OGH 11Os94/16g

OGH11Os94/16g11.10.2016

Der Oberste Gerichtshof hat am 11. Oktober 2016 durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofs Dr. Schwab als Vorsitzenden sowie die Hofrätinnen des Obersten Gerichtshofs Dr. Bachner‑Foregger, Mag. Michel und Mag. Fürnkranz und den Hofrat des Obersten Gerichtshofs Dr. Oberressl als weitere Richter in Gegenwart der Richteramtsanwärterin Mag. Rathgeb als Schriftführerin in der Strafsache gegen Georgi D***** und Tsene T***** wegen des Verbrechens des Suchtgifthandels nach §§ 12 zweiter und dritter Fall StGB, 28a Abs 1 zweiter und dritter Fall, Abs 4 Z 1, Z 3 SMG und weiterer strafbarer Handlungen über die Nichtigkeitsbeschwerden und die Berufungen der Angeklagten sowie über die Berufung der Staatsanwaltschaft gegen das Urteil des Landesgerichts Eisenstadt als Schöffengericht vom 30. Juni 2016, GZ 7 Hv 26/16i‑182, in Anwesenheit des Vertreters der Generalprokuratur, Generalanwalt Mag. Leitner, der Angeklagten und ihrer Verteidiger Mag. Preclik und Dr. Philipp zu Recht erkannt:

European Case Law Identifier: ECLI:AT:OGH0002:2016:0110OS00094.16G.1011.000

 

Spruch:

In teilweiser Stattgebung der Nichtigkeitsbeschwerde des Angeklagten D***** und aus deren Anlass wird das angefochtene Urteil, das im Übrigen unberührt bleibt, in den Strafaussprüchen beider Angeklagter (jeweils einschließlich der Vorhaftanrechnung) aufgehoben und in der Sache selbst erkannt:

Die Angeklagten werden jeweils unter Anwendung des § 28 StGB nach § 28a Abs 4 SMG zu einer Freiheitsstrafe von elf Jahren verurteilt.

D***** wird die Vorhaft von 21. März 2016, 11:00 Uhr bis 11. Oktober 2016, 10:10 Uhr, T***** von 21. März 2016, 10:40 Uhr, bis 11. Oktober 2016, 10:10 Uhr auf die verhängte Freiheitsstrafe angerechnet.

Die Nichtigkeitsbeschwerden im Übrigen werden verworfen.

Mit den Berufungen werden die Angeklagten und die Staatsanwaltschaft auf die Strafneubemessung verwiesen.

Den Angeklagten fallen die Kosten des Rechtsmittelverfahrens zur Last.

Gründe:

Mit dem angefochtenen Urteil wurden

Georgi D***** des Verbrechens des Suchtgifthandels nach §§ 12 dritter Fall StGB, 28a Abs 1 zweiter und dritter Fall, Abs 4 Z 1, Z 3 SMG (II./A./) sowie des Verbrechens des Suchtgifthandels nach §§ 12 dritter Fall StGB, 28a Abs 1 fünfter Fall, Abs 4 Z 1, Z 3 SMG (II./B./);

Tsene T***** des Verbrechens des Suchtgifthandels nach §§ 12 zweiter Fall StGB, 28a Abs 1 zweiter und dritter Fall, Abs 2 Z 2, Abs 4 Z 3 SMG (I./A./) sowie des Verbrechens des Suchtgifthandels nach §§ 12 zweiter Fall StGB, 28a Abs 1 fünfter Fall, Abs 2 Z 2, Abs 4 Z 3 SMG (I./B./)

schuldig erkannt und zu je acht Jahren Freiheitsstrafe verurteilt.

Danach haben in der Zeit vor dem 10. September 2015 in Bulgarien als Mitglieder einer kriminellen Vereinigung

I./ Tsene T***** die abgesondert verfolgten Iskren K*****, Bogomil Tod*****, Kalin To***** und Ventsislav P***** dazu bestimmt, Suchtgift in einer das Fünfundzwanzigfache der Grenzmenge (§ 28b SMG) übersteigenden Menge, nämlich insgesamt 4.930,7 Gramm Heroin, enthaltend eine Reinsubstanz von zumindest 2.318,77 Gramm Heroin, 140,03 Gramm Codein und 24,65 Gramm Monoacetylmorphin, vorschriftswidrig

