OGH 6Ob245/16x

OGH6Ob245/16x22.12.2016

Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht durch den Senatspräsidenten Hon.‑Prof. Dr. Kuras als Vorsitzenden und die Hofräte Dr. Schramm, Dr. Gitschthaler, Univ.‑Prof. Dr. Kodek und Dr. Nowotny als weitere Richter in der Rechtssache der klagenden Partei H***** S*****, vertreten durch Gheneff‑Rami‑Sommer Rechtsanwälte OG in Wien, gegen die beklagte Partei U***** S*****, vertreten durch Dr. Georg Zanger, Rechtsanwalt in Wien, wegen Unterlassung (Streitwert 35.000 EUR), über die außerordentliche Revision der klagenden Partei gegen das Urteil des Oberlandesgerichts Linz als Berufungsgericht vom 9. November 2016, GZ 1 R 172/16v‑13, in nichtöffentlicher Sitzung den

Beschluss

gefasst:

European Case Law Identifier: ECLI:AT:OGH0002:2016:0060OB00245.16X.1222.000

 

Spruch:

Die außerordentliche Revision wird gemäß § 508a Abs 2 ZPO mangels der Voraussetzungen des § 502 Abs 1 ZPO zurückgewiesen (§ 510 Abs 3 ZPO).

Begründung

Rechtliche Beurteilung

1.1. Kritik an politischen Tätigkeiten ist im Interesse einer funktionierenden Demokratie grundsätzlich zulässig (vgl RIS‑Justiz RS0031832). Solange bei wertenden Äußerungen die Grenzen zulässiger Kritik nicht überschritten werden, kann auch massive, in die Ehre eines anderen eingreifende Kritik, die sich an konkreten Fakten orientiert, zulässig sein (RIS‑Justiz RS0054817; ähnlich RS0082182).

1.2. Bei Politikern ist grundsätzlich ein großzügiger Maßstab anzulegen, weil sich diese unvermeidlich und willentlich einer genauen Beurteilung jeder ihrer Worte und Taten nicht nur durch Journalisten und das breitere Publikum, sondern insbesondere auch durch den politischen Gegner aussetzen (RIS‑Justiz RS0075552). Da die Freiheit der politischen Debatte einer der Pfeiler des Konzepts einer demokratischen Gesellschaft ist, sind die Grenzen einer vertretbaren Kritik in Bezug auf einen Politiker, der in seiner öffentlichen Eigenschaft auftritt, weiter zu ziehen als in Bezug auf eine Privatperson (RIS‑Justiz RS0075552 [T1]). Die Freiheit der politischen Debatte sieht unter Umständen sogar verletzende oder beunruhigende Äußerungen als gerechtfertigt an (RIS‑Justiz RS0075552 [T8]). Im Rahmen politischer Debatten können selbst Beschimpfungen im Einzelfall gerechtfertigt sein (vgl 6 Ob 171/99m [„Hinterbänkler“]). Politiker müssen daher einen höheren Grad an Toleranz zeigen, im Speziellen, wenn sie selbst öffentliche Äußerungen tätigen, die geeignet sind, Kritik auf sich zu ziehen (RIS‑Justiz RS0054817 [T24]).

1.3. Damit eine beleidigende Äußerung gegenüber einem Politiker noch vom Recht auf freie Meinungsäußerung gedeckt sein kann, bedarf es des Konnexes zu einer politischen bzw im allgemeinen Interesse liegenden Debatte. Eine bewusst ehrverletzende Äußerung, bei der nicht die Auseinandersetzung mit der Sache, sondern die Diffamierung der Person im Vordergrund steht, wird nicht geschützt (RIS‑Justiz RS0054817 [T43]).

1.4. Ob im politischen Meinungsstreit eine den politischen Gegner treffende Äußerung noch im Sinne des Art 10 MRK gerechtfertigt erscheint, ist vor allem an der politischen Bedeutung der die eigene Sicht und Haltung ausdrückenden Stellungnahme, insbesondere im Zusammenhang mit dem politischen Verhalten des Betroffenen, an der dem Anlassfall und der Bedeutung des Aussageinhalts angepassten Form und Ausdrucksweise sowie dem danach zu unterstellenden Verständnis der Erklärungsempfänger zu messen (RIS‑Justiz RS0054830, RS075552 [T15]).

2. Wertende Äußerungen sind stets im Gesamtzusammenhang, in dem sie verbreitet wurden, zu beurteilen (RIS‑Justiz RS0031883 [T12]). Ob ein Ausdruck den Tatbestand nach § 1330 Abs 1 ABGB erfüllt, kann nur aus dem Zusammenhang, in dem er gebraucht wurde, beurteilt werden; der bloße, aus diesem Zusammenhang herausgehörte Wortsinn ist hiefür nicht ausreichend (RIS‑Justiz RS0031857). Eine isolierte Betrachtung ist unzulässig (vgl RIS‑Justiz RS0115948 [T4], RS0031749; vgl auch zum Lauterkeitsrecht RS0031883 [T24]). Die Frage, ob bestimmte, im Gesamtzusammenhang stehende Äußerungen eine Ehrverletzung darstellen, betrifft stets eine Entscheidung im Einzelfall (RIS‑Justiz RS0031869 [T2]).

3. Im vorliegenden Fall handelt es sich um einen längeren, auf Facebook veröffentlichten Text, in dem auf den neuen Bundeskanzler Kern Bezug genommen und daraus geschlossen wurde, im Vergleich mit Kern stehe der Kläger nun schlechter dar, weil Kern ein „cooler Typ“ sei, der Kläger hingegen nur „Hass und Hetze verbreite“. Aus dem Gesamtzusammenhang des Artikels ergibt sich, dass sich dieser darauf bezieht, dass der Kläger durch das Auftreten von Bundeskanzler Kern nach Einschätzung des Beklagten gewissermaßen überrascht wurde und seine bisherige Strategie nun nicht mehr fortführen könne. Vor diesem Hintergrund ist in der Auffassung der Vorinstanzen, die inkriminierten Äußerungen, der Kläger schaue „beschissen“ aus und „deppert aus der Wäsch“ seien noch Werturteile des Beklagten im Rahmen der politischen Debatte (Bewertung der überraschenden Änderung für das politische Konkurrenzverhältnis) und stellten keine Ehrenbeleidigung im Sinne des § 1330 Abs 1 ABGB dar, keine vom Obersten Gerichtshof im Interesse der Rechtssicherheit aufzugreifende Fehlbeurteilung zu erblicken.

4. Die Revision bringt daher keine Rechtsfragen der in § 502 Abs 1 ZPO geforderten Bedeutung zur Darstellung, sodass sie spruchgemäß zurückzuweisen war.

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