OGH 6Ob171/99m

OGH6Ob171/99m29.9.1999

Der Oberste Gerichtshof hat durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofes Mag. Engelmaier als Vorsitzenden und die Hofräte des Obersten Gerichtshofes Dr. Schiemer, Dr. Huber, Dr. Prückner und Dr. Schenk als weitere Richter in der Rechtssache der klagenden und gefährdeten Partei Anton H*****, vertreten durch Dr. Gottfried Korn und Dr. Peter Zöchbauer, Rechtsanwälte in Wien, gegen die beklagte Partei und Gegner der gefährdeten Partei L*****, vertreten durch Dr. Ewald Weiss, Rechtsanwalt in Wien, wegen Unterlassung, Widerrufs und Veröffentlichung (hier: wegen einstweiliger Verfügung) über den ordentlichen Revisionsrekurs der beklagten Partei und Gegners der gefährdeten Partei gegen den Beschluss des Oberlandesgerichtes Wien als Rekursgericht vom 7. April 1999, GZ 1 R 57/99f-13, womit der Beschluss des Landesgerichtes St. Pölten vom 15. Jänner 1999, GZ 1 Cg 244/98i-7, teilweise abgeändert wurde, den

Beschluss

gefasst:

 

Spruch:

Dem ordentlichen Revisionsrekurs wird Folge gegeben.

Die Entscheidungen der Vorinstanzen werden dahin abgeändert, dass der Beschluss lautet:

Der Antrag der klagenden und gefährdeten Partei auf Erlassung einer einstweiligen Verfügung des Inhaltes:

"Der beklagten ... Partei wird ab sofort bei sonstiger Exekution

geboten, die Behauptung und/oder Verbreitung der Äußerung, die

klagende und gefährdende Partei erblöde sich als SPÖ-Hinterbänkler zu

bestimmten Äußerungen und Verhaltensweisen, insbesondere dazu, die

beklagte ... Partei zu kriminalisieren, und/oder sinngleiche

Äußerungen zu unterlassen"

wird abgewiesen.

Die klagende und gefährdete Partei hat der beklagten Partei und Gegner der gefährdeten Partei die in allen Instanzen mit insgesamt S 26.024,40 (darin S 4.337,40 USt) bestimmten Kosten des Sicherungsverfahrens binnen 14 Tage zu ersetzen.

Text

Begründung

Der Kläger und Gefährdete (in der Folge: Kläger) ist seit April 1998 Abgeordneter zum Nationalrat und seit 1982 Bezirksgeschäftsführer der SPÖ S*****. Im Parlament wurde ihm ein Platz in der hintersten Reihe der SPÖ-Abgeordneten zugewiesen. Seit seiner Zugehörigkeit zum Nationalrat hat der Kläger zweimal das Wort erhoben und Debattenbeiträge geliefert.

Die beklagte Partei und Gegner der gefährdeten Partei (in der Folge: beklagte Partei) verfügt über eigene Rechtspersönlichkeit. Sie verbreitete am 16. 10. 1998 über das zweite Netz der APA folgende Presseaussendung:

"Der freiheitliche Pressedienst informiert:

Vorsicht SPÖ-Gerichtserfahrung!

Wien (OTS) - Ausgerechnet nach der Berichterstattung in der heutigen "Presse", dass ein SP-Bezirksgeschäftsführer in Verdacht steht, sich des schweren Verbrechens des Kindesmißbrauchs schuldig gemacht zu haben, erblödet sich der SPÖ Hinterbänkler H***** nicht, die Freiheitliche Partei zu kriminalisieren. Wenn jemand Gerichtserfahrung hat, dann ist es H***** selber.

Man wolle sich nur an den erst kürzlich verhängten Maulkorb für H***** erinnern. Das Gericht gab dem Antrag des Freiheitlichen Klubobmanns LAbg Franz M***** auf einstweilige Verfügung statt und untersagte es H*****, die falschen Aussagen, die Causa R***** - G***** betreffend, künftig zu wiederholen. Außerdem verlor H***** als Vertreter der SPÖ S***** mehrere Medienprozesse gegen S***** Mandatare der Freiheitlichen Partei.

