OGH 10ObS135/16z

OGH10ObS135/16z21.3.2017

Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht in Arbeits‑ und Sozialrechtssachen durch den Hofrat Dr. Schramm als Vorsitzenden, den Senatspräsidenten Univ.‑Prof. Dr. Neumayr und die Hofrätin Dr. Fichtenau sowie die fachkundigen Laienrichter Dr. Reinhard Drössler (aus dem Kreis der Arbeitgeber) und Herbert Bauer (aus dem Kreis der Arbeitnehmer) als weitere Richter in der Sozialrechtssache der klagenden Partei J*****, Deutschland, vertreten durch Dr. H. Burmann, Dr. P. Wallnöfer, Dr. R. Bacher, Rechtsanwälte in Innsbruck, gegen die beklagte Partei Tiroler Gebietskrankenkasse, Klara Pölt-Weg 2, 6021 Innsbruck, vertreten durch Altenweisl Wallnöfer Watschinger Zimmermann Rechtsanwälte GmbH in Innsbruck, wegen Kinderbetreuungsgeld, über die Revision der klagenden Partei gegen das Urteil des Oberlandesgerichts Innsbruck als Berufungsgericht in Arbeits‑ und Sozialrechtssachen vom 7. Juni 2016, GZ 25 Rs 96/15a‑16, womit infolge Berufung der beklagten Partei das Urteil des Landesgerichts Innsbruck als Arbeits‑ und Sozialgericht vom 15. Mai 2015, GZ 76 Cgs 167/14x‑11, abgeändert wurde, in nichtöffentlicher Sitzung zu Recht erkannt:

European Case Law Identifier: ECLI:AT:OGH0002:2017:010OBS00135.16Z.0321.000

 

Spruch:

 

Der Revision der klagenden Partei wird Folge gegeben.

Das Urteil des Berufungsgerichts wird dahin abgeändert, dass das der Klage stattgebende Urteil des Erstgerichts wiederhergestellt wird.

Die beklagte Partei ist schuldig, der klagenden Partei die mit 421,18 EUR (darin 69,80 EUR Umsatzsteuer) bestimmten Kosten des Revisionsverfahrens zu ersetzen.

 

Entscheidungsgründe:

Im Revisionsverfahren ist – im Zusammenhang mit dem Begehren auf Ausgleichszahlung zum Kinderbetreuungsgeld – die Frage zu klären, ob die Klägerin, die eine kollektivvertraglich vorgesehene Anschlusskarenz zwischen dem 2. und 3. Geburtstag ihres zweiten Kindes in Anspruch genommen hat, in dieser Zeit (27. Mai 2013 bis 26. Mai 2014) als Beschäftigte im Sinne der europäischen Sozialrechtskoordinierung zu qualifizieren ist.

Die am ***** 1982 geborene Klägerin ist seit 1. September 2007 bei einem Arbeitgeber in Tirol beschäftigt, seit 29. Februar 2008 in einem unbefristeten Arbeitsverhältnis. Das Arbeitsverhältnis unterliegt dem BAGS‑Kollektivvertrag. Dessen § 17 Abs 1 Satz 1 (idF 2011) lautet:

„1) Arbeitnehmerinnen haben im Anschluss an die Karenz gem MSchG bzw gem VKG, frühestens aber nach Ablauf des 24. Lebensmonats des Kindes, Anspruch auf einen Sonderurlaub (Anschlusskarenz) unter Verzicht auf die Dienstbezüge bis längstens zum vollendeten dritten Lebensjahr des Kindes.“

Am 19. Oktober 2009 wurde das erste Kind der Klägerin, S*****, geboren. Bis zur Geburt ihres zweiten Kindes L***** am 27. Mai 2011 befand sich die Klägerin in Karenz für ihr erstes Kind. Anlässlich der Geburt ihres Sohnes L***** hat die Klägerin von der beklagten Tiroler Gebietskrankenkasse von 4. April 2011 bis 25. Juli 2011 Wochengeld (aus dem Kinderbetreuungsgeld) in täglicher Höhe von 26,15 EUR und bis 25. Juli 2012 Kinderbetreuungsgeld bezogen.

Nach der Geburt ihres zweiten Kindes hat die Klägerin vorerst mit ihrem Arbeitgeber eine Karenz bis zum 26. Mai 2013, also bis zum Ablauf des 2. Lebensjahres ihres zweiten Kindes L***** vereinbart. Mit Schreiben vom 16. September 2011 wurde diese gesetzliche Karenz nach dem Mutterschutzgesetz (MSchG) gemäß § 17 Abs 1 BAGS‑Kollektivvertrag (so genannte „Anschlusskarenz“) bis zum Ablauf des 3. Lebensjahres von L*****, somit bis zum 26. Mai 2014, verlängert.

