OGH 6Ob140/16f

OGH6Ob140/16f30.1.2017

Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht durch den Senatspräsidenten Hon.‑Prof. Dr. Kuras als Vorsitzenden und durch die Hofräte Dr. Schramm, Dr. Gitschthaler, Univ.‑Prof. Dr. Kodek und Dr. Nowotny als weitere Richter in der Rechtssache der klagenden Partei W* GmbH, *, vertreten durch Münzker & Riehs Rechtsanwälte OG in Wien, sowie deren Nebenintervenientin K* GmbH, *, vertreten durch Doralt Seist Csoklich Rechtsanwalts‑Partnerschaft in Wien, gegen die beklagte Partei Mag. S*, vertreten durch Lattenmayer, Luks und Enzinger Rechtsanwälte GmbH in Wien, wegen 11.300 EUR sA, infolge Revision der beklagten Partei gegen das Urteil des Landesgerichts für Zivilrechtssachen Wien als Berufungsgericht vom 10. März 2016, GZ 36 R 335/15d‑79, womit das Urteil des Bezirksgerichts Hietzing vom 14. Juli 2015, GZ 6 C 923/13k‑69, bestätigt wurde, in nichtöffentlicher Sitzung zu Recht erkannt:

European Case Law Identifier: ECLI:AT:OGH0002:2018:E117402

Rechtsgebiet: Zivilrecht

 

Spruch:

 

Der Revision wird Folge gegeben.

Die Urteile der Vorinstanzen werden dahin abgeändert, dass die Entscheidung einschließlich der in Rechtskraft erwachsenen Teilabweisung des Klagebegehrens zu lauten hat:

„Das Klagebegehren, die beklagte Partei sei schuldig, der klagenden Partei 11.300 EUR samt 4 % Zinsen seit 14. 10. 2013 zu zahlen, wird abgewiesen.“

Die klagende Partei ist schuldig, der beklagten Partei die mit 13.777,59 EUR (davon 1.221,95 EUR USt und 6.467,84 EUR Barauslagen) bestimmten Kosten des Verfahrens erster Instanz und die mit 5.349,65 EUR (davon 2.695 EUR Barauslagen und 442,45 EUR USt) bestimmten Kosten des Rechtsmittelverfahrens binnen 14 Tagen zu ersetzen.

 

Entscheidungsgründe:

Mit Kaufvertrag vom 5. 3. 2010 verkaufte der klagende Bauträger dem Beklagten eine in Errichtung befindliche Eigentumswohnung samt Keller und Stellplatz zum Preis von insgesamt 565.000 EUR. Anstelle des vereinbarten Haftrücklasses wurde dem Beklagten eine Bankgarantie übergeben, die ausschließlich zur Regelung von Gewährleistungs‑ und Schadenersatzansprüchen aus dem Kaufvertrag diente. Die Wohnung wurde dem Beklagten am 15. 9. 2010 übergeben. Er zog wegen eines Mangels am 11. 9. 2013 die Haftrücklassgarantie, die ihm am 16. 10. 2013 auf seinem Konto gutgeschrieben wurde.

Die Klägerin begehrt vom Beklagten Zahlung von 11.300 EUR sA. Er habe die Bankgarantie rechtswidrigerweise gezogen, weil am Objekt keine Mängel mehr vorlägen.

Der Beklagte beantragt die Abweisung des Klagebegehrens. Einige Mängel seien erst nach Ziehung der Bankgarantie behoben worden. Nach wie vor bestehe für alle Kamine zum Anschluss von Zusatzöfen ein Heizverbot. Ursache der auftretenden Verrauchungsprobleme sei die fehlende bzw nicht ausreichende Dimensionierung der Verbrennungsluftströmung. Zur Problembehebung sei in allen Wohnungen die Küchenlüftung von Abluft auf Umluft umgestellt worden. Diese Arbeiten seien mangelhaft durchgeführt worden.

Das Erstgericht gab dem Klagebegehren mit 7.542,50 EUR sA statt und wies das Mehrbegehren ab. Der Beklagte könne nach den Bestimmungen des Kaufvertrags seine eigenen Schadenersatz‑ und Gewährleistungsansprüche gegen die Klägerin gesondert geltend machen und die Garantie ziehen, wenn die Eigentümergemeinschaft nicht innerhalb angemessener Frist Schritte zur Durchsetzung von Schadenersatz‑ und Gewährleistungsansprüchen, die allgemeine Teile des Hauses betreffen, setze oder der Eintritt der Verjährung dieser Ansprüche binnen drei Monate drohe. Beim Heizverbot handle es sich um einen wesentlichen Mangel, der allgemeine Teile der Liegenschaft beträfe, und behebbar sei. Fest stehe, dass dieser Mangel seit zumindest Ende 2011 sowohl der Klägerin als auch der Eigentümergemeinschaft bekannt gewesen sei. Bis jetzt seien zwar Lösungsmöglichkeiten gesucht worden, die Eigentümergemeinschaft habe aber keine gerichtlichen Schritte zur Durchsetzung der Gewährleistungsansprüche gegen die Klägerin gesetzt. Im Hinblick auf die zum Zeitpunkt der Ziehung der Bankgarantie drohende Verjährung sei der Beklagte nach dem Inhalt des Kaufvertrags berechtigt gewesen, die Garantie zu ziehen. Er habe im Verfahren die Behebung des festgestellten Mangels gefordert. Die Kosten der Behebung des Mangels betrügen 3.757,50 EUR. Jedenfalls in diesem Umfang sei der Kaufpreis noch nicht fällig und das Ziehen der Bankgarantie in diesem Ausmaß nicht rechtswidrig.

