OGH 7Ob99/17k

OGH7Ob99/17k5.7.2017

Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht durch die Senatspräsidentin Dr. Kalivoda als Vorsitzende und die Hofrätinnen und Hofräte Dr. Höllwerth, Dr. E. Solé, Mag. Malesich und MMag. Matzka als weitere Richter in den verbundenen Rechtssachen der klagenden Partei F* M*, vertreten durch Dr. Johann Sommer, Rechtsanwalt in Wien, gegen die beklagte Partei S* F*, vertreten durch Dr. Hans Wagner, Rechtsanwalt in Wien, wegen Räumung (6 C 605/14z) und Kündigung (6 C 610/14k), über die außerordentliche Revision der klagenden Partei gegen das Urteil des Landesgerichts für Zivilrechtssachen Wien als Berufungsgericht vom 22. März 2017, GZ 39 R 300/16f‑33, den

Beschluss

gefasst:

European Case Law Identifier: ECLI:AT:OGH0002:2018:E118814

 

Spruch:

Die außerordentliche Revision wird gemäß § 508a Abs 2 ZPO mangels der Voraussetzungen des § 502 Abs 1 ZPO zurückgewiesen.

Begründung:
Rechtliche Beurteilung

1.1 Ein erheblich nachteiliger Gebrauch vom Mietgegenstand im Sinn des § 30 Abs 2 Z 3 erster Fall MRG (wie des gleichlautenden Vertragsaufhebungsgrundes nach § 1118 erster Fall ABGB) liegt vor, wenn durch eine wiederholte, länger währende vertragswidrige Benützung des Bestandobjekts oder durch eine längere Reihe von Unterlassungen notwendiger Vorkehrungen eine erhebliche Verletzung der Substanz des Mietgegenstands erfolgte oder auch nur droht (vgl RIS‑Justiz RS0020981, RS0067832, RS0068076, RS0102020), oder wenn durch das nachteilige Verhalten des Mieters wichtige wirtschaftliche oder persönliche Interessen des Vermieters oder der anderen Mieter geschädigt oder gefährdet werden (vgl RIS‑Justiz RS0020940, RS0021031, RS0070348).

1.2 Die Vornahme von baulichen Veränderungen durch den Mieter ohne Zustimmung des Bestandgebers rechtfertigt die Auflösung des Bestandvertrags gemäß § 30 Abs 2 Z 3 MRG (§ 1118 erster Fall ABGB), wenn die vom Mieter vorgenommenen Veränderungen für die Bestandsache erheblich nachteilig sind. Sachgemäß durchgeführte Vorkehrungen zur Verbesserung oder Modernisierung des Bestandgegenstands können den Auflösungstatbestand grundsätzlich nicht erfüllen (RIS‑Justiz RS0067816). Derartige bauliche Veränderungen, die den Intentionen des Bestandgebers zuwiderlaufen, können nur dann einen erheblich nachteiligen Gebrauch des Bestandgegenstands bewirken, wenn dadurch wichtige wirtschaftliche oder sonstige Interessen des Bestandgebers verletzt werden oder wenn die Gefahr der Verletzung solcher Interessen droht (RIS‑Justiz RS0067816 [T4]).

1.3 § 30 Abs 2 Z 3 MRG, § 1118 erster Fall ABGB sollen die Möglichkeit für die Auflösung des Bestandverhältnisses bieten, weil das für sein Weiterbestehen erforderliche Vertrauen weggefallen ist. Grundlage für einen Auflösungsanspruch ist ein vertragswidriges Verhalten. Der Mieter muss sich also so verhalten haben, dass er nicht mehr vertrauenswürdig ist (RIS‑Justiz RS0020867). Ein Verschulden des Mieters ist dazu nicht erforderlich; es genügt, dass sich der Mieter des nachteiligen Verhaltens bewusst war oder bewusst sein musste, wobei der Maßstab eines durchschnittlichen Mieters zugrunde zu legen ist (RIS‑Justiz RS0020981, RS0067957, RS0070243, RS0070433).

1.4 Maßgeblich für die Beurteilung, ob ein geltend gemachter Kündigungsgrund verwirklicht wird, ist der Zeitpunkt der Zustellung der Aufkündigung. Allerdings kann eine Einstellung eines dem Mieter zum Vorwurf gemachten Verhaltens nach der Aufkündigung bei der Beurteilung, ob das Gesamtverhalten die Aufkündigung im Einzelfall rechtfertigte, mitberücksichtigt werden (RIS‑Justiz RS0070378). Maßgeblicher Zeitpunkt für die Beurteilung des Vorliegens des Auflösungsgrundes ist der Zugang der Auflösungserklärung, somit die Zustellung der Räumungsklage, wenn die Auflösungserklärung in ihr abgegeben worden ist (RIS‑Justiz RS0021049 [T6, T9]).