Am 16. Juni 2014 wurde das dritte Kind der Klägerin, A*****, geboren. Mit ihrem Arbeitgeber vereinbarte die Klägerin daraufhin eine weitere Karenz nach dem MSchG von 12. August 2014 (Ende des Beschäftigungsverbots nach der Geburt des dritten Kindes) bis zum 15. Juni 2016.

Im April 2012 übersiedelte die Klägerin mit ihrer Familie nach Deutschland und lebt seitdem in Schleswig-Holstein, wo ihr Ehemann beschäftigt ist.

Mit Antrag vom 10. September 2014, bei der beklagten Partei eingelangt am 22. September 2014, beantragte die Klägerin bei der beklagten Partei die Ausgleichszahlung zum Kinderbetreuungsgeld in der Pauschalvariante 12+2 gemäß § 5c KBGG für den Zeitraum von 16. Juni 2014 bis 15. Juni 2015. Sie teilte der beklagten Gebietskrankenkasse mit, dass sie vom vorrangig zuständigen Staat Deutschland Elterngeld in der Höhe von 375 EUR monatlich für denselben Zeitraum, also gesamt 4.500 EUR, erhält.

Des Weiteren wurde der Klägerin mit Bescheid des Landesamtes für soziale Dienste Schleswig-Holstein vom 21. April 2015 Betreuungsgeld für ihre Tochter A***** vorläufig von 16. August 2015 bis 15. Juni 2017 gewährt. Diese Leistung wird unter anderem so lange gewährt, als das Kind nicht in einer Tageseinrichtung oder in der Kindestagespflege betreut wird. Derzeit wird A***** nicht in einer solchen Einrichtung betreut.

Mit Bescheid vom 29. September 2014 lehnte die beklagte Tiroler Gebietskrankenkasse den Antrag der Klägerin, ihr die Ausgleichszahlung zum Kinderbetreuungsgeld in der Pauschalvariante 12+2 gemäß § 5c KBGG für den Zeitraum von 16. Juni 2014 bis 15. Juni 2015 zu gewähren, mit der Begründung ab, dass bei ihr keine „Beschäftigung“ im Sinne der anzuwendenden VO (EG) 883/2004 vorliege.

Das Erstgericht sprach der Klägerin eine Ausgleichszahlung zum Kinderbetreuungsgeld in Höhe von 33 EUR pro Tag für den Zeitraum von 16. Juni 2014 bis 15. Juni 2015 unter Anrechnung des von Deutschland geleisteten Elterngeldes in Höhe von gesamt 4.500 EUR (375 EUR monatlich für denselben Zeitraum) zu.

Aufgrund ihrer Teilversicherung in der Pensionsversicherung nach § 8 Abs 1 Z 2 lit g ASVG (Betreuung eines Kindes innerhalb von 48 Monaten nach der Geburt im Inland bzw in einem EU‑Mitgliedstaat) unterliege die Klägerin dem unionsrechtlichen Beschäftigungsbegriff, weshalb Österreich nach der europäischen Sozialrechtskoordinierung leistungszuständig sei und die begehrte Ausgleichszahlung zum Kinderbetreuungsgeld zu erbringen habe.

Das Berufungsgericht änderte das Ersturteil im klageabweisenden Sinn ab und ließ die Revision im Hinblick auf das Fehlen höchstgerichtlicher Rechtsprechung zu der zu beantwortenden Rechtsfrage zu.

Die einjährige Anschlusskarenz der Klägerin sei aus unionsrechtlicher Sicht eine nicht bloß als vorübergehend zu wertende Unterbrechung der Zuständigkeit Österreichs, weshalb die Voraussetzungen für eine Anwendung der Fiktion der Beschäftigungsausübung nicht gegeben seien. Da keine „Beschäftigung“ iSd Art 11 Abs 3 lit a VO (EG) 883/2004 vorliege, seien die österreichischen Rechtsvorschriften nicht anzuwenden, woraus folge, dass die Leistungszuständigkeit Österreichs für die von der Klägerin begehrte Familienleistung zu verneinen sei.

Rechtliche Beurteilung

Die von der beklagten Partei beantwortete Revision der Klägerin ist aus dem vom Berufungsgericht genannten Grund zulässig; sie ist auch im Sinne einer Wiederherstellung des klagestattgebenden Ersturteils berechtigt.