A./ aus Bulgarien über Serbien und Ungarn per Pkw nach Österreich aus‑ bzw einzuführen, indem er den unmittelbaren Schmugglern K***** und Tod***** den Auftrag zur Kurierfahrt erteilte, ihnen das Suchtgift übergab bzw verschaffte, To***** den Auftrag erteilte, das Drogengeld entgegenzunehmen, P***** zur Kontrolle des Geldes auf Echtheit engagierte und die Fahrt organisierte;

B./ nach dem Import nach Österreich in V***** in einer Garage anderen zum Gesamtpreis von 100.000 Euro zu überlassen;

II./ Georgi D*****

A./ zu der unter I./A./ sowie

B./ zu der unter I./B./ genannten Tathandlung

beigetragen, indem erdie unter I./A./ und B./ angeführte Suchtgift‑ bzw Geldübergabe mit einer (vom Bundesministerium für Inneres geführten Vertrauens‑)Person konkret verhandelte, wobei er schon einmal wegen einer Straftat nach § 28a Abs 1 SMG, nämlich am 19. August 2011 vom Landesgericht für Strafsachen Wien, verurteilt wurde.

Rechtliche Beurteilung

Gegen dieses Urteil richten sich die auf § 281 Abs 1 Z 5, 5a und 11 StPO (D*****) bzw § 281 Abs 1 Z 5, 5a, 9 lit a, 10 und 11 StPO (T*****) gestützten Nichtigkeitsbeschwerden der beiden Angeklagten.

Zur Nichtigkeitsbeschwerde des Angeklagten D*****:

Der Mängelrüge (Z 5 dritter Fall) zuwider betrifft die Konstatierung, die Identität der für das Bundesministerium für Inneres tätigen Vertrauensperson habe nicht festgestellt werden können, keine entscheidende Tatsache (zum Begriff Ratz, WK‑StPO § 281 Rz 498).

Unberechtigt ist der Vorwurf einer unterbliebenen Begründung für die Annahme der Tatgeneigtheit des Erstangeklagten (inhaltlich Z 5 vierter Fall), weil der in den Entscheidungsgründen enthaltene Hinweis auf den Bericht des verdeckten Ermittlers ([richtig:] ON 146), wonach der Angeklagte einer Vertrauensperson den Kauf von fünf Kilogramm Heroin angeboten habe (US 13), auch der Begründung der – einem Kaufanbot logisch vorgelagerten – Tatgeneigtheit dient. Indem die im selben Zusammenhang aufgestellte Behauptung erheblicher Bedenken diese Erwägungen ignoriert, verfehlt sie die prozessordnungsgemäße Darstellung der geltend gemachten Nichtigkeit (Z 5a; RIS‑Justiz RS0117961 [T1]).

Letzteres gilt ebenso für den Einwand, die den Angeklagten D***** betreffenden Aussagen des Zeugen To***** bestünden „zur Gänze“ aus Vermutungen. Dieser ist angesichts der Angaben des Genannten über seine eigenen Wahrnehmungen und die ihm vom Angeklagten T***** unmittelbar erteilten Erklärungen schlicht aktenfremd (US 15; vgl ON 181 S 32 ff) und missachtet solcherart das Gebot, seine Argumentation „aus den Akten“ abzuleiten. Insgesamt kritisiert dieses Vorbringen allein die tatrichterliche Beweiswürdigung nach Art einer im schöffengerichtlichen Verfahren unzulässigen Berufung wegen des Ausspruchs über die Schuld und verfehlt damit die prozessordnungsgemäße Darstellung des nur gegen geradezu unerträgliche Feststellungen gerichteten Nichtigkeitsgrundes des § 281 Abs 1 Z 5a StPO.

Auch die weiteren Erwägungen der Rüge zur Üblichkeit der Teilnahme an weit entfernten Treffen, zur Wahrscheinlichkeit einer vom Erstangeklagten ausgehenden Kontaktaufnahme mit einer Vertrauensperson und zur Authentizität eines Aktenvermerks über dessen Treffen mit der Vertrauensperson im September 2015 dienen lediglich einer solchen – in dieser Form unzulässigen und daher unbeachtlichen – Beweiskritik.

Weshalb die Nichtannahme einer Tatprovokation (§ 5 Abs 3 StPO) über die Konstatierung einer vom Angeklagten D***** ausgehenden Kontaktaufnahme mit der – anonym gebliebenen – Vertrauensperson und eines an diese gerichteten Suchtgiftanbots hinaus (US 7) weitere Feststellungen erfordert hätte (inhaltlich Z 9 lit b), legt die Rüge prozessordnungswidrig nicht dar (RIS‑Justiz RS0116569).

