OGH 21Os3/16y

OGH21Os3/16y7.12.2016

Der Oberste Gerichtshof als Disziplinargericht für Rechtsanwälte und Rechtsanwaltsanwärter hat am 7. Dezember 2016 durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofs Dr. Philipp als Vorsitzenden, die Anwaltsrichter Dr. Vavrovsky und Dr. Pressl sowie den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofs Hon.‑Prof. Dr. Sailer in Gegenwart der Richteramtsanwärterin Mag. Rathgeb als Schriftführerin in der Disziplinarsache gegen *****, Rechtsanwältin in *****, wegen der Disziplinarvergehen der Berufspflichtenverletzung und der Beeinträchtigung von Ehre oder Ansehen des Standes über die Beschwerde des Kammeranwalts gegen den Beschluss des Disziplinarrats der Rechtsanwaltskammer Salzburg vom 22. Juni 2016, GZ DISZ/1‑16‑12, nach Anhörung der Generalprokuratur in nichtöffentlicher Sitzung den

Beschluss

gefasst:

European Case Law Identifier: ECLI:AT:OGH0002:2016:0210OS00003.16Y.1207.000

 

Spruch:

Der Beschwerde wird nicht Folge gegeben.

Gründe:

Mit dem angefochtenen Beschluss sprach der Disziplinarrat der Rechtsanwaltskammer Salzburg aus, dass kein Grund zur Disziplinarbehandlung der Rechtsanwältin ***** wegen des Vorwurfs bestehe, sie hätte ein Mandat von A***** M***** übernommen, obwohl die von ihr dabei akzeptierten Begleitumstände zwangsläufig eine Interessenkollission implizierten und eine seriöse Vertretung der Interessen des Mandanten unter Beachtung der Verschwiegenheitspflicht in dieser Situation auszuschließen gewesen wäre, sie ihre Tätigkeit trotz bedenklicher Begleitumstände aufgrund der Vorgaben von Rechtsanwalt ***** und Rechtsanwältin ***** bis zum 28. August 2013 fortgesetzt hätte und zwischen Jänner und November 2011 auch ihr Honorar von der Kanzlei ***** bezahlt worden wäre.

Rechtliche Beurteilung

Die dagegen erhobene, die Fassung eines Einleitungsbeschlusses begehrende Beschwerde des Kammeranwalts ist nicht im Recht.

Dem Verfahren liegt eine Anzeige von Rechtsanwalt ***** zugrunde, wonach die Beschuldigte A***** M*****, welcher des Mordes an zwei Bankmanagern verdächtig gewesen sei, über Intervention der Opferanwälte ***** vertreten habe, welche überdies Honorarzahlungen an die Beschuldigte aus Mitteln eines Opferhilfevereins geleistet habe, der eine mutmaßliche Tarnorganisation eines ausländischen Geheimdienstes gewesen wäre. Dies ließe auf eine „vertiefte Abstimmung des Vorgehens zwischen der Kanzlei ***** als Privatbeteiligtenvertreterin und Rechtsanwältin ***** als Verteidigerin des A***** M***** schließen, was im Lichte des Standesrechts zu prüfen sei“.

Die Beschuldigte nahm hiezu dahingehend Stellung, dass sich A***** M***** mit dem Ansinnen, seine Straflosigkeit oder wenigstens nachhaltige Milderungsgründe gegen Offenlegung der ihm bekannten Umstände der Tötungsdelikte zu erlangen, zunächst an die Kanzlei ***** gewandt habe. Diese habe ihm wegen eines möglichen Interessenskonflikts mehrere Rechtsanwälte empfohlen, worauf dieser mit der Beschuldigten Kontakt aufgenommen habe und sich von ihr in verschiedenen Verfahren hätte vertreten lassen. Ab Dezember 2010 habe A***** M***** Schwierigkeiten bei der Begleichung anfallender Honorare geäußert und schließlich ein Angebot der Kanzlei ***** angenommen, angefallene Honorarkosten für ihn zu übernehmen. Einen Einfluss auf die Vertretungstätigkeit der Beschuldigten habe dies nicht gehabt.

