenten des Disziplinarrats fiele. Eine allfällige Ausgeschlossenheit eines Mitglieds des Disziplinarrats würde aber den Nichtigkeitsgrund des § 281 Abs 1 Z 1 StPO herstellen, der unter den dort genannten Voraussetzungen mit Berufung geltend zu machen wäre.
Insoweit der Berufungswerber auf sein betreffendes Beschwerdevorbringen verweist, genügt ihm zu erwidern, dass die Durchführung einer mündlichen Verhandlung vor dem Disziplinarrat in seiner Abwesenheit am 5. Oktober 2016 (ON 9), der eine am 10. November 2016 folgte, bei der er sehr wohl zu Wort kam (ON 14), ebensowenig einen Umstand darstellt, der geeignet erschiene, aus der Sicht eines objektiven Betrachters die volle Unbefangenheit der Vorsitzenden aus persönlichen Gründen in Zweifel zu ziehen wie jener, dass sich deren Rechtsansicht mit der des Rechtsmittelwerbers nicht deckt (vgl RIS‑Justiz RS0096880).
Zur Berufung:
Entgegen der Auffassung des Berufungswerbers, wonach die in § 281 Abs 1 StPO normierten Nichtigkeitsgründe im vorliegenden Berufungsverfahren nicht zur Anwendung zu kommen hätten, hat sichdurch das Verwaltungsgerichtsbarkeits‑Anpassungsgesetz BGBl I 2013/190, mit welchem die Zuständigkeit zur Entscheidung über Rechtsmittel in Disziplinarverfahren der Rechtsanwälte und Rechtsanwaltsanwärter von der OBDK auf den Obersten Gerichtshof übertragen wurde (§ 46 DSt) an § 49 DSt insofern nichts geändert, als mit der darin genannten „Berufung“ stets die Berufung, wie sie im Strafprozess gegen Urteile der Bezirksgerichte offen steht, gemeint war. Die Berufung kann daher – nach wie vor – aus den in § 464 Z 1 und 2 StPO angeführten Gründen erhoben werden, wobei Nichtigkeitsgründe im Sinn der Z 1 leg cit die in § 468 Abs 1 StPO (weitgehend unter Verweis auf § 281 Abs 1 StPO) genannten Gründe sind (vgl RIS‑Justiz RS0128656).
Mit seiner Forderung nach Einrichtung eines „den Anforderungen des Art 6 MRK gerecht werdenden“ Disziplinarverfahrens in erster Instanz vermag der Beschuldigte nicht zu begründen, inwiefern die den Obersten Gerichtshof zur Entscheidung über Berufungen und Beschwerden gegen Erkenntnisse und Beschlüsse des Disziplinarrats berufende Norm des § 46 DSt verfassungswidrig sein sollte; die diesbezügliche „Normprüfungsanregung“ scheitert daher schon im Ansatz.
Auf welche konkreten, in der Disziplinarverhandlung gestellten Anträge sich die Kritik an der „Abweisung der Beweisanträge S 7“ bezieht, geht aus der Rechtsmittelschrift nicht hervor. Dieses Vorbringen entzieht sich daher einer inhaltlichen Erwiderung (vgl § 285 Abs 1 zweiter Satz StPO).
Im Übrigen betreffen Beweisanbote bezüglich der Verhandlungsführung des Vorsitzenden und zur Frage, ob ihm bzw wem anderen die inkriminierten Äußerungen zur Kenntnis gelangt sind, keine entscheidenden Tatsachen. Der Antrag auf „Einholung eines Sachverständigengutachtens aus dem Bereich der Sexualpädagogik zum Beweis dafür, dass es sich bei Oralverkehr und auch bei Schlucken des Ejakulats nicht um eine besonders erniedrigende Sexualpraktik handelt, richtet sich in Anbetracht jahrelanger massiver, mit siebeneinhalb Jahren Freiheitsstrafe sanktionierter Übergriffe seines Mandanten an dessen zu Beginn des Tatzeitraums achtjährigem Stiefkind von selbst.
Der Rechtsmittelwerber leitet nicht aus dem Gesetz ab, inwiefern die inkriminierten, jeder sachlichen Grundlage entbehrenden Angriffe auf die persönliche Integrität des Vorsitzenden eines Schöffengerichts ein geringfügiges Verschulden nach § 3 DSt indizieren sollten.
Ein Rechtsanwalt ist zwar gemäß § 9 Abs 1 RAO befugt, alles was er nach dem Gesetz zur Vertretung seiner Partei für tunlich erachtet, unumwunden vorzubringen. Unsachliche oder beleidigende Äußerungen sind aber weder unter dem Gesichtspunkt gewissenhafter Vertretung (RIS‑Justiz RS0055897 [T9]) noch unter jenem der Meinungsfreiheit (RIS‑Justiz RS0056168 [T11]) zulässig. Die inkriminierten Äußerungen sind durch kein sachliches Substrat rechtfertigbar, sondern überschreiten als unsachlich bzw erkennbar beleidigend die Grenzen des § 9 Abs 1 RAO und des Art 10 MRK (vgl RIS‑Justiz RS0073088, RS0055003).
Gleiches gilt für die Negierung der nach gefestigter Judikatur anzunehmenden Qualifikation besonderer Erniedrigung, die gleichfalls in einem aktenkundigen Schriftsatz erfolgte und daher – etwa schon aufgrund des Akteneinsichtsrechts des Opfers – keinesfalls nur unbedeutende Folgen nach sich gezogen hat.
Zur im Gerichtstag vor dem Obersten Gerichtshof erhobenen Rüge, der dort einschreitende Kammeranwalt habe als Richter am Einleitungsbeschluss mitgewirkt, genügt der Hinweis, dass das Einschreiten eines ausgeschlossenen Kammeranwalts kein Gegenstand einer Besetzungsrüge (§ 281 Abs 1 Z 1 StPO) sein kann, vielmehr dem Gericht diesbezüglich keine Entscheidungskompetenz zukommt (Lässig, WK‑StPO § 47 Rz 9; vgl Engelhart/Hoffmann/Lehner/Rohregger/Vitek, RAO9 § 26 Rz 24).
Im Recht ist der Berufungswerber dagegen, soweit er die bei der Strafbemessung erfolgte aggravierende Berücksichtigung seiner fehlenden „Einsicht“ rügt (Erkenntnisseite 10). Die Annahme eines solchen Erschwerungsgrundes kommt nämlich einem unzulässigen indirekten Zwang zur Selbstbelastung gleich und bewirkt Nichtigkeit des Strafausspruchs gemäß § 281 Abs 1 Z 11 zweiter Fall StPO (RIS‑Justiz RS0090897 [T9]).
Bei der durch die hiedurch bedingte Kassation des Strafausspruchs erforderlichen Strafneubemessung wertete der Oberste Gerichtshof als erschwerend das Zusammentreffen zweier Disziplinarvergehen durch zwei Äußerungen, als mildernd hingegen, dass der Beschuldigte bisher keine Disziplinarverurteilungen aufweist und sich besonders für seinen Mandanten engagierte.
Auch mit Blick auf das längere Wohlverhalten seit der Tat erweist sich die nun gefundene reduzierte Sanktion als dem Unrechtsgehalt der Tat und der Schuld des Berufungswerbers angemessen; dies auch unter Berücksichtigung der durchschnittlichen Einkünfte eines Rechtsanwalts in der Position des Beschuldigten.
Die Kostenentscheidung gründet auf § 54 Abs 5 DSt.
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