OGH 9Ob61/16k

OGH9Ob61/16k24.3.2017

Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsrekursgericht durch den Senatspräsidenten Dr. Hopf als Vorsitzenden, die Hofrätin Hon.‑Prof. Dr. Dehn, den Hofrat Dr. Hargassner und die Hofrätinnen Mag. Korn und Dr. Weixelbraun‑Mohr als weitere Richter in der Pflegschaftssache der Minderjährigen M*, geboren * 2004, *, wegen Regelung des Kontaktrechts, über den außerordentlichen Revisionsrekurs des Vaters B*, vertreten durch Dr. Thomas Stoiberer, Rechtsanwalt in Wien, gegen den Beschluss des Landesgerichts Salzburg als Rekursgericht vom 13. Juli 2016, GZ 21 R 127/16x‑112, in nichtöffentlicher Sitzung den

Beschluss

gefasst:

European Case Law Identifier: ECLI:AT:OGH0002:2017:E117729

 

Spruch:

Der außerordentliche Revisionsrekurs wird mangels der Voraussetzungen des § 62 Abs 1 AußStrG zurückgewiesen.

 

Begründung:

Die Minderjährige M*, geboren* 2004, lebt bei ihrer Mutter, N*, die mit der Obsorge allein betraut ist. In ihren ersten Lebensjahren bestanden regelmäßige Besuchskontakte zum Vater, B*. Seit Herbst 2013 verweigert die Minderjährige nach einem von ihr als verstörend wahrgenommenen Vorfall jedoch jeden Kontakt zum Vater.

Trotz Beiziehung der Familiengerichtshilfe als Besuchsmittler, Versuche der Herstellung von Besuchskontakten über die Kinderbrücke und Bestellung eines Kinderbeistands scheiterten weitere Kontakte an der massiv ablehnenden Haltung der Minderjährigen.

Mit Beschluss vom 7. 8. 2015 setzte das Erstgericht das Besuchskontaktrecht des Vaters vorläufig aus. Dieser Beschluss erwuchs in Rechtskraft.

Mit Schreiben vom 9. 2. 2016 beantragte der Vater die Einräumung eines vorläufigen Kontaktrechts. Die Vorinstanzen wiesen diesen Antrag ab.

Rechtliche Beurteilung

Der außerordentliche Revisionsrekurs des Vaters ist nicht zulässig im Sinn des § 62 Abs 1 AußStrG.

1. Die Frage der Kontaktrechtsregelung und der Erlassung einer vorläufigen Maßnahme hängt von den Umständen des Einzelfalls ab, der keine erhebliche Bedeutung im Sinn des § 62 Abs 1 AußStrG zuerkannt werden kann, es sei denn, dass bei dieser Entscheidung das Wohl der Minderjährigen nicht ausreichend bedacht wurde (RIS‑Justiz RS0007101). Dasselbe hat für die Abweisung eines Antrags auf Erlassung von vorläufigen Maßnahmen zu gelten.

2. § 107 Abs 2 AußStrG (idF KindNamRÄG 2013, BGBl I 2013/15) sieht vor, dass das Gericht die Obsorge und die Ausübung des Rechts auf persönliche Kontakte „nach Maßgabe des Kindeswohls“ auch vorläufig einzuräumen oder zu entziehen hat. Mit dieser Regelung sollten nach dem Willen des Gesetzgebers die Voraussetzungen für die Erlassung vorläufiger Maßnahmen in dem Sinn reduziert werden, dass diese nicht mehr erst bei akuter Gefährdung des Kindeswohls (RIS‑Justiz RS0129538), sondern bereits zu dessen Förderung erfolgen dürfen (9 Ob 8/14p; 7 Ob 63/14m; 5 Ob 144/14h je mwN).

3. Die Entscheidung des Erstgerichts, das Kontaktrecht vorläufig auszusetzen, ist unbekämpft in Rechtskraft erwachsen und daher in diesem Stadium des Verfahrens nicht überprüfbar. Unmittelbar darauf stellte der Vater den Antrag, ihm entgegen dieser Entscheidung ein vorläufiges Kontaktrecht einzuräumen, ohne darzulegen, inwieweit eine derartige vorläufige Regelung entgegen den in der Vorentscheidung enthaltenen Feststellungen, derzeit geeignet sein könnte, das Kindeswohl zu fördern.