Das Berufungsgericht gab weder der Berufung der Klägerin noch jener des Beklagten Folge. Die Klägerin sei dem Beklagten gegenüber zur umfassenden Mängelbehebung verpflichtet, die eine Aufhebung des Heizverbots bewirke, schulde sie ihm doch die Möglichkeit des Aufstellens eines Kaminofens. Nach den Feststellungen sei im Jahr 2013 ein Gesamtlösungskonzept für die Vermeidung der Rauchgasaustritte noch nicht vorgelegen. Auch die Berufung des Beklagten sei nicht berechtigt. Abgesehen davon, dass die Garantie vertragsgemäß ausschließlich zur Regelung von Gewährleistungs‑ und Schadenersatzansprüchen aus dem Kaufvertrag diene, habe der Beklagte im Verfahren erster Instanz sein Leistungsverweigerungsrecht nicht geltend gemacht, sondern sich ausdrücklich darauf gestützt, dass die Behebungskosten der Mängel den Klagsbetrag überstiegen. Die in der Berufung erhobene Einrede des nicht erfüllten Vertrags verstoße gegen das Neuerungsverbot. Nach den festgestellten Vertragsbestimmungen sei der Beklagte nur berechtigt, sein eigenes Eigentumsobjekt betreffende Schäden, mögen ihre Ursachen auch in allgemeinen Teilen der Liegenschaft liegen, geltend zu machen, nicht aber solche, deren Auswirkungen andere Eigentümer zu erleiden hätten.

Rechtliche Beurteilung

Die nachträglich zugelassene, von der Klägerin beantwortete ordentliche Revision des Beklagten ist zulässig; sie ist auch berechtigt.

1. Der Haftrücklass (das vertragliche Recht des Bestellers/Käufers, einen Teil des Werklohns/Kaufpreises zurückzubehalten) oder die Haftrücklassgarantie (mit dem Zweck, den Begünstigten so zu stellen, als ob er die fragliche Summe noch gar nicht aus der Hand gegeben hätte) sollen Gewährleistungsansprüche sichern und somit auch den Anspruch des Bestellers/Käufers auf Verbesserung des mangelhaften Werks (der mangelhaften Kaufsache) (6 Ob 35/15p; 2 Ob 237/14p; 10 Ob 62/16i; RIS-Justiz RS0017002; RS0018098; RS0018099). Solange ein Verbesserungsanspruch besteht, wird die Fälligkeit des Werklohns (Kaufpreises) hinausgeschoben (2 Ob 237/14p; 10 Ob 62/16i je mwN; RIS-Justiz RS0019929). Die Vereinbarung einer Haftrücklassgarantie hat darauf keinen Einfluss, denn der Verkäufer (Werkunternehmer), der als Garantieauftraggeber vom garantiebegünstigten Käufer (Werkbesteller) die Rückzahlung der zu Unrecht abgerufenen Garantieleistungen begehrt, macht damit im Ergebnis nichts anderes als den restlichen Kaufpreis (Werklohn) geltend. Der Parteiwille ist regelmäßig allein darauf gerichtet, dass die Haftrücklassgarantie den Haftrücklass ersetzt, während sonst keine Veränderung der Rechtspositionen herbeigeführt werden soll. Nach dem Abruf der Garantie sind die Parteien so gestellt, als hätte der Käufer (Werkbesteller) den entsprechenden Teil des Kaufpreises (Werklohns) noch nicht gezahlt und der Verkäufer (Werkunternehmer) diesen Betrag noch nicht erhalten (8 Ob 19/15z; 10 Ob 62/16i je mwN).

2. Dem Garantieauftraggeber steht eine Rückforderung analog § 1431 ABGB gegen den Begünstigten zu, wenn der Begünstigte nach dem Valutaverhältnis zum Abruf der Bankgarantie nicht berechtigt war, weil die Lage des Auftraggebers, der zwar erkennt, dass die Garantie zu Unrecht abgerufen wird, aber wegen der abstrakten Ausgestaltung der von ihm in Auftrag gegebenen Bankgarantie die Leistung nicht mehr zu verhindern vermag, derjenigen des Irrenden rechtsähnlich ist (RIS‑Justiz RS0106545).