In ihrer Revision macht die Klägerin (hier kurz zusammengefasst) geltend, dass der in § 24 KBGG enthaltene Beschäftigungsbegriff aufgrund seiner Stellung im Gesetz nur für das einkommensabhängige Kinderbetreuungsgeld gelte. Abgesehen davon könne der der Sozialrechtskoordinierung zugrunde liegende Beschäftigungsbegriff im österreichischen Recht nicht ausschließlich über das KBGG definiert werden; vielmehr seien sämtliche Rechtsvorschriften der sozialen Sicherheit – darunter auch kollektivvertragliche Regelungen – heranzuziehen. Die Anschlusskarenz nach § 17 BAGS-Kollektivvertrag sei einer Karenz nach dem MSchG gleichwertig und auch gleichzustellen, was dazu führe, dass im Fall der Klägerin von einer durchgehenden Beschäftigung auszugehen sei, zumal das Arbeitsverhältnis dem Grunde nach fortbestehe. Die Nichtgewährung des begehrten Kinderbetreuungsgeldes würde im Übrigen zu einer Diskriminierung der Klägerin infolge Inanspruchnahme der Freizügigkeit (Übersiedlung nach Deutschland) führen, denn sie hätte dann, wenn sie in Österreich geblieben wäre, zweifellos Anspruch auf das pauschale Kinderbetreuungsgeld.

Dazu ist auszuführen:

1. Da ein grenzüberschreitender Sachverhalt zwischen Österreich und Deutschland vorliegt, ist zum Zweck der Koordinierung die VO (EG) 883/2004 heranzuziehen. Die VO gilt gemäß ihrem Art 3 Abs 1 lit j für Rechtsvorschriften, die Familienleistungen betreffen. Das österreichische Kinderbetreuungsgeld ist eine solche Familienleistung im Sinne der VO (Spiegel in Spiegel, Zwischenstaatliches Sozialversicherungsrecht [44. Lfg, 2014] Art 1 VO 883/2004 Rz 80; RIS‑Justiz RS0122905).

2. Art 67 VO (EG) 883/2004 normiert einen Anspruch auf Export von Familienleistungen. Ob Österreich für die Erbringung von Familienleistungen (und damit auch für den etwaigen Export in einen anderen Mitgliedstaat) zuständig ist, ist auf der Grundlage der kollisionsrechtlichen Vorschriften der Art 11 ff der VO (EG) 883/2004 zu beurteilen. Leistungszuständig dafür ist jener Mitgliedstaat, dessen Rechtsvorschriften nach den Art 11 ff der Verordnung anwendbar sind.

2.1. Art 11 Abs 3 der VO (EG) 883/2004 regelt, welche Rechtsordnung zur Anwendung kommt. Nach Art 11 Abs 3 lit a der VO (EG) 883/2004 ist – unabhängig vom Wohnsitz – in erster Linie jener Mitgliedstaat zuständig, in dem eine Person einer Beschäftigung nachgeht oder eine selbständige Erwerbstätigkeit ausübt (Beschäftigungsstaat). Kann nicht an eine Beschäftigung angeknüpft werden, so ist gemäß Art 11 Abs 3 lit e VO (EG) 883/2004 der Wohnsitzmitgliedstaat zuständig.

Damit ist die Frage zu beantworten, ob die Klägerin in der hier fraglichen Zeit (Anschlusskarenz von 27. Mai 2013 bis 26. Mai 2014) in Österreich einer Beschäftigung nachging.

2.2. Der Begriff „Beschäftigung“ wird in Art 1 lit a VO (EG) 883/2004 definiert als „jede Tätigkeit oder gleichgestellte Situation, die für die Zwecke der Rechtsvorschriften der sozialen Sicherheit des Mitgliedstaats, in dem die Tätigkeit ausgeübt wird oder die gleichgestellte Situation vorliegt, als solche gilt“. Als weitere Begriffsbestimmung enthält der Beschluss Nr F1 der Verwaltungskommission vom 12. Juni 2009 zur Auslegung des Art 68 der VO 883/2004 die Regelung, wonach der Ausübung einer Erwerbstätigkeit etwa ein unbezahlter Urlaub zum Zwecke der Kindererziehung gleichgestellt ist, solange ein solcher Urlaub nach nationalem Recht einer Beschäftigung oder Erwerbstätigkeit gleichgestellt ist.

2.3. Nach Art 11 Abs 2 der Verordnung wird unter bestimmten Umständen eine Beschäftigung fingiert. Diese Regelung ist eine Neuerung gegenüber der Vorgängerverordnung (EWG) 1408/71 und soll kurzfristige Zuständigkeitsänderungen bei vorübergehender Einstellung der Erwerbstätigkeit und kurzfristigem Bezug von Geldleistungen der sozialen Sicherheit verhindern (Pöltl in Spiegel, Zwischenstaatliches Sozialversicherungsrecht [38. Lfg, 2013] Art 11 VO 883/2004 Rz 7).