Schließlich verfehlt die – im Zusammenhang mit der unterbliebenen Vernehmung der Vertrauensperson durch das Erstgericht erhobene – Aufklärungsrüge (Z 5a) ihre prozessordnungsgemäße Darstellung, weil ihr Vorbringen, ein entsprechender Beweisantrag seitens des Angeklagten wäre angesichts der geheimen Identität dieses Vertrauensmanns nicht möglich gewesen, nicht konkret darlegt, welcher Umstand eine entweder auf Ausforschung dieser Person oder auf deren Vernehmung in einer deren Anonymität im zulässigen Maß wahrenden Weise (§§ 162, 250 Abs 1 StPO [vgl Kirchbacher, WK‑StPO § 162 Rz 4]) gerichtete Antragstellung behindert hätte, und sich damit nicht in gebotener Weise mit der Möglichkeit einer sachgerechten Antragstellung auseinandersetzt (RIS‑Justiz RS0115823 [T1]; RS0114036).

Zu Recht hingegen kritisiert die Sanktionsrüge (Z 11 zweiter Fall), dass dem Erstangeklagten zum Schuldspruch II./B./ – ausgehend von den Feststellungen, wonach die Drogenkuriere (in Gegenwart eines verdeckten Ermittlers) das mit Suchtgift gefüllte Versteck im Schmuggelfahrzeug öffneten und in weiterer Folge verhaftet wurden (US 10) – lediglich ein Beitrag zu einem im Stadium des Versuchs gebliebenen Suchtgifthandel zur Last fällt (RIS‑Justiz RS0112911), während das Erstgericht diesbezüglich von Vollendung ausging (US 3) und demzufolge in offenbar unrichtiger Beurteilung der hiefür maßgeblichen Feststellungen (Strafzumessungstatsachen) den Milderungsgrund des § 34 Abs 1 Z 13 StGB nicht annahm (RIS‑Justiz RS0122137; US 25).

Da diese Nichtigkeit auch dem Strafausspruch des Angeklagten T***** anhaftet, war sie aus Anlass der Nichtigkeitsbeschwerde des D***** von Amts wegen auch zu Gunsten des Angeklagten T***** wahrzunehmen (§ 290 Abs 1 zweiter Satz erster Fall StPO).

Zur Nichtigkeitsbeschwerde des Angeklagten T*****:

Der Vorwurf einer unterbliebenen Begründung (Z 5 vierter Fall) der Urteilsannahme eines „auf längere Zeit, nämlich zumindest mehrere Monate“ ausgerichteten Zusammenschlusses (US 10) ist im Hinblick auf die von der Rüge selbst zitierten beweiswürdigenden Erwägungen zur kriminellen Vereinigung (US 21) unberechtigt, weil sich diese ersichtlich auf sämtliche Feststellungen zur kriminellen Vereinigung und damit auch auf die von der Rüge angesprochene Zeitkomponente beziehen und durch den ausdrücklichen Hinweis auf erst zu setzende und wiederholte Tathandlungen den zeitlichen Aspekt sogar ausdrücklich hervorheben.

Indem sich die Tatsachenrüge (Z 5a) darauf beschränkt, den Zeitpunkt der Belastung des Angeklagten T***** durch den Zeugen To***** als auffallend zu bezeichnen, auf ihrer Ansicht nach unklare und wechselnde Angaben dieses Zeugen zu den Eigentumsverhältnissen des Clubs I***** hinzuweisen, diese Angaben bzw deren Glaubwürdigkeit eigenständig zu analysieren und zu bewerten sowie daraus vom Urteilssachverhalt abweichende Annahmen abzuleiten, zeigt sie keine erheblichen Bedenken im Sinn des nur auf unerträgliche Beweiswürdigungsergebnisse abstellenden Nichtigkeitsgrundes auf, sondern übt lediglich – im Schöffenverfahren insoweit unzulässige – Beweiswürdigungskritik (RIS‑Justiz RS0118780; RS0119583).

Entgegen dem in diesem Zusammenhang weiters erstatteten Vorbringen (inhaltlich Z 5 zweiter Fall) war der– entscheidende Tatsachen nicht berührende – Umstand, dass der Zeuge To***** über keinen Führerschein verfügt, nicht gesondert erörterungsbedürftig (RIS‑Justiz RS0098646).

