OGH 9ObA105/16f

OGH9ObA105/16f29.9.2016

Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht in Arbeits‑ und Sozialrechtssachen durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofs Dr. Hopf als Vorsitzenden, die Hofrätin des Obersten Gerichtshofs Hon.‑Prof. Dr. Dehn und den Hofrat des Obersten Gerichtshofs Dr. Hargassner sowie die fachkundigen Laienrichter Dr. Martina Rosenmayr‑Khoshideh und Robert Hauser als weitere Richter in der Arbeitsrechtssache der klagenden Partei P***** S*****, vertreten durch Dr. Christoph Arbeithuber, Rechtsanwalt in Linz, gegen die beklagte Partei D***** AG *****, vertreten durch Dr. Robert Schaar, Rechtsanwalt in Graz, wegen Rechnungslegung und Leistung (Streitwert: 36.000 EUR), über die außerordentliche Revision der klagenden Partei gegen das Urteil des Oberlandesgerichts Wien als Berufungsgericht in Arbeits- und Sozialrechtssachen vom 24. Juni 2016, GZ 9 Ra 64/16x‑15, in nichtöffentlicher Sitzung den

Beschluss

gefasst:

European Case Law Identifier: ECLI:AT:OGH0002:2016:009OBA00105.16F.0929.000

 

Spruch:

Die außerordentliche Revision der klagenden Partei wird gemäß § 508a Abs 2 ZPO mangels der Voraussetzungen des § 502 Abs 1 ZPO zurückgewiesen.

Begründung:

Rechtliche Beurteilung

Der Kläger war beim beklagten Versicherungsunternehmen im Außendienst beschäftigt. Da er zur Versicherungsagentur seines Bruders wechseln wollte, kündigte er das Dienstverhältnis zum 15. 8. 2014 auf. Dem Wunsch des Klägers, seinen Kundenstock mitnehmen zu dürfen, kam die Beklagte nicht nach. Vielmehr wies sie den Kläger unter Androhung dienstrechtlicher Konsequenzen ausdrücklich darauf hin, dass er keinen Kontakt mehr zu seinen Kunden suchen dürfe. Die Beklagte stellte den Kläger ab 10. 7. 2014 dienstfrei. Am 13. 8. 2014 wurde der Kläger wegen Vertrauensunwürdigkeit entlassen.

Das Dienstverhältnis des Klägers unterlag dem Kollektivvertrag für Angestellte der Versicherungsunternehmen im Außendienst (KVA). Nach dessen § 6 Abs 6 besteht kein Anspruch auf Folgeprovision oder auf Teile einer solchen, wenn der Angestellte vom Dienstgeber vorzeitig entlassen wird (§ 27 AngG).

Nach ständiger Rechtsprechung stellt die Beurteilung, ob im Einzelfall ein Kündigungs- oder Entlassungsgrund verwirklicht wurde, keine erhebliche Rechtsfrage iSd § 502 Abs 1 ZPO dar (RIS‑Justiz RS0106298; 9 ObA 89/16b), es sei denn, dem Berufungsgericht wäre bei seiner Entscheidung eine auffallende Fehlbeurteilung unterlaufen. Dies ist hier nicht der Fall.

Der Kläger legt in seiner außerordentlichen Revision die von der Rechtsprechung entwickelten Kriterien zum Entlassungsgrund des § 27 Z 1 letzter Fall AngG zutreffend dar (vgl RIS‑Justiz RS0029547; RS0029833). Wesentliches Merkmal für diesen Entlassungstatbestand ist der vom Dienstnehmer verschuldete, objektiv begründete Vertrauensverlust (9 ObA 82/16y). Ob durch das Verhalten des Dienstnehmers ein Schaden verursacht wurde, ist nicht Tatbestandsmerkmal (RIS‑Justiz RS0029833 [T18]).

Nach den Feststellungen versendete der Kläger im aufrechten Dienstverhältnis am 6. 8. 2014 an 219 seiner 600 Kunden bei der Beklagten ein Schreiben, in dem er erklärte, ab 16. 8. 2014 in der Versicherungsagentur seiner Familie tätig zu sein, wegen der Kooperation mit verschiedenen Versicherungsunternehmen künftig noch flexibler für den Kunden agieren könne und sich beim Kunden melden werde, um einen persönlichen Termin zu vereinbaren. Wenn die Vorinstanzen übereinstimmend in diesem Verhalten des Klägers den Tatbestand der Vertrauensunwürdigkeit verwirklicht sehen, stellt das keine korrekturbedürftige Fehlbeurteilung dar.

Für eine Vertrauensverwirkung und die Annahme der Unzumutbarkeit der Weiterbeschäftigung kommt es weder auf die Dauer der noch zur Verfügung stehenden Kündigungsfrist im Einzelfall an, noch darauf, ob der Dienstnehmer in Zukunft noch Gelegenheit hätte, die dienstlichen Interessen neuerlich zu verletzen (9 ObA 111/14k; 8 ObA 2/15z; RIS‑Justiz RS0029797; RS0029013). Jeder gerechtfertigten Entlassung ist immanent, dass dem Dienstgeber die Weiterbeschäftigung des Dienstnehmers wegen des Entlassungsgrundes so unzumutbar geworden ist, dass eine sofortige Abhilfe erforderlich wird (RIS‑Justiz RS0029009). Dieses Tatbestandsmerkmal ermöglicht die Abgrenzung zwischen einem in abstracto wichtigen Entlassungsgrund und einem in concreto geringfügigen Sachverhalt, also einer bloßen Ordnungswidrigkeit (9 ObA 111/15m; 9 ObA 12/16d ua). Auch die Beurteilung der Unzumutbarkeit hängt von den Umständen des Einzelfalls ab (RIS‑Justiz RS0103201). Die Rechtsansicht des Berufungsgerichts, der Beklagten sei wegen der gravierenden Treuepflichtverletzung des Klägers eine Weiterbeschäftigung auch nur für den Rest der schon im Lauf befindlichen Kündigungsfrist nicht mehr zumutbar gewesen, ist nach der Lage des Falls vertretbar.

Damit muss auf die – von den Vorinstanzen ebenfalls übereinstimmend bejahte – Frage, ob das Erlöschen des Anspruchs auf Folgeprovision – bei Verneinung der Rechtfertigung der Entlassung – auch auf § 6 Abs 5 KVA gestützt werden kann, nicht mehr eingegangen werden.

Mangels einer Rechtsfrage von der Qualität des § 502 Abs 1 ZPO ist die außerordentliche Revision des Klägers zurückzuweisen.

Stichworte