Nach erfolgter Delegierung des Disziplinarverfahrens an den Disziplinarrat der Rechtsanwaltskammer Salzburg brachte der Kammeranwalt vor, die Beschuldigte sei offenbar nur beigezogen worden, um den Anschein der Rechtmäßigkeit des Vorgehens von Rechtsanwalt ***** zu wahren und den Eindruck zu verwischen, dass A***** M***** zu einem bestimmten Aussageverhalten genötigt werde. Darauf weise der Umstand hin, dass zwischen ihm, der (russisch‑stämmigen) Mitarbeiterin der Kanzlei *****, ***** und der Beschuldigten zahlreiche Besprechungen abgehalten wurden, wobei ***** A***** M***** anlässlich eines solchen Termins gefragt habe, ob er „die Vereinbarung einhalten und seine Aussage machen werde“. ***** habe versichert, dass A***** M***** „keine Angst haben müsse“, weil „die Vereinbarung vom K***** (Geheimdienstorganisation) eingehalten werde“.

Laut Bericht des Untersuchungskommissärs (ON 8) ergaben die von ihm gepflogenen Erhebungen, dass sämtliche Kontakte mit der Rechtsanwaltskanzlei ***** über Wunsch des A***** M***** stattfanden und die Beschuldigte keinen Anlass hatte, von einer Zwangslage ihres Mandanten auszugehen. Es bestünden keine Anhaltspunkte dafür, dass die Kanzlei ***** Einfluss auf die Vertretungstätigkeit der Beschuldigten genommen habe. Das bei der Rechtsanwaltskammer Wien geführte Disziplinarverfahren gegen diesen wurde bereits mit Beschluss des Disziplinarrats der Rechtsanwaltskammer Wien vom 9. September 2015, GZ D 25/15‑14, eingestellt (ON 7).

Der Disziplinarrat führt begründend aus, es könne nicht festgestellt werden, dass seitens der Kanzlei ***** Einfluss auf die Tätigkeit der Beschuldigten genommen worden wäre und es gebe auch keine Anhaltspunkte dafür, dass sie in Kenntnis davon gewesen wäre, dass von dritter Seite über die Kanzlei ***** auf ihren Mandanten Druck ausgeübt worden wäre.

Ein Beschluss des Inhalts, dass kein Grund zur Disziplinarbehandlung vorliegt (Einstellungsbeschluss), darf vom Disziplinarrat gefasst werden, wenn kein Verdacht eines ein Disziplinarvergehen begründenden Verhaltens des angezeigten Rechtsanwalts im Sinn des § 28 Abs 2 DSt vorliegt (vgl RIS‑Justiz RS0056969, Feil/Wennig , Anwaltsrecht 8 § 28 DSt, 932).

Vom Fehlen eines solchen Verdachts ist dann auszugehen, wenn die zur Last gelegte Tat weder eine Berufspflichtenverletzung noch eine Beeinträchtigung von Ehre oder Ansehen des Standes begründet, sonst ein Grund vorliegt, der eine Disziplinarverurteilung aus rechtlichen Gründen ausschließt (§ 212 Z 1 StPO, § 77 Abs 3 DSt; vgl RIS‑Justiz RS0056969 [T7], RS0056973 [T4]) oder aber, wenn – im Licht des § 212 Z 2 StPO – das vorliegende Tatsachensubstrat Grund zur Annahme bietet, dass Dringlichkeit und Gewicht des Tatverdachts nicht ausreichen, um eine Verurteilung des Beschuldigten auch nur für möglich zu halten, und von weiteren Ermittlungen eine Intensivierung des Verdachts nicht zu erwarten ist. Diese Beurteilung ist Sache der Beweiswürdigung des Senats gemäß § 28 DSt, während dem erkennenden Senat gemäß § 30 DSt die Prüfung vorbehalten ist, ob sich der Verdacht zum Schuldbeweis verdichtet hat (RIS‑Justiz RS0056973 [T5]; 25 Os 7/14p, 21 Os 7/14h, 24 Os 5/15p).

Gemäß § 9 RAO ist der Rechtsanwalt verpflichtet, übernommene Vertretungen dem Gesetz gemäß zu führen und die Rechte seiner Partei gegen jedermann mit Eifer, Treue und Gewissenhaftigkeit zu vertreten.

Aus seiner Treuepflicht zum Mandanten (§ 9 RAO, § 10 RL‑BA) ergibt sich für den Rechtsanwalt die Notwendigkeit, Interessenskonflikte hintanzuhalten, welche bei Konstellationen gegeben sind, bei denen er zwei Teilen dient, unter welchen sich Interessenskollissionen abzeichnen (RIS‑Justiz RS0117715, RS0054995 [T13, T26], RS0055014). Dass bereits die Vermittlung eines Mandats durch die Rechtsanwaltskanlei ***** (BS 4) eine derartige Interessenkollission für die Disziplinarbeschuldigte begründen könnte, wird von der Beschwerde selbst nicht behauptet.