Der Rechtsrüge (Z 9 lit a) zuwider leitet sich die für die Anwendung österreichischer Gesetze nach § 64 Abs 1 Z 4 StGB erforderliche Verletzung österreichischer Interessen bereits aus den Urteilsannahmen zur Einfuhr des Suchtgifts nach Österreich und dessen dort intendierter In‑Verkehr‑Setzung (US 7 ff) ab (RIS‑Justiz RS0092209; RS0092207; Salimi in WK² § 64 Rz 47). Darüber hinaus ergibt sich die Geltung der österreichischen Strafgesetze auch aus der konstatierten Beteiligung des Angeklagten T***** an den erwähnten Tathandlungen (§ 64 Abs 1 Z 8 StGB; 14 Os 99/12h).

Die – eine Unterstellung der dem Beschwerdeführer zur Last liegenden Tathandlungen bloß unter § 28a Abs 1 SMG anstrebende – Argumentation, der Urteilssachverhalt enthalte mangels ausreichender Konstatierung einer entsprechenden Wissenskomponente keinen auf die Überschreitung des Fünfundzwanzigfachen der Grenzmenge gerichteten Vorsatz (Z 10), übersieht, dass der in diesem Zusammenhang ausdrücklich festgestellte Wille (US 11) ein entsprechendes Wissen notwendig miteinschließt (RIS‑Justiz RS0089034, RS0088850, RS0089250).

Unberechtigt ist ebenso der gegen die Subsumtion (auch) unter § 28a Abs 2 Z 2 SMG gerichtete Vorwurf eines Rechtsfehlers mangels Feststellungen zur die zeitliche Komponente der kriminellen Vereinigung betreffenden subjektiven Tatseite (Z 10), weil die vorliegenden Urteilsannahmen, wonach sich die beiden Angeklagten mit weiteren unbekannten Tätern „im Vorfeld des dargestellten Suchtgifttransports auf längere Zeit, nämlich zumindest mehrere Monate, zusammenschlossen, um große Mengen an Suchtgift … nach Österreich zu schmuggeln und hier zu verkaufen“ (US 10), auch eine auf die Dauer des Zusammenschlusses bezogene Absicht umfassen.

Zufolge Aufhebung des Strafausspruchs war auf die Sanktionsrüge nicht einzugehen.

Es war daher – in Übereinstimmung mit der Stellungnahme der Generalprokuratur – in teilweiser Stattgebung der Nichtigkeitsbeschwerde des Angeklagten D***** bzw aus deren Anlass das angefochtene Urteil, das im Übrigen unberührt zu bleiben hatte, in beiden Strafaussprüchen (jeweils einschließlich der Vorhaftanrechnung) aufzuheben.

Im Übrigen waren die Nichtigkeitsbeschwerden der Angeklagten zu verwerfen.

Bei der durch die Aufhebung der Strafaussprüche erforderlichen Neubemessung der Strafen waren bei beiden Angeklagten die vielfache Überschreitung der 25-fachen Grenzmenge, das Vorliegen massiver einschlägiger Vorstrafen, das Zusammentreffen von Verbrechen und die mehrfache Qualifikation, beim Zweitangeklagten auch der rasche Rückfall als erschwerend zu werten. Mildernd fiel lediglich ins Gewicht, dass es beim Versuch geblieben ist, weil bei gegebener Sachverhaltskonstellation der Sicherstellung des Suchtgifts keine solche Wirkung zukommen kann.

Angesichts der Tatsachen, dass – wie die Staatsanwaltschaft in ihrer zum Nachteil der Angeklagten erhobenen Berufung zutreffend ausführt – die Angeklagten als führende Beteiligte anzusehen sind, der Suchtgiftschmuggel gründlich geplant und arbeitsteilig mit geringerem Entdeckungsrisiko für die Angeklagten organisiert war und eine überaus große Suchtgiftmenge mit erwartetem hohem Gewinn in Verkehr gesetzt werden sollte, erachtet der Oberste Gerichtshof Freiheitsstrafen in Höhe von je elf Jahren als schuldangemessen, die auch präventiven Anforderungen genügen, denen im Gegenstand besondere Bedeutung zukommt.

Die Angeklagten waren mit den Berufungen ebenso wie die Staatsanwaltschaft auf die Strafneubemessung zu verweisen.

Die Vorhaftanrechnung folgt aus § 38 Abs 1 Z 1 StGB.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 390a Abs 1 StPO.

Stichworte