Rückfragehinweis: FPÖ Landtagsclub NÖ".

Der Kläger wurde in einem gegen ihn geführten Strafverfahren (Privatanklage - und Medienrechtssache) mit Urteil vom 30. 1. 1998 vom Strafantrag, er habe als verantwortlicher Herausgeber und Verleger des "S***** Stadtexpress" das Verbrechen des § 113 StGB (Vorwurf einer schon abgetanen gerichtlich strafbaren Handlung) begangen, freigesprochen, weil er weder den betreffenden Artikel verfasst hat noch selbst, sondern vielmehr die SPÖ-Bezirksorganisation Medieninhaber, Herausgeber und Verleger der Zeitschrift sei. In insgesamt drei im Jahr 1997 gegen die SPÖ-Bezirksorganisation anhängigen Mediensachen verpflichtet sich diese zur Veröffentlichung bestimmter Erklärungen zu den jeweils inkriminierten Textpassagen. In einem weiteren, unter anderem gegen den Kläger gerichteten Medienverfahren wurde gemäß § 37 Abs 1 MedienG die Veröffentlichung einer Mitteilung, dass ein Verfahren anhängig sei, angeordnet. Beim Erstgericht ist ein Zivilrechtsstreit anhängig, in dem der FPÖ-Abgeordnete M***** den Kläger als dortigen Erstbeklagten und die SPÖ S***** als Zweitbeklagte wegen einer weiteren Veröffentlichung im "S***** Stadtexpress" in Anspruch nimmt.

Der Kläger begehrte, die beklagte Partei schuldig zu erkennen, die Behauptung und/oder Verbreitung der Äußerungen, 1) der SPÖ-Hinterbänkler H***** würde sich nicht erblöden, bestimmte Äußerungen zu tätigen, insbesondere die beklagte Partei zu kriminalisieren und 2) die klagende Partei hätte mehrere Medienprozesse gegen S***** Mandatare der Freiheitlichen Partei verloren und/oder sinngleiche Äußerungen zu unterlassen, weiters letztere Äußerung zu widerrufen und den Widerruf zu veröffentlichen. Zur Sicherung des ersteren Unterlassungsbegehrens beantragte er die Erlassung einer einstweiligen Verfügung mit dem aus dem Spruch ersichtlichen Inhalt. Diese Äußerungen seien ehrenbeleidigend und kreditschädigend. Sie beinhalteten eine simple und pauschale Missfallenskundgebung, ohne dass damit ein bestimmtes Verhalten des Klägers kritisiert werde. Damit sei das Wesensmerkmal des § 115 Abs 1 StGB erfüllt. Darüber hinaus sei der Vorwurf, der Kläger würde über Gerichtserfahrung verfügen, teils unwahr und teils irreführend.

Die beklagte Partei beantragte die Abweisung des Sicherungsbegehrens. In der betreffenden Aussendung heiße es ausdrücklich, dass sich der Kläger nicht erblöde, die FPÖ zu kriminalisieren, dass er also gerade nicht so blöd sei, über die SPÖ mit Vorhaltungen herzufallen. Der vom Kläger der Äußerung beigelegte Bedeutungsinhalt könne ihr nicht unterstellt werden. Selbst bei anderer Auffassung handle es sich aber bloß um eine in der politischen Auseinandersetzung zulässige Wertung im Sinne des Sprichwortes, dass derjenige nicht mit Steinen werfen solle, der selbst im Glashaus sitze.