1.5 Ob ein erheblich nachteiliger Gebrauch anzunehmen ist, hängt von den Umständen des Einzelfalls ab (RIS‑Justiz RS0021018, RS0068103, RS0113693).

2. Die von der Beklagten gemietete Wohnung Top 21 und die daneben liegende – von ihrer Mutter gemietete – Wohnung Top 19/20 standen im Wohnungseigentum der Rechtsvorgängerin des Klägers. 2004 wurden diese Wohnungen – ohne baubehördliche Bewilligung und ohne Zustimmung der Rechtsvorgängerin des Klägers – mittels Durchbruch fachgemäß und entsprechend den Bauvorschriften miteinander verbunden.

2.1 Bauordnungswidrige oder feuer-polizeiwidrige Einrichtungen oder Unterlassungen können zwar eine erhebliche Verletzung der Interessen des Bestandgebers darstellen (7 Ob 174/08a mwN). Im Hinblick darauf, dass – wenn auch nachträglich – die Errichtung des Durchbruchs bei der Baupolizei angezeigt und von dieser abgenommen wurde, verneinten die Vorinstanzen aber vertretbar die vom Kläger behauptete Gefahr eines drohenden Bauauftrags oder einer drohenden Verwaltungsstrafe.

2.2 Worin – vor dem Hintergrund der fachgemäßen und baubehördlich abgenommenen Errichtung des Durchbruchs – die vom Kläger unsubstantiiert behauptete Gefahr einer Ausschlussklage der übrigen Wohnungseigentümer gelegen sein soll, ist nicht erkennbar. Selbst in der Revision lässt der Kläger offen, welchen Ausschließungsgrund nach § 36 WEG er gesetzt haben soll, dessen Geltendmachung er nun befürchtet.

2.3 Richtig ist, dass die Duldungsverpflichtung des Vermieters nur dann besteht, wenn sämtliche positiven und negativen Voraussetzungen des § 9 Abs 1 Z 17 MRG gegeben sind (RIS‑Justiz RS0069551 [T1]; RS0069662). Nach § 9 Abs 1 Z 5 MRG darf durch die Veränderung keine Beeinträchtigung schutzwürdiger Interessen des Vermieters oder eines anderen Mieters zu besorgen sein. Die Verbindung zweier selbständiger – von verschiedenen Personen gemieteter – Wohnungseigentumseinheiten ohne Zustimmung der übrigen Mit‑ und Wohnungseigentümer bietet nicht nur eine wohnungseigentumsrechtliche Problematik, sondern auch eine solche durch eine allenfalls „aufgezwungene“ Mietergemeinschaft. Diese Umstände sind Interessenbeeinträchtigungen des Vermieters, die seine Duldungspflicht ausschließen (vgl 5 Ob 156/00b, 5 Ob 218/15t). Der Vermieter kann die Unterlassung bzw Wiederherstellung des vorigen Zustands begehren (RIS‑Justiz RS0020981 [T11]; 5 Ob 218/15t).

Auf die eben angeführte Rechtsprechung und die Beeinträchtigung der Interessen des Vermieters hat das Berufungsgericht ohnedies bereits hingewiesen. Wie bereits ausgeführt, erfordert die Auflösung des Bestandverhältnisses aber ein Verhalten des Mieters, das ihn vertrauensunwürdig macht. Im hier vorliegenden Einzelfall verneinte das Berufungsgericht diese Voraussetzung aufgrund des festgestellten Sachverhalts. Danach vertraute die Beklagte – insbesondere im Hinblick auf die von der damaligen Vermieterin bereits früher erteilte Zustimmung zur Zusammenlegung der beiden Wohnungen ihrer Mutter – deren Mitteilung, dass der Hausverwalter auch der Verbindung der Wohnungen Top 19/20 und 21 zugestimmt hätte. Die Beurteilung des Berufungsgerichts, dass der Beklagten unter den vorliegenden Umständen des Einzelfalls ihr nachteiliges Verhalten nicht bewusst gewesen sein musste und sie damit nicht vertrauensunwürdig sei, ist zumindest vertretbar.

3. Dieser Beschluss bedarf keiner weiteren Begründung (§ 510 Abs 3 ZPO).

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