4. Nach ständiger Rechtsprechung sind auch im außerstreitigen Verfahren ergangene Entscheidungen der materiellen und formellen Rechtskraft fähig und binden die Betroffenen und das Gericht (§ 43 Abs 1 AußStrG; RIS‑Justiz RS0007171). Die materielle Rechtskraft einer Entscheidung ist auch im außerstreitigen Verfahren in jeder Lage des Verfahrens von Amts wegen zu beachten (RIS‑Justiz RS0007477). Nur gegenüber nachträglichen Tatbestandsänderungen hält die materielle Rechtskraft nicht stand (RIS‑Justiz RS0007171 [T21]). Im außerstreitigen Verfahren ergangene Entscheidungen können daher nur bei einer Änderung der Verhältnisse abgeändert werden (RIS‑Justiz RS0007148). Entscheidend ist, ob gegenüber jenem Sachverhalt, der für die frühere Entscheidung maßgeblich war, eine Änderung eingetreten ist (RIS‑Justiz RS0007201) oder ob Tatsachen vorliegen, die zur Zeit der früheren Entscheidung zwar bereits eingetreten, dem Gericht aber erst nachträglich bekannt geworden sind (RIS‑Justiz RS0007148). Die Voraussetzungen für eine materielle Bindungswirkung liegen unter anderem auch dann vor, wenn das Begehren das begriffliche Gegenteil des bereits rechtskräftig entschiedenen Anspruchs ist (RIS‑Justiz RS0041331).

Diese Grundsätze für die Bindungswirkung gelten grundsätzlich auch für vorläufige Maßnahmen nach § 107 Abs 2 AußStrG (vgl 3 Ob 140/08x; 2 Ob 19/11z) im Rahmen des Provisorialverfahrens. Durch die Erweiterung der Möglichkeit der Erlassung solcher Maßnahmen hat sich an dieser Bindungswirkung nichts geändert. Keine Bindung besteht dagegen für die – einer vorläufigen Regelung nachfolgende – abschließende Regelung des Kontaktrechts.

5. Im vorliegenden Fall macht der Vater derartige nachträgliche Änderungen gegenüber dem der Vorentscheidung zu Grunde liegenden Sachverhalt nicht geltend. Soweit sich der Revisionsrekurs gegen die Beachtlichkeit des Willens der Minderjährigen wendet und ihre Einsicht- und Urteilsfähigkeit bestreitet, wird tatsächlich die materielle Unrichtigkeit der (rechtskräftigen) Vorentscheidung geltend gemacht.

6. Die im außerstreitigen Verfahren geltende Verpflichtung zur amtswegigen Wahrheitsforschung findet eine natürliche Grenze, sobald Anhaltspunkte für eine weitere Aufklärungsbedürftigkeit fehlen (RIS‑Justiz RS0029344 [T1]). Bereits der Antrag des Vaters auf Einräumung des vorläufigen Kontaktrechts enthielt im Wesentlichen nur Rechtsausführungen und keinen Hinweis auf eine Änderung der Verhältnisse. Auch der Revisionsrekurs rügt nur die Nichtaufnahme von Beweisen ohne dass sich daraus ableiten lässt, welche Tatsachen durch die Aufnahme dieser Beweise hätten festgestellt werden können. Soweit auf hypothetische Entwicklungen verwiesen wird, die sich bei Setzen anderer Maßnahmen in der Vergangenheit hätten ergeben können, lässt sich darauf für die derzeitige Situation des Kindes und die zu seinem Wohl zu treffenden Maßnahmen nichts gewinnen.

Auch aus dem übrigen Akteninhalt ergibt sich kein Hinweis auf eine solche Änderung, im Gegenteil hat die Minderjährige in ihrem vom Kinderbeistand vorgelegten Schreiben ihre massive Ablehnung neuerlich verdeutlicht.

7. War die inhaltliche Richtigkeit der rechtlichen Beurteilung der Vorentscheidung nicht mehr zu überprüfen, kommt der im Revisionsrekurs erhobenen Verfahrensrüge, das Erstgericht habe nur ein „Aktenverfahren“ ohne (erneute) mündliche Anhörung der Minderjährigen durchgeführt und kein psychologisches Gutachten eingeholt, von vornherein keine Berechtigung zu (vgl 10 Ob 61/15s).

8. Da es sich sowohl bei der Aussetzung des Kontaktrechts als auch beim Antrag des Vaters um eine vorläufige Regelung nach § 107 Abs 2 AußStrG im Sinn des Kindeswohls handelt, ist damit weder über allenfalls zu treffende Maßnahmen im Sinn des § 107 Abs 3 AußStrG noch über das Kontaktrecht als solches abschließend entschieden.

9. Mangels einer Rechtsfrage von der Qualität des § 62 Abs 1 AußStrG ist der Revisionsrekurs des Vaters zurückzuweisen.

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