3. Zur Beurteilung, ob eine Beschäftigung iSd VO vorliegt, ist – wie bereits in Punkt 2.2. dargestellt – auf den nationalen Beschäftigungsbegriff abzustellen.

3.1. Ein nationaler Beschäftigungsbegriff findet sich in Österreich in § 24 Abs 2 KBGG. Nach dieser Bestimmung in der von 1. Jänner 2014 bis 28. Feburar 2017 (§ 50 Abs 14 KBGG) geltenden Fassung versteht man „unter Erwerbstätigkeit im Sinne dieses Bundesgesetzes ... die tatsächliche Ausübung einer in Österreich sozialversicherungspflichtigen Erwerbstätigkeit. Als der Ausübung einer sozialversicherungspflichtigen Erwerbstätigkeit gleichgestellt gelten Zeiten der vorübergehenden Unterbrechung dieser zuvor mindestens 6 Monate andauernden Erwerbstätigkeit während eines Beschäftigungsverbotes nach dem Mutterschutzgesetz 1979 (MSchG), BGBl Nr. 221, oder gleichartigen anderen österreichischen Rechtsvorschriften, sowie Zeiten der vorübergehenden Unterbrechung dieser zuvor mindestens 6 Monate andauernden Erwerbstätigkeit zum Zwecke der Kindererziehung während Inanspruchnahme einer Karenz nach dem MSchG oder Väter-Karenzgesetz (VKG), BGBl. Nr. 651/1989, oder gleichartigen anderen österreichischen Rechtsvorschriften, bis maximal zum Ablauf des zweiten Lebensjahres eines Kindes“.

3.2. § 24 Abs 2 KBGG wurde mit dem Bundesgesetz BGBl I 2009/116 mit Wirkung vom 1. Jänner 2010 – mit der Schaffung des einkommensabhängigen Kinderbetreuungsgeldes – in das KBGG eingefügt (§ 49 Abs 22 KBGG). In diesem Kontext erachtete es der Gesetzgeber als notwendig, den Begriff der Erwerbstätigkeit zu definieren. Die Gesetzesmaterialien (ErläutRV 340 BlgNR 24. GP  16) führen dazu aus:

Zusätzlich steht das einkommensabhängige Kinderbetreuungsgeld nur vor der Geburt tatsächlich erwerbstätigen Eltern offen. Dabei muss es sich um eine in Österreich sozialversicherungspflichtige Erwerbstätigkeit handeln, eine Selbstversicherung, freiwillige Weiterversicherung, Mitversicherung etc. reicht nicht aus. Irrelevant ist, ob die Erwerbstätigkeit in Österreich ausgeübt wird, sofern die Sozialversicherungspflicht in Österreich bestehen bleibt (Entsendung) und alle anderen Anspruchsvoraussetzungen (zB Lebensmittelpunkt in Österreich) erfüllt sind.

Die Erwerbstätigkeit muss durchgehend in den letzten sechs Monaten vor Geburt tatsächlich ausgeübt werden. Sehr geringfügige Unterbrechungen (das sind solche von bis zu 14 Tagen) sind zulässig, um Härtefälle zu vermeiden. Keine Unterbrechung der tatsächlichen Ausübung der Erwerbstätigkeit stellen Zeiten des Erholungsurlaubes oder der Krankheit dar (unter der Voraussetzung, dass die Sozialversicherungspflicht aus der Erwerbstätigkeit aufrecht bleibt, wie es etwa bei arbeitsrechtlicher Entgeltfortzahlung der Fall ist).

Zeiten des Beschäftigungsverbotes nach MSchG (Mutterschutz) werden Zeiten der tatsächlichen Ausübung einer Erwerbstätigkeit gleichgestellt. Ebenso fallen darunter Beschäftigungsverbote nach anderen gleichartigen österreichischen Rechtsvorschriften, (zB LAG), dazu gehören aber auch Zeiten der dem Beschäftigungsverbot vergleichbaren Situation etwa einer Landwirtin, Selbständigen oder Gewerbetreibenden mit nach GSVG oder BSVG für diese Zeiten gewährter Betriebshilfe bzw. gewährtem Wochengeld. Ebenfalls unter die Gleichstellungsbestimmung fallen Zeiten des Wochengeldbezuges vor der Geburt des Kindes infolge einer Ablaufhemmung gemäß § 10a MSchG (Fortwirken der Erwerbstätigkeit bis zur Geburt des Kindes).

