European Case Law Identifier: ECLI:AT:OGH0002:2017:010OBS00033.17A.0321.000
Spruch:
Der außerordentliche Revisionsrekurs wird gemäß § 526 Abs 2 Satz 1 ZPO mangels der Voraussetzungen des § 528 Abs 1 ZPO zurückgewiesen.
Begründung
Der Kläger war zwischen 2002 und 2011 als Arbeiter in der Feuerverzinkung der v***** GmbH verschiedenen Dämpfen und Stäuben sowie Schweißrauch und Temperaturunterschieden ausgesetzt.
Er begehrt die Wiederaufnahme des Verfahrens AZ 7 Cgs 246/14y des Landesgerichts Linz als Arbeits‑ und Sozialgericht, in welchem mit (in Rechtskraft erwachsenem) Urteil vom 30. 11. 2015 das Klagebehren, seine Atemwegserkrankung als Berufskrankheit anzuerkennen und ihm ab Eintritt des Versicherungsfalls eine mindestens 20‑%ige Versehrtenrente im gesetzlichen Ausmaß zu gewähren, abgewiesen wurde. Die außerordentliche Revision des Klägers gegen das bestätigende Urteil des Berufungsgerichts wurde vom Obersten Gerichtshof zu 10 ObS 44/16t zurückgewiesen.
Dem Urteil des Erstgerichts lag zugrunde, dass beim Kläger keine durch chemisch‑irritativ oder toxisch wirkende Stoffe verursachte Erkrankungen der tieferen Atemwege und der Lunge mit objektivem Nachweis einer Leistungsminderung von Atmung oder Kreislauf besteht, sondern eine schicksalhaft (und nicht eine berufsbedingt) erworbene Asthmaerkrankung vorliegt. Diese Feststellungen wurden mit einem – unter Berücksichtigung zahlreicher verschiedener medizinischer Unterlagen und einer Arbeitsplatzbeschreibung erstellten – lungenfachärztlichen Gutachten des Gerichtssachverständigen Dr. W***** P***** begründet. Rechtlich ging das Landesgericht Linz als Arbeits- und Sozialgericht davon aus, es liege keine Berufskrankheit im Sinn der Anlage 1 zu § 177 Abs 1 ASVG vor (in Frage kam die Berufskrankheit Nr 41 „durch chemisch‑irritativ oder toxisch wirkende Stoffe verursachte Erkrankungen der tieferen Atemwege und der Lunge mit objektivem Nachweis einer Leistungsminderung von Atmung oder Kreislauf“, weiters die Berufskrankheit Nr 30 „durch allergisierende Stoffe verursachte Erkrankung an Asthma bronchiale [einschließlich Rhinopathie], wenn und solange sie zur Aufgabe schädigender Tätigkeiten zwingt“).
Der Kläger begründet sein Begehren auf Wiederaufnahme mit einer von der Arbeitsmedizinischen Ambulanz der Universitätsklinik für Innere Medizin II des Allgemeinen Krankenhauses der Stadt Wien erstellten „Arbeitsmedizinischen Abklärung“. Er habe die Einholung eines Gutachtens dieser Spezialambulanz bereits im Hauptverfahren unter Hinweis darauf beantragt, dass die in der Spezialambulanz gegebenen Untersuchungsmöglichkeiten umfangreicher und genauer seien als jene des gerichtlichen Sachverständigen. Nachdem dieser Antrag erfolglos geblieben und das Hauptverfahren rechtskräftig abgeschlossen worden sei, habe er auf seine Eigeninitiative hin ein Gutachten der Spezialambulanz eingeholt. Dieses Gutachten habe nach Durchführung von Untersuchungen (einem genauen Lungenfunktionstest, einer High-Resolution‑CT‑Aufnahme der Lunge und einer extern durchgeführten speziellen Allergiediagnostik) multiple Sensibilisierungen gegenüber diversen Konservierungsmitteln und Additiva erbracht, wie sie hauptsächlich in Kühlschmierstoffen vorkommen. Seitens der Arbeitsmedizinischen Ambulanz sei daher am 17. 10. 2016 der Verdacht auf durch allergisierende Stoffe verursachtes Asthma bronchiale und Rhinopathie im Sinn einer Berufskrankheit Nr 30 der Anlage 1 zum ASVG an den zuständigen Unfallversicherungsträger gemeldet worden. Die Untersuchungen der Arbeitsmedizinischen Ambulanz hätten somit das Ergebnis erbracht, dass er während seiner Tätigkeit in der Feuerverzinkung der v***** GmbH an einer durch allergisierende Stoffe verursachten Berufskrankheit (Berufskrankheit Nr 30) erkrankt sei.