3. Wird eine qualitativ oder quantitativ mangelhafte Leistung angeboten oder erbracht, so steht dem Schuldner der Gegenleistung zur Sicherung seines Anspruchs auf Verbesserung die Einrede des nicht gehörig erfüllten Vertrags (§ 1052 ABGB) zu (RIS‑Justiz RS0018462). Bei behebbaren Mängeln kann er – außer bei Rechtsmissbrauch (RIS‑Justiz RS0021730) oder Verweigerung der notwendigen Mitwirkung (2 Ob 237/14p) – die gesamte Gegenleistung bis zur vollständigen Mängelbehebung zurückbehalten (RIS‑Justiz RS0018462; RS0018507; RS0021872). In der Entscheidung 5 Ob 36, 37/83 hat der Oberste Gerichtshof bereits ausgesprochen, dass der Käufer eine ihm zur Sicherung seines Mängelbehebungsanspruchs vom Verkäufer zwecks Freigabe des Restkaufpreises übergebene Bankgarantie in Ausübung seines Leistungsverweigerungsrechts zur Gänze abrufen darf, auch wenn der abgerufene Betrag den konkret erforderlichen Mängelbehebungsaufwand übersteigt.

4. Der zwischen den Streitteilen abgeschlossene Kaufvertrag ist ein Verbrauchergeschäft (§ 1 Abs 1 KschG). Für den Verbraucher (hier: den Beklagten) ist eine Vertragsbestimmung nicht verbindlich, wonach sein Recht, seine Leistung nach § 1052 ABGB bis zur Bewirkung oder Sicherstellung der Gegenleistung zu verweigern, für den Fall ausgeschlossen oder eingeschränkt wird, dass der Unternehmer seine Leistung nicht vertragsgemäß erbringt (§ 6 Abs 1 Z 6 KSchG). Diese Bestimmung erhält dem Verbraucher sein Leistungsverweigerungsrecht (Kathrein/Schoditsch in KBB4 § 6 KSchG Rz 12). Eine Klausel, wonach der Verbraucher nur den für die Mängelbehebung notwendigen Betrag zurückbehalten kann, ist daher unwirksam (2 Ob 523/94; 1 Ob 58/98f). Auf die Bestimmung im Kaufvertrag der Streitteile, wonach der Haftrücklass „bis zur Höhe der tatsächlichen Behebungskosten“ zusteht, wenn der Bauträger Mängel nicht behebt, und „dadurch sich die Haftrücklassgarantie aliquot“ reduziert, kann sich die Klägerin demnach nicht berufen. Die Klausel steht einer vollständigen Klagsabweisung nicht entgegen.

5. Das Leistungsverweigerungsrecht ist nicht von amtswegen, sondern nur über Einrede (des nicht [gehörig] erfüllten Vertrags) wahrzunehmen (RIS-Justiz RS0020997; RS0107733). Entgegen der Ansicht des Berufungsgerichts, die konsequenterweise zu einer Stattgebung der Berufung der Klägerin hätte führen müssen, ist dem Vorbringen des Beklagten in erster Instanz hinreichend deutlich zu entnehmen, dass er sein Leistungsverweigerungsrecht geltend macht. Er hat sich nämlich nicht nur darauf gestützt, dass die Behebungskosten den Klagsbetrag überstiegen, sondern brachte über Frage der Erstrichterin vor (ON 14, AS 135), „bezüglich der vorgebrachten Mängel Mängelbehebung durch die klagende Partei“ zu begehren. Damit ist klar zum Ausdruck gebracht, die mit der Klage im Ergebnis geforderte Zahlung des Restkaufpreises zu verweigern, solange die behebbaren Mängel nicht behoben sind.

6. Da – im Revisionsverfahren unstrittig – der Kaufgegenstand einen behebbaren Mangel aufweist, den die Klägerin nicht behoben hat, ist der Beklagte berechtigt, den als Haftrücklass vereinbarten, durch eine Bankgarantie sichergestellten Betrag gegenüber der – die restliche Kaufpreiszahlung fordernden – Klägerin zurückzubehalten. Der Revision war daher stattzugeben.

7. Die Kostenentscheidung beruht auf §§ 41, 50 Abs 1 ZPO. Für die Urkundenvorlage gebührt die Entlohnung nach TP 1 RATG. Ein Streitgenossenzuschlag ist nach § 19a GGG für die Pauschalgebühren im Rechtsmittelverfahren zu entrichten, steht doch auch der Nebenintervenient der Klägerin dem Beklagten als Rechtsmittelgegner gegenüber.

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