Weiters gelten Zeiträume, in denen die Erwerbstätigkeit unterbrochen wurde, um sich der Kindererziehung zu widmen, als der tatsächlichen Ausübung einer Erwerbstätigkeit gleichgestellt, sofern es sich um Zeiten der gesetzlichen Karenz nach dem MSchG oder VKG handelt (aufrechtes, ruhendes Dienstverhältnis). Darunter fällt auch eine der einer Karenz nach MSchG und VKG nachgebildeten Karenz nach anderen gleichartigen österreichischen Rechtsvorschriften, (zB LAG), dazu gehören aber auch Zeiten der einer solchen Karenz vergleichbaren Situation, etwa die einer Selbständigen oder Gewerbetreibenden, die ihr Gewerbe anlässlich der Geburt eines Kindes zum Zwecke der Kindererziehung ruhend meldet (nicht jedoch abmeldet).

3.3. Nach der bisher zum KBGG ergangenen Rechtsprechung des Obersten Gerichtshofs enthält § 24 Abs 2 KBGG in Form der Definition der Erwerbstätigkeit auch eine nationale Definition des Begriffs der „Beschäftigung“ iSd Art 1 lit a VO (EG) 883/2004 für den sachlichen Anwendungsbereich des Kinderbetreuungsgeldes, und zwar sowohl für das pauschale als auch für das einkommensabhängige Kinderbetreuungsgeld (RIS‑Justiz RS0130043; OGH 10 ObS 117/14z, SSV‑NF 29/13 = EvBl 2016/4, 32 [Niksova] = ZAS 2016/5, 33 [Petric] = DRdA 2016/3, 37 [Kunz]; 10 ObS 148/14h, DRdA 2016/29, 259 [Rief]).

Da bereits – wie im Folgenden gezeigt werden wird – die Interpretation des Beschäftigungsbegriffs nach § 24 Abs 2 KBGG zu einer Qualifikation der Klägerin als „Beschäftigte“ führt, kann offen bleiben, ob im Anwendungsbereich des KBGG ein eigener, sowohl für das einkommensabhängige als auch das pauschale Kinderbetreuungsgeld anwendbarer Beschäftigungsbegriff gilt oder ob auf einen allgemeinen sozialrechtlichen Beschäftigungsbegriff abzustellen ist.

4. Sowohl der Oberste Gerichtshof als auch der EuGH hatten bereits vergleichbare Fälle betreffend den Beschäftigungsbegriff im Fall einer vereinbarten Karenz bzw im Fall des Bezugs von Krankengeld zu entscheiden.

4.1. Aufgrund eines vom Obersten Gerichtshof zu 10 ObS 122/09b (RIS‑Justiz RS0125484) gestellten Vorabentscheidungsersuchens verwies der EuGH in seiner Entscheidung in der Rechtssache C‑516/09, Borger, ECLI:EU:C:2011:136, auf seine frühere Rechtsprechung (C‑543/03, Dodl und Oberhollenzer, ECLI:EU:C:2005:364, Rn 34), wonach eine Person dann Arbeitnehmereigenschaft iSd VO (EWG) 1408/71 besitze, wenn sie auch nur gegen ein einziges Risiko im Rahmen eines der in Art 1 lit a dieser VO genannten allgemeinen oder besonderen Systeme der sozialen Sicherheit pflichtversichert oder freiwillig versichert ist, und zwar unabhängig vom aufrechten Bestehen eines Arbeitsverhältnisses. Den Hintergrund der Entscheidung bildete die Frage, ob eine Mutter, die nach Ende der zweijährigen gesetzlichen Karenzierung ihres Arbeitsverhältnisses nach der Geburt eines Kindes mit ihrem (österreichischen) Arbeitgeber eine weitere Karenzierung für ein halbes Jahr vereinbart hatte und während der Karenzzeit mit ihrem Mann und ihrem Kind in die Schweiz gezogen war, weiterhin als Beschäftigte iSd Art 1 lit a der VO (EWG) 1408/71 gilt.

4.2. Seiner Folgeentscheidung 10 ObS 35/11m (SSV‑NF 25/39 = DRdA 2012/43, 493 [Holzmann-Windhofer]) legte der Oberste Gerichtshof – im Sinne der bindenden Rechtsansicht des EUGH – zugrunde, dass der Klägerin die Arbeitnehmereigenschaft iSd Art 1 lit a VO (EWG) 1408/71 auch während des Zeitraums der sechsmonatigen Verlängerung der Karenz zukomme, weil sie während dieser Zeit nach § 8 Abs 1 Z 2 lit g ASVG als Teilversicherte in die Pensionsversicherung einbezogen war. Die Voraussetzung der Erziehung eines Kindes in den ersten 48 Lebensmonaten im Inland liege vor, weil das Erfordernis einer Erziehung im Inland zur Vermeidung einer Diskriminierung so zu verstehen ist, dass auch ein Erziehung des Kindes in der Schweiz unschädlich ist (vgl 10 ObS 61/02x, SSV‑NF 16/20, die Folgeentscheidung zu EuGH C‑28/00, Kauer, ECLI:EU:C:2002:82). In diesem Sinn bejahte der Oberste Gerichtshof den Anspruch der Klägerin auf Familienleistungen im Zeitraum der sechsmonatigen Verlängerung der Karenz.