Das Erstgericht wies die Wiederaufnahmsklage vor Zustellung an die beklagte Partei (im Vorprüfungsverfahren) zurück. Der bloße Umstand, dass ein anderer Gutachter ein abweichendes Gutachten erstattet habe, stelle keinen Wiederaufnahmsgrund dar. Eine Wiederaufnahme wegen neuer Beweismittel sei außerdem nur zulässig, wenn die Partei ohne ihr Verschulden außerstande gewesen sei, das Beweismittel vor Schluss der Verhandlung erster Instanz vorzulegen. Der Kläger hätte während des gesamten Hauptverfahrens die Möglichkeit gehabt, von sich aus ein (Privat‑)Gutachten des von ihm gewünschten Gutachters einzuholen und dieses im Hauptverfahren zur Vorlage zu bringen.
Das Rekursgericht gab dem Rekurs des Klägers nicht Folge und sprach aus, dass der ordentliche Revisionsrekurs mangels einer gemäß § 528 Abs 1 ZPO erheblichen Rechtsfrage nicht zulässig sei.
Rechtliche Beurteilung
Die Zulässigkeit des gegen diese Entscheidung gerichteten Revisionsrekurses ist nach § 528 ZPO zu beurteilen. Es liegt zwar ein bestätigender Beschluss des Rekursgerichts vor. Dieser ist aber gemäß § 528 Abs 2 Z 2 ZPO nicht absolut unanfechtbar, weil die Wiederaufnahmsklage ohne Sachentscheidung aus formellen Gründen zurückgewiesen wurde.
Der Revisionsrekurs ist aber wegen Fehlens einer erheblichen Rechtsfrage gemäß § 528 Abs 1 ZPO zurückzuweisen.
1.1. Nach § 530 Abs 1 Z 7 ZPO berechtigen nur solche neuen Tatsachen und Beweismittel zur Wiederaufnahmsklage, deren Vorbringen und Benützung im früheren Verfahren eine der Partei günstigere Entscheidung herbeigeführt hätten. Dieser Wiederaufnahmsgrund soll der materiellen Wahrheit grundsätzlich in jenen Fällen zum Durchbruch verhelfen, in denen die tatsächlichen Entscheidungsgrundlagen unrichtig oder unvollständig waren (10 ObS 169/03f = RIS‑Justiz RS0044555 [T3] ua).
1.2. Nach ständiger Rechtsprechung ist ein nachträglich beigebrachtes Gutachten aber dann keine neue Tatsache, wenn das Thema des Gutachtens bereits im Hauptprozess bekannt war (RIS‑Justiz RS0044834). Dies gilt zB auch in einem Fall, in dem nach den Klagebehauptungen ein Arzt nach Abschluss des Hauptprozesses eine Stellungnahme abgegeben hat, deren Ergebnis von dem im Hauptprozess eingeholten Gutachten abweicht (RIS‑Justiz RS0044834 [T15]). Es kann daher – auch in Sozialrechtssachen – eine Wiederaufnahmsklage nicht darauf gestützt werden, dass ein anderer Sachverständiger später ein abweichendes Gutachten erstattet hat. Dazu bedürfte es weiterer Umstände, etwa des Nachweises, dass der im Hauptverfahren vernommene Sachverständige eine behauptete Zwischenerhebung in Wahrheit nicht durchgeführt habe oder dass die jüngeren Gutachten auf einer neuen wissenschaftlichen Methode basieren, die zum Zeitpunkt der Begutachtung im Hauptverfahren noch unbekannt war (RIS‑Justiz RS0044555 [T4]; Kodek in Rechberger, ZPO4 § 530 ZPO, Rz 15). Ebensowenig kann die Wiederaufnahmsklage allein darauf gestützt werden, dass spätere Tatsachen die objektive Unrichtigkeit des im Hauptprozess eingeholten Gutachtens ergeben haben (RIS‑Justiz RS0044834 [T6]).
1.3. Es wurde aber auch schon wiederholt ausgesprochen, dass einem nachträglichen Gutachten die Eignung als Wiederaufnahmsgrund dann nicht von vornherein abgesprochen werden könne, wenn das Gutachten des Hauptprozesses auf einer unzulänglichen Grundlage beruhte, die durch das neue Gutachten richtiggestellt oder vervollständigt wird. So wurde etwa im Verfahren 10 ObS 169/03f (RIS‑Justiz RS0044555 [T3]) die unrichtige Grundlage eines Sachverständigengutachtens mit der Begründung als tauglicher Wiederaufnahmsgrund angesehen, dass ein als Zeuge vernommener Arzt seine Aussage später widerrufen und das Gutachten – auch – auf dieser Aussage aufgebaut hatte.