Das Erstgericht wies das Sicherungsbegehren auf Unterlassung der Bezeichnung des Klägers als "SPÖ-Hinterbänkler" ab und erließ im übrigen (... der Kläger erblöde sich.....) die beantragte einstweilige Verfügung. Auch wenn die Wendung, "sich erblöden" oder "sich nicht erblöden" im Österreichischen Wörterbuch nicht vorkomme, könne diese sinngemäß nur bedeuten, dass jemand etwas in einer Art und Weise unternommen habe, die als "deppert, dumm, ungeschickt etc" - Begriffe, die im österreichischen Wörterbuch mit "blöd" gleichgesetzt würden - angesehen werde. Damit komme eine Beschimpfung und Missachtung der Person des Klägers zum Ausdruck. Der Durchschnittsleser lege dieser Äußerung durch das zusätzlich verwendete Wort "nicht" keinen anderen Sinn bei. Das Wort "Hinterbänkler" stelle jedoch keine Abwertung oder Beschimpfung dar, sondern sei als Kundgabe der eigenen Auffassung über das politische Gewicht des Genannten anzusehen, die sich ein Abgeordneter im Rahmen der politischen Äußerung gefallen lasse müsse.

Das Rekursgericht gab dem dagegen erhobenen Rekurs der beklagten Partei nicht Folge, dem Rekurs des Klägers aber Folge und änderte den Beschluss des Erstgerichtes dahin ab, dass es die einstweilige Verfügung wie beantragt erließ. Es sprach aus, dass der Wert des Entscheidungsgegenstandes 52.000 S, nicht aber 260.000 S übersteige und dass der ordentliche Revisionsrekurs nicht zulässig sei. Die inkriminierte Äußerung sei in ihrer Gesamtheit zu betrachten. Sowohl die wortschöpferische Formulierung "erblödet sich nicht" als auch die Bezeichnung des Klägers als "SPÖ-Hinterbänkler" stelle eine nicht mit dem Recht auf freie Meinungsäußerung zu rechtfertigende, in die Ehre des anderen eingreifende Überschreitung der Grenzen zulässiger Kritik dar. Sie erwecke beim unbefangenen Durchschnittsleser den Eindruck, dass der Kläger ein SPÖ-Politiker minderen Gewichts und Einflusses sei, und zwar nicht nur aufgrund seiner erst relativ kurzen Zugehörigkeit zum Nationalrat oder seiner Funktion in einem bloß lokal bedeutungsvollen Gremium, sondern auch aufgrund minderer geistiger Fähigkeiten ("blöd"). Es liege daher jedenfalls eine zivilrechtliche Beleidigung im Sinne des § 1330 Abs 1 ABGB vor.

Den Ausspruch über die Unzulässigkeit des ordentlichen Revisionsrekurses änderte das Rekursgericht entsprechend dem Antrag der beklagten Partei gemäß § 508 ZPO dahin ab, dass es den ordentlichen Revisionsrekurs für zulässig erklärte, weil möglicherweise ein Widerspruch seiner Entscheidung zur Rechtsprechung des Obersten Gerichtshofes bestehe, wonach auch drastische Äußerungen durch das Grundrecht der freien Meinungsäußerung im Rahmen einer politischen Auseinandersetzung gerechtfertigt sei.

Rechtliche Beurteilung

Der Revisionsrekurs der beklagten Partei ist zulässig und berechtigt.

Das Berufungsgericht hat zwar die in der Rechtsprechung des Obersten Gerichtshofs zu § 1330 ABGB entwickelten, im vorliegenden Fall relevanten Grundsätze zutreffend wiedergegeben, den vorliegenden Sachverhalt aber nicht den daraus hervorgehenden Wertungen entsprechend beurteilt.