4.3. Im Fall 10 ObS 117/14z (SSV‑NF 29/13 = EvBl 2016/4, 32 [Niksova] = ZAS 2016/5, 33 [Petric] = DRdA 2016/3, 37 [Kunz]) bezog eine in Tschechien wohnhafte tschechische Staatsbürgerin, die in Österreich beschäftigt gewesen war, zuerst Krankengeld ohne parallele Entgeltfortzahlung und sodann Wochengeld und nahm anschließend eine Karenzierung ihres Arbeitsverhältnisses in Anspruch. Sie begehrte pauschales Kinderbetreuungsgeld in der Variante 30+6. Zu beurteilen war, ob die Zeiten des Bezugs von Krankengeld als Beschäftigung iSd VO (EG) 883/2004 anzusehen sind.

Der Oberste Gerichtshof qualifizierte die Zeit des Bezugs von Krankengeld in kollisionsrechtlicher Hinsicht als „Beschäftigung“ iSd Art 11 Abs 2 der VO (EG) 883/2004. In seinen weiteren Überlegungen ging der Oberste Gerichtshof auch auf den Fall ein, dass bei einem vereinbarten Karenzurlaub von 2 ½ Jahren der durch zwei Jahre gegebene Anspruch auf Kinderbetreuungsgeld während der letzten sechs Monate wieder verloren gehen würde, weil für diesen Zeitraum die Tschechische Republik leistungszuständig wäre. Der Gerichtshof folgt hier der von Spiegel (Familienleistungen aus der Sicht des europäischen Gemeinschaftsrechts, in Mazal [Hrsg], Die Familie im Sozialrecht [2009] 89 [117]) befürworteten durchgehenden Fiktion der Ausübung der Erwerbstätigkeit im Fall, dass ein Beschäftigungsverhältnis lediglich vorübergehend unterbrochen wird, dem Grunde nach aber fortbesteht, und dies nach nationalem Recht zumindest zu einer Teilversicherung führt (siehe auch RIS‑Justiz RS0130045).

5. Die Literatur in Österreich hat sich in den letzten Jahren speziell mit der unter Punkt 4. angeführten EuGH- und OGH-Rechtsprechung auseinandergesetzt.

5.1. In ihrer Anmerkung zur Entscheidung 10 ObS 35/11m behandelt Holzmann-Windhofer die Frage, wie der Fall nach den Änderungen bei der Koordinierung der Familienleistungen durch die VO (EG) 883/2004 zu lösen gewesen wäre (DRdA 2012, 493 [496]). Sie verweist auf die Gesetzesmaterialien zu § 24 Abs 2 KBGG, nach denen ausschließlich ein Beschäftigungsverbot oder eine gesetzliche Karenz nach dem MSchG bzw dem VKG (bzw gleichartigen anderen österreichischen Gesetzen) bis maximal zum 2. Geburtstag des Kindes einer tatsächlich ausgeübten Erwerbstätigkeit/Beschäftigung gleichgestellt ist (ErläutRV 340 BlgNR 24. GP  16). Holzmann-Windhofer gelangt zu dem Ergebnis, dass dann, wenn in der Rechtssache Borger bereits die VO (EG) 883/2004 anzuwenden gewesen wäre, nach Ablauf der zweijährigen gesetzlichen Karenzierung kein Anspruch ab Beginn des Sonderurlaubs bestanden hätte, da der darüber hinausgehende Zeitraum nicht einer Beschäftigung gleichgestellt sei.

5.2. Nach Rief (Zuständigkeit für Familienleistungen – aktuelle EuGH-Judikatur und die neue Rechtslage, DRdA 2011, 480 [484]) sei dagegen die zur VO (EWG) 1408/71 ergangene EuGH-Rechtsprechung auch auf die VO (EG) 883/2004 zu übertragen, da sich die allgemeinen Zuständigkeitsregelungen in Art 13 Abs 2 lit a und f der VO (EWG) 1408/71 inhaltlich kaum von jenen in Art 11 Abs 3 lit a und e der VO (EG) 883/2004 unterscheiden würden.