Da ein Rechtsanwalt grundsätzlich auch nicht verpflichtet ist, seinen Klienten zu einer bestimmten Handlungsweise zu veranlassen (RIS‑Justiz RS0026560), sondern diesen – im Rahmen seiner Verpflichtung zur Interessenswahrung und Rechtsbetreuung – vorrangig über nachteilige Folgen eines bestimmten Vorgehens zu belehren hat (RIS‑Justiz RS0026560 [T1, T5], RS0112203 [T1]) sind die in der Beschwerde angestellten Überlegungen zum Ablauf diverser zwischen A***** M*****, der Beschuldigten, ***** und ***** geführter Besprechungen ebenfalls nicht geeignet, Anhaltspunkte für ein disziplinarrechtlich relevantes Verhalten der Beschuldigten zu bieten; fanden doch sämtliche dieser Kontakte über ausdrücklichen Wunsch des Mandanten statt (BS 3).

Da ein Rechtsanwalt auch grundsätzlich davon ausgehen darf, dass die ihm von seinem Klienten erteilte Information richtig ist (RIS‑Justiz RS0072054), bieten ins Treffen geführte Verfahrensresultate, wonach A***** M***** von ***** gefragt worden sei, ob er „die Vereinbarung einhalten und seine Aussage machen werde“, noch kein Tatsachensubstrat, welches es möglich erscheinen lasse, die Beschuldigte hätte – entgegen dem ihr von ihrem Mandanten gebotenen Kenntnisstand – erkennen können, dass er zu einem ganz bestimmten Aussageverhalten genötigt und sie selbst dadurch in ihrer Vertretungs‑ bzw Verteidigungstätigkeit eingeschränkt werden könnte.

Der Beschwerdestandpunkt, die Beschuldigte habe der Gegenseite Einsicht in „ihre Akten“ gewährt, sodass darin enthaltene Informationen zum Nachteil des A***** M***** genutzt werden konnten, wird durch die insofern herangezogene Aussagenpassage (vgl S 149 des Zwischenberichts des Bundesamts für Verfassungsschutz und Terrorismusbekämpfung vom 17. Februar 2014) keineswegs fundiert. Im Gegenteil, die Beschuldigte erklärte bei ihrer angesprochenen Vernehmung als Zeugin sie habe die an die Bekanntgabe eines Termins anknüpfende Observation ihres Mandanten, welche von der Kanzlei ***** in Auftrag gegeben worden sei, als „Sauerei“ empfunden und hätten in der Folge keine weiteren Kontaktnahmen mit dieser stattgefunden.

Auch der Umstand, dass die Kanzlei ***** die von A***** M***** geschuldeten Honorare für Jänner bis November 2011 beglich (BS 4), vermag ein disziplinäres Verhalten der Beschuldigten nicht zu begründen: Wünscht ein Mandant – wie hier – von seinem Rechtsanwalt ein bestimmtes Vorgehen (vorliegend die Kostentragung durch einen Dritten zu akzeptieren; vgl BS 3) und ist dies im Rahmen der Gesetze möglich und zulässig, kann es der Disziplinarbeschuldigten nicht zum Vorwurf gemacht werden, dass sie dieser Anweisung entspricht (RIS‑Justiz RS0072021).

Indem die Beschwerde nach eigenständiger Bewertung der Interessenslagen der involvierten Personen den Schluss zieht, eine sinnvolle Vertretung bzw Verteidigung des A***** M***** sei unter den gegebenen „Begleitumständen“ gar nicht möglich und daher ein Interessenskonflikt (zwangsläufig) vorhanden gewesen, vermag sie keine konkreten Anhaltspunkte für eine (schuldhafte) Verletzung von Standesvorschriften durch die Beschuldigte aufzuzeigen.

Hiebei darf nicht übersehen werden, dass es sich beim Mandanten der Beschuldigten um den ehemaligen Leiter eines Geheimdienstes eines großen Landes handelt, von dem also zu erwarten war, dass er in Besprechungen im Beisein der Beschuldigten durchaus eigenständig auftreten und die jeweilige Situation selbständig einschätzen konnte. Wenn er hiebei auf einen (weiteren) Dolmetsch verzichtete, kann dies nicht zu Lasten der Beschuldigten gehen.

Im Übrigen indiziert die Faktenlage ein überwiegendes Interesse der Opfervertretung an einer Verfolgung des (sodann verstorbenen) angeschuldigten Mittäters *****, sodass die hier in Rede stehenden Kontaktnahmen nicht zwangsläufig eine Interessenskollission bedingen.

Der Beschwerde war daher – in Übereinstimmung mit der Stellungnahme der Generalprokuratur – ein Erfolg zu versagen.

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