Insoweit bekämpfte Äußerungen Werturteile auf der Basis eines wahren Sachverhalts darstellen, ist eine Interessenabwägung vorzunehmen, bei der den Interessen am absolut geschützten Gut der Ehre die Interessen des Handelnden und der Allgemeinheit gegenübergestellt werden müssen. Dabei kommt es auf die Art des eingeschränkten Rechts, die Schwere des Eingriffs, die Verhältnismäßigkeit zum verfolgten Recht, den Grad der Schutzwürdigkeit dieses Interesses, aber auch auf den Zweck der Meinungsäußerung an. Die Kriterien sind bei der Abgrenzung zwischen ehrenbeleidigender Rufschädigung einerseits und zulässiger Kritik und Werturteil andererseits maßgeblich. Bei wertenden Äußerungen kann auch massiv in die Ehre eines anderen eingreifende Kritik, die sich an konkreten Fakten orientiert, zulässig sein. Es dürfen aber nicht die Grenzen zulässiger Kritik überschritten werden (6 Ob 21/99b = MR 1999, 76 mwN). Dem dem Art 10 EMRK innewohnenden Recht der freien Meinungsäußerung ist ein überaus hoher Stellenwert beizumessen (6 Ob 18/94). Die Grenzen zulässiger Kritik sind bei Politikern weiter gezogen als bei Normalbürgern (MR 1996, 236). Wenn auch das Recht auf freie Meinungsäußerung keinen Freibrief bedeutet, den guten Ruf des Betroffenen herabzusetzen und ihn zu beleidigen (6 Ob 32/95; 4 Ob 302/98h), können doch selbst Beschimpfungen im Rahmen politischer Debatten durch das Recht auf freie Meinungsäußerung gerechtfertigt sein, wenn ein entsprechender Sachbezug gegeben ist (vgl EuGH in MR 1997, 196; 6 Ob 24/95).

Der Ausspruch, dass sich ein "Hinterbänkler erblödet" ist nach diesen Ausführungen als - unüberprüfbares - Werturteil zu qualifizieren, das den Unmut der beklagten Partei über eine bestimmte Vorgangsweise des Klägers, die zusammengefasst wiedergegeben wird, zum Ausdruck bringt. Ungeachtet dessen, ob das Wort "Hinterbänkler" als eine durchaus übliche und korrekte Bezeichnung für einen Abgeordneten, der in der letzten Parlamentsreihe seinen Platz hat, oder als abwertend in dem Sinn, das jemand im Parlament nicht besonders hervortritt (vgl Duden, Das große Wörterbuch der Deutschen Sprache, Band 2, 1596) zu verstehen ist, kann darin im vorliegenden Fall weder für sich allein genommen noch auch im Zusammenhang mit der Wendung "erblödet (entblödet) sich (nicht)" ein nach den aufgezeigten Kriterien unzulässiger Wertungsexzess erblickt werden. Der Sachbezug dieser wertenden Äußerung ist insgesamt nach dem Inhalt der Presseaussendung plausibel dahin dargelegt, dass die "Kriminalisierung" der FPÖ durch den Kläger gerade im Hinblick auf den in der Aussendung genannten Vorfall in den eigenen Parteireihen der SPÖ besonders mißbilligt werde. Gemessen am Verständnis eines Durchschnittslesers wird damit nichts anderes ausgeführt, als dass sich der Kläger ausgerechnet nach der Berichterstattung darüber, dass ein SPÖ-Funktionär im Verdacht des Kindesmißbrauches steht, "erdreistet" oder "sich nicht zu dumm dazu ist" (vgl zum Begriff "sich (nicht) entblöden: Duden aaO, 913; Österreichisches Wörterbuch38, 279; Brockhaus, Deutsches Wörterbuch, Band 2, 495), seinerseits die FPÖ schlecht zu machen. Wenn diese sachbezogene Kritik auch in drastischen Worten zum Ausdruck gebracht wurde, gehen diese doch nicht über den zwischen Parteifunktionären in parteipolitischen Auseinandersetzungen üblich gewordenen Umgangston hinaus. Ein unzulässiger Wertungsexzess liegt daher nicht vor.

Die Entscheidungen der Vorinstanzen waren daher in Stattgebung des Revisionsrekurses der beklagten Partei im Sinne einer gänzlichen Abweisung des Sicherungsantrages abzuändern.

Die Entscheidung über die Verfahrenskosten beruht auf den §§ 402, 78 EO, 41 und 50 ZPO.

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