2.1. Im vorliegenden Fall stützt der Kläger das Wiederaufnahmebegehren aber nicht auf vergleichbare Umstände, sondern auf erst nach Schluss der mündlichen Verhandlung erstellte Untersuchungsbefunde und die daraus von einer Arbeitsmedizinischen Ambulanz einer Universitätsklinik im Rahmen einer „Arbeitsmedizinischen Abklärung“ gezogene gutachterliche Schlussfolgerungen, die vom Ergebnis des Gutachtens im Hauptprozess abweichen. Die Atemwegserkrankung des Klägers und die Frage, ob diese Folge einer Berufskrankheit im Sinn der Anlage 1 zum ASVG ist, war aber bereits im Hauptprozess das zentrale Thema. Sollte der lungenfachärztliche Sachverständige seiner Verpflichtung, das Gutachten nach dem letzten Stand der Wissenschaft abzugeben und alle notwendigen oder zweckdienlichen Erweiterungen der Untersuchung anzuregen oder vorzunehmen (RIS‑Justiz RS0119439), zuwidergehandelt haben oder aus den zum Zeitpunkt seiner Untersuchung vorhandenen medizinischen Unterlagen und Befunde falsche Schlüsse gezogen oder zwingende Schlussfolgerungen unterlassen haben, hätte dies allenfalls zu einer im Vorverfahren zu bekämpfenden Unrichtigkeit seines Gutachtens geführt. Es begründet für sich allein aber nicht den Wiederaufnahmsgrund des § 530 Abs 1 Z 7 ZPO, wenn sich dies aus späteren Tatumständen ergeben sollte (RIS‑Justiz RS0044555 [T4, T5]). Dazu hätte es weiterer Umstände bedurft. Dass die Methode des Lungenfunktionstests, einer High‑Resolution‑CT‑Aufnahme oder der Vornahme von Allergietests zum Zeitpunkt der Erstellung des Gerichtsgutachtens noch nicht bekannt gewesen wären, wurde aber nicht behauptet, sondern nur der Versuch unternommen, die mangelnde Genauigkeit der dem Gerichtssachverständigen vorliegenden Untersuchungs-ergebnisse und die Unrichtigkeit dessen Sachverständigengutachtens darzutun.
2.2. Wenn der Kläger erstmals im Rekurs und Revisionsrekurs entsprechende Behauptungen nachzuholen versucht, indem er geltend macht, das Gerichtssachverständigengutachten habe auf unvollständigen Grundlagen beruht, weil es ohne Einholung eines Allergietests erstellt worden sei, ist dieses Vorbringen nicht nur wegen des im Rekurs‑ und Revisionsrekursverfahrens geltenden Neuerungsverbots nicht zu berücksichtigen (10 ObS 104/06a), sondern auch schon im Hinblick darauf, dass im Vorprüfungsverfahren nach § 538 ZPO eine Schlüssigkeitsprüfung der Wiederaufnahmsklage vorzunehmen ist. Es ist die Richtigkeit der Klagebehauptungen zu unterstellen und auf dieser Grundlage eine rechtliche Beurteilung dahin vorzunehmen, ob der Rechtsmittelklage Erfolg beschieden sein würde. Ergibt die Prüfung, dass die Klage schon aufgrund des eigenen Vorbringens des Klägers aus rechtlichen Erwägungen oder wegen absoluter Untauglichkeit des Rechtsmittelklagegrundes erfolglos bleiben müsste, so ist sie unschlüssig und daher iSd § 538 ZPO unzulässig (RIS‑Justiz RS0044631; Jelinek in Fasching/Konecny 2 § 538 ZPO Rz 5).
3. Nach ständiger Rechtsprechung steht der im Vorprüfungsverfahren über eine Rechtsmittelklage gemäß § 538 Abs 1 ZPO angeordnete Ausschluss einer öffentlichen mündlichen Verhandlung mit den nach Art 6 Abs 1 EMRK erforderlichen Verfahrensgarantien im Einklang. Gemäß § 526 Abs 1 ZPO bedarf es dann auch in höherer Instanz keiner öffentlichen mündlichen Verhandlung, um über die Berechtigung eines Rechtsmittels gegen einen Beschluss des Erstgerichts, mit dem die Rechtsmittelklage im Vorprüfungsverfahren zurückgewiesen wurde, konventionsgemäß abzusprechen. Dies ist darin begründet, dass im Revisionsverfahren (Rekursverfahren) – in den durch die Rechtsnatur dieses Verfahrens gezogenen Grenzen – eine uneingeschränkte Prüfungskompetenz gegeben ist (RIS‑Justiz RS0118298).
4. Wenn die Vorinstanzen im vorliegenden Fall die Wiederaufnahmsklage bereits im Vorprüfungsverfahren gemäß § 538 Abs 1 ZPO zurückgewiesen haben, steht dies im Einklang mit den dargelegten Grundsätzen der Rechtsprechung.
Einer weiteren Begründung bedarf dieser Beschluss nicht (insbesondere auch nicht zur Frage des mangelnden Verschuldens iSd § 530 Abs 2 ZPO).
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