In diesem Zusammenhang ist allerdings darauf hinzuweisen, dass Veränderungen der Begriffsdefinitionen in Art 1 der beiden Verordnungen vorgenommen wurden: Während der Arbeitnehmerbegriff in Art 1 lit a VO (EWG) 1408/71 auf eine Pflichtversicherung zumindest in einem Zweig eines Systems der sozialen Sicherheit abstellt, definiert Art 1 lit a der VO (EG) 883/2004 den Begriff Beschäftigung als „jede Tätigkeit oder gleichgestellte Situation, die für die Zwecke der Rechtsvorschriften der sozialen Sicherheit des Mitgliedstaats, in dem die Tätigkeit ausgeübt wird oder die gleichgestellte Situation vorliegt, als solche gilt“. Außerdem wurde mit 1. Jänner 2010 in Österreich § 24 Abs 2 KBGG eingeführt, der bestimmt, wann (zumindest im Anwendungsbereich des KBGG) eine Erwerbstätigkeit bzw eine gleichgestellte Situation vorliegt.

5.3. An der Entscheidung 10 ObS 117/14z übte Petric insofern Kritik, als ihres Erachtens auf einen allgemeinen sozialrechtlichen (und nicht spezifisch KBGG-bezogenen) Beschäftigungsbegriff abzustellen gewesen wäre (ZAS 2016, 33 [39 f]).

5.4. Kunz bezeichnet in seiner Glosse zu 10 ObS 117/14z die Aussagen des Obersten Gerichtshofs zur Zuständigkeit bei freiwilliger Karenzverlängerung als überraschend und stellt sich die spannende Frage, inwieweit diese Rechtsprechung auch für andere Sozialleistungen als das Kinderbetreuungsgeld weiterentwickelt wird (DRdA 2016, 37 [41]).

5.5. In ihrer Besprechung der Entscheidung 10 ObS 117/14z stimmt Niksova dem Obersten Gerichtshof im Ergebnis zu. Die vom Obersten Gerichtshof hinsichtlich der verlängerten Karenz gewählte Lösung über eine „durchgehende Fiktion der Ausübung der Erwerbstätigkeit“ führe nach Niksova zwar zum gewünschten Ergebnis in dem zu entscheidenden Fall, die Rechtsgrundlage lasse der Oberste Gerichtshof aber offen. Die Autorin weist weiters darauf hin, dass insgesamt nach dieser Entscheidung unklar bleibe, welcher Beschäftigungsbegriff generell zur Bestimmung des Sozialrechtsstatus in Art 11 Abs 3 lit a VO (EG) 883/2004 heranzuziehen sei (ÖJZ 2016, 32 [37]).

5.6. Wie bereits unter Punkt 4.3. angeführt, spricht sich Spiegel für die Fälle einer verlängerten Karenz bis zur Maximaldauer des Bezugs von Kinderbetreuungsgeld von 2 ½ Jahren für eine durchgehende Fiktion der Ausübung einer Erwerbstätigkeit aus. Seines Erachtens sei die Dauer des möglichen Bezugs von Kinderbetreuungsgeld während eines aufrechten Dienstverhältnisses ein einheitliches Sachverhaltselement, das für eine durchgehende Fiktion der Ausübung einer Erwerbstätigkeit spreche. Es müsse aber eine Abgrenzung von sonstigen Karenzurlauben gemacht werden. Klarerweise könne ein Arbeitnehmer, der mit seinem Dienstgeber einen fünfjährigen Karenzurlaub vereinbare, um eine Weltreise zu machen oder sich fortzubilden, nicht mehr als jemand gelten, der – für den Anspruch auf Familienleistungen – eine Erwerbstätigkeit ausübt (Spiegel, Familienleistungen aus der Sicht des europäischen Gemeinschaftsrechts, in Mazal [Hrsg], Die Familie im Sozialrecht [2009] 89 [117]).

6. Wird entsprechend Art 1 lit a der VO (EG) 883/2004 auf den nationalen Beschäftigungsbegriff zurückgegriffen, so liegt – im Anwendungsbereich des KBGG – nach § 24 Abs 2 KBGG eine Beschäftigung vor, wenn eine Erwerbstätigkeit ausgeübt wird oder eine gleichgestellte Situation vorliegt. Als gleichgestellte Situation wird in dieser Vorschrift eine Karenz bis zum 2. Lebensjahr des Kindes genannt.

6.1. Wie der Oberste Gerichtshof in der Entscheidung 10 ObS 117/14z unter Bezugnahme auf Spiegel ausgeführt hat, ist im Fall einer vereinbarten Karenz in der Dauer von 2 ½ Jahren und einem 2 ½-jährigem Bezug von Kinderbetreuungsgeld der gesamte Zeitraum von 2 ½ Jahren als einheitlicher Sachverhalt zu beurteilen, in dem die Fiktion der Ausübung einer Erwerbstätigkeit gilt. Weiters stellte der Oberste Gerichtshof darauf ab, ob es sich lediglich um eine vorübergehende Unterbrechung des Arbeitsverhältnisses handelt, dieses dem Grunde nach aber fortbesteht und dies nach nationalem Recht zu einer Teilversicherung führt. Dementsprechend müssen drei Kriterien vorliegen, um das Vorliegen einer Beschäftigung auch nach dem 2. Lebensjahr eines Kindes zu bejahen:

– Das Beschäftigungsverhältnis darf nur vorübergehend unterbrochen sein,

– nach nationalem Recht muss zumindest eine Teilversicherung vorliegen und

– für die durchgehende Fiktion der Ausübung der Erwerbstätigkeit muss ein einheitliches Sachverhaltselement gegeben sein.

6.3. Im vorliegenden Fall befand sich die Klägerin in einer kollektivvertraglich vorgesehenen Anschlusskarenz bis zum 3. Lebensjahr des Kindes (§ 17 Abs 1 BAGS‑Kollektivvertrag); insofern ist von einer bloß vorübergehenden Unterbrechung der Beschäftigung auszugehen. Wie in der Rechtssache 10 ObS 117/14z bestand für die Klägerin im vorliegenden Fall nach § 8 Abs 1 Z 2 ASVG eine Pflichtversicherung in der Pensionsversicherung, weil sie ihr Kind in den ersten 48 Kalendermonaten nach der Geburt tatsächlich und überwiegend (hier zwar nicht im „Inland“, wohl aber im gleichgestellten EU‑Ausland) erzieht.

Zur durchgehenden Fiktion der Ausübung der Erwerbstätigkeit ist darauf hinzuweisen, dass die Klägerin zum Zweck der Kinderbetreuung eine kollektivvertraglich vorgesehene Karenz bis zum 3. Lebensjahr des Kindes in Anspruch genommen hat. Auf dieser Grundlage ist auch hier von einem einheitlichen Sachverhaltselement auszugehen, was für die Fiktion einer durchgehenden Ausübung einer Erwerbstätigkeit spricht.

Der Umstand, dass die Klägerin im hier fraglichen Zeitraum keine Kinderbetreuungsgeldleistung bezogen hat, spricht bei Heranziehung der oben genannten Kriterien nicht zwingend gegen die Fiktion einer Beschäftigung. Zwar hat nicht der Gesetzgeber selbst eine Verlängerung der Karenz ermöglicht, wohl aber die insoweit rechtssetzungsbefugten Kollektivvertragsparteien, die mit der Verlängerung erkennbar die Ermöglichung der Kindererziehung bei Aufrechterhaltung des Beschäftigungsverhältnisses bezwecken („im Anschluss an die Karenz gem MSchG bzw gem VKG“).

Zudem gehen die Gesetzesmaterialien davon aus, dass nicht nur die gesetzliche Karenzierung nach dem MSchG bzw dem VKG die Fiktion eines durchgehenden Beschäftigungsverhältnisses ermöglicht, sondern auch eine gleich gewichtig angesehene Situation wie die Ruhendmeldung des Gewerbes durch eine(n) selbständig Erwerbstätige(n) (ErläutRV 340 BlgNR 24. GP  16; siehe Punkt 3.2.).

6.4. Die Klägerin ist daher im fraglichen Zeitraum (27. Mai 2013 bis 26. Mai 2014), in dem sie eine kollektivvertraglich vorgesehene Anschlusskarenz zwischen dem 2. und dem 3. Lebensjahr ihres zweiten Kindes in Anspruch genommen hat, als Beschäftigte im Sinne der europäischen Sozialrechtskoordinierung zu qualifizieren. Dies führt in Bezug auf die im Zusammenhang mit der Geburt des dritten Kindes begehrte Ausgleichszahlung zum Kinderbetreuungsgeld zur Leistungszuständigkeit Österreichs, weshalb der geltend gemachte Anspruch der Klägerin auf Leistung einer Ausgleichszahlung zum Kinderbetreuungsgeld berechtigt ist.

7. In diesem Sinn ist der Revision der Klägerin dahin Folge zu geben, dass das der Klage stattgebende Ersturteil wiederhergestellt wird.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 77 Abs 1 Z 2 lit a iVm § 77 Abs 2